77
Ich kochte förmlich vor Wut. Zu Hause nahm ich die geplante Dusche. Die ganze Zeit über dachte ich an Ralphies Schwester und dieses arme, kleine einjährige Mädchen. Als reichten all die anderen Dinge, die mich nahe an einen Ausbruch brachten, nicht bereits aus, kam jetzt auch noch dieser Horror dazu. In mein Handtuch gewickelt, saß ich da und betrachtete die Fotos von diesem Tier Cavello, die ich an die Küchenwand gehängt hatte. Die Stapel sinnlos angesammelter Beweise.
Bis ich es nicht mehr aushielt.Ich zog mich an und holte meinen Saab von der Eleventh
Avenue. Aber ich hatte nicht vor, ins Büro zu
fahren. Richtiges oder »angemessenes« Verhalten war mir ab
jetzt
egal.
Ich fuhr durch den Lincoln Tunnel und nahm auf der
anderen
Seite des Flusses die Route 3 nach Secaucus in New
Jersey.
Secaucus war die »Achselhöhle des Universums« – kilometerweit nur
Autoschalter, kastenförmige Einkaufszentren und
Schnellrestaurants, eingezwängt zwischen einem giftigen
Sumpf
und der gebührenpflichtigen Schnellstraße.
Nach etwa fünf Kilometern auf der Route 3 hielt ich vor
einem
düsteren, zweistöckigen Gebäude aus Schlackenstein, das
ich
sehr gut kannte. Vereinigte Arbeiter der Bauelektriker von
New
Jersey.
Local 407. Cavellos Laden.
Ich öffnete die Glastür und trat direkt auf die verblüffte
Empfangsdame zu, der ich meine FBI-Marke vor die Nase hielt.
»Ich
werde zu Frankie Delsavio hinaufgehen.«
Die Dame sprang auf. »Entschuldigen Sie, Sir, Sie können
nicht einfach …«
Ich wartete nicht, bis sie ihren Satz beendet hatte.
Zwei breitschultrige Männer, die dies als Teil ihrer
Arbeitsplatzbeschreibung betrachteten, sprangen von ihren Stühlen
auf
und stellten sich mir in den Weg.
»Versuch’s erst gar nicht«, drohte ich, als einer von
ihnen
seinen Arm ausstreckte. Vielleicht war das Funkeln in
meinen
Augen doch etwas zu deutlich. »Kapiert?«
»Mr. Delsavio ist nicht im Haus«, grunzte der Schläger,
der
aussah, als wäre er beim Vorsprechtermin für Die Sopranos –
der verdammte Riese durchgerasselt.
Ich hielt ihm meinen Ausweis vors Gesicht. »Ich sage es
nur
einmal: Geh mir aus dem Weg.«
Angetrieben von reinem Adrenalin eilte ich die Treppe
hinauf.
Wahrscheinlich wussten schon alle im Haus Bescheid.
FBIler
platzten hier nicht alleine herein, ohne Verstärkung.
Im ersten Stock befanden sich die Büros der Gewerkschaft.
Cavellos Leute, die gemütlich die Aufträge verteilten,
taten
nichts anderes, als Geld einzukassieren. Gefolgt von den
beiden
Deppen am Empfang, stürmte ich den Flur entlang. Ein paar
Sekretärinnen hoben verwundert die Köpfe.
Ein anderer Kerl versperrte mir den Weg. Mit
Sonnenbrille,
den Kragen seines offenen Hemds über den Polyesteranzug
gestülpt. »’tschuldigung, Sir!« Er schlug seine Jacke zurück
und
zeigte mir seine Waffe. Ich wartete nicht, bis er sie zog. Ich
zog
meine.
Während ich diesen Ganoven gegen die Wand schob, hielt
ich
ihm zuerst die Mündung, dann meinen FBI-Ausweis unter die
Nase. »Hier drauf steht: Ja, ich kann.«
Die Leute hinter ihren Schreibtischen erhoben sich. Die
beiden
Schläger aus der Eingangshalle hatten ihre Waffen gezogen. »Dies
ist ein rechtmäßiges, privates Unternehmen«, erklärte
der Kerl an der Wand. »Das Büro unseres Firmenanwalts
liegt
am Ende des Flurs. Sie sind ohne Termin oder berechtigte
geschäftliche Absicht hier. Zeigen Sie mir eine Vorladung
oder
einen Haftbefehl, Special Agent, oder verschwinden Sie.« Ich
drückte meine Waffe in seine Wange. »Ich habe darum
gebeten, mit Frank Delsavio sprechen zu dürfen.«
»Wie Ihnen bereits gesagt wurde« – und dabei blickte er
mir
direkt in die Augen –, »ist Mr. Delsavio nicht im Haus.
Sie
können nicht mit ihm sprechen, wenn er nicht hier ist.« Genau in
dem Moment wurde am Ende des Flurs eine Tür
geöffnet, und ein untersetzter Mann mit rötlichem Gesicht
und
sorgfältig über die Glatze gekämmtem Haar in kurzer Nylonjacke und
offenem Karohemd kam heraus.
»Agent Pellisante«, grüßte mich Frank Delsavio mit krächzender
Stimme. »Sallie, warum hast du nicht gesagt, dass Agent
Pellisante hier ist? Ich bin gerade erst zurück. Kommen Sie
in
mein Büro. Wahrscheinlich hat niemand bemerkt, dass ich
wieder hier bin.«