Lennard Fanlay

Heute beginnt mein Dienst als Sicherheitschef im Terminal 3 des Flughafens um Punkt zwölf Uhr mittags.

Ich mag diese Schicht nicht. Ich verbringe den Vormittag mit Belanglosigkeiten und zu vielen Gedanken, und wenn ich vor die Haustür trete, ist es zu hell.

Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich krame die dunkle Sonnenbrille aus der Hemdtasche.

»Hallo, Mister Fanlay!« Meine Nachbarin, Mrs Cormac, schnippelt mit einer Schere an ihren Rosensträuchern herum. Sie trägt eine dunkelgrüne Plastikschürze und gleichfarbige Handschuhe. Ihr Aussehen erinnert mich an eine Chirurgin … oder eine Pathologin.

Ich winke ihr zu und beeile mich, zu meinem Auto zu kommen.

»Läuse!«, ruft sie mir nach. »Dieses Jahr sind es besonders viele!«

»Ja, es ist furchtbar!«, erwidere ich und will die Fahrertür schließen.

Doch Mrs Cormac folgt mir auf die Auffahrt.

Ich warte höflich.

»Haben Sie heute Morgen die Zeitung bekommen?«, fragt sie mit einem Gesichtsausdruck, der besagt, dass die Frage nur der Auftakt zu einem längeren Gespräch werden soll.

»Nein«, erwidere ich knapp.

»Ich habe mich da natürlich sofort beschwert«, fährt meine Nachbarin fort. Ihr Atem riecht sehr stark nach Menthol. »Die sagten mir, der Zeitungsbote sei angeschossen worden. In den Kopf.«

»Weiß man, wer das getan hat, Mrs Cormac?«

»Nein, aber die Zeitung wird nachgeliefert. Bisher ist allerdings nichts dergleichen geschehen. Ob ich noch mal anrufen muss?«

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bringe ein schales Lächeln auf meine Lippen und starte den Motor.

Das dicke Blech des alten Mercedes kapselt mich von der Außenwelt ab. Dafür liebe ich den Wagen.

Als ich den Überwachungsraum erreiche, kommen mir Paul Medeski und Steven Cale von der Frühschicht entgegen.

Wir wechseln ein paar Worte. Paul teilt mir mit, dass es keine besonderen Vorfälle gab. Lediglich ein Flug nach Las Vegas hatte eine dreistündige Verspätung wegen technischer Probleme. Ein paar der Fluggäste hätten sich daraufhin betrunken und versucht, ein wenig zu randalieren. Drei von ihnen hocken jetzt in der Ausnüchterungszelle. Für sie fallen Black Jack und Roulette erst mal aus.

Vor den Monitoren des Überwachungsraums sitzen bereits Rachel und mein jüngster Mitarbeiter Marc.

Rachel raucht wie üblich Kette. Eigentlich müsste ich ihr das untersagen, aber ich befürchte, dass sie dann den Dienst quittiert. Sie ist meine zuverlässigste Kraft.

Marc malt Zahlenkolonnen auf einen Schreibblock. Unterbricht sein rätselhaftes Tun aber sofort, als er mich erblickt.

»Guten Morgen, Mr Fanlay.« Dabei steht er sogar auf.

Rachel knurrt etwas Unverständliches und hält mir dann einen Zettel hin.

Ich lese den Namen Hamish Geffen und eine Telefonnummer.

Hamish Geffen! Der alte Ham!

Vor ewigen Zeiten waren wir Kollegen in einer privaten Sicherheitsfirma. Über ein Jahr lang haben wir nachts gemeinsam Importautos aus Japan und Deutschland bewacht. Heute hat er seinen eigenen Laden für Personen- und Objektschutz.

»Hat er gesagt, was er will?«

Rachel schüttelt den Kopf und zoomt auf einem Monitor zwei Kahlschädel in Tarnjacken und Kampfstiefeln heran. Sie marschieren breitbeinig durch die Mall, der Geschäftsstraße in unserem Flughafenterminal.

Die beiden bestellen sich aber nur zwei Softeis an einem Verkaufsstand.

Putzig.

Rachel bleibt trotzdem dran.

Ich wähle Hams Nummer.

Wir scherzen kurz, dann bittet er mich um einen Gefallen.

Mittlerweile bildet er Sicherheitsleute aus. Er fragt an, ob ich vier vom Nachwuchs ein wenig durchs Terminal führen könnte. Neuerdings gehören auch ein paar kleinere Flugplätze zu seinen Kunden. Da könne man doch von mir prima lernen.

Er verbürgt sich für die Zuverlässigkeit der Gruppe.

Ich kenne Ham lange genug, um den »kleinen« Dienstweg zu gehen und stimme zu.

»Passt es dir in zwei Stunden, Lennard?«, fragt er.

Ich gebe mein Okay und lasse mir die Namen seiner Leute geben.

Zwei Männer, zwei Frauen.

Ich lege auf. Rachel dreht sich zu mir um. Sie hat, wie es ihre Art ist, genau zugehört.

»Ich glaube, du hast da was vergessen«, sagt sie aus einer Nikotinwolke heraus. »Um halb zwei ist die wöchentliche Besprechung mit der Flughafenleitung und den Bossen der anderen Terminals.«

Ich unterdrücke einen Fluch. Irgendwann sollte ich mir einen von diesen modernen Terminplanern zulegen.

»Ich habe einen Job für Sie, Marc.«

Marc starrt mich mit großen Augen an und senkt dann seinen Blick. Er hat ein Problem damit, Leuten länger ins Gesicht zu sehen.

»Sie machen heute eine kleine Führung durchs Terminal.«

»Ach, du Kacke!«, entfährt es Rachel.

Auf dem Monitor verprügeln sich die Kahlschädel gerade gegenseitig. Einer von ihnen hat Softeis auf der Glatze.

»Los geht’s«, sage ich zu Marc und greife nach Funkgerät und Elektroschocker.

Als wir die beiden Streithähne erreichen, liegt einer von ihnen bereits auf den weißen Fliesen der Mall. Es ist der mit dem Eis auf der Glatze. Das jetzt allerdings vermischt mit Blut aus einer Platzwunde über dem rechten Auge.

Sein Kollege will gerade zu einem Tritt mit seinem klobigen Stiefel ausholen, und ich rufe: »Stopp!«

Der Kerl dreht sich um. Er ist fast zwei Meter groß. Bis auf den Bierbauch durch und durch muskulös. Die Sehnen an seinem Hals zeichnen sich unter der Haut wie Seile ab. Auf dem rechten Bizeps erkenne ich eine Tätowierung: das brennende Feuerkreuz. Das Symbol des rassistischen Ku-Klux-Klans.

»Verpisst euch«, grunzt er und ballt die Faust in unsere Richtung.

Die Menschen auf der Mall beeilen sich, an uns vorbeizukommen.

»Flughafensicherheit«, sage ich und gehe entschlossen auf den Hünen zu. Er grinst und streckt seine riesigen Pranken nach mir aus. Ich mache einen schnellen Ausfallschritt und spüre, wie jemand mein linkes Bein packt.

Es ist der blutende Kahlschädel am Boden. Offensichtlich hat er sich trotz der Prügel dazu entschlossen, seinem Kumpel beizustehen.

Ich verliere das Gleichgewicht und lande auf den Fliesen. Ein heftiger Schmerz lässt mich aufstöhnen. Der Riese über mir hat mit voller Wucht auf mich eingeschlagen. Direkt zwischen die Schulterblätter.

Dann höre ich einen Schrei. Er klingt sehr aggressiv. Mir gelingt es, den Kopf zur Seite zu drehen.

Der Schrei stammt von Marc. Er bewegt sich rasend schnell. Trifft den Riesen mit dem Ellenbogen am Kinn und tritt ihn gleichzeitig gegen das Knie. Der Kahlschädel torkelt rückwärts.

Sein Kollege will mich am Aufstehen hindern und umfasst mit beiden Händen meinen Hals. Aber sein Griff ist kraftlos. Ich kann ihn mit Leichtigkeit abschütteln, drehe ihm einen Arm auf den Rücken und lege ihm Plastikfesseln an.

Die Aktion dauert nur Sekunden. Ich springe auf.

Marc steht dem Riesen gegenüber.

»Ich fick deine Mutter, Kleiner!«, brüllt ihn der Kerl an. Ich entdecke einen Schlagring auf seiner Faust und zücke den Elektroschocker.

Marc weicht geschickt einem Schwinger aus.

Der Junge ist wirklich gut. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

Dann platziert Marc einen Handkantenschlag an der Kehle seines Gegners. Der röchelt und würgt. Kippt nach hinten gegen eine Wand. Marc setzt nach und verpasst dem Kahlschädel weitere Schläge.

Ich glaube, einen Knochen brechen zu hören.

Der Riese verdreht die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist. Marc wuchtet ihm die Faust in den Magen. Kahlschädel klappt zusammen, geht in die Knie.

Kotzt schaumige Flüssigkeit.

Noch ein Handkantenschlag von Marc. Gezielt in den Nacken.

»Hören Sie auf!«, brülle ich.

Marc holt erneut aus. Ich falle ihm in den Arm.

Menschen haben einen großen Kreis um uns gebildet.

Marc blickt mich mit gehetztem Blick an. Er hat die Zähne gebleckt.

»Es ist genug«, sage ich leise, aber bestimmt. »Oder wollen Sie ihn umbringen?«

Marc steht nur da und atmet schwer. Dann klärt sich sein Blick.

Ich rufe über Funk die Sanitäter.

Der Kerl am Boden liegt in seinem Erbrochenen und winselt. Er braucht keine Handfesseln.

»Was war das denn?«, frage ich Marc und zerre ihn an die Seite.

»Tut mir leid«, stammelt er. »Aber meine Mutter … Die ist vor zwei Wochen gestorben. Krebs. Und dann sagt dieses Schwein …«

Die Sanitäter kommen im Eilschritt.

»Das wusste ich nicht.« Marc hat keinem etwas davon gesagt. Hat einfach nach Dienstplan gearbeitet.

Ich rede kurz mit den Sanitätern. Sie bringen die beiden Kerle weg.