Epilog
Die Wohnung war leer, als Deacon zurückkam, und
er war froh darüber. Er war nicht in Stimmung für Terrys
marihuanageschwängerte Albernheiten, nachdem er innerhalb von drei
Tagen bereits seinen dritten Krach mit dem neuen Chefredakteur des
Street gehabt hatte.
Wer hätte gedacht, daß er je JPs Abgang bedauern
würde?
»Andere Zeiten, andere Sitten, Mike«, hatte JP
gesagt, als er ging. »Einschläfernd ist das Wort, das ich für die
neue Verlagsleitung gebrauchen würde. Sie werden bestimmt nicht
mehr hinter Prostituierten herjagen, nur noch hinter Worthülsen
geschulter Politiker.«
»Damit kann ich leben«, entgegnete Deacon.
»Seien Sie da mal nicht zu sicher«, hatte JP
prophetisch gewarnt. »Sie haben vielleicht meine Ansichten darüber,
was eine gute Story ausmacht, nicht geteilt, aber Sie hatten immer
die Freiheit, sie so zu schreiben, wie Sie es für richtig hielten.«
Er nahm Deacons Text über Peter Fenton zur Hand, der auf dem
Schreibtisch lag, und legte die zwei letzten Seiten, eine
Erörterung darüber, warum Billy Blake in Amanda Powells Garage
gestorben war, auf die Seite. »Ich kann Ihnen garantieren, daß man
diese letzten siebenhundert Wörter nicht in Druck gehen lassen
wird. Ich weiß, Sie wollen darüber schreiben, warum und wie der
arme Kerl gestorben ist, aber den neuen Herrschaften da oben wird
es nicht einfallen, auch nur das kleinste Risiko einer Klage
einzugehen, schon gar nicht von einer Untersuchungsgefangenen. Der
Text ist viel zu kontrovers. Er verstößt beinahe mit Sicherheit
gegen das Verbot der Vorverurteilung durch die Medien und wird
Amandas Recht auf einen fairen Prozeß wegen des Mordes an de Vriess
beeinträchtigen. Ganz zu schweigen von dem Ärger, den Sie mit de
Vriess’ Familie bekommen werden, wenn Sie ihn als vielfachen
Vergewaltiger hinstellen.«
»Hätten Sie es riskiert?«
»Natürlich. Ich würde behaupten, daß die Sache
noch nicht rechtshängig ist, weil Amanda noch nicht wegen Mordes an
James Streeter unter Anklage gestellt worden ist.« Sein Gesicht
bekam einen zynischen Ausdruck. »Und dazu wird es auch nicht
kommen, wenn die Experten keine eindeutige Todesursache feststellen
können. Stimmt es, daß sie ihr Geständnis widerrufen hat?«
Deacon nickte.
»Na also, um so mehr Grund, das zu
veröffentlichen, und wenn wir dann genug Staub aufwirbeln könnten,
um einen Prozeß zu erzwingen, würde ich es gründlich ausschlachten,
daß unsere Bemühungen zu ihrer Verurteilung wegen beider Morde
geführt haben, und sie nicht völlig ungeschoren davongekommen ist,
wie es sich ja jetzt abzeichnet.«
»Und wenn die Zeitschrift eine Verleumdungsklage
an den Hals bekäme?«
»Wir hätten auf jeden Fall der Gerechtigkeit
gedient, sowohl was sie als auch was dieses Schwein de Vriess
betrifft.« JP lachte. »Deswegen haben sie mich gefeuert, ganz klar.
Heutzutage zählt nur der Profit, und ein soziales Gewissen wie
meines kommt teuer.«
Deacon hörte seinen Anrufbeantworter ab.
»Barry ist wieder festgenommen worden«, meldete
Greg Harrison in sachlichem Ton. »Trunkenheit und Erregung
öffentlichen Ärgernisses praktisch vor unserer Tür. Seine Mutter
weigert sich entschieden, ihn wieder aufzunehmen, er möchte deshalb
Ihre Adresse als vorübergehenden Wohnort angeben. Sie müssen da mal
klare Verhältnisse schaffen, Mike. Er sagt, er betrinkt sich nur,
weil er Sie liebt.« Er machte eine kurze Pause. Um zu
lachen? fragte sich Deacon säuerlich. »Hören Sie, rufen Sie
mich zurück, sobald es geht.«
Als nächstes Lawrence’ Stimme. »Das tut mir aber
wirklich leid, mein Freund. Ich sehe, man hat Ihrem Artikel die
Zähne gezogen. Was für eine Enttäuschung für Sie. Ich weiß, wieviel
Ihnen daran lag zu zeigen, daß Billys Leben einen Sinn hatte. Ist
es ein Trost, ihn als Terrys Mentor zu sehen? Denn das ist doch
letztlich Billys wahres Verdienst gewesen, nicht wahr?«
Als der Anrufbeantworter schwieg, begann langsam
die Leere der Wohnung spürbar zu werden. Picassos Frau im
Hemd war ebenso verschwunden wie der Fernsehapparat und die
Stereoanlage, die Terry aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer
befördert hatte. Der Big Ben und die Hohlmuschel zierten nicht mehr
den Kaminsims, und Turners Fighting Téméraire war nur noch
eine Erinnerung an einer leeren Wand. Deacon ging in die Küche und
warf einen Blick in die Keksdose. In ihr lag ein gefalteter
Zettel.
Hallo Kumpel. Ich schätze, ich hab’ verdient,
was ich mitgenommen hab’, weil ich lesen und schreiben gelernt
hab’. Außerdem ist es viel weniger als die fünfhundert Eier, die
ich dir gleich am Anfang hätte abnehmen können. Grüß Lawrence und
Mrs. D. von mir. Die zwei sind gute Typen. Du auch. Ich besuch’
dich mal. Dein Freund Terry
PS: Sag diesem Redakteur, er soll dir den Buckel
runterrutschen, und konzentrier dich aufs Bücherschreiben. Mach
deins, Kumpel. Ich mein’, wie Billy immer gesagt hat: Jeder, der in
Ketten stirbt, hat’s wahrscheinlich verdient.