1999

Freitag, 26. November 1999

Wisteria Walk, Ashby-de-la-Zouch, Leicestershire

14:30 Uhr

Seit der Brand mein Haus, meine Möbel, Kleider, Bücher und Ersparnisse zerstörte, habe ich kein Tagebuch mehr geführt. Die Brandstifterin, Eleanor Flood, sitzt momentan in der Geschlossenen, wo sie ein Fernstudium absolviert. Der Titel ihrer Magisterarbeit lautet »Phoenix – Mythos oder Metapher?«. Das weiß ich deshalb, weil sie mir gelegentlich schreibt.
Ich habe mich bei den Behörden darüber beschwert, doch sie sind machtlos dagegen. Offenbar werden ihre Briefe von einer korrupten Wärterin herausgeschmuggelt. Wenn ich nachts im Bett liege und dem Atem meiner beiden Söhne William, 7, und Glenn, 13, in ihrem Stockbett, nur Zentimeter von meinem Kopf entfernt, lausche, denke ich häufig an Eleanor Flood und beneide sie. Wenigstens hat sie ein eigenes Zimmer und reichlich Zeit zum Denken und Schreiben.

23:00 Uhr

War mit den Jungs heute Abend bei Debenhams in Leicester, um uns anzusehen, wie sich der Weihnachtsmann an der Seitenmauer des Kaufhausgebäudes abseilt. William war völlig verzückt vom Anblick des an einem Kletterseil schwingenden Weihnachtsmanns, aber Glenn blickte sich pausenlos nervös in der Zuschauermenge um. »Wenn mich einer aus der Schule hier sieht«, sagte er, »bin ich ein toter Mann, Dad.«
Es standen bestimmt 70 Leute vor uns in der Schlange zum Weihnachtsmann, die sich quer durch die Spielzeugabteilung, vorbei an der Bettwäsche bis in die Kleinelektronik wand. Um uns Wartende zu besänftigen, lief das Vaterunser, gesungen von Sir Cliff Richard zur Melodie von »Auld Lang Syne«, vom Band. Ein alter Mann, der mit seiner Urenkelin da war, murmelte: »Ich hab doch nicht in zwei Weltkriegen gekämpft, damit Cliff Richard sich die Taschen vollmachen kann, indem er das Vaterunser ausschlachtet.«
Ein Schotte hinter ihm bemerkte: »Genau, und außerdem verhunzt der Penner das schöne Lied.«
Ich ließ meine Söhne kurz allein in der Schlange und ging hinüber zu Boots, um mir eine Schachtel Nurofen-Schmerztabletten und ein Päckchen Starburst zu kaufen (nach beidem bin ich latent süchtig). Auf meinem Weg durch das Einkaufszentrum Foxhunter kam ich an einem dicken Elf vorbei, der eine Zigarette rauchte. Ich trat auf ihn zu und fragte: »Verzeihung, aber sind Sie einer der kleinen Helfer des Weihnachtsmanns?« Er kniff mürrisch die Augen zusammen und antwortete: »Ich hab grade Pause. Was wollen Sie denn?«
Ich erklärte ihm das mit der Schlange bei Debenhams und bat ihn mit Verweis auf Glenns Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom um Hilfe. Während wir gemeinsam zur Weihnachtsmann-Schlange zurückliefen, erzählte der dicke Elf, dass er gerade von seinem Posten als Abteilungsleiter bei der NatWest-Bank gefeuert worden sei. Er meinte, Elfenarbeit sei schwieriger, als sie aussehe – Heiterkeit falle ihm nicht leicht. Das konnte ich nachempfinden.
»Vielleicht könnten wir uns ja mal abends auf ein Bier treffen«, schlug er vor. Ich betrachtete seine wässrigen Augen und den Bierbauch, der über die grüne Strumpfhose quoll, und gab ihm eine falsche Telefonnummer. Der Elf nahm uns mit den Worten »Platz da, machen Sie Platz für diese vom Schicksal schwer geschlagene Familie« direkt mit nach vorn zur Spitze der Schlange. Die Menschen traten unter viel Rätselraten beiseite, wer von uns dreien wohl unheilbar krank sein mochte.
Der Weihnachtsmann war eine Schande: sein Bart hing schief, und er gab sich keinerlei Mühe, seine Reebok-Turnschuhe zu verstecken. Für William allerdings reichte die Täuschung vollauf, und er wünschte sich einen Barbie-Friseursalon.

Samstag, 27. November

Wisteria Walk, Ashby-de-la-Zouch, Leicestershire
 
Meine Mutter hat heute zum vierten Mal geheiratet. Sie ist auf dem besten Weg, die Elizabeth Taylor von Ashby-de-la-Zouch zu werden. Leider wurde ihr Bräutigam Iwan Braithwaite von seiner Lehrerin für Kreatives Schreiben an der Abendschule dazu ermuntert, ein »Milleniums-Eheversprechen« zu verfassen. Ich musste den Kopf abwenden, als er meine Mutter ansah und gelobte: »Pauline, meine zukünftige Ehefrau, ich schwöre dir, dich emotional, spirituell und physisch zu lieben, für immer und ewig, plus einen Tag extra.«
Als meine Mutter darauf entgegnete: »Iwan, mein zukünftiger Ehemann, ich schwöre, dich in deinen Lebensentscheidungen zu unterstützen, deine verborgene Verletzlichkeit zu berücksichtigen und mich mit aller Kraft deinen sexuellen Bedürfnissen zu widmen«, musste ich beinahe fluchtartig das Standesamt verlassen. Das »Ja, ich will« hat meine Mutter im Endeffekt gar nicht gesagt, weil sie eine verirrte Hutfeder in der Kehle stecken hatte und einen Erstickungsanfall erlitt. Macht das die Trauung ungültig? Ich hoffe doch.

2:00 Uhr

Habe an meiner Serienmörder-Komödie Der weiße Lieferwagen für die BBC gearbeitet. Es geht gut voran.

Mittwoch, 1. Dezember

Wisteria Walk, Ashby-de-la-Zouch, Leicestershire
 
Heute Morgen habe ich eine Dose Riesenbockwürste im Bett meiner Mutter gefunden. Ein verstörendes Bild; es erinnerte mich irgendwie an meine erste und einzige Reise nach Amsterdam. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sie mit frisch gewaschener Bettwäsche zu überraschen, wenn sie aus den Flitterwochen in Pompeji zurückkehrt. Aber unter den gegebenen Umständen zog ich einfach nur die Decke glatt und schüttelte die Kissen auf.

Donnerstag, 2. Dezember

Nach drei Wochen Warten bekam ich endlich einen Termin bei dem neuen praktischen Arzt Dr. Ng. Ich fragte ihn, ob er mit Dr. Ng in London verwandt sei, den ich früher gelegentlich konsultierte. Er verneinte. Ich sagte, das überrasche mich, da Ng so ein ungewöhnlicher Name sei. Aus unerfindlichem Grund nahm er daran Anstoß und blaffte: »Es gibt Millionen von Ngs auf der Welt.«
Ich spürte, dass ich einen Fauxpas begangen hatte, und lenkte das Thema rasch auf meine Gesundheit. Nachdem ich ihm erklärt hatte, dass ich seit etwa fünf Jahren täglich mindestens fünf Päckchen Opal Fruits brauche, legte er seine Stirn in Falten. »Opal Fruits?«, vergewisserte er sich.
»Ja, diese Fruchtkaubonbons. Inzwischen wurde der Name zu Starburst geändert«, ergänzte ich, nicht imstande, der Bitterkeit in meiner Stimme Herr zu werden. Ich erzählte ihm von der Panikattacke, die ich erst kürzlich erlitten hatte, als keine Opal Fruits mehr im Haus waren. Wie ich bei strömendem Regen um drei Uhr morgens zur BP-Tankstelle gelaufen war, um welche zu besorgen. »Haben Sie einen Rat für mich?«
»Ja«, sagte er und wandte sich seinem Computer zu, auf dem meine Krankenakte aufgerufen war. »Kaufen Sie die Dinger im Großhandel.«
Ich hatte mir einen Doppeltermin geben lassen, deshalb berichtete ich ihm in aller Ausführlichkeit von meiner neuesten Phobie – in den Krater eines aktiven Vulkans zu stürzen. Ob ich mich um professionelle Hilfe bemühen solle? »Nein«, meinte Dr. Ng, »Sie sollten sich von Vulkanen fernhalten.« Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben verließ ich eine Arztpraxis ohne ein Rezept. Auf dem Weg nach draußen fragte ich Mrs Gringle, die Arzthelferin, was der gelbe Punkt auf meiner Krankenakte zu bedeuten habe. »Zeitverschwender«, antwortete sie kalt. Sie kann unsere Familie nicht leiden, seit meine Mutter einmal am ersten Weihnachtsfeiertag den Arzt rief, weil mein Vater eine volle Karaffe Stolichnaya Wodka geleert hatte, in dem Glauben, es sei stilles Mineralwasser.

Freitag, 3. Dezember

Ein peinlicher Moment am Frühstückstisch. Glenn sagte: »Ich finde, du solltest William die Wahrheit über den Weihnachtsmann sagen, Dad.« Wie ich erfuhr, hat William in der Vorschule am Computer ausgerechnet, dass der Weihnachtsmann 15 Trillionen Stunden bräuchte, um jedes Kind auf der Welt persönlich aufzusuchen. Soll ich die Farce aufrechterhalten, dass das Spielzeug in Grönland von Elfen hergestellt wird, oder sollte ich bekennen, dass der Plastikmüll, den er sich so sehnlichst wünscht, aus Taiwan hierher verschifft und dann per Container ins Spielzeuggeschäft verfrachtet wird?

Samstag, 4. Dezember

William ist verwirrt wegen des Blair-Babys. Seit er die Berichte in den Fernsehnachrichten gesehen hat, bildet er sich ein, es handele sich um den neuen Messias. Was haben Glenn und ich gelacht! Wobei sich auf meine Nachfrage bei Glenn, was er denn über den Messias wisse, herausstellte, dass er noch nie von ihm gehört hat. »Ich hab nur gelacht, weil du gelacht hast«, sagte er.

Sonntag, 5. Dezember

War heute bei meinem Vater und seiner nicht mehr ganz neuen Ehefrau Tania zum Tee in ihrem Haus The Lawns. Zu meiner großen Freude kam auch Pandora, die in pinkfarbenem Kaschmir ganz hinreißend aussah. Ich erzählte ihr, dass ich auf dem Postamt zufällig Klagen mit angehört habe, sie vernachlässige die Wähler ihres Wahlkreises. »Aber ich spreche doch gerade mit dir, oder etwa nicht?«, gab sie ärgerlich zurück. Bei dieser günstigen Gelegenheit bat ich sie um ihre Hilfe dabei, die übliche Wartezeit für eine Sozialwohnung abzukürzen. »Bist du wahnsinnig? Ich kann mich doch unmöglich dabei erwischen lassen, meinem Halbbruder zu helfen.« Sie drückte eine Kurzwahl auf ihrem Handy und hinterließ eine Nachricht. »Ken, Schätzchen! Dobbos Lager streut in den Medien, dass du dir im Gartenteich eine tödliche Pilzinfektion eingefangen hast.« Dann wählte sie erneut. »Dobbo, Schätzchen, Kens Leute behaupten der Presse gegenüber, du wärest gesichtet worden, als du dir im Baumarkt einen Strick gekauft hast.« Sie war schon immer eine Unruhestifterin.

Dienstag, 7. Dezember

Wisteria Walk, Ashby-de-la-Zouch, Leicestershire
 
Heute Abend kam meine Mutter aus den Flitterwochen zurück. Sie beschwerte sich über das schlechte Wetter in Pompeji und sprach davon, Cheapo Tours verklagen zu wollen. Ein offizielles Beschwerdeformular hat sie bereits ausgefüllt, in dem sie lügt, sie sei gezwungen gewesen, sich einen Kaschmirpullover, einen Paschminaschal und eine Gucci-Lederjacke zu kaufen, um nicht zu frieren. Als ich sie darauf hinwies, es sei absurd, im Dezember blauen Himmel und Sonnenschein zu erwarten, erwiderte sie, man habe sie glauben machen, der Vesuv würde »etwas Resthitze« abgeben. »Wer hat denn das erzählt?«, fragte ich. »Ein Geologe, den ich im Internet kennengelernt habe«, entgegnete sie. Ich riet ihr, auf die Klage zu verzichten.

Mittwoch, 8. Dezember

William hat sich das mit dem Barbie-Friseursalon anders überlegt. Er verlangt jetzt dasselbe Geschenk, das Brooklyn Beckham bekommt – einen Spielzeug-Ferrari von Harrods für 45.000 Pfund.
Ich gestehe, dass mich das verärgert und erbittert. Beckham Junior ist neun Monate alt und hat noch nie in seinem Leben einen Handschlag gearbeitet, und doch wird er schon bald in Saus und Braus leben. Wohingegen ich gerade mal so über die Runden komme. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?

Donnerstag, 9. Dezember

Termin im Jobcenter New Deal, 10:15 Uhr. Meine zuständige Sachbearbeiterin heißt Catherine Root. Sie ist an sich nicht unansehnlich, obwohl ihr mal jemand stecken sollte, dass so ein Schielen heutzutage durchaus zu beheben ist. Ms Root notierte sich meine Qualifikationen und bisherige Berufserfahrung:
Bibliothekar, Beauftragter des Umweltministeriums für die Wassermolch- und Kreuzkrötenstatistik, Innereienkoch und Fernsehmoderator. »Eine ziemlich eklektische Mischung«, bemerkte ich, um sie zu beeindrucken und davon zu überzeugen, dass ich nicht einfach irgendein Arbeitssuchender war, sondern über einen umfangreichen Wortschatz verfügte, und es daher eine Verschwendung wäre, mich in den Außenanlagen irgendeines Verwaltungsgebäudes Laub zusammenrechen zu lassen.
»Haben Sie einen Hochschulabschluss?«, erkundigte sie sich und sah mir beinahe in die Augen. »Nein«, gab ich zu. »Aber ich habe früher einmal in Oxford mit Dr. Pandora Braithwaite, inzwischen Parlamentsabgeordnete, zusammengewohnt.« Das war ein Fehler, denn Ms Root entpuppte sich als Kritikerin Pandoras und stellte eisig fest, dass sie ihrer Ansicht nach den Kontakt zu den Wählern ihres Wahlkreises verloren habe. Als ich sie nach Beweisen für diese Behauptung fragte, erzählte Ms Root, Pandora habe eine Anfrage zur Einweihung der neuen Toilettenanlagen des Jobcenters abgelehnt und damit bei vielen für Enttäuschung gesorgt. Als ich das Amt verließ, hatte ich einen Termin bei einem Mr Nobby Brown bei Browns Geflügelhof morgen um 11 Uhr.

Freitag, 10. Dezember

Ich habe jetzt eine Anstellung als Truthahn-Rupfer. Für 3,50 £ ziehe ich frisch verendeten Vögeln die Federn heraus. Mit sechs Frauen arbeite ich in einem schlecht beleuchteten Schuppen. Der Lärm und das Gegacker sind unbeschreiblich, und die Truthähne, die nebenan geschlachtet werden, machen auch einen ganz schönen Krach.

23:00 Uhr

War heute in Glenns Schule, um mir das Weihnachtsmusical anzusehen: Jesus in Las Vegas – ein Star wird geboren, aus der Feder von Roger Patience, dem Rektor. Glenn spielte einen Croupier, der bei der Geburt half.
Einige aus dem Publikum brachte es sichtlich etwas aus der Fassung, dass Maria in einem trägerlosen Paillettenkleid auf die Bühne kam und gemeinsam mit Josef im Smoking »All Shook Up« sang, aber ich kam damit spielend zurecht. Ich bin vertraut mit Avantgarde-Theater. Ich war mehrfach im Royal Court Theatre in London.

Sonntag, 12. Dezember

Ich fragte Costas aus dem Kebabladen, warum er heute so schlechte Laune habe. »Wegen dem blöden Tony Blair«, antwortete er, wütend an dem Gyrosfleisch am Spieß herumsäbelnd. »Weil der hat doch sein verfluchtes Versprechen gebrochen, oder etwa nicht?«
»Welches denn?«, fragte ich. »Das mit dem verfluchten Elgin-Marmorzeug«, knurrte er. Ich erwähnte beiläufig, dass die Türkei kurz vor der Aufnahme in die EU stehe, allerdings erst, als ich bereits auf dem Weg nach draußen war.

Freitag, 24. Dezember

Heiligabend Wisteria Walk, Ashby-de-la-Zouch, Leicestershire
 
Ich danke Gott, dass meine Arbeit auf Browns Geflügelhof saisonal und daher vorbei ist. Immerhin ist es mir gelungen, meine Truthahn-Rupf-Arbeit vor meiner Familie zu verheimlichen, wenn auch meine Mutter mich heute Abend fragte, warum ich Federn im Haar hätte. Ich dachte mir eine aberwitzige Geschichte aus, dass ein Kissen geplatzt sei, als ich im Zuge meiner Weihnachtseinkäufe gerade durch die Bettwäscheabteilung bei Debenhams lief. Sie kniff die Augen zusammen und wollte schon etwas entgegnen, da rief Iwan aus der Küche, der Tesafilm sei alle. Das führte zu einem Streit, in dem sich diverse Familienmitglieder gegenseitig vorwarfen, beim Geschenkeverpacken zu viel Tesa zu verschwenden, zu hamstern oder zu benutzen.
Als einzig Nüchterner unter den Anwesenden wurde ich genötigt, zur BP-Tankstelle zu fahren. Die Schreibwarenregale waren leergefegt, aber mein Freund Mohammed, der Geschäftsführer, hatte Mitleid mit mir und schenkte mir etwas Klebeband aus seinem Büro. Es war ein Akt christlicher Nächstenliebe. Später blies ich mir gerade die Federn mit dem Fön aus der Unterhose, als meine Mutter in mein Zimmer gestürmt kam. Sie sagte: »Wenn du absonderlichen sexuellen Praktiken frönen willst, solltest du die Tür abschließen.«

Samstag, 25. Dezember

Erster Weihnachtsfeiertag
 
William wurde seines Hauptgeschenks, des Barbie-Friseursalons, bald überdrüssig: Die Lockenwickler waren zu klein und fisselig, und Barbie rutschte immer vom Stuhl, bis ich sie mit einem Klümpchen Blu-Tack-Klebeknete befestigte. Mein Vater traf um elf Uhr ein und feixte, als er William die Puppenlocken mit einer winzigen Plastikbürste kämmen sah. »Aus dem wird noch mal eine verdammte Schwuchtel«, lachte er, bevor er William ein ungeschickt eingewickeltes Geschenk in die Arme drückte. Darin war ein Action Man auf einem Motorrad, bewehrt mit einem Raketenwerfer und ausreichend Munition, um ganz China auszulöschen. Ich sagte: »Ich hatte ausdrücklich darum gebeten, William kein geschlechterspezifisches Spielzeug zu schenken.« Später beobachtete ich mit Abscheu, wie mein kleiner Sohn Action Man im Friseursalon randalieren, Barbie kidnappen und allerhand Demütigungen unterwerfen ließ.

Sonntag, 26. Dezember

Zweiter Weihnachtsfeiertag
 
Die Moles tranken heute mit den Braithwaites Tee. Die Atmosphäre war von Anfang an angespannt und verschlechterte sich noch, als meine Mutter sich über den Millenium Dome in London lustig machte, indem sie befand, er sehe aus wie ein weibliches Stachelschwein kurz vor der Paarung. Pandora entgegnete schnippisch, sie sei zur großen Silvesterfeier im Dome eingeladen. Auf meine Bitte, ihre Eintrittskarte sehen zu dürfen, erwiderte sie, die sei noch »in der Post«.

Freitag, 31. Dezember 1999

Silvester
 
Heute habe ich mir das Auto meiner Mutter geliehen und bin auf der fruchtlosen Suche nach Fackeln und Feuerwerk den ganzen Abend mit Glenn und William durch Leicestershire gekurvt. Im Victoria Park stießen wir schließlich auf einen von einer Gasflasche befeuerten Grill auf einem Sockel. Ein freundlicher Hindu verteilte Samosas an die wenigen Zuschauer. Als die Uhr am Rathaus zu schlagen begann, begrüßten wir das neue Jahr mit einer Flasche fertig gemischtem Sekt mit Orangensaft, die wir uns mit einem Grüppchen als Dornröschen, Aschenputtel, Schneeweißchen etc. verkleideten Transvestiten teilten. William bat darum, den »wunderschönen Prinzessinnen« vorgestellt zu werden. Dass die meisten von ihnen Bartstoppeln hatten, schien er überhaupt nicht zu bemerken.
Nachdem der zwölfte Schlag verklungen war, küsste ich meine Jungs, und dann hakten wir uns mit Wildfremden unter und versuchten, »Auld Lang Syne« zu singen. Ein paar rüpelhafte Elemente in der Menge hielten sich zwar an die Melodie, improvisierten aber den Text und grölten Unflätiges und Verleumderisches über Sir Cliff Richard. Später zu Hause sah sich die ganze Familie gemeinsam im Fernsehen an, wie die illustren Gäste im Millenium Dome überkreuz die Arme verschränkten. Glenn fragte: »Warum sind denn der Queen ihre Arme falsch rum verschränkt, Dad?« Dieses eine Mal verzichtete ich darauf, seine fürchterliche Grammatik zu korrigieren, habe aber fest vor, es im Jahr 2000 zu tun.
Als ich die Treppe hoch ins Bett ging, flüsterte Iwan mir betrunken zu: »Deine Mutter hat mir von deinem Feder-Fimmel erzählt. Willst du darüber reden?« In genau diesem Augenblick beschloss ich, in die Scrag Close Nummer 7 zu ziehen – die Sozialwohnung, die ich zuvor, arrogant und dumm wie ich war, abgelehnt hatte.