17

Es war fast vier Uhr. Richterin Seiderman ließ ihren Blick durch den Gerichtssaal gleiten. »Mr. Goldenberger, ich glaube, das ist ein guter Moment, um für heute Schluss zu machen«, beendete sie die Zeugenvernehmung.

Sie ermahnte die Geschworenen, bevor diese nach Hause geschickt wurden, nicht über den Fall zu reden und keine Zeitungen zu lesen. Ein paar verabschiedeten sich hastig, um noch ihren Zug zu erreichen.

Andie packte ihre Tasche und zog ihren Pullover an. »Bis morgen dann«, rief sie in die Runde. »Ich muss meinen Sohn abholen. Fährt jemand mit der U-Bahn?«

Eine Frau, Jennifer hieß sie, sagte, sie würde mitfahren. Gemeinsam eilten sie hinüber zur Chambers Street und sprangen in die Broadway-Linie Richtung Norden. Jennifer, eine Anzeigenverkäuferin, stieg an der 79th Street aus. Andie fuhr noch weiter in den Norden, wo sie seit vier Jahren in der West 183rd Street in einem braunen Sandsteingebäude ohne Fahrstuhl, aber mit Blick auf die George-Washington-Bridge wohnte.

An der Haltestelle 181st Street stieg sie aus und ging ein paar Blocks zur 178th Street, wo sie Jarrod bei Sandra abholte. Sandras Sohn Eddie ging wie Jarrod in die vierte Grundschulklasse.

»Hallo, Frau Law and Order«, begrüßte Sandra sie mit einem

Lachen, als sie die Tür öffnete. »Hast du die Rolle?« »Ich wurde verurteilt.« Andie verdrehte die Augen. »Acht
Wochen.«
»Igitt!«, rief Sandra. »Ich habe die Jungs dazu gebracht, ihre
Hausaufgaben zu machen, zumindest einen Teil. Sie sind in
Edwards Zimmer. Spielen Desert Ambush.« Die beiden Frauen
schoben die Köpfe durch die Tür.
»Mom«, krähte Jarrod, »stell dir vor, wir sind auf Level
sechs.«
Sie gingen den Broadway entlang nach Hause. Das Abendessen rückte in greifbare Nähe, aber Andie hatte keine Lust zu
kochen.
»Also, worauf haben wir Appetit, Mister? Nachos? Feinkostladen? Ich habe vierzig Kröten von der Regierung in der Tasche,
und das heißt, das Essen geht auf mich.«
»Die haben dir vierzig Kröten gegeben?« Jarrod schien beeindruckt zu sein. »Worum geht’s bei dem Prozess eigentlich,
Mom? Irgendwas Geiles?«
»Ich soll darüber nicht reden, aber es geht um diesen MafiaKerl. Wir mussten uns dieses Anwaltsgeschwätz anhören.
Genauso wie im Fernsehen. Und ich musste zur Richterin. In ihr
Büro.«
Vor dem Haus, in dem sie wohnten, blieb Jarrod abrupt stehen.
»Mom!«, rief er.
Andie parkte ihren Wagen immer auf der Straße. Ein zehn
Jahre alter, orangefarbener Volvo Kombi. Schnecke nannten sie
ihn, weil er nicht gerade schnell war und aussah, als hätte er ein
paar Schläge mit der Faust abbekommen. Die Streifenpolizisten
drückten immer ein Auge zu.
Jemand hatte die Windschutzscheibe vollkommen eingeschlagen.
»O mein Gott«, keuchte Andie und rannte zum Wagen. Der Boden war mit Glassplittern übersät. Wer konnte so etwas
tun? Sie stellte den Wagen schon seit Jahren auf der Straße ab.
Jeder hier in der Gegend kannte ihn, und so etwas war noch nie
vorher passiert. Sie legte eine Hand auf Jarrods Schulter. Dann spürte Andie, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie
dachte an Cavello, der mit ruhigem, gleichgültigem Blick im
Gerichtssaal saß. Als hätte er alles unter Kontrolle. Und sie
dachte an die Geschichten, die Louis Machia erzählt hatte. Er hatte für Cavello getötet. Sachen wie diese hier waren doch
Kinderkram für die Mafia, oder?
»Mom. was ist los?«
»Nichts, Jarrod.« Sie zog ihn zu sich heran.
Aber das glaubte er genauso wenig wie sie selbst. Schließlich
brauchte man ihr nur bis nach Hause zu folgen.
Vielleicht hatten sie das schon getan.

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