Kapitel 28
Endlich begriff Iwan Kusmenko, was ihm keine Ruhe ließ. Die Geschichte mit den anonymen Anrufen und den Spänen im Kopfkissen. Olga Guskowa bestritt kategorisch, mit diesen Einschüchterungsversuchen etwas zu tun zu haben. Die Untersuchungshaft hatte auf sie eine so niederschmetternde Wirkung gehabt, daß sie sich endgültig verschlossen hatte. Sie murmelte Gebete, schlief bei den Verhören manchmal fast ein oder schaukelte mit geschlossenen Augen auf dem Stuhl hin und her. Aber kaum kam man auf die Anrufe, Drohungen und Holzspäne im Kopfkissen zu sprechen, warf Olga den Kopf zurück und erklärte fest: »Nein, das habe ich nicht getan. Ich habe viele Sünden auf mein Gewissen geladen, aber mit schwarzer Magie habe ich mich niemals befaßt. Ich bin ein getaufter Mensch, und es gibt keine gräßlichere Sünde.«
War es überhaupt noch nötig, die Wahrheit über die anonymen Anrufe und die schwarze Magie herauszufinden, wo es doch um Mord ging? Ob Olga angerufen hatte oder nicht, ob sie ihre Rivalin durch Zauberei vernichten wollte oder nicht – war das überhaupt noch wichtig? Vielleicht würde der Anwalt es zum Anlaß nehmen, um ein milderes Urteil zu erreichen, aber für die Ermittlung spielten diese Einzelheiten keine besondere Rolle mehr.
Und trotzdem wollte Iwan Kusmenko, gründlich wie er nun einmal war, alles bis zum letzten aufklären. Ihm war aufgefallen, daß von allen, mit denen er über dieses Thema gesprochen hatte, am bereitwilligsten und lebhaftesten Shanna Grinewitsch, die Hausangestellte, Auskunft gegeben hatte.
Shanna wohnte mit ihren Eltern in einer kleinen Zweizimmerwohnung.
»Das haben Sie richtig gemacht, daß Sie zu mir gekommen sind!« erklärte sie, kaum daß der Major eingetreten war. »In Katjas Gegenwart konnte ich Ihnen nicht alle Einzelheiten erzählen. Sie hält das alles für dummes Zeug. Aber ich bin sicher, diese Frau hatte ernstlich vor, sie zu vernichten. Mit so was scherzt man nicht. Heutzutage weiß man ja, welche Kraft ein Biofeld hat und daß schwarze Magie existiert!«
»Shanna Jakowlewna, erzählen Sie mir doch bitte alles der Reihe nach, ruhig und von Anfang an.«
Aber ruhig und der Reihe nach konnte sie nicht erzählen. Zu heftig überwältigten sie die Emotionen.
»Katja hat gemerkt, daß die Stadtstreicherin nicht echt war. Alles nur Theater, hat sie gesagt. Und dann der Büstenhalter in der Bademanteltasche – darüber darf ich eigentlich überhaupt nichts sagen. Aber verstehen Sie, ich weiß doch noch genau, in der Mordnacht habe ich beide Bademäntel gewaschen. Und wenn ich Sachen in die Waschmaschine tue, kontrolliere ich vorher immer die Taschen. Er ist erst nach dem Mord dort aufgetaucht. Und Katja hat ihn einfach in den Müll geworfen. Faßt ihn mit zwei Fingern an, wirft ihn weg und geht sich die Hände waschen. Ich sage zu ihr: Was machst du? Aber sie grinst nur und sagt: Soll ich das etwa auch dem Untersuchungsführer als Beweisstück präsentieren?«
»Einen Moment, Shanna Jakowlewna, ich verstehe nicht, was für ein Büstenhalter?«
»Ein fremder! Diese Frau war bei uns im Haus, sie haßt Katja. Im August war Katja auf Tournee, da hat Gleb seine Tussi immer mit nach Hause genommen. Aber dann, nach dem Mord? Wie ist der Büstenhalter in die Bademanteltasche gekommen?«
Kusmenko erinnerte sich, daß Iwetta Tichonowna sich über die Zerstreutheit ihrer Enkelin beklagt und etwas von einem verschwundenen Büstenhalter erzählt hatte. Olga habe die ganze Wohnung durchwühlt. Und wie sich jetzt herausstellte, hatte sich dieses Teil ihrer Unterwäsche in der Tasche von Gleb Kalaschnikows Bademantel befunden. Pikante Details, die durchaus erklärbar waren. Allerdings hatte die redselige Shanna recht: Auf welche Weise war dieser Gegenstand nach dem Mord in das fremde Haus und in die fremde Tasche gekommen?
»Sie wollte Katjas Tod, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn sich herausstellt, daß sie es war, die geschossen hat, aber nicht auf Gleb, sondern auf Katja.« Shanna hatte eine sehr hohe Stimme, und sie schnatterte so schnell, daß es Kusmenko in den Ohren klingelte.
»Warten Sie, wieso war denn Jekaterina Filippowna der Meinung, daß die Stadtstreicherin nicht echt war? Hat sie diese Vermutung irgendwie begründet?« fragte er und steckte sich eine Zigarette an.
»Sogar sehr einleuchtend. Sie hat gesagt, eine echte Bettlerin hätte das Geld nicht abgelehnt. Und außerdem hat sie gar nicht gestunken, die Pennerin, meine ich. Wissen Sie, ausgesehen hat sie, als wäre sie gerade aus der Mülltonne gestiegen, und völlig betrunken war sie auch. Aber sie hat überhaupt nicht gestunken. Auch nicht nach Alkohol. Das ist mir auch aufgefallen. Aber richtig kapiere ich das Ganze immer noch nicht! Jetzt weiß man ja, wer angerufen hat. Die Frau heißt Swetlana Petrowa. Katja hatte gleich so etwas vermutet, aber sie war sich nicht sicher. Und dann kam ihre Mutter zum Begräbnisessen … Sweta ist am Samstag verschwunden. Katja ist am Sonntag sogar noch auf den Markt gefahren, um sie zu suchen. Sie hat einen Stand auf dem Dynamo-Markt. Stellen Sie sich vor, sie hat versucht, Katja zu erpressen, hat behauptet, jemand hätte sie beauftragt, und für dreitausend Dollar würde sie sagen, wer es war. Sie hat Katja zu einem Treffen bestellt und ist nicht erschienen. Aber diese Sweta Petrowa war niemals Glebs Geliebte, er hatte ein Verhältnis mit einer anderen Frau, sie heißt Olga und ist eine Klassenkameradin von Margarita. Das letzte Telefongespräch, das, wo diese Gaunerin ihren Erpressungsversuch gemacht hat, hat Katja glücklicherweise auf Band aufgenommen. Verstehen Sie, ich mache mir solche Sorgen um sie. Wir kennen uns schon so lange und so gut, sie ist für mich wie eine Schwester …«
Nach einer weiteren halben Stunde bei Shanna, in der der Major sämtliche Einzelheiten über die dem Trunk verfallene Friseurin Ella Anatoljewna und ihre Tochter Swetlana erfuhr und Tee mit Kirschkonfitüre trank, kehrte er wieder aufs Revier zurück. Und noch eine halbe Stunde später wußte er, daß Swetlana Gennadjewna Petrowa, geboren 1965, auf einer verlassenen Baustelle in Konkowo ermordet aufgefunden worden war.
***
Artjom Siwolap erschien eine Viertelstunde, nachdem die erzürnten Verwandten die Wohnung verlassen hatten.
»Haben Sie den Kameramann Kornejew mitgebracht?« fragte Katja durch die Sprechanlage.
»Ja, natürlich. Kornejew ist bei mir.«
Katja drückte auf den Knopf, und sie gingen nach oben in die Wohnung.
»Artjom«, wandte sie sich an Siwolap, »ich habe eine Bitte an Sie. Warten Sie zehn Minuten. Ich muß mit …« Sie schaute den Kameramann fragend an.
»Igor«, stellte der sich vor.
»Ich muß mit Igor unter vier Augen sprechen. Danach antworte ich auf alle Ihre Fragen.«
Siwolap war erstaunt, schnaufte gekränkt, willigte dann aber ein, so lange im Nebenzimmer zu warten.
»Als Sie am Sonntag hier waren, haben Sie den Stadtstreicher Boris gefilmt«, sagte Katja zu Igor. »Ich weiß, daß er möglicherweise den Mörder meines Mannes gesehen hat, aber er ist tot, an Alkoholvergiftung gestorben. Gerade zur rechten Zeit.«
Igor wußte schon vom Tod des Penners. Natürlich, so etwas kam alle Tage vor, aber trotzdem …
»Nein«, er schüttelte den Kopf, »der Penner hat uns gar nichts erzählt. Er hat lange drumrum geredet und Geld im voraus verlangt. Aber dann war die Kassette zu Ende und die Batterie leer. Es ist nichts dabei herausgekommen.«
»Merkwürdig«, sagte Katja nachdenklich, »alles gleitet einem ständig aus den Händen.«
»Aber diese Frau ist doch bereits verhaftet worden, also ist doch wohl alles klar«, sagte Igor schulterzuckend.
»Ich habe Zweifel, ob sie die Mörderin ist.«
»Eins ist merkwürdig«, sagte Kornejew, »wissen Sie, Jekaterina Filippowna, ich kann Ihnen etwas erzählen, was Sie interessieren wird. Meine Mutter arbeitet als Krankenschwester im Gannuschkin-Institut. Dorthin hat man die Oma von Olga Guskowa gebracht, nach Olgas Verhaftung. Sie wissen ja vermutlich, daß das wichtigste Beweisstück die Pistole ist. Die alte Frau hat sich nun daran erinnert, daß einen Tag vor dem Mord ein junger Mann bei ihnen in der Wohnung war, der die Pistole hätte mitnehmen können. Ich habe mich mit einem Bekannten aus dem Pressezentrum des Innenministeriums in Verbindung gesetzt, und der Einsatzleiter hat bereits mit der Oma gesprochen. Ich weiß nicht, ob das etwas bringt, die Alte leidet unter Altersschwachsinn, als Zeugin kommt sie nicht in Frage, aber trotzdem …«
Igor erzählte alles, woran er sich erinnerte – von der Pistole des Grenzoffiziers, der in Afghanistan gefallen war, von der schwarzen Lederkappe und der humanitären Hilfe. Beim Erzählen merkte er wieder, wie seltsam und unwahrscheinlich das alles klang. Nein, die Oma hatte wohl kaum gelogen, aber dieser junge Mann wirkte irgendwie unrealistisch.
»Er hätte dann aber schon vorher wissen müssen, daß es in der Wohnung eine Pistole gab und wo genau sie lag«, bemerkte Katja.
Siwolap, der offensichtlich die Geduld verloren hatte, tauchte im Türrahmen auf.
»Arbeiten wir nun oder was?« wandte er sich an Kornejew.
»Was für Fragen wollten Sie mir denn stellen, Artjom?« fragte Katja mit einem freundlichen Lächeln.
»Moment, das nehmen wir sofort auf!« Siwolap wurde betriebsam.
»Gut«, stimmte sie mit merkwürdiger Bereitwilligkeit zu, »machen wir es gleich vor der Kamera.«
Der hellste Platz in der Wohnung war Katjas Trainingsraum.
»Das ist ja großartig! Mit der Ballettstange im Hintergrund!« Artjom strahlte. »Jekaterina Filippowna, im Namen unserer ganzen Redaktion spreche ich Ihnen unser tiefes Mitgefühl aus«, legte er los, als Igor die Kamera eingeschaltet hatte. »Was denken Sie über den Mord an Ihrem Mann?«
»Auf das Mitgefühl Ihrer Redaktion kann ich verzichten«, sagte Katja und schaute lächelnd in die Kamera. »Ich kann Ihre Sendung nicht ausstehen, finde sie unverschämt und zutiefst unmoralisch. Über den Mord an meinem Mann denke ich gar nichts. Für mich ist es ein großer Schmerz.«
»Kam die Nachricht, daß Ihr Mann von seiner Geliebten erschossen wurde, für Sie unerwartet?« fragte Siwolap weiter, ohne im mindesten aus der Fassung gebracht zu sein.
»Wie, mein Mann hatte eine Geliebte?« Katja zog erstaunt die Brauen hoch. »Sehr interessant. Sicher wissen Sie darüber Genaueres als ich. Das ist ja Ihre Arbeit, in der schmutzigen Wäsche anderer Leute zu wühlen.«
Recht schnell wurde klar, daß man das nicht senden konnte. Die Orlowa machte sich über den Reporter offenkundig lustig. So etwas war Siwolap noch nicht passiert. Man floh vor ihm, man brüllte ihn an, man hatte ihn sogar schon geschlagen und verklagt. Aber daß jemand einem Interview zustimmte und dann vor laufender Kamera mit liebenswürdigem Lächeln lauter Beleidigungen an die Adresse des Senders und an Artjom persönlich äußerte – das kam zum ersten Mal vor.
***
Auf dem Revier in Konkowo übergab man dem Major aus der Petrowka mit reinem Gewissen alle Papiere zu der auf der Baustelle gefundenen Leiche.
Sie ist doch wohl kaum nachts in diese gottverlassene Gegend gegangen, dachte Kusmenko, während er die ziemlich schlampig angefertigten Protokolle und Expertengutachten durchsah. Wozu sollte eine junge Frau nachts auf eine verlassene Baustelle gehen? Aber man hätte sie im Auto dorthin bringen können. Lebend oder vielleicht auch schon tot. Jemand mit eigenem Wagen dürfte allerdings kaum auf den billigen Schmuck und das bißchen Kleingeld, das sie bei sich hatte, erpicht gewesen sein. Irgendwas stimmt hier nicht.
Endlich fand er das Wort, das dieses unklare, unangenehme Gefühl, das ihn seit Tagen verfolgte, genau umschrieb: Inszenierung.
Noch am selben Tag fuhr Kusmenko zur Mutter der Ermordeten. Ella Anatoljewna wiederholte fast wortwörtlich alles, was sie schon Katja und Pawel erzählt hatte.
»Können Sie sich vielleicht daran erinnern, wo Swetlana sich verabredet hatte?« fragte der Major.
»Um zehn Uhr am Haushaltswarengeschäft. Das ist hier in der Nähe, nur zwei Häuserblocks weiter.«
Am Samstagabend um zehn war das Haushaltswarengeschäft natürlich geschlossen. Aber gleich daneben stand ein Kiosk, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Im Kiosk saß das Mädchen, das auch in der Nacht von Samstag auf Sonntag gearbeitet hatte.
»Woher soll ich das noch wissen!« sagte sie achselzuckend. »Wissen Sie, wie viele Leute hier jeden Tag vorbeikommen?«
»Diese Frau hat bei Ihnen Schokolade gekauft, einen Bounty-Riegel!« platzte Kusmenko aufs Geratewohl heraus.
»Eine große Frau, sagen Sie? Mollig? In einem weißen Angorapullover und einer Jeansjacke? Geben Sie noch mal her.« Sie nahm das Foto von Sweta, betrachtete es lange und aufmerksam und sagte endlich: »Genau. Diese Frau hat bei mir am Samstag gegen zehn einen Schokoriegel gekauft. Sie war grob zu mir, deshalb erinnere ich mich. Wer ist sie, eine Kriminelle?«
»Nein, ein Mordopfer. Samstagnacht wurde sie auf einer verlassenen Baustelle umgebracht, darum ist es sehr wichtig, daß Sie sich erinnern, in was für ein Auto sie gestiegen ist.«
»Na, das sind ja Sachen!« Die Verkäuferin pfiff durch die Zähne. »Ja, stimmt, sie ist in ein Auto gestiegen. Auf das Kennzeichen habe ich nicht geachtet, aber es war ein schwarzer Wagen. Vermutlich ein Lada, vielleicht auch ein ausländisches Modell, ein Opel oder Volkswagen, keins von den protzigen. So genau hab ich nicht hingeguckt, aber ich konnte sehen, daß ein junger Kerl am Steuer saß, mit einer Ledermütze, den Schirm nach hinten gedreht.«
»Sind Sie sicher, daß es ein Mann war?«
»Ich glaub schon.« Die Verkäuferin zuckte die Schultern. »Es war eine Männermütze, aber sein Gesicht habe ich nicht gesehen.«
***
Als er seinen Wagen vor dem Haus an der Mestschanskaja-Straße parkte, dachte Barinow mit einem spöttischen Grinsen, daß er sich noch nie, noch kein einziges Mal auf die Uneigennützigkeit und Gutmütigkeit anderer verlassen hatte. Jetzt aber hatte er keinen anderen Ausweg. Er konnte Katja Orlowa weder einschüchtern noch mit irgendeinem praktischen Vorteil ködern.
Katja begrüßte ihn mit ihrer gewohnten kühlen Höflichkeit.
»Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, deshalb laß uns bitte gleich zur Sache kommen«, bat sie und setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel.
»Ich weiß, du hast jetzt überhaupt eine schwere Zeit. In deinem Alter Witwe zu werden … Wie weit sind die Ermittlungen?«
»Wieso interessiert dich das?«
»Ja, siehst du, ich hatte kürzlich ein unangenehmes Gespräch mit Valera. Es ist natürlich völliger Schwachsinn, aber ich gehöre zum Kreis der Tatverdächtigen. Nicht für die Staatsanwaltschaft, versteht sich, nur für Valera. Ich denke, ich brauche dir nicht zu erklären, wie unangenehm das für mich ist.«
»Du?« fragte Katja verwundert.
»Ja, stell dir vor. Das Schlimme dabei ist, daß ich überhaupt nicht verstehe, woher der Wind weht. Nur du kannst mir helfen, das herauszufinden. Ich kann schon gar nicht mehr schlafen, nichts ist so widerlich, wie im Dunkeln zu tappen. Könnte dein Mann etwas gegen mich gehabt haben? Könnte er sich bei Lunjok über mich beschwert haben?«
»Jegor, was ist das für ein Kindergarten? Sich beschwert haben! Sag bloß noch, er hat dich verpetzt. Wie hat Valera seinen Verdacht denn begründet?«
»Sehr verschwommen. Er hat etwas über Mädchen gesagt und hat unsere alte Affäre erwähnt.«
»Über Mädchen?« fragte Katja mißtrauisch. »Soweit mir bekannt ist, hattest du ziemlich lange ein ganz bestimmtes Mädchen, die Masseurin Sweta Petrowa.«
»Woher weißt du das?« Er schluckte krampfhaft.
»Unwichtig. Die Welt ist klein. Ich will dich nicht mit weitschweifigen Erklärungen langweilen, aber zwischen deiner langjährigen zärtlichen Freundschaft mit der Masseurin Sweta Petrowa und dem Mord an meinem Mann gibt es zweifellos eine Verbindung. Außer mir ist das bisher noch niemandem aufgefallen. Aber vielleicht hat auch Valera etwas davon erfahren. Sonst würde er dich nicht verdächtigen. Deshalb streng dein Gedächtnis an, Jegor.«
Katja hätte ihm auch sagen können: Beruhige dich, der Mörder ist gefunden, und mit der unglücklichen Olga Guskowa sind alle zufrieden, auch Valera Lunjok. Er verdächtigt dich jetzt bestimmt nicht mehr. Aber sollte Jegor ruhig erst einmal alles über Sweta Petrowa beichten, dann würde man weitersehen.
»Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll.« Er war ganz durcheinander und tat Katja allmählich schon leid. »Es ist mir schleierhaft, was Sweta damit zu tun hat.«
»Ich bin nicht Lunjok, ich sammle kein kompromittierendes Material gegen dich. Also laß uns die Dinge ruhig beim Namen nennen. Ich will wissen, wer meinen Mann umgebracht oder den Auftrag dazu gegeben hat. Du willst herausfinden, welche Gründe Valera hat, dich zu verdächtigen. Unsere Interessen überschneiden sich. Also laß uns gemeinsam überlegen.«
»Du hast dich verändert«, sagte er dumpf, »früher warst du sanfter, romantischer.«
»Tja, das sind die Jahre. Laß uns nicht vom Thema abkommen. Versuch dich so genau wie möglich zu erinnern, wie Valera seine Beschuldigungen begründet hat, worauf er angespielt hat.«
»Ich hab ja schon gesagt, Mädchen, unsere Affäre …«
»Nein, unsere Affäre lassen wir aus dem Spiel. Also Mädchen. Was noch?«
»Film. Das Thema Film tauchte zweimal auf. Verstehst du, Gleb hat mich gebeten, für seine ›Assoziation des freien Films‹ den Status der Steuerfreiheit durchzudrücken. Ich konnte ihm diesen Gefallen aber nicht tun. Später ergab sich, daß ich es doch getan habe, jedoch nicht auf Bitte deines Mannes, sondern aus anderen Gründen. Und so kam Valera offenbar auf die Idee, Gleb hätte mich irgendwie erpreßt. Es klärte sich dann zwar alles auf, aber ich habe ein ungutes Gefühl zurückbehalten. Wahrscheinlich hat dein Mann tatsächlich kompromittierendes Material gegen mich gehabt.«
»Wozu sollte Gleb das brauchen? Valera, ja, das ist eine andere Sache. Für ihn gehört das sozusagen zur Arbeit. Aber Gleb hat sich nie um solche Dinge gekümmert. Ihm könnte so etwas höchstens zufällig in die Hände geraten sein. Wart mal, du hast gesagt, das Thema Film tauchte zweimal auf. Beim ersten Mal im Zusammenhang mit der ›Assoziation‹, und beim zweiten Mal?«
»Im Zusammenhang mit den Mädchen.«
»Aha.« Katja lehnte sich im Sessel zurück. »Film und Mädchen. Das ruft Erinnerungen an den Justizminister und seine Mädchen in der Sauna wach. Entschuldige, Jegor, daß ich dir eine so indiskrete Frage stelle. Hat man von dir vielleicht auch so einen Film mit versteckter Kamera gedreht? Und ist Sweta Petrowa irgendwie daran beteiligt?«
Barinow wurde erst blaß, dann rot. Sein Gesicht bedeckte sich mit hektischen Flecken. Er schwieg lange, starrte verstört an Katja vorbei und sagte schließlich heiser: »Ein Trottel bin ich, ein kompletter Trottel. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?«
»Worauf?«
»Eben darauf. Wahrscheinlich hast du genau ins Schwarze getroffen. Sweta hat mir tatsächlich Mädchen vermittelt. Und ich habe sie manchmal mit auf die Datscha von Korsh genommen. Du weißt, wer Korsh war?«
»Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Der Pate von Lunjok, ein ›Dieb im Gesetz‹. Man hat ihn ermordet, und Lunjok wurde einer seiner Haupterben. Ja, natürlich, dort konnte man mich ohne Schwierigkeiten filmen.«
»Das heißt, Valera hat dich verdächtigt, weil die Kassette in Glebs Hände geraten sein konnte«, sagte Katja nachdenklich, »aber was wollte Gleb damit? Oder hat Lunjok sie ihm zur Aufbewahrung gegeben? Blödsinn. Gleb kann zufällig davon erfahren und sich näher dafür interessiert haben. Aber warum?«
»War er vielleicht mit Sweta bekannt?«
»Was für Mädchen hat sie dir denn eigentlich vermittelt?« fragte Katja ihrerseits, ohne seine Frage zu beantworten.
»Verschiedene«, murmelte er, ohne den Blick zu heben, »ich erinnere mich nicht mehr. Weißt du, wo dein Mann eine solche Kassette aufbewahren würde?«
»Du willst, daß ich die ganze Wohnung auf den Kopf stelle? Darin sehe ich keinen Sinn. Das ist bestimmt nicht die einzige Kopie.«
»Und trotzdem muß ich genau wissen, existiert diese Kassette oder nicht. Ich muß dir doch hoffentlich nicht erklären, wie ernst die Sache für mich ist.«
»Das mußt du nicht«, erwiderte Katja und lächelte schwach, »ich verstehe. Fahr nach Hause, Jegor, es ist schon spät. Wenn ich etwas finde, rufe ich dich sofort an.«
»Wenn du nichts findest, ruf mich bitte auch an.« Er stand schwerfällig auf und ging in den Flur.