2:00 Uhr
Clare ließ den Wagen ausrollen und schaltete die Scheinwerfer aus. »Da wären wir.«
»Auf geht’s«, sagte Russ, ohne sich zu rühren. »Du musst erschöpft sein.«
»Überraschenderweise nicht. Ich glaube, das ist die Übermüdung.« Sie hatte Hugh ins Stuyvesant Inn und Diakon Aberforth zum Pfarrhaus gebracht, ehe sie zum Algonquin Waters zurückgekehrt war – oder dem, was davon übriggeblieben war –, um Russ abzuholen. Er hatte darauf bestanden, mit einem seiner Officer zu fahren, aber als sie ihm klarmachte, dass sie sie zuerst am Pfarrhaus absetzen konnten und er ihr einen Gefallen tun würde, wenn er Hugh dessen Auto am Sonntag zurückbrachte, hatte er eingelenkt.
»Wie geht es Mark?«, erkundigte sie sich.
»Es geht so, denke ich. Ich habe ihn sofort freigestellt, als ich von Randy Schoof hörte. Ich glaube, sie wollen alle zu seinen Schwiegereltern fahren. Ich bin sicher, dass es den Mädchen helfen wird, wenn sie bei ihren Eltern sind.«
»Hm. Ich muss daran denken, morgen anzurufen und sie zu fragen, ob ich irgendwie helfen kann.«
»Du meinst heute. Wir haben Sonntag.«
»Wirklich?«
»Seit zwei Stunden.«
Sie zog die Smokingjacke, die sie immer noch trug, enger um sich. Sie mochte ihren Geruch. »Jetzt bist du fünfzig Jahre und einen Tag alt.«
»Ich habe beschlossen, dass ich bis zu meinem Sechzigsten keine Geburtstage mehr feiern werde. Vielleicht hat sich die Stadt bis dahin von diesem erholt.«
»Ich frage mich, wie du mit sechzig Jahren wohl sein wirst?«
»Ein alter Knacker, wie alle anderen auch.«
Sie grinste in die Dunkelheit. »Nö. Ich wette, du bist überwältigend und sexy so wie John Glenn.«
»John Glenn? Der Astronaut? Den findest du sexy?«
»Klar.«
»Du musst mal ernsthaft an deinem Vaterkomplex arbeiten, weißt du das?«
Sie lachte.
»Clare?«
Etwas in seiner Stimme ließ ihr Lachen ersterben. »Ja?«
»Ich habe heute Nacht einen Entschluss gefasst.«
Sag was, Clare. Sag was. »Oh.«
»Ich kann nicht mehr unaufrichtig zu ihr sein. Sie hat mich in den letzten fünfundzwanzig Jahren auf jedem Schritt meines Wegs begleitet, und jetzt habe ich mich so weit von ihr entfernt, dass wir uns nicht mal mit einer Karte finden könnten. Ich muss das ändern. Ich habe beschlossen, damit anzufangen, dass ich aufrichtig bin.«
»Was glaubst du, wie sie darauf reagieren wird?«
Er lachte kurz auf. »Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß. Irgendwas zwischen mich erschießen und mir ihren Segen geben, glaube ich.«
»Was, wenn sie dich bittet, jeden Kontakt zu mir aufzugeben? Das wäre nicht unvernünftig, weißt du? Eine Menge Eheberater würden das vermutlich empfehlen.« Sie zwang sich, leidenschaftslos darüber nachzudenken, was für Russ das Beste war. »Vielleicht wäre es besser.«
Er sah sie in der Dunkelheit an. »Es wäre nicht besser. Es würde mich umbringen. Die Sache ist doch die, Linda liebt mich. Ich glaube nicht, dass sie mich um etwas bitten würde, das mich« – er suchte nach dem richtigen Wort – »auslöscht.«
Sie griff nach seiner Hand. Er verschränkte seine Finger mit ihren. Ich werde diejenige sein müssen, dachte sie. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich diejenige sein müssen, die es beendet. Sie drückte seine Hand, und er erwiderte die Geste. O Herr, gib mir die Kraft.
»Komm«, sagte er. »Zeit, dich ins Bett zu bringen.« Sie lachte. Er zögerte, begriff eine Sekunde lang nicht, dann stöhnte er. Sie öffnete die Tür, ließ die Schlüssel für ihn stecken. Er streckte die Hand aus, und sie lief um den Wagen herum und ergriff sie, verschränkte ihre Finger erneut mit seinen.
»Sieh dir den Mond an«, sagte er.
Sie blickte hoch zu ihm, halb verborgen am Horizont.
»Wir waren essen«, sagte er. »Aber wir haben nie getanzt.«
»Niemand hat getanzt. Die Bühne ist in die Luft geflogen, und die Instrumente sind geschmolzen.«
Er zog sie von der Einfahrt auf den Rasen. Der Frost auf dem Gras schimmerte im Mondlicht wie reines Silber. Sie konnte ihn kühl an ihren Füßen spüren.
»Tanz mit mir«, sagte er.
»Du bist mondsüchtig«, sagte sie.
Er legte eine Hand auf ihren Rücken und ergriff die andere in korrekter Tanzhaltung. »Nein, bin ich nicht. Ich lebe, und du lebst, und wir wissen nicht, was in vierundzwanzig Stunden sein wird. Deshalb lass uns tanzen, solange wir können.«
Er begann zu singen, eine melancholische, wortlose Weise.
»Dum-da-dum, da-di-da-dumdum, dum-da-dum, da-di-da-dumdum.« Seine freie Hand streichelte ihren Rücken, und als Nächstes stellte sie fest, dass sie Walzer tanzten, ihr Rocksaum wischte über den Frost, seine Füße knirschten über das gefrorene Gras. Plötzlich erkannte sie die Melodie. »Ashokan Farewell«, aus einer Dokumentation über den Bürgerkrieg.
Sie stimmte ein, ihr Alt summte über seinem Bariton, die Ärmel seiner Smokingjacke fielen über ihre Hände, und sie tanzten unter dem Novembermond zu trauriger, süßer Musik, die sie selbst hervorbrachten.