13. Kapitel

 

Himmel, Arsch!« Adam bückte sich und hob Lea zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen auf seine Arme.

Nur hätten die Umstände diesmal nicht unterschiedlicher sein können.

Der würzige Duft ihres Bluts stieg ihm in die Nase.

Adam versuchte sich davor abzuschotten, so wie er sich gegen ihre Tränen vorhin in dem Lokal abgeschottet hatte. Jetzt war nicht die Zeit für Gefühle. Er hatte herausgefunden, dass eine Vampirin namens Mary Robertson tatsächlich als Kurier für die SVA arbeitete, aber die Lieferung war erst für morgen angesetzt, und sie war nicht als vermisst gemeldet.

Tatsache war, diese Menschenfrau wusste zu viel über Vampire. Sie wusste von der Formel, sie wusste von Mary - und Adam musste herausfinden, woher.

Durch Seitenstraßen machte er sich auf den Weg zu Cems Haus am Manor Place, das nicht weit entfernt lag.

Nur dort konnte er Lea ungestört verhören.

Sein Blackberry brummte. Er verlagerte Lea auf einen Arm und holte sein Handy hervor. Leas weichen Busen, den er an seiner Brust spürte, versuchte er geflissentlich zu ignorieren.

»Ja?«

»Wo bist du?« Cems Stimme war kalt und sachlich.

»Fast bei dir zu Hause. Aber ich brauche etwas Zeit, bring Victoria also bitte noch nicht zurück.«

Cem schwieg. Im Hintergrund hörte Adam Victorias besorgte Stimme. Dann sagte sein Freund: »Gut, du hast eine Stunde, dann kommen wir heim. Wie ich höre, sollen Lösungen gestohlen worden sein?«

Adam schnitt eine Grimasse; er ging an der Kathedrale vorbei, die den Manor Place säumte. »Genau das will ich herausfinden. Ich rufe wieder an.« Und er legte auf. Für Höflichkeitsfloskeln war jetzt keine Zeit.

Und wenn er einen neuen Fall hatte, konzentrierte er sich auf nichts anderes.

Von wegen mal Urlaub machen, dachte er.

Er schloss mit dem Schlüssel, den er von den Bilens bekommen hatte, auf und trat mit Lea auf den Armen ein.

Sie stöhnte, während er sie in den ersten Stock hinauftrug, und barg ihr Gesicht an seiner Schulter. In Adams Unterkiefer zuckte ein Muskel. Damit sie nicht sehen konnte, wo sie sich befanden, trug er sie ins große Gästebad, das kein Fenster hatte, und ließ sie kurzerhand in die Badewanne plumpsen. Dann drehte er die Dusche auf, setzte sich auf den Klodeckel und wartete ab.

Sekunden später kam Lea prustend zu sich.

»Was?!«

Verwirrt blinzelte sie die Tropfen aus den Augen. Aber als ihr Blick auf ihn fiel, fuhr sie erschrocken zurück. Adam sprang fluchend auf und konnte gerade noch verhindern, dass sie sich erneut den Hinterkopf anschlug - diesmal an den Wandkacheln.

Dann stand er über sie gebeugt, und Lea starrte mit schreckensgeweiteten Augen zu ihm auf. Das Wasser aus der Dusche prasselte ihm auf den Hinterkopf und tropfte von seinen Haaren auf ihr Gesicht. Adam richtete sich schroff auf und drehte den Duschhahn ab.

Sie zitterte am ganzen Körper, wie er sah, aber nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Sie hatte Angst vor ihm. Hatte er die falsche Taktik bei ihr angewandt? Er beschloss umzuschwenken.

»Ich werde dir nichts tun, Lea«, sagte er langsam, beruhigend und nahm wieder auf dem Toilettensitz Platz.

Ihre Unterlippe zitterte. Sie zog die Beine ans Kinn und schlang die Arme um die Knie.

»Du musst mir nur ein paar Fragen beantworten«, fuhr er fort, als sie nichts erwiderte.

»Was soll das für einen Sinn haben? Du glaubst mir doch sowieso nicht!«, sagte sie, noch immer zitternd.

Adam zog ein rosa Badetuch vom Heizungshalter und reichte es ihr.

»Wir werden sehen. Also, jetzt erzähl mir alles, was du über Mary Robertson weißt. Von Anfang an.«

Lea nibbelte ihre kurzen Haare trocken, dann lehnte sie sich wieder zurück, um ihre Gedanken zu sammeln.

»Marys Geist ist heute Nachmittag zu mir gekommen.

Sie hat mir erzählt, dass sie getötet wurde und dass ich ihr helfen soll, ihre Leiche zu finden, damit sie ins Licht gehen kann.«

»Aha.« Adam versuchte, sich seine Skepsis nicht anmerken zu lassen. Wieso beharrte sie auf dieser lächerlichen Lüge? »Und ist ihr Geist jetzt auch hier?«

Lea nickte. Sie wirkte dabei so aufrichtig, so von ihrer Spinnerei überzeugt, dass ihm erneut Zweifel an ihrem Geisteszustand kamen.

»Du glaubst mir noch immer nicht, oder?«, stöhnte sie.

Adam drückte seinen Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger zusammen. Diese Frau war keine Gefahr. Eine Irre, vielleicht, aber keine Bedrohung für seine Spezies.

Tatsache jedoch war, dass sie viel zu viel über seine Leute wusste.

Er musste herausfinden, wie und von wem. Irgendwo in ihren Reihen war ein Leck.

»Doch, doch, ich glaube dir«, sagte Adam, um sie zu beschwichtigen. Wenn es ihm gelang, ihr Vertrauen zu gewinnen, konnte er vielleicht an ihren Informanten herankommen. »Also, was willst du von mir? Was soll ich tun?«

Sie war sichtlich erleichtert. Doch dann schaute sie sich stirnrunzelnd um. »Wo sind sie hin?«

»Wer?«

»Na, Mary und Liam.« Als Lea seine Verwirrung bemerkte, erklärte sie: »Liam ist ein guter Freund. Obwohl er mich in letzter Zeit ein paar Mal ganz schön hat hängen lassen. Er hat zum Beispiel vergessen mich davor zu warnen, dass du ein Vampir bist.«

Adam lächelte und stellte seine nächste Frage betont lässig. »Woher hätte er das wissen sollen? Wir laufen schließlich nicht mit Buttons rum, auf denen steht: ›Ich bin ein Vampir, pfähle mich!‹«, sagte er.

Sie ging nicht darauf ein. »Aber untereinander müsst ihr euch doch erkennen, oder nicht?«

»Liam ist ein Vampir?«, fragte Adam verblüfft. Er hatte nicht erwartet, dass seine Taktik so schnell aufgehen würde. Da war es ja, das Leck! »Ist er auch aus Edinburgh?«

»Ach nein, er ist Ire. Das heißt, er war Ire. Aber er ist hier gestorben, also ist er hier geblieben.«

Hier gestorben? »Liam ist also auch ein, hm, ›Geist‹?«

»Ja, das ist er. Hör zu, ich ...« Sie hielt abrupt inne und neigte lauschend den Kopf. Ihr Blick war über seine rechte Schulter gerichtet. Plötzlich riss sie erschrocken die Augen auf. »Was?! Was soll das heißen? Du meinst jetzt, in diesem Moment?«

Adam riss allmählich der Geduldsfaden. »Lea, was ist?«

Ihr panischer Gesichtsausdruck alarmierte ihn. »Es ist Liam. Er sagt, dass sich vier Männer mit Pistolen dem Haus nähern!«

Adam hob gebieterisch die Hand. Er lauschte angestrengt, konnte aber nichts hören bis auf die üblichen Geräusche eines Hauses: das leise Knarren sich setzender Balken, das Brummen eines Heizaggregats. Das wollte er auch gerade sagen, als ihn ein besonders langes Knarren stutzig machte. Da machte jemand ganz, ganz leise die Vordertüre auf! Cem und Victoria waren das bestimmt nicht, die würden sicher nicht derart verstohlen in ihr eigenes Heim eindringen. Verdammt. Er überlegte blitzschnell. Besser, er glaubte Lea, verrückt oder nicht. Sicher war sicher.

Wenn es tatsächlich vier waren, konnte er es mit ihnen aufnehmen. Aber er durfte nicht riskieren, dass Lea etwas zustieß. Er legte warnend einen Finger auf ihre Lippen, dann hob er sie aus der Wanne und stellte sie auf dem Boden ab. Kurz lauschend nahm er sie bei der Hand und schlich mit ihr auf den Gang im ersten Stock hinaus, den sie rasch entlanghuschten. Er zog sie ins Wohnzimmer und dort zu den Fenstertüren, die zum kleinen französischen Balkon hinausführten. Es war nur ein schmaler Streifen, eigentlich kein richtiger Balkon, sondern eher ein breites Blumensims mit Geländer. Jetzt konnte er die Eindringlinge riechen - es waren tatsächlich vier, wie Lea gesagt hatte.

Rasch machte er die Balkontüren auf und zog Lea mit sich hinaus. Ein Blick zurück, und er sah den Kopf des ersten Eindringlings am Treppenabsatz erscheinen.

Sie hatten nur noch Sekunden. Adam schlang den Arm um Leas Taille und schwang ein Bein übers Balkongeländer.

»Was tust du?«, zischte sie erschrocken. Adam schwang auch das andere Bein übers Geländer. Sie befanden sich in einem alten Georgianischen Stadthaus mit hohen Decken, und der Balkon war mindestens vier Meter über dem Boden: Wer da runtersprang, riskierte einen Knöchelbruch.

Oder Schlimmeres.

Adam hakte seine Füße in der untersten Geländersprosse ein.

»Nicht schreien«, befahl er, hielt sie fest und ließ sich kopfüber nach vorne fallen.

Lea stieß natürlich doch einen entsetzten Schrei aus, als er sie durch seine Arme rutschen ließ. Unwillkürlich streckte sie die Arme vor. Als sie den Kies der Auffahrt unter ihren Fingerspitzen fühlte, ließ Adam ihre Fußgelenke los. Er landete leichtfüßig neben ihr, während sie sich gerade hochrappelte.

»Bist du wahnsinnig?«, stieß sie keuchend hervor. Er hätte gerne gesagt »Ich?«, aber dafür war keine Zeit. Er packte sie bei der Hand und begann sie zur Straße zu ziehen.

Hinter ihnen schlug eine Kugel im Kies ein.

»Sie haben uns entdeckt!«, rief Lea und begann zu rennen.

Adam lief dicht hinter ihr, um sie mit seinem Körper zu decken. Ein weiterer gedämpfter Schuss ertönte, und etwas traf ihn in der Schulter. Er zuckte zusammen, lief aber weiter.

»Links, links!«, rief er und folgte ihr keuchend um die nächste Ecke. Blut rann seinen Arm hinab und tropfte von seinen Fingerspitzen. Adam fluchte. Sie rannten an einem Säuglingsbekleidungsgeschäft vorbei, dann an einem Schnapsladen. Einen Block weiter entdeckte Adam ein gut besuchtes Pub. Dort zog er Lea hinein. Sie gingen zwischen den Tischen hindurch nach hinten und wählten einen Platz, von dem aus sie die Türe im Auge behalten konnten.

»Sind sie noch hinter uns her?«, keuchte Lea ängstlich.

Adam antwortete nicht. Er holte sein Handy raus und wählte Cems Nummer.

»Hallo?«

»Vier Profikiller sind vorhin bei euch ins Haus eingedrungen. Keine von uns. Menschen.«

»Wo seid ihr jetzt?«

Das verriet er Cem nicht, weil er eine übereilte Reaktion befürchtete. »Cem, fahrt zu Helena, du, Victoria und Grace. Bleibt erst mal dort, bis ich herausgefunden habe, was los ist. Dort seid ihr in Sicherheit.«

»Okay. Aber was ist mit meinem Labor?«

Gute Frage. In Cems Labor befanden sich natürlich jede Menge Formelproben, die meisten davon zwar durch Experimente kontaminiert, aber bestimmt auch ein, zwei unverdorbene Lösungen.

»Ich lasse die Bewachung verdoppeln. Und jetzt geh und sag meiner Schwester, sie soll sich keine Sorgen machen.«

Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
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