Alex lief von Hatterall Hill über den Bergrücken zurück, unter ihm die Ruinen von Llanthony, verstreute Zelte in Blau und Orange. Die Karte zeigte noch einen Weg auf der anderen Seite des Berges an, der den Vorteil hätte, dass man beim Grenzstein nicht umdrehen musste, doch er konnte ihn von hier aus nicht sehen. Egal. Er lief hinab durch Farnkraut und Gräser. In zwei Wochen würde er schon in Coed-y-Brenin Mountainbike fahren. Er hatte sich vor Melissa wie ein Idiot aufgeführt, das war ihm jetzt klar. Anfängerfehler oder was? Er hatte erst zweimal Sex gehabt, also wirklich seinen Schwanz reingesteckt. Kelly Robinson war er danach zwei Wochen lang aus dem Weg gegangen, weil sie sich damals so weggeschädelt hatten und sie übergewichtig war, obwohl er eigentlich ziemlich oft daran dachte, wenn er sich einen runterholte. Aber da lief unten jemand die Straße entlang, wo es in Richtung Longtown flacher wurde, ein Mädchen mit einer Tasche über der Schulter.

Louisa träumte im Halbschlaf von Honk der Elch, sie dachte, es wäre das Jahr 1969 und ihre Mutter säße auf ihrem Bett und würde ihr aus dem Kinderbuch vorlesen, doch es war Richard, und er trug seine gestreifte Pyjamahose, in der er aussah wie ein Pirat, nur lächelte er nicht, und sie fragte sich, ob er ihr schlechte Nachrichten übermitteln wollte. Es tut mir leid wegen gestern Abend.

Sie richtete sich auf, indem sie sich auf die Ellenbogen stützte. Wenn sich jemand entschuldigen musste, dann war es ihre Tochter.

Sie hat gesagt, du hättest früher auch Marihuana geraucht. Und ich wollte nur sagen … Er zögerte und wandte sich um. Du musst kein Geheimnis daraus machen. Ein angedeutetes Lachen. Geringere Suchtausprägung und weniger körperliche Schäden als Alkohol oder Zigaretten, laut Professor Nutts berühmt-berüchtigtem Artikel im Lancet. Herrje. Er fuhr sich über das Gesicht. Ich klinge wie ein blöder Besserwisser.

Sie strich sich die Haare aus den Augen. Konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie spürte einen Kissenabdruck auf ihrer Wange.

Jedenfalls …, er erhob sich, werde ich mich von der Melissa-Front zurückziehen.

Sie setzte sich auf, ließ ihre Füße über den Bettrand gleiten und hörte klar und deutlich die Stimme eines kleinen Jungen, der ganz in ihrer Nähe stand und sagte: Dad …?

Ich möchte ihr den Kopf abschneiden und das Herz herausreißen. Du als Chirurg bist so geschockt! Du, den ich schon dabei gesehen habe, wie du ohne das geringste Zittern Operationen auf Leben und Tod ausführen konntest, die jeden anderen hätten erschaudern lassen … Doch die Worte ergaben keinen Sinn mehr, also schloss Daisy das Buch und las die Rückseite der Cornflakes-Packung. Thiamin (B1) 1,2 mg, Riboflavin (B2) 1,3 mg. Rief irgendwer jemals die Kunden-Hotline an? Vielleicht einsame alte Damen, die sich mit jungen Männern in Kalkutta anfreundeten.

Die Welt fühlte sich an diesem Morgen verschwommen an, so wenig greifbar. Sie wollte ihre vertrauten Dinge um sich haben, die abgewetzte, lebensgroße Prinzessin-Leia-Pappfigur, die Dad als Student aus einem Kino hatte mitgehen lassen, die Emaille-Schilder von Opas Laden in Manchester, Keener’s Kola und zerkrümelte Kekse.

In der Schule hatten sie einen Film gedreht, Gemmas Entscheidung, über ein Mädchen, das mit vierzehn schwanger wird. Daisy hatte die Mutter gespielt. Der Nervenkitzel, wenn sie den grellgrünen Cardigan überstreifte, ihr eigenes Selbst verschwand und sie dachte: Ich könnte jeden küssen, ich könnte jeden töten.

Auf dem Bildschirm erkannte sie sich selbst nicht wieder. Sie wirkte wie besessen. Jetzt hatte sie den A-Level in VWL erreicht. Adam Smith und die Transformationskurven oder auch Kapazitätslinien. Sie schlug das Buch wieder auf. Das Mädchen ist tot. Warum ohne Not ihren Körper verstümmeln?

Alex tauchte schwitzend und mit Socken an den Füßen an der Haustür auf. Ich glaube, Melissa hat das Weite gesucht.

Wie kommst du darauf?

Sie ist mit einer Tasche über der Schulter die Straße runtergelaufen.

Plötzlich sah sie das Ganze aus Alex’ Perspektive. Oh, das tut mir leid.

Er war noch immer außer Atem. Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh drüber.

Und sie merkte, dass es ihr eigenes Herz war, dem seine Worte einen Stich versetzten.

Angela träumt. Die Kreatur wird ihr in einem frischen weißen Handtuch von einer Krankenschwester gereicht, der nicht aufzufallen scheint, dass etwas nicht in Ordnung ist. Meerjungfrauensyndrom. Doch in was für einer Schauergeschichte würde dieses Monster vorkommen? Augen, nicht viel mehr als zwei Schlitze, in einem Kopf aus feuchtem Lehm, eine schiefe Finne auf dem Kopf, deformierte Arme, zwei Beine, zu einem einzigen Stumpen verschmolzen. Sirenomelie. Der Ruf der süßen Stimmen von den Felsen. Das Ding greint. Es will gehalten werden, doch sie kann es nicht berühren. Ihr graut davor, dass es nicht loslassen und zubeißen und sie zerreißen wird. Sie träumt diesen Traum alle paar Wochen, erinnert sich jedoch nie an ihn. Jungvögel bringen sie zum Weinen, bestimmte Fleischstücke, das verkrüppelte Stück der Seele Voldemorts in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes. Sie hat keine Ahnung, woher das kommt. Sie hatte keine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen, noch nicht einmal einen Ultraschall. Sie hatte Termine nicht eingehalten, hatte gesagt, es gäbe einen Notfall in der Familie, sie hatte die Hilfskrankenschwester angelogen, den Kinderarzt, Dominic. Ihr Körper wusste, dass etwas nicht stimmte, doch sie war fest entschlossen, eine gute Mutter zu sein, und eine gute Mutter würde niemals ein Kind ablehnen.

Melissa lief zwanzig Minuten lang, bis ihre Tasche wirklich schwer wurde, aber sie würde ganz sicher nicht kehrtmachen, also streckte sie ihren Daumen aus und hoffte darauf, dass ein menschliches Wesen anhalten würde und nicht irgend so ein durch Inzucht in die Welt gesetzter Bauer und Vergewaltiger. Ein Traktor fuhr vorbei, ein Postauto, ein Umzugswagen, ein rostiger Datsun, dann kam ein glänzender Alfa Romeo, der langsamer wurde und links ranfuhr. Wohin willst du? Die Frau trug eine Lederhose und hatte einen spanischen Akzent, womit Melissa so gar nicht gerechnet hatte.

Egal wohin, sagte Melissa, als wäre sie in einem Film.

Schmeiß deine Tasche auf die Rückbank.

Auf dem Armaturenbrett stand ein Kamel mit Gummibeinen, das wackelte, wenn sie um eine Kurve fuhren. Im Fußraum lag ein mit Strass besetztes Katzenhalsband. Also … Die Frau zündete sich eine Zigarette an. Bist du von zu Hause abgehauen?

… ἀλλ᾽ ὅτε τόσσον ἀπῆμεν ὅσον τε γέγωνε βοήσας,
ῥίμφα διώκοντες, τὰς δ᾽ οὐ λάθεν ὠκύαλος νηῦς
ἐγγύθεν ὀρνυμένη, λιγυρὴν δ᾽ ἔντυνον ἀοιδήν:

“‘δεῦρ᾽ ἄγ᾽ ἰών, πολύαιν᾽ Ὀδυσεῦ, μέγα κῦδος Ἀχαιῶν … Als wir jetzt so weit, wie die Stimme des Rufenden schallet, kamen im eilenden Lauf, da erblickten jene das nahe meerdurchgleitende Schiff und hoben den hellen Gesang an: »Komm, besungener Odysseus, großer Ruhm der Achaier! Lenke dein Schiff ans Land und horche unserer Stimme. Denn hier steurte noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber, Eh’ er dem süßen Gesang aus unserem Munde gelauschet.«

Angela ging in die Küche, wo Louisa Kaffee und Toast machte. Eine plötzliche Erinnerung ans Zusammenwohnen im College. Dahl und Räucherstäbchen, Carol, die im Hostel Krätze bekam. Wie geht’s?

Gut, sagte Louisa. Warum?

Gestern Abend. Richard und Melissa.

Halb so wild.

Ist schwer, so zwischen den Stühlen zu sitzen.

Wirklich, alles halb so wild.

Sie haben sich beide nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt. Auf welchem Planeten sagte man so etwas?

Louisa drehte sich um und blickte Angela in die Augen. Richard ist ein guter Mensch.

Dagegen wollte ich gar nichts sagen. Doch, genau das wollte sie, oder?

Louisa steckte das Filtersieb in die Kanne. Und Melissa ist auch ein guter Mensch.

Ich weiß. Noch eine Lüge.

Da sind zwei Scheiben im Toaster, falls du welche willst. Louisa nahm die Kanne und rauschte ab.

War es vielleicht Eifersucht, dieser kindliche Wunsch, einen kleinen Keil zwischen sie zu treiben, war es die Gewissheit, dass die beiden etwas miteiander teilten, was sie und Dominic längst verloren hatten. Plötzlich eine Erinnerung an 92 Hensham Lane. Wie Donny eines Abends wegen einer Wette betrunken den Rasen mit einer Schere geschnitten hatte. Das Mädchen aus Deutschland, das ein Vorhängeschloss an ihrer Tür anbrachte. Im Brotkorb waren Ohrenkneifer, und oben hörte jemand mit Stadionlautstärke London Calling, doch es war ihr Reich und die Erleichterung darüber spürte sie auch jetzt noch, dreißig Jahre später.

Dominic aß einen Löffel Shreddies. Wir gehen davon aus, dass es sich um einen tragischen Fall von Verwechslung handelt und rufen die ansässige Bevölkerung dazu auf, sich mit Hinweisen umgehend an uns zu wenden. Crack und Genozide, dann blätterte man um und las etwas über geklonte Schafe und Solarenergie, alles ging im Handumdrehen vor die Hunde und alle kamen in den Himmel. Am Ende glich sich alles aus. Die Menschen hörten auf zu rauchen und wurden fett. Kinderlähmung wurde geheilt und Aids tötete Millionen Menschen in Afrika. Aber was sollte das goldene Zeitalter überhaupt sein? Kinderprostitution, Gin-Epidemien, die Kreuzzüge … Alex setzte sich mit einer Schüssel gerösteter Weizenkörner und einer Tasse Tee neben ihn. Wie war dein Lauf?

Gut. Mmh, wirklich gut.

Willst du nicht irgendwann einfach mal nur im Bett liegen.

Klar. Sollte man aber besser nicht, was?

Er hatte noch kein Auto geschrottet und kein Mädchen geschwängert, dafür sollten sie dankbar sein, doch da war eine gewisse Kälte zwischen ihnen. Anfangs hatte er gedacht, es läge an den Genen, dieselbe Art Selbstkontrolle, die er in Richard sah. Aber vielleicht gehörte das zum Teenagerdasein dazu. Dein Job ist es, immer und überall unrecht zu haben. Letztendlich brauchten sie dich nicht, Generationen wie Laub, die Jungen übernahmen eine Welt, für die du nicht mehr viel übrig hattest.

All diese Fotos von Andrew in Amys Wohnung. Sieben Mal war er mit Asthma und Lungenproblemen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Anfangs hatte es ihn berührt, die Sorgfalt, mit der Amy sich um ihn kümmerte, und seine Abneigung gegen diesen jungen Mann, den er nie getroffen hatte und der in ihre intimsten Momente eindrang, hatte sich nur langsam eingeschlichen, und irgendwann vermutete er fast, dass Andrews ständige Zerwürfnisse mit Chefs und Mitbewohnern und Freundinnen kein Symptom seiner gesundheitlichen Probleme waren, sondern vielmehr Szenen in einem endlosen Drama gegenseitiger Abhängigkeit, in dem Dominic allenfalls ein Nebenschauplatz war.

Übrigens, sagte Alex, ich glaube, ich habe gesehen, wie Melissa sich aus dem Staub gemacht hat.

Richards Vater war mit vierzig an Hodenkrebs gestorben. Richard war acht, Angela neun. 1972. Hewlett-Packard stellte den ersten Taschenrechner her und Eugene Cernan war der letzte Mann auf dem Mond. Sein Vater hatte zu der Zeit für eine bewaffnete Polizeieinheit gearbeitet, und Richard hatte einige Zeit geglaubt, dass er bei einer Schießerei getötet worden war, wobei sich nie aufgeklärt hatte, ob seine Mutter sich diese Lüge ausgedacht hatte oder sie aus seiner eigenen Fantasie stammte und seine Mutter lediglich nicht widersprach.

Er hatte noch immer sein Einklebebüchlein mit Zeitungsausschnitten aus jenem Jahr, 1972, mit Alufolie aufs Cover geklebt. Vietnam, Baader Meinhof, Watergate. Der Tod seines Vaters taucht nicht auf. Nicht einmal eine Unterbrechung seiner wöchentlichen Einträge, denn es war nicht der Tod seines Vaters, der seine Kindheit entzweischnitt, nicht direkt. Weil seine Eltern häufig getrunken hatten, zu Hause, im Restaurant, im Squash-Club, war es ihm anfangs nicht aufgefallen, doch mit zehn Jahren wusste er, dass die Mütter anderer Kinder nicht nachmittags eine Flasche Sherry aufmachten, die vor der Schlafenszeit bereits leer war. Er und Angela sprachen niemals darüber. Sie sprachen übers Saubermachen und den Abwasch und die anfallenden Rechnungen für den Haushalt, die zusehends in ihren Verantwortungsbereich fielen. Innerhalb weniger Jahre konnte er die Unterschrift seiner Mutter perfekt auf Schecks fälschen, und noch heute sucht er, wenn er seine Autoschlüssel nicht findet, an denselben Orten, an denen er sie vor dreißig Jahren vor seiner Mutter versteckt hat, die Waschmaschine, die Zuckerdose. Er hatte Angst davor, Freunde nach Hause einzuladen, und wenn er bei Freunden eingeladen war, hatte er Angst davor, was gerade bei ihm zu Hause passierte, sodass die Schule schnell zu einem Zufluchtsort wurde, an dem die Aufgabenstellungen klar waren und ihre Ausführung sofort belohnt wurde. Geometrische Diagramme. Das Haus von Hannover. Regelmäßig kochte er für seine Mutter, brachte sie ins Bett, badete sie sogar manchmal, und je intimer die Situation, desto wütender wurde sie über seine Einmischung. Wenigstens war sie so betrunken und unkoordiniert, wenn sie nach ihm schlug, dass er dem zweiten Schlag ausweichen konnte.

Melissa ist verschwunden. Louisa stand hinter ihm.

Was soll das heißen, verschwunden?

Sie hat ihre Tasche gepackt. Alex glaubt, gesehen zu haben, wie sie die Straße runtergelaufen ist.

Also hat man sie nicht entführt.

Ich meine es ernst.

Ich auch. Berufskrankheit. Sämtliche Möglichkeiten in Betracht ziehen. Er stand auf. Gehen wir rein und besorgen uns nähere Informationen.

Alex kam die Treppe runter und wedelte mit Louisas Handy, als sie zur Tür herein kamen. Mit Vodafone hat man in unserem Zimmer einigermaßen Empfang, wenn der Wind günstig steht. Er gab es ihr zurück. Ich hab ihr aufs Band gesprochen.

Alle hatten sich im Esszimmer versammelt. Für Richards Geschmack wirkte die Szene etwas zu dramatisch. Sie sitzt sicher irgendwo in einem Café und freut sich darüber, dass wir uns Sorgen um sie machen. Sie ist sechzehn. Sie geht in Diskos. Wenn wir die Polizei rufen, lachen die uns aus und sagen, dass wir es morgen nochmal versuchen sollen. Louisa wirkte atemlos. Er knetete ihre Hand. Sie wird uns ein bisschen zappeln lassen, und dann wird sie sich melden.

Angela dachte Es ist deine Schuld, und tat ihr Möglichstes, um es nicht auszusprechen, doch Dominic war beeindruckt. Wie konnte Richard sie alle beruhigen, obwohl er auch nicht mehr wusste? Konnten das alle Ärzte?

Wenn wir bis dahin noch nichts von ihr gehört haben, sagte Richard, rufen wir sie von Raglan aus an.

Okay, sagte Louisa. Okay.

Nur, dass es nicht okay war, dachte Angela, sie gehorchte einfach nur seinen Befehlen, wie ein Hund einem strengen Herrchen.

Benjy stand auf den Fliesen der Kammer zwischen Küche und Badezimmer in der unteren Etage. In ihr befanden sich eine Tiefkühltruhe, eine Spülmaschine und ein großes Porzellanwaschbecken, das in ein langes, hölzernes Abtropfbord eingelassen war, so dick wie eine Bibel. Die Tiefkühltruhe war von Indesit. Er nahm eine abgewetzte, achteckige Dose von der Fensterbank. Auf dem Deckel klebte ein selbst gestanztes Etikett, auf dem Spülmaschinen-Tabs stand und ein orangefarbener Aufkleber: Bei Verzehr unverzüglich einen Arzt konsultieren. Die Dose klapperte, als er sie umdrehte. Auf dem Etikett auf dem Boden stand Pralinenmischung und Kaffeesahne und Türkischer Honig.

Angela verkündete, dass sie die Schlossbesichtigung sausen lassen und stattdessen mit dem Bus nach Hay fahren wolle. Da fährt ein Bus hin?, hatte Richard ungläubig gefragt. Vielleicht wird er von Kühen gezogen, antwortete sie etwas zu patzig, und eine plötzliche Kälte legte sich über das Zimmer. Daisy sagte sanft Ich fahre mit Mum, denn sie selbst war genauso wenig scharf auf Richards Gesellschaft wie Mum, was bedeutete, dass Dominic mit Benjy nach Raglan fahren musste, da Benjy niemals wissentlich ein Schloss würde sausen lassen.

Also liefen Angela und Daisy plötzlich gemeinsam den Hügel zu der kleinen Steinbrücke hinunter, nur das Schlurfen ihrer Schuhe und das Rascheln ihrer Regenjacken. Ein dreckiges weißes Pferd hinter einem Gatter beobachtete sie. Angela war sauer darüber, dass Daisy ihr die einsame Expedition versaute, und gleichzeitig froh, nicht alleine fahren zu müssen. So viel vom eigenen Selbst hing von der grünen Vase und von der Wäschespinne ab, die sich im Wind drehte, und sie war drauf und dran, den Anker zu lichten. Daisy mochte die Stille, doch Angela war das Geschnatter und das Echo von vierhundert Kindern in einem einzigen Gebäude gewohnt. Richards Mercedes fuhr in Richtung Raglan an ihnen vorbei, Dominic, Alex und Benjy winkten ihnen zu wie Passagiere von einer Dampflok.

Wo wird Melissa wohl sein?, fragte Daisy.

Doch Angela hatte das Mädchen schon völlig vergessen.

Melissa stand wie gelähmt an der Kreuzung. Wo zur Hölle sollte sie hingehen? Dad würde ohne eine Erklärung kein Flugticket nach Frankreich rüberwachsen lassen. Donna in Stirling? Sie sah sich um. Ein Laden, in dem Windspiele verkauft wurden. Ein Laden, in dem es Gummistiefel und hässliche Seidenschals gab, wie die Queen sie trug, wenn sie ihre Corgi-Hunde zum Scheißen ausführte. Schäbige öffentliche Toiletten. Londoner, die so taten, als würden sie das Landleben genießen. Sie öffnete ihr Portemonnaie. 22,68 £ und eine Geldkarte, die vermutlich von dem Automaten auf der gegenüberliegenden Straßenseite geschluckt werden würde. Gott, hatte sie Hunger.

Glaubst du, Benjy geht es gut?, fragte Daisy.

Ich denke schon, sagte Angela.

Er wirkt irgendwie einsam.

Er kann gut alleine sein, erwiderte Angela. Der kleine Bus kämpfte sich eine plötzliche Steigung hinauf. Eine winzige Kirche mit einer Gartenlaube als Turm. Eine Frau, die in einem matschigen Hof einen Landrover abspritzte. Wenn du nicht allein sein kannst, wirst du Mitglied einer Gang, fängst an zu trinken und heiratest die erste Person, die dir über den Weg läuft, damit du nicht in ein leeres Haus zurückkehren musst.

Daisy fand ihre Mutter dumm. Was für andere Gründe konnte es für diese ständige Spannung geben? Dann sagte sie etwas in dieser Art, und Daisy erinnerte sich daran, dass sie eine gute Lehrerin war, und dann spürte sie nicht Bewunderung oder Schuldgefühle, sondern Angst, denn wenn ihre Mutter recht hatte, hatte sie selbst unrecht.

Der Bus hielt, während ein roter Transit in eine Einfahrt zurücksetzte, um ihn vorbeizulassen. Bauernhöfe mit Rosen und Schaukeln. Bauernhöfe mit Hunden an Ketten und rostigen Autos. Eine buckelige Frau saß vorne im Bus, so alt und zerlumpt, dass sie ganz sicher in einem Hexenhäuschen oben in den Bergen wohnte.

Ist zwischen dir und Dad alles okay? Sie wollte fürsorglich klingen, doch gleichzeitig erwartete sie, dass ihre Mutter zum Ausgleich ein gewisses und sei es noch so winziges Scheitern zugab.

Bei uns … ist alles okay, sagte Angela leise.

Und es traf Daisy wie ein unerwarteter Schlag. Ihre Mutter war ein menschliches Wesen. Das hatte sie sich zu selten bewusst gemacht. Sie wollte die Arme ausstrecken und sie halten und dafür sorgen, dass alles wieder gut wurde, doch die zurückliegenden Jahre kamen ihr plötzlich wie ein Traum vor und sie war wieder fünf und fuhr mit ihrer Mum zum Einkaufen in die Stadt. Also drehte sie sich weg und sah aus dem Fenster, wie der Bus an Bäumen und Hecken vorbei in eine Art Moorlandschaft hinauffuhr, das graue Band der Straße und im Tal verstreut liegende Tannenfelder wie ausgeschnitten aus Filz.

Das mit Richard tut mir leid, sagte Angela.

Schon gut, sagte Daisy, mit dem werd’ ich auch allein fertig. Dieser Tanz, den sie und Mum aufführten. Sie streckten die Hände aus und zogen sie wieder zurück. Sie streichelten und kniffen.

Er wollte angeben.

Ich kann es kaum glauben, dass er dein Bruder sein soll.

Da bist du nicht die Einzige.

Dominic war für viele ein Freund, jedoch für niemanden der beste Freund. Angela empfand das als eine Art Feigheit, obwohl sie sich Mühe gab, nicht allzu oft darüber nachzudenken. Ihr Rückstand bei den Ratenzahlungen fürs Haus, ihr Auto, das zum Schrottplatz abgeschleppt wurde (auf der Rückbank spielten Benjy und Alex Benjys Version von Schere, Stein, Papier, die da hieß Pipi, Aa, Kotze). Nichts war wichtig genug. Früher hatte er es als einen Segen empfunden, nicht von diesem fürchterlichen Wollen angetrieben zu werden, dem so viele Leben zum Opfer fielen, doch er dachte an Daisys verkorksten Glauben und daran, wie Alex nach dem Wettkampf in einem Krankenwagen abtransportiert wurde oder wie Angela versuchte, irgend so ein Unterschichtenkind zu retten, das sowieso eines Tages im Gefängnis landen würde, und er verstand, dass sie alle auf die eine oder andere Art Gründe hatten, am Leben zu sein, die ihm fehlten.

Schloss Raglan wurde Mitte der 1430er Jahre von Sir William ap Thomas, dem ›Blauen Ritter von Gwent‹, errichtet, der neben Heinrich V. die Schlacht von Agincourt … (Richard liest sich die Informationsbroschüre sorgfältig durch) … doch das Schloss wurde während einer lang anhaltenden Belagerung im Bürgerkrieg untergraben, sodass es heute größtenteils aus einer pittoresken Ruine besteht … Und so erfordert es schon eine lebhafte geschichtliche Fantasie, um auf den moosüberwucherten Pflastersteinen vor dem Schloss zu stehen und vor seinem geistigen Auge Falkner und Sauerteigbrot und klappernde Hippen heraufzubeschwören, und was Louisa ganz besonders auffällt, ist das Fehlen eines Cafés, wo sie im Warmen einen Cappuccino trinken und eine Zeitschrift durchblättern könnte, um nicht mehr an Melissa zu denken, nackt und verstümmelt in einem Straßengraben.

Alex läuft über die Festungsmauer des Großen Turmes, der innerhalb eines eigenen Burggrabens liegt und mit der Festung durch eine Zugbrücke verbunden ist. Er sieht hinunter in das große steinerne Quadrat, das den Hauptteil des Schlosses bildet, und beobachtet Louisa dabei, wie sie auf und ab läuft. Jetzt, da Melissa weg ist, fällt ihm plötzlich auf, wie heiß sie aussieht. Sie ist fast fünfzig, sodass sich der Satz ziemlich pervers anhören würde, wenn er ihn laut ausspräche, aber sie hat sich ziemlich gut gehalten und er stellt sich immer wieder vor, wie es wäre, ihr den cremefarbenen Rollkragenpulli auszuziehen. Große Titten. Ihre Mähne.

Doch Dominic hört Joe Pass. Stella by Starlight, vom ersten Virtuoso-Album. BbMaj7 … Em7b5 … A7 … Diese unglaublichen Riffs, die gerade drahtig genug waren, um sich menschlich anzufühlen. Seit sie am Schloss angekommen sind, hat er ein unheimliches Déjà-vu-Erlebnis, das er sich nicht erklären kann, er ist nie in Wales gewesen, bevor ihm Robert Plants Schwertkampf in The Song Remains the Same einfällt. Der wurde hier gedreht, nicht wahr. Er hatte während seiner Dungeons&Dragons-Phase eine walisische Farm besessen. Bron-Y-Aur Stomp und so weiter. Doch es ist niemand in der Nähe, mit dem er dieses höchst befriedigende Goldstück unnützen Popwissens teilen kann.

Benjy kann sich nicht wirklich konzentrieren, weil ein merkwürdiger, rothaariger Junge penetrant versucht, sich mit ihm anzufreunden. Wir kommen aus Devon … Hast du Fluch der Karibik gesehen? … Mein Vater hat ein Quad. Auf seinem T-Shirt ist ein Delfin und er hat keine Augenbrauen. Benjy will in Ruhe gelassen werden, denn wenn man sich konzentriert und in Ruhe gelassen wird, erwachen die Ritter in ihren steinernen Gräbern wieder zum Leben und ein Kornfeld aus Speeren erhebt sich hinter dem Burggraben.

Magst du Fußball?

Er hat noch nicht so richtig herausgefunden, wie es auf dem Spielplatz abgeht, diese ganzen albernen Raufereien über Territorium und Status. Er erwartet mehr Logik und bessere Taktiken. Er hat zu viel Zeit mit seinen älteren Geschwistern verbracht. Er weiß einiges über Homosexualität und Kommunismus und Einkommenssteuer, und mit Pavel ist es einfach, weil sie beide gerne Zaubertränke brauen und Lego-Massaker spielen, aber wenn Wayne Goodrich ihn Spasti nennt …

Das da ist mein Vater, sagt der Rothaarige und dreht sich kurz um, da drüben.

Benjy ergreift die Flucht.

Das Problem mit Jennifer … Richard hielt inne. Außer mit Louisa hatte er nie mit jemandem ernsthaft über sie gesprochen. Ihr waren andere Menschen einfach egal. Ich rede gar nicht davon, wie sie mit mir umgegangen ist. Wie man sich bettet, so schläft man auch. Aber Freunde, Patienten. Ein Bild des Mädchens im Rollstuhl flackerte flüchtig durch die Scheinwerfer seiner Erinnerung.

Dominic war völlig baff darüber, wie Richard in Echtzeit mit schwerwiegenden Problemen rang. Warum habt ihr geheiratet?

Wir waren beide ehrgeizig, beide wenig sentimental, keiner von uns wollte Kinder. Unter diesen Umständen, denke ich, war es eine kluge Entscheidung. Sie wäre eine fürchterliche Mutter gewesen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen passablen Vater abgegeben hätte, aber in meinen dunkelsten Momenten bereue ich es durchaus.

Dominic fragte sich, ob er Richard von Amy erzählen konnte, doch er war sich nicht sicher, ob klinischer Abstand über brüderliche Loyalität siegen würde.

Außerdem, sagte Richard, war sie eine äußerst entschlossene Frau, die es gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen.

Dominic hatte Jennifer nur zweimal getroffen, es hatte keinen Small Talk zwischen ihnen gegeben und sie hatte die Kinder wie eine Schlange beobachtet, die eine Katze nicht aus dem Blick lässt. Wenn sie ihm allerdings ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hätte zukommen lassen? Wenn sie ihn begehrt hätte …? Benjy tauchte wie aus dem Nichts auf und zog an seinem Ärmel. Können wir jetzt gehen?

Erinnerst du dich noch an diese grässliche Deutsche?, sagte Daisy. Vielleicht war es auch eine Holländerin. Die, die ihren Sohn dauernd ins Wasser geworfen und dann angebrüllt hat: Schwimm! Schwimm!

Du bist mit Alex um die Wette geschwommen.

Ich hab gewonnen.

Und er hat es danach nie wieder gemacht. Männer, aber echt. Angela lachte. Woran lag es? An der karnevalesken Ausgelassenheit eines Urlaubs? Dass sie sich außerhalb des Gravitationsfeldes der Gewohnheit befanden? Warum konnten sie zu Hause nicht auch so sein?

Die hatten diesen unglaublichen Toaster, im Hotel.

So detailgetreu erinnere ich mich nicht mehr ans Büfett.

Benjy war völlig von den Socken deshalb. Man musste den Toast auf so eine Art Laufband legen und dann kam er umgedreht und getoastet auf der anderen Seite wieder raus. Benjy meinte, das wäre der Toaster von Wallace und Gromit. Er hat jeden Morgen ungefähr zehn Scheiben gegessen.

Sie warf einen Blick über Daisys Schulter. Ausreißerin auf neun Uhr. Daisy drehte sich um. Melissa, im Fenster eines Cafés am Ende der Straße, irgendwie jämmerlich und zusammengesunken.

Daisy sagte: Ich geh hin und rede mit ihr.

Wie bitte? Ausgerechnet jetzt? Hatte Daisy es denn nicht gemerkt? Gerade war ihrer beider Leben im Begriff, seinen Kurs zu ändern.

Du solltest vielleicht Louisa anrufen, sagte Daisy und machte sich auf, die Straße zu überqueren, denn ihre Mutter war wieder einfach bloß ihre Mutter, die Person, zu der man zurückkehrte, wenn das Abenteuer vorbei war.

Bitte?, sagte Benjy und hielt ein kurzes Holzschwert mit einem Griff aus geflochtenem Seil hoch.

Benjy. Dominic rieb sich die Augen. Davon hast du schon sechs Stück.

Ich hab nur fünf, und die sind ganz anders. Er hatte zwei Breitschwerter, ein Katana, eine Machete und einen Dolch, wohingegen es sich hierbei um ein Kurzschwert für den Nahkampf handelte, mit einer Kerbe in der Mitte der Klinge, über die Luft in die Wunde gelangte, sodass man es leicht wieder rausziehen konnte, ohne ein saugendes Vakuum, das es darin festhielt.

Das ist der Sammlertrieb, nicht wahr? Richard stimmte plötzlich einen vertrauteren Ton an, als hätte das Gespräch über Jennifer schon Freunde aus ihnen gemacht. Die Fußballkärtchen im Kaugummi? Tief im Innern wusste man, dass es schon wieder ein Peter Shilton, der Rekordtorhüter, sein würde, doch das war egal.

Du hast es versprochen, sagte Benjy. Du hast gesagt, dass ich zehn Pfund Feriengeld bekomme.

Ich weiß, aber … Zehn Pfund waren eine ganze Menge. Warum wartest du nicht ein paar Tage ab, bevor du entscheidest, was du dir kaufen willst?

Am Ende des Schaufensters starrte Louisa auf den Boden vor ihren Füßen und zog ihren Mantel enger um sich.

Aber wir kommen nie wieder hierher zurück. Niemals. Mittlerweile war Benjy verzweifelt.

Dominic wollte sagen, dass ein Nein ein Nein sei, doch so etwas sagte man heutzutage nicht mehr. Man musste mit seinen Kindern befreundet sein. Er blieb hart. Es ist doch immer das Gleiche. Morgen wirst du in einen anderen Souvenirshop gehen oder übermorgen …

Ich schenk es dir, sagte Richard. Mein Feriengeschenk.

Dominics Handy klingelte. Die ersten zehn Akkorde des Hummelflugs. Er fischte es aus seiner Tasche. Richard reichte der Frau an der Kasse das Schwert. Hallo?

Entwarnung. Es war Angela. Wir haben Melissa in einem Café gefunden.

Leichte Enttäuschung überkam ihn. Hätte sie jemand umgebracht, hätten sie alle nach Hause fahren können. Ich werde die frohe Kunde verbreiten. Doch als er dies tat, sagte Richard bloß, Wunderbar, ohne Anzeichen von Überraschung oder Erleichterung, sodass Dominic sich kurzzeitig fragte, ob es möglich war, die Zukunft schon dadurch zu beeinflussen, dass man sie mit großem Selbstbewusstsein vorhersagte.

Danke, Onkel Richard, sagte Benjy.

Gern geschehen.

Und dann war er auf und davon, durch die Glastür in die Sonne auf dem Parkplatz, stach zu und blockte ab. Uff …! Hija …!

Melissa horchte gerade, wie Callys Handy am anderen Ende der Leitung tutete, als Daisy reinkam. Gleichermaßen verärgert wie erleichtert legte sie auf.

Daisy schlenderte zu ihr. Ich hol mir einen Kaffee. Willst du irgendwas essen oder trinken? Super lässig, als wären sie noch immer im Haus. Sie hätte einen theatralischeren Abgang hinlegen sollen, was? Ein Pfannkuchen wäre nicht schlecht. Sie hatte in der letzten Stunde eine kalte Tasse Tee gehütet. Und ein schwarzer Kaffee.

Sie sah zu, wie Daisy rüber zum Tresen ging. Ihre undurchsichtige Art machte sie nervös. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, was Daisy dachte oder fühlte oder vorhatte. In ihrer Schule gab es auch ein paar Christen, aber die liefen mit eingezogenem Kopf herum, wohingegen Daisy … Sie war auch kein Volltrottel, sie hatte keinen fetten Arsch und keine Hackfresse. Sie wusste es sogar, das merkte man an der Art, wie sie sich gab, dass sie sich absichtlich hässlich anzog, sozusagen als eine Provokation.

Mit zwei Tassen Kaffee und zwei Pfannkuchen kam Daisy an den Tisch zurück. Immer tun sie die Serviette unters Essen, das verfehlt irgendwie ihren Sinn, oder? Als wäre sie fünfunddreißig. Wie geht’s?

Mir geht’s spitze. Einfach spitzenmäßig.

Und was macht Ian McEwan?

Melissa dachte zunächst, Daisy spräche von einer echten Person, bis sie das geschlossene Buch unter ihrer Hand sah. Ist okay. Sie spielten ein Spiel, und die Regeln sahen vor, dass sie nicht darüber sprachen. Ist für die Schule.

Ich lese gerade ein Vampirbuch.

Melissa nahm einen Schluck Kaffee und entspannte sich ein wenig. Twilight?

Daisy holte Dracula aus ihrer Tasche. Jonathan Harker reist nach Transsylvanien, um für einen mysteriösen Grafen zu arbeiten, und von da an geht es bergab mit ihm.

Okay, sagte Melissa langsam.

Nur dass Daisy kein Spiel spielte. Ihr war es ernst. Für gewöhnlich wurde sie maulfaul und ungeschickt, wenn sie darauf aus war, dass jemand sie mochte, aber bei Melissa … War dies auch eine Art Schauspielerei? Sich von seiner besten Seite zu geben und dabei aufregend lebendig zu werden? War dies der Heilige Geist? Gott sei in meinem Mund und in meinem Sprechen. Sorry wegen Alex.

Wofür?

Das Angrapschen.

Oh, ich glaub, mit Alex werde ich allein fertig. Melissa fragte sich, ob sich aus Daisy für ein paar Tage ihre Gehilfin machen ließ. Mum und Richard würden ihren Augen nicht trauen. Ihr Handy vibrierte. Cally. Sie beobachtete es bei seinem Tango über den Tisch. Sie sah Daisy an. War das ihr Schwachpunkt? Es war gar nicht die Religion, oder? Aber dieser erste Abend, wie Angela über den Tisch gelangt hatte, um sie davon abzuhalten, das Tischgebet zu sprechen … Deine Mum hält dich für bescheuert, oder?

Wir sind nicht gerade beste Freundinnen.

Dein Dad scheint ganz okay zu sein, aber deine Mum … Ist die, irgendwie, ziemlich unglücklich oder so?

Ja, total. Denn Melissa hatte recht und niemand sonst sprach es aus, oder?

Sie freut sich über nichts, ihr ist nichts wichtig. Sie aß ein Stück Pfannkuchen. Deine Mum scheint ziemlich glücklich zu sein.

Ich geb ihnen zwei Jahre.

Echt?

Nenn mir nur eine Sache, die die beiden gemeinsam haben.

Daisy lachte. Auch das sprach niemand aus. Tja … und nimmst du wirklich Reißaus oder kommst du zurück?

Melissa sah sie an. Crazy Hazy Daisy.

Daisy fühlte sich wie im Film. Dieser hypnotische Blick. Die Schlange im Dschungelbuch.

Was würdest du denn an meiner Stelle machen?

Ich würde zurückkommen.

So sei es.

Angela hatte ihr zweites Twix aufgegessen und steckte die zerknitterte Verpackung in die Tasche. Tanzende nackte Frauen in kleinen Rahmen, Schafe aus zusammengelöteten Nägeln. Sie wollte die große Schale mit den Enten drauf kaufen, denn das tat man in den Ferien, man kaufte Kram, den man nicht brauchte. Waliser Liebeslöffel und Wandornamente. Außer, dass sie sich so etwas gerade nicht leisten konnten. Sie hatten aufgehört, über Geld zu sprechen. Er war jetzt wieder klar im Kopf. Dem geschenkten Gaul. In fünf Jahren wäre der Kredit abgezahlt, vorausgesetzt, sie gerieten nicht wieder in Verzug. Dann würde sie Schafe aus gelöteten Nägeln kaufen. Sie neigte den Kopf, als sei guter Geschmack nur eine Frage der Perspektive, doch ihr einziger Gedanke war: Mir gefallen die Enten.

Der Landstreicher aus Porzellan. Die Ananas. Sie hatte komplett danebengelegen. Das war gar nicht in ihrem Haus gewesen. Als würde sie aus einem Flugzeug steigen. Das war bei Juliette gewesen. Sie ging zu einer kleinen Mauer und setzte sich neben ein älteres Pärchen, das zusammen ein Eis aß. Sie fühlte sich benommen und zittrig. Es war Juliettes Vater, der Oscar Peterson spielte. Sie versuchte, sich zu erinnern, welche Musik ihr eigener Vater gespielt hatte, versuchte, sich an ihr Zimmer zu erinnern. Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass ihre Eltern, indem sie starben, Geheimnisse mit ins Grab genommen hatten. Wo war Juliette jetzt? Neuseeland? Tot? Die Pennys, der Zug nach Sheffield, das war zu Hause. Ja. Doch die Türschwelle, von der ihr Vater immer wieder verschwand, was lag dahinter? Wenn sie doch nur ein Stück näher herankäme, um in die Finsternis zu blicken.

Sie musste es jemandem sagen, sie musste es Daisy sagen, und in dem losgelösten Zustand, in dem sich ihre Gedanken gerade befanden, schien es nur allzu natürlich, dass ihre Tochter fünfzig Meter die High Street hoch auftauchen sollte, doch sie lief Schulter an Schulter mit Melissa und sie lachten und Angela fühlte sich, als hätte ihr jemand eine Ohrfeige gegeben.

Benjy gefällt es auf dem Land. Nicht unbedingt wegen der Dinge, die es hier gibt, Pferde, Windmühlen, große Stöcke, Aussichten, sondern vielmehr wegen der Abwesenheit der Dinge, die ihm zu Hause ständig zu schaffen machen. Er hat noch immer einen Wahrnehmungsradius von etwa acht Metern. Nichts von dem, was jenseits dieser acht Meter passiert, erregt seine Aufmerksamkeit, solange nichts explodiert oder nicht von irgendwoher wütend sein Name gebrüllt wird. Zu Hause, in der Schule, und auf den Straßen, die dazwischen und drum herum liegen, schleicht sich die Welt meist unvermittelt an ihn heran, Lehrer, ältere Jungs, betrunkene Menschen tauchen wie aus dem Nichts vor ihm auf der Straße auf, sodass sein mit Abstand häufigster Gesichtsausdruck ein überraschter Schrecken ist. Doch auf dem Land sind die meisten Dinge nicht so wichtig und passieren wesentlich langsamer und du weißt die meiste Zeit ziemlich genau, wer im nächsten Moment vor dir auftauchen wird oder auch nicht. Und sein Verlangen nach dieser Art von Ruhe ist so groß, dass er zu Hause eine Reihe kleiner Postkarten im Regal stehen hat. Buttermere, Loch Ness, Dartmoor. Keine Fenster zu Orten, an denen er lieber sein würde, sondern zu Gefühlszuständen, die ihm behagen.

Die ersten fünf Jahre mit Dominic waren die erste länger währende Zeit des Glücks in ihrem Leben gewesen. Sie hatte in einem Reisebüro gearbeitet, er hatte in zwei Jazzbands gespielt und Privatschülern Klavierunterricht gegeben. Sie erinnert sich kaum noch daran, was sie zusammen gemacht haben, keine romantischen Wochen in Sevilla, keine eingeschneiten Weihnachtsfeste, es fällt ihr schwer, sie sich bei irgendetwas vorzustellen, das nicht irgendwo in einem Fotoalbum verewigt worden ist, doch das war es ja genau, diese Leichtigkeit, dass ihr endlich nicht mehr jedes kleinste Detail auffiel. Sie war vierundzwanzig und hatte verdammt nochmal ihre Schuldigkeit getan. Das ist es, was sie heute so deprimiert, wenn sie an ihre Ehe denkt, dass sie wieder im Dienst ist. Hat Dominic sich verändert? Oder ist seine Farblosigkeit das, was sie früher tröstlich fand? Sie hat nichts gegen die fehlende Liebe, die fehlende körperliche Nähe, noch nicht einmal gegen ihre Streitereien. Sie will einfach einmal loslassen können, will nicht ständig denken und planen und im Kopf behalten und organisieren müssen. Kühe wie Spielzeugkühe auf dem Hügel. Wenn sie sich die Zukunft vorstellt, wenn die Kinder ausgezogen sind, ist sie in Wahrheit allein. Das staubige, pinke Haus dort oben zum Beispiel, das sich etwas heruntergekommen an den Rand des Waldes drückt. Sie kann sich vorstellen, dort zu wohnen, kann es sich so lebhaft vorstellen, als wäre es ein Geschmack in ihrem Mund. Butterkaramell. Marmelade. Arbeit in einer nahe gelegenen Dorfschule. Aufgeräumtes Haus, kleiner Garten, ein Tag gleicht glückselig dem nächsten und die Einzige, um die sie sich kümmern muss, ist sie selbst.

Daisy und Melissa sitzen auf der Rückbank im Bus und reden über Juno und Pete Doherty und Justin Bieber und den Typ mit den Krücken an Daisys Schule. Angela sitzt fünf Reihen vor ihnen und fühlt sich im Stich gelassen und dann lächerlich, weil sie sich im Stich gelassen fühlt, sie versucht, einen Artikel über eine mögliche Koalition zu lesen, wird jedoch von einem Interview mit Gemma Arterton abgelenkt (Es gibt jetzt eine Lego-Figur von mir).

Die Strecke von der Bushaltestelle bis zum roten Haus dauert fünfundzwanzig Minuten, und die beiden Mädchen reden die gesamte Zeit miteinander, oder sie scheinen sich im gemeinsamen Schweigen wohlzufühlen, während Angela hinter ihnen hertrottet. Sie erwischt sich bei dem Gedanken, Melissa sei Karen. Sie fragt sich, wie Karen jetzt ist, wie Karen jetzt sein könnte. Eine zweite Daisy, aber vielleicht mit Melissas Selbstvertrauen, ihrem Wohlbefinden im eigenen Körper. Sie erinnert sich an diese Zeile aus dem Poesieprojekt der Jahrgangsstufe zwölf. Aber wenn ich vorausschaue auf die weiße Straße, ist da immer ein andrer, der neben dir läuft. Oder so ähnlich. Phantome und Schutzengel, wie bei den Menschen in den Twin Towers, gefangen in einem rauchigen Treppenhaus. Jemand nimmt ihre Hand und sagt: Habt keine Angst, und sie gehen durch die Flammen und sind plötzlich allein und in Sicherheit.

Sie hat Melissas Verschwinden schon völlig vergessen, als sie ins Wohnzimmer kommen und Alex und Angela und Richard die Köpfe heben und Melissa und Daisy sichtbar zusammen reinkommen, was alle überrascht, und Melissa ganz offensichtlich keine Anstalten macht, sich zu erklären oder zu entschuldigen, solange sie niemand dazu zwingt, und Angela versteht, dass das Ganze eine einzige lange Performance ist. Melissa sagt: Ich geh mich kurz frisch machen, und rauscht die Treppe hoch, mit der Tasche über der Schulter, und Angela sieht, wie Richard sich auf die Zunge beißt.

Dominic und Benjy gehen raus und setzen sich auf den rostigen alten Rasenroller neben dem Holzschuppen. Benjy benutzt Dominics Leatherman-Messer, um einen Stock zu schnitzen. Das Messer ist stumpf, Benjy eigentlich ungeschickt, aber sie haben einen guten Stock ausgewählt, weil er in diesen Angelegenheiten ein Experte ist (zum nächsten Geburtstag wird Dominic ihm ein eigenes Taschenmesser schenken), nicht zu jung, sodass das Stockende zu weich wäre, und nicht zu alt, denn dann wäre das Holz morsch und bröckelte. Dominic lässt ihn hantieren, ohne sich einzumischen, denn er ist kein schlechter Vater. Ganz im Gegenteil, gelingt es ihm, in Benjys Welt hineinzugelangen, wie es niemand sonst in der Familie kann, vielleicht, weil ihn die Erwachsenenwelt in einem weniger engen Griff hält, vielleicht gibt es da einen Teil von ihm, der nie wirklich erwachsen geworden ist. Und jetzt ist Benjy mit seinem Schwert fertig, er hat die Rinde entfernt und die Spitze geschärft. Gute Arbeit. Dominic nimmt den Stock in die Hand. Das nackte Holz sieht aus wie Margarine und ist wachsähnlich unter seinen Fingern. Er denkt an Kellerasseln und Play-Doh und Papierflugzeuge. En garde. Benjy stirbt viermal, Dominic fünfmal. Hinterher liegen sie auf dem feuchten Gras und sehen in den grauen, formlosen Himmel, weil Benjy so manchmal gerne redet. Ich hab an Oma gedacht.

Warum hast du an Oma gedacht?

Weil du gesagt hast, dass es gut war, dass sie gestorben ist.

Am Ende war sie gar nicht mehr richtig deine Oma, oder?

Sie hatte ihn kleiner Junge genannt, aber es hatte ihm jedes Mal gefallen, wenn Mum erklärt hatte, wer er war. Er hatte auch das Foto mit dem Cockerspaniel drauf gemocht und wie sich die Zahnräder der Reiseuhr lautlos in ihrem Glaskasten bewegten und die Kekse, die die Pfleger um vier Uhr mit dem Servierwagen vorbeibrachten. Nachts sehe ich sie manchmal.

Du träumst von ihr?

Ja, vermutlich war es ein Traum, vermutete Benjy. Aber sie steht in meinem Zimmer.

Hast du Angst, dass sie vielleicht nicht tot ist?

Ist das möglich?

Nein, das ist nicht möglich.

Er stellte sich vor, Mum und Dad würden sterben und fremde Menschen sich um ihn kümmern, und ihm war, als stünde jemand auf seinem Brustkorb. Er rieb den Ärmel von Dads Hemd, aber es war nicht das besondere Hemd. Dann hörten sie, wie Melissa rief: Verpiss dich, was das zweitschlimmste war, was man sagen konnte, also musste er lachen, und Dad stand auf und sagte: Sekunde, Captain.

Melissa klopfte auf die Bank neben sich.

Daisy nahm gehorsam Platz. Du wolltest gerade von Michelle erzählen.

Sie ist einfach eine blöde Drama-Queen, das ist alles.

Daisy hatte ein Glas Wein getrunken, um nicht prüde zu wirken, und die Welt war schon jetzt etwas verschwommen. Und weiter?

Wir waren auf einer Party. Es war erleichternd, jemandem davon zu erzählen, der in fünf Tagen wieder verschwand. Michelle verzieht sich also mit diesem ekligen Kerl nach oben, den keiner von uns kennt.

Solche Partys hatten Daisy immer Angst gemacht, der Geruch deiner Klamotten am nächsten Morgen und noch etwas anderes, das sich nicht abwaschen ließ.

Wir gehen also ins Schlafzimmer und sie ist gerade dabei, dem Kerl einen zu blasen. Sie machte eine Pause, um Daisys Reaktion abzuwarten, doch sie verzog keine Miene. Der Typ guckt uns an und grinst. So nach dem Motto, hey, hereinspaziert, warum nicht, gleich gibt’s ein Sandwich. Ich mache also ein Foto und Michelle merkt es noch nicht einmal, weil sie da unten viel zu beschäftigt ist.

Daisy dachte an die riesige Kakerlake bei Benjys Tierparty, wie die harten, kleinen Segmente ihres Körpers geglänzt hatten wie poliertes Antikholz.

Ein paar Tage später haben wir irgendeinen bescheuerten Streit, Cally schnappt sich mein Handy und hält Michelle das Foto unter die Nase. Michelle rastet völlig aus, haut Cally eins aufs Maul und zieht sie an den Haaren und alles. Also hat Cally sich gerächt und das Foto an die halbe Stadt verschickt.

Kein Wunder, dass sie versucht hat, sich umzubringen. Daisy fühlte sich schon allein dadurch beschmutzt, dass sie die Geschichte gehört hatte.

Melissa traute ihren Ohren nicht.

Das war wirklich eine schreckliche Aktion.

Hey, Moment mal. War das der Dank für ihre Freundschaft? Sie stand auf. Dann verpiss dich doch einfach, Fräulein Zu-gut-für-diese-Welt. Erhobenen Hauptes stolzierte Melissa in Richtung Haus.

Der gesamte Garten erwachte plötzlich zum Leben, als wäre eine allumfassende Membran entfernt worden. Die Schuhbürste, der Efeu. Dann tauchte Dad hinter der Mauer auf. Meuterei auf der Bounty?

Daisy fühlte sich, als würde sie die Geschichte wortlos berichten. Gleich gibt’s ein Sandwich.

Er setzte sich und nahm sie in den Arm.

Sie ist ein fieser Mensch.

Bild berichtete, sagte Dad. Müssen wir zum Gegenschlag ausholen?

Nein. Langsam kam sie zu sich selbst zurück. Ich glaube, Melissa zu sein, ist schon Strafe genug.

Benjy, hock du dich vorne hin, sagte Alex, als würdest du den Fußball halten.

Vielleicht solltest du die Schürze abnehmen, schlug Louisa vor, doch Richard gefiel der Gedanke, ein moderner Mann zu sein. Der Allround-Versorger. Wo ist Melissa?

Keine Sorge, sagte Dominic, Alex kann sie später mit Photoshop reinmogeln. Eine kleine Ecke rechts oben im Bild. Wie für den zweiten Torwart.

Eine gute Idee, dachte Alex, denn dann würde er ein Foto von ihr allein machen müssen – schließlich konnte man kein Foto als Wichsvorlage nehmen, auf dem die eigenen Eltern mit drauf waren. Nicht bewegen.

Die Leute dachten immer, Melissa sei aus Boshaftigkeit Vegetarierin, oder es handle sich um eine Art Umleitung für ihre fehlende Empathie gegenüber ihren Mitmenschen, doch in Wahrheit hasste sie unausgegorene Gedankengänge. Ihr ging es nicht um das Leid von Rindern oder Schafen, aber warum dann nicht auch Hunde und Katzen essen? Es war nicht so sehr eine Einstellung, sondern ganz einfach konsequentes Handeln. Sie hasste Ungerechtigkeit, ohne viel Mitleid mit denen zu empfinden, denen Unrecht geschah. Sie war der Ansicht, dass jede Art von Drogen legalisiert werden sollte und es keinen Sinn ergab, für wohltätige Zwecke Geld zu spenden. Und es gefiel ihr, dass diese Meinungen sie von anderen unterschieden und intelligent wirken ließen. Sie war in vieler Hinsicht wie ihr Vater. Nicht wegen des Drecks unter seinen Fingernägeln und dem Stolz auf seine mangelhafte Bildung, sondern weil sein Selbstverständnis sehr davon abhing, dass andere Menschen sich irrten.

Sie haben Ian vierhunderttausend für seine Firma angeboten, sagte Louisa.

Also wäre es idiotisch, wenn er nicht verkaufen würde.

Aber was soll er denn machen? Sie stellte die Milch zurück in den Kühlschrank. Er ist einundfünfzig. Zu jung für den Ruhestand und zu alt, um noch einmal von vorn anzufangen.

Richard viertelte eine Zwiebel und legte sie neben eine Pastinake und eine Süßkartoffel. Sie würden ihn doch sicher als Manager behalten? Oder wäre das unter seiner Würde?

Angela kam mit einem Glas Wein in der Hand herein und setzte sich ans Fenster.

Störe ich?

Überhaupt nicht, sagte Louisa. Sie hievte einen Stapel weißer Teller aus dem Regal. Ich decke den Tisch.

Angela sammelte sich. Hör mal. Wegen Juliette. Ihr wurde klar, wie selten sie sich entschuldigte, für irgendetwas, bei irgendwem. Du hattest recht, ich habe sehr viel Zeit bei ihr verbracht. Sie erklärte alles, die Ananas, Oscar Peterson.

Ist ja auch egal. Schnee von gestern.

Etwas in ihr sträubte sich. Aber es ist nicht egal. Das alles war ihm nicht wichtig genug. Ich möchte mich entschuldigen.

Er stand stramm, schlug die Hacken zusammen und senkte den Kopf wie ein Zinnsoldat. Dann verzeihe ich dir. Er lehnte sich auf die flach aufliegende Messerklinge und zerdrückte drei Knoblauchzehen. Und außerdem konnte ich es doch selbst nicht abwarten, da rauszukommen. Aber es ist gut, dass wir darüber reden, sagte Richard, die alten Dämonen austreiben und so weiter.

Nur dass sie es nie auf die Art dort raus geschafft hatte wie er, nicht wahr. Diese Leichtigkeit, mit der er durch seine A-Levels geglitten war, das Selbstvertrauen, mit dem er sich in die Welt aufgemacht hatte. War es kindisch, jemanden für ein derart glückliches Los zu verachten? Mit sechzehn war es ihr noch so viel leichter gefallen, ein menschliches Wesen zu sein, als ihrem unbeholfenen, einsamen Bruder. Und dann plötzlich …

Er hatte den Knoblauch fertig gehackt. Ich hätte Mum öfter besuchen sollen. Das weiß ich. Wie lange hatte er dieses Wort nicht mehr ausgesprochen? Jennifer hat die Tatsache nie gefallen, dass ich eine Familie habe. Das ist wohl nichts Neues, denke ich. Ich habe nie wirklich gewusst, was Familie bedeutet, bevor ich Louisa kennenlernte. Und sogar Melissa. Denn auch das ist Teil des Gesamtpakets, richtig? Man muss sich immer wieder Mühe geben.

Doch sie hörte gar nicht richtig zu, denn hinter alldem steckte die Angst, dass es gar nichts mit einem glücklichen Los zu tun hatte, dass er das alles verdiente, und sie hasste ihn dafür, weil sie es auch gekonnt hätte, wenn sie sich wirklich angestrengt hätte, wenn sie Anwältin geworden wäre, nach Kanada gezogen wäre, eine Firma gegründet hätte, und was sie sah, wenn sie Richard anschaute, war nicht sein Erfolg, sondern ihr eigenes Versagen.

Am hinteren Ende des Esstisches spielt Benjy mit seinen GoGo-Figuren, er stellt sie in farblich getrennten Reihen auf. Gold, Silber, Rot, Orange, Gelb. Sie haben offizielle Namen wie Pop und Kimy und Kichi, die man auf der Homepage nachschauen kann, doch Benjy und Pavel haben sich eigene Namen wie Pooper und Custard-Dog für sie ausgedacht. Sie spielen mit ihnen wie mit Murmeln, aber wenn Benjy alleine ist, stellt er sie gerne wie eine Armee auf.

Angela, Dominic und Daisy mögen die GoGos, weil sie so geballt ganz hübsch aussehen und ausnahmsweise mal keine Waffen sind, doch als Louisa mit den Tellern beladen das Esszimmer betritt, spürt sie nur milde Gereiztheit. Sie hat während dieser Urlaubstage noch nicht viel mit Benjy geredet, und die finstere Wahrheit ist, dass sie ihn nicht so recht mag. Klamotten, die nicht richtig sitzen, eher fleckig als sauber, und ständig stolpert er herum, als würde er von einer weit entfernten Person ferngesteuert. Benjy …?

Louisa arbeitet in Leith bei Mann Digital. Sie arbeiten mit Flachbettscannern, fertigen Großdrucke von Fotos an, Leuchtkästen, Giclée-Drucke, auch ein wenig Bildbearbeitung und Restauration. Sie liebt die Sauberkeit und die Präzision dabei, das Ozon in der Luft, das Surren und Schieben der großen Epsons, die Papierschneidemaschine, die Druckerpresse, die Papiersorten, Folex, Somerset, Hahnemühle. Mann stand für Ian Mann, der auch während ihrer schwierigen Phase an ihr festhielt, weil sie ihm im Vorjahr dabei geholfen hatte, während seiner eigenen, noch schwierigeren Phase seinen Mann zu stehen. Sie hatte an der Kasse angefangen, anschließend die Buchhaltung kennengelernt, und inzwischen kümmerte sie sich um die meisten Photoshop-Bearbeitungen, weil die Jungs hauptsächlich Technik-Freaks waren. Vor etlichen Jahren hatte Louisa in Manchester ein Kunststudium angefangen, doch sie hatte nie mit einer anderen Frau Sex gehabt und war nicht dauernd stoned und auch nicht stolz genug auf ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse, aus der sie, wenn sie ehrlich war, nichts als rauswollte, obwohl sie nahezu perfekt zeichnen konnte, warf sie im zweiten Jahr das Studium hin, denn der Gemälde- und Zeichnungsmarkt war auf tiefster Talfahrt. Außerdem hatte sie eine ordentliche Summe gespart, und es war in Wirklichkeit nichts romantisch daran, sich ein Haus mit dreckigem Kühlschrank und abblätternden Tapeten zu teilen und irgendwie war ihr bei dem Gedanken, Künstlerin zu werden, nie ganz wohl gewesen. Ihr Vater hatte gesagt, dass sie nicht an die Universität gehöre, und sie hasste ihn dafür, dass er ihr nur ihre eigenen Bedenken vor die Füße warf. Und wenn Angela und Dominic dachten, dass sie ihre Tage mit, ja womit?, Shoppen verbrachte?, oder im Fitnessstudio?, dann war sie mit dieser Annahme mehr als glücklich, denn was sie machte, war vielleicht nicht Kunst, aber ihr Job war kreativ und gehörte ihr, er war kostbar und sie hatte keine Lust, dass andere Menschen darüber urteilten.

Als Melissa ins Esszimmer kam, deckte Mum gerade den Tisch, während der kleine Junge schätzungsweise eine Million Plastikkreaturen in einen Rucksack packte.

Du scheinst dich ja ganz gut mit Daisy zu verstehen.

Melissa wollte die Frage ignorieren und in die Küche huschen, doch dort saß Angela am Fenster und blickte sie an, also vollführte sie eine komische Pirouette und lehnte sich gegen die Heizung, um ihre Hände zu wärmen. Sie kam sich bescheuert vor. Sie ist okay. Hätten sie bloß nicht so eine blöde Show daraus gemacht, zusammen ins Esszimmer zu flanieren.

Sie scheint wirklich ein außergewöhnlicher Mensch zu sein.

Melissa starrte auf die Risse in den Steinkacheln, denn sie musste sich schmerzvoll eingestehen, dass Daisy recht hatte. Sie wussten, dass Michelle nicht alle Tassen im Schrank hatte und vielleicht hatte sie ernsthaft versucht, sich das Leben zu nehmen, und es gab niemanden, dem sie dies anvertrauen konnte. Ihr dämmerte so langsam, das heißt, die Wolken öffneten sich und die Engel sangen und dann ging eine gigantische Ladung Scheiße auf sie hernieder, dass sie keine richtigen Freunde hatte. Cally war gerade wahrscheinlich schon dabei, alle gegen sie auszuspielen, und sie konnte Alicia und Megan in ihr irres Kichern ausbrechen hören wie zwei Hexen. Sie richtete sich gerade auf und durchquerte eine Wolke ernsthafter Elternschwingungen bis zur Küche, wo sie den Kühlschrank öffnete. Ich brauche Medizin.

Alles klar bei dir? Richard trug zwei Ofenhandschuhe, die aussahen wie riesige Wollhandschellen. Hook Norton Bier. Bio-Löwenzahn, verdammt. Alles klar wie Kloßbrühe, Richard. Sie griff sich ein Old Speckled Hen, stand auf, schloss die Kühlschranktür, löste mit einem Zischen den Drehverschluss und stieß mit der Bierflasche gegen Angelas Weinglas. Cheers, meine Liebe. Und verschwand.

Rechts neben dem vorstehenden Kamin im Wohnzimmer gab es zwei Regalbretter mit Büchern darauf, von der Zeit und dem Sonnenlicht so ausgeblichen, dass die meisten Augen über sie glitten wie über die Reiseuhr und den Beistelltisch aus Walnussholz. Einige von ihnen waren zweifelsohne zurückgelassene Reiselektüre der Hollands und ihrer zahlenden Gäste (Der Sturz des Sperlings von Wilbur Smith, Geheimnisse der Nacht von Una-Mary Parker), einige schienen Geschenke zu sein, die in den Zweitwohnsitz verbannt worden waren (Debrettes Kochbuch, Die fünfzig besten Trinkspiele), manche waren zur puren Unterhaltung gekauft worden (Bekenntnisse eines Fahrlehrers von Timothy Lea, Wie Sie bei Frauen verboten gut ankommen von John Mack Carter und Lois Wyse), während andere zerfledderte Taschenbücher mit wunderbaren Schwarz-Weiß-Covern offensichtlich schon seit Jahren nicht mehr in die Hand genommen worden waren (Mord unterm Karussell von Wade Miller, Schreiben Sie ihren eigenen Plot von Rex Stout). Allerdings hatten es Lytton Stracheys Eminent Victorians und Wittgensteins Über Gewissheit offenbar durch irgendeinen Riss in der Hülle des Universums hindurch auf dieses Regal geschafft und warteten nun geduldig auf Rettung.

Im Gespräch mit älteren Personen empfiehlt es sich, sagte Alex, stets zu zeigen, dass man ihren Worten die gebührende Aufmerksamkeit beimisst.

Woraus ist das? Dominic öffnete die Sprudelflasche.

Wissen in Bildern.

Benjy, Freundchen, hier steht was über dich, sagte Alex. Sich auf dem Stuhl zu lümmeln, darum zu bitten, dass ein Satz wiederholt wird, unaufmerksam und desinteressiert zu wirken, ist schlichtweg schlechtes Benehmen.

Könnt ihr bitte etwas Platz auf dem Tisch machen? Richard hielt das Hühnchen hoch in die Luft.

Das sieht vorzüglich aus. Dominic rieb sich die Hände.

Kurz gesagt, sollten wir wenn möglich jeden Tag eine Dusche nehmen.

Alex …

Falls dies nicht möglich sein sollte, kann man sich mit einer Katzenwäsche und energischem Abtrocknen behelfen.

Daisy, sagte Richard, möchtest du ein Tischgebet sprechen?

Ist schon okay, ich muss nicht unbedingt.

Na los, sagte Richard, ich könnte mich daran gewöhnen.

Melissa blickte verächtlich auf das Hühnchen.

Dominic sagte: Gräme dich nicht, es wurde nach einem langen, fruchtbaren und glücklichen Leben mit einem Seidenkissen erstickt.

Das geht schon in Ordnung, sagte Benjy, weil Hühner sind nicht gerade intelligent.

Manche Menschen sind auch nicht gerade intelligent, aber wir essen sie trotzdem nicht.

Geistig-Behinderten-Kuchen, sagte Benjy.

Das ist nicht witzig, sagte Angela.

Es ist ein bisschen witzig, sagte Alex.

Richard kam mit dem gebratenen Gemüse an, das er ebenfalls hoch durch die Luft manövrierte.

Ich denke, das ist eine tolle Berufung, Lehrerin zu sein, sagte Louisa.

Berufung, dachte Angela. Vielleicht war es das, was sie verloren hatte.

Dominic und Richard redeten über Schloss Raglan. Und dann fiel mir ein, sagte Dominic, dass es in The Song Remains the Same vorkommt.

Er hilft mir dabei, mich zu bilden, sagte Louisa. Er nimmt mich mit in Galerien, Museen, in die Oper. Sie lehnte sich näher zu ihm. Alex konnte ihr Parfum riechen und sah ihre Brüste unter dem T-Shirt. Auf die Oper könnte ich allerdings verzichten.

Melissa starrte auf ihren Teller, doch es stand nicht mehr in ihrer Macht, die Atmosphäre im Raum zu verändern. Richard tätschelte sanft ihren Unterarm, und sie wehrte sich nicht.

Ich fühlte mich etwas im Stich gelassen, als du über die Straße zu Melissa gerannt bist.

Tut mir leid, sagte Daisy. Das Verlangen nach Melissa. Jetzt erschien es ihr lächerlich.

Was ist die schlimmste Art zu sterben?, fragte Benjy.

Huntingtonsche Krankheit, antwortete Richard. Du wirst verrückt und verlierst mit der Zeit die Kontrolle über deinen Körper. Du kannst nicht schlafen, du kannst nicht schlucken, nicht sprechen, hast epileptische Anfälle und es gibt keinerlei Aussicht auf Heilung.

Eigentlich hatte Benjy seine Frage als Witz gemeint.

Ein junger Arzt hatte neben ihrem Bett gestanden und erklärt, warum der Fötus Fehlbildungen aufwies. Er schien stolz darauf zu sein, die biologischen Vorgänge eines so seltenen Syndroms benennen zu können. Fast schien es ihr, als wolle er ihr suggerieren, doch selbst auch zufrieden mit sich zu sein, als habe sie eine Art perversen Jackpot geknackt. Am nächsten Morgen fuhren sie mit dem Aufzug ins Erdgeschoss und betraten eine Welt der Mütter und Schwangeren. Sie war wütend darüber, wie sie ihre Schätze so offensichtlich präsentierten, und war froh darüber, dass sie nicht die Mutter von diesem Etwas geworden war. Sie weinte und Dominic tröstete sie, doch er fragte nie, warum sie weinte, sicherlich, weil der Grund so offensichtlich schien. Sie zerbrach sich den Kopf darüber, was sie falsch gemacht hatte. Im ersten Monat ihrer Schwangerschaft hatte sie geraucht. Sie war beim Aussteigen aus diesem Bus auf der Upper Street gestolpert. Wenn sie nur den Fehler fand, konnte sie vielleicht das Rad der Zeit zurückdrehen und alles anders machen und dann wieder in diesem Moment in der Gegenwart ankommen, nur, dass dann ein Baby in der nunmehr leeren Krippe schlief.

Dominic kam mit Zahnpasta und Zahnbürste in den Händen ins Schlafzimmer.

Was ist denn los?

Ich sehe Menschen an und denke, sie seien Karen.

Er erinnerte sich daran, wie seine Großmutter gestorben war, er war acht Jahre alt und sah sie überall. All diese alten Damen mit weißem Haar.

Ich habe das Gefühl, dass sie am Leben ist. Da draußen. Dass sie uns beobachtet. Und wartet.

Er war müde, ihre Worte machten ihm Angst.

Sie ist nicht da draußen, Angela. Sie beobachtet uns nicht. War sie je am Leben gewesen?

Denkst du denn nie an sie?

Manchmal. Eigentlich sehr selten.

Ich höre ihre Stimme.

Wie lange geht das schon so?

Früher nicht so oft, aber im Moment …

Du hast eine lebendige Tochter.

Ich weiß.

Und du machst ihr das Leben so schwer.

Dom …

Es geht gar nicht um Religion, oder?

Bitte, nicht jetzt.

Du bist sauer auf sie. Er spürte rastlose Aufregung, so als wäre er im Begriff, einen sehr hohen Turm zu besteigen und einen Blick auf das Labyrinth zu erhaschen, durch das er seit so langer Zeit stolperte. Sie ist kein Trostpreis. Sie ist ein Mensch.

Mit einem gelben Töpfchen Gesichtscreme in der Hand saß Louisa auf dem Badewannenrand. Melissas Verschwinden hatte sie aufgeregt, nicht so sehr wegen dem, was ihr hätte zustoßen können, sondern vielmehr durch die Ungewissheit darüber, was sie als Nächstes aushecken könnte. Das alles schien jetzt irreal, die waren Tatsachen vernebelt wie durch den Alkohol, den sie früher getrunken hatte, um die unerwartete Einsamkeit abzudämpfen, die sie empfand, nachdem Craig sie sitzen gelassen hatte. Fünfzehn Männer, so um den Dreh. Sie hielt nicht viel davon, sie zu zählen. Einer auf dem Rücksitz seines BMWs, die Hose in den Kniekehlen, mit seiner Hand auf ihrem Mund, er hatte sie eine dreckige Nutte genannt, und sie hatte sich gefragt, ob das als Vergewaltigung zählte, obwohl man bei einer Vergewaltigung Nein sagen musste, statt es nur zu denken, was einen Funken Selbstrespekt erforderte. Einer von ihnen war Gerüstbauer. Und sie sternhagelvoll, jedes einzelne Mal.

Am ersten Wochenende hatte Annie sie mit zu Raoul genommen und Craigs Duft war verschwunden. Annie sagte, sie würde sich selbst bestrafen, aber manchmal war es auch Zufall. Du nahmst die falsche Weggabelung und es wurde dunkel. Zu Hause trank sie nie, doch die Läden, in die sie ging, um unter Leuten zu sein, waren Orte, an denen getrunken wurde, und wenn man Angst davor hatte, nach Hause zu gehen, trank man eben weiter. Anfangs hatte Melissa ihre Rebellion unterstützt, dann war sie eines Morgens nach einer Nacht bei einer Freundin nach Hause gekommen und am Frühstückstisch hatte ein Mann gesessen, den sie nicht kannte, und sie hatte gesagt: Wer zur Hölle ist das denn? und Louisa hatte nicht antworten können, weil sie ehrlich nicht wusste, wer das eigentlich war. Selbst jetzt fiel ihr kein Name ein. Geschweige denn ein Gesicht.

Sie hatte sich nicht so sehr in Richard verliebt, sondern sich vielmehr an ihm festgeklammert, als sie an ihm vorbeigespült wurde und darum kämpfte, nicht unterzugehen. Sie wartete sechs Wochen lang auf einen Aids-Test, bevor sie mit ihm schlief. Er glaubte, sie sei ganz einfach altmodisch. Sie dachte, dass sie die Vergangenheit loslassen und sich von derselben Flut wegspülen lassen könnte, doch genau hier, in diesem Auto, wurde ihr zum ersten Mal klar, dass sie es ihm sagen musste, bevor Melissa es tat. Vergeben und vergessen. Langsam verstand sie, was das hieß. Man konnte nicht vergessen, bevor nicht jemand anderes einem vergab.

Ich hatte einen Albtraum von den Rauchmännern.

Okay, sagte Alex. Wir fahren zusammen mit unseren Mountainbikes. Denn das war etwas, worüber er selber oft vor dem Einschlafen nachdachte. Wir fahren durch einen Wald. Es ist Sommer, und ich habe ein Picknick im Rucksack.

Mit Schinkensandwiches, sagte Benjy, und einer Thermoskanne mit Tee und zwei KitKats.

Wir fahren schneller und schneller und plötzlich lichten sich die Bäume und wir gucken nach unten und sehen, dass unsere Reifen den Boden nicht mehr berühren.

Sind es Zauberräder?

Es sind Zauberräder und wir fliegen, höher und höher, wir sehen die Felder und einen Fluss und eine Dampflok und Autos. Unter uns fliegen die Vögel und da ist ein Heißluftballon und die Leute im Korb winken uns zu und wir winken zurück und ich sage zu dir: Wir können an jeden Ort der Welt fahren. Er streichelte Benjys Kopf. Wo möchtest du hin, kleiner Bruder?

Ich will nach Hause, sagte Benjy.