33 »Bewertung unserer Handelsprivilegien!«, empörte sich der Beamte.
Seit vier Stunden war die Delegation um Nybur wieder an Bord des Kurierschiffs, aber der Ärger war immer noch nicht verraucht. Der gedrungene Beamte, der aufgrund seiner Kopfform und der ungesunden Gesichtsfarbe weithin Zitrone genannt wurde, stand neben seinem Vorgesetzten Nybur an der Reling des kleinen Schiffes und bepöbelte die offene See.
»Das ich nicht lache«, schimpfte Zitrone und lachte wie angekündigt nicht, »Handelsprivilegien! Warum habt Ihr sie so leicht davon kommen lassen, Herr?«.
Nyburs Blick war auf eine Gruppe Schweinswale fixiert, die friedlich durch die ruhige See zog. Zitrone war sich nicht sicher, ob der Ratsherr überhaupt zuhörte. »Sie weiß doch nur zu gut, wie schmerzhaft eine Seeblockade sein kann. Neubewertung unserer Handelsprivilegien! Pah!«. Zitrone verfluchte mit dem letzten Satz die delfinähnlichen Kleinwale in Blickrichtung. Nur, weil sie eben gerade da waren.
Ein kleines Fischerboot passierte das Kurierschiff in entgegen gesetzter Richtung, zwei Männer an Bord ruderten sich die Seele aus dem Leib, während der dritte am Bug mit einer Harpune die Wale ins Visier nahm.
Nybur holte tief Luft und der Schatten über seinem Gemüt wurde noch ein wenig dunkler. An Tagen wie diesem konnte er die Welt nicht mehr ertragen. Politik widerte ihn an, Diplomatie widerte ihn an, das geistlose Geschacher um Rechte, Privilegien und Bündnisse erschien ihm unendlich lächerlich, und trotzdem waren es Tage wie dieser, an denen er glaubte, nie wieder Lachen zu können. Eben nicht einmal aus Frust oder Boshaftigkeit heraus.
Der Fischer stieß seinen Wurfspieß ins Meer und traf einen kleinen Wal, mitten in die Seite. Das Tier machte einen gewaltigen Satz nach oben und schrie. Es quiekte und jammerte, ein langer schriller Ton, gefolgt von mehreren kurzen Klagelauten. Der Säuger zappelte, schnaufte schwer und rote Gischt schoss aus seiner Atemöffnung. Die meisten Artgenossen flüchteten panisch und mit großen Sprüngen, aber zwei hielten inne, gaben Kaskaden von Klick- und Pfeiflauten von sich und hüpften wie Rasende neben dem sterbenden Freund hin und her. Ein zweiter Speer traf den Wal und Nybur sah aus der Ferne eine dunkelrote Fontäne emporsteigen. Dann fiel das Fischerboot mit seinem Fang noch weiter zurück.
»Pah!«, fluchte Zitrone laut und Nybur kam es vor, als ob der Beamte dem sterbenden Wal dort hinten noch einen verbalen Fußtritt verpassen wollte, »Handelsprivilegien!«.
Ein weiteres Schiff passierte den Kurier und einige Besatzungsmitglieder grüßten mit knapper Handbewegung. Zitrone beruhigte sich endlich und musterte seinen Vorgesetzten, der nach wie vor apathisch auf die See hinaus starrte. Der Beamte hob die Hand und machte zögerlich Anstalten Nybur den Arm zu tätscheln, traute sich aber nicht so recht.
»Bester Nybur, Herr«, sagte Zitrone aufmunternd, »eigentlich gibt es doch keinen Grund für Trübsal!«. Seine Fingerspitzen tänzelten kurz auf Nyburs Ärmel, aber der Ratsherr reagierte nicht. »Immerhin«, gluckste Zitrone etwas hilflos, »die Mission ist doch ein Erfolg. Ein, äh, großer Erfolg. Euer Erfolg. Ein großer Tag!«.
Nybur drehte den Kopf und sah den Beamten an. Zitrone glaubte so etwas wie den Hauch eines Lächelns in Nyburs traurigen Zügen entdecken zu können. Aber er irrte sich.
Ein Bolzen pfiff herüber und hämmerte sich in Nyburs Brust. Das Eisengeschoss traf das Herz und zerfetzte es auf der Stelle. Die Augen des Ratsherrn weiteten sich, sein Blutdruck fiel abrupt und es blieb kaum Zeit für einen letzten Gedanken, der ziellos durch Nyburs Geist blitzte und im nächsten Augenblick versickern würde.
»Ich hatte Recht«, flüsterte eine Stimme. Seine Stimme?
»Ich hatte Recht. Ich werde nie wieder Lachen«.
Als Nybur nach hinten fiel und hart auf das Deck schlug, war seine Seele bereits erloschen.
Zitrone war so starr, dass er nicht mehr atmen konnte. Ein gewaltiger Stoß ging durch das Schiff, Holzsplitter flogen, und der Beamte fiel wie eine Statue zu Boden. Überall war Gebrüll und Gejaule, Krachen und Klirren. Zitrone sah in den Himmel hinauf, aber statt einer goldenen Pforte sah er nur verwischende Gestalten und bizarre Figuren, die sich aus kleinsten Teilen Wasser, Holz und Segeltuch zusammen setzten und gleich darauf wieder auflösten.
Sein Atemreflex formulierte eine Kampfansage und seine Panik unterlag nach Punkten. Keuchend sog er Luft in seine Lungen und die Schockstarre löste sich. Zitrone drehte sich auf den Bauch, winkelte die Beine an und kam auf die Knie. Überall liefen Menschen.
»Runter auf den Boden, wenn du nicht kämpfen willst«, brüllte der jugendliche Angreifer. Der Junge mit dem kindlichen Gesicht und dem Bürstenhaarschnitt schwang ein Kurzschwert und Zitrone hatte nicht die geringste Lust, in Scheiben geschnitten zu werden. Wimmernd fiel er wieder zu Boden und vergrub den Kopf unter seinen Händen.
»Corin!«, brüllte Claas von achtern109, wo er mit Thore, Ole und vier anderen Piraten eine eigene Front eröffnet hatte. Corin sah sich um. Kapitän Claas war im Gefecht mit einem Gegner, gab aber nun einen Teil seiner Konzentration zugunsten von Corin auf. »Die Wachen«, grölte Claas und machte eine Kopfbewegung in Richtung Corin.
Corin sah es. Mehr und mehr Wachen strömten aus einem kleinen Kastell im vorderen Bereich des Schiffes. Corin schlug einen Haken und hetzte nach vorne auf die Steuerbordseite des Kurierschiffes. Die Wachen bemerkten ihn, doch nur zwei stellten sich zum Kampf, der Rest verteilte sich auf dem Schlachtfeld an Deck. Die zwei Männer waren nicht untalentiert, aber keine Herausforderung für Corin, insbesondere, wenn er sich so positionierte, dass ein synchroner Angriff unmöglich wurde.
Der junge Giles zog sich weiter an die Holzwand des Kastells zurück und verschaffte sich auf der anderen Seite Deckung durch ein großes Fass. Abwechselnd führten die Wachen ihre Angriffe durch, aber Corin war schnell genug und parierte jede Attacke. Gerade als einer der Soldaten den entscheidenden Fehler machte und zu lange mit seinem Angriff zögerte, hörte Corin ein lautes Fauchen und hätte schwören können, dass sein rechtes Ohr heiß aufglühte.
Ein Bolzen war haarscharf vorbeigeschossen und hatte den zweiten Soldaten tödlich getroffen. Corin setzte nach, blockte den verspäteten Angriff des ersten Gegners und stieß seine Cinquedea durch die dicke Lederweste in dessen Brust.
Erst jetzt begannen Corins Knie weich zu werden. Er drehte sich um und entdeckte Frederick im Krähennest des Roten Raben. Das Narbengesicht starrte immer noch in seine Richtung und Corin war sich sicher, dass der Mann grinste. Der junge Giles stieß einen Fluch aus, den er vor kurzem von Claas gelernt hatte und der auf wahnwitzig unanständige Weise die Begriffe Satan, Früchtebrot, Weihwasser und Schnabeltasse mit den rasierten Fortpflanzungsorganen eines Paarhufers kombinierte. Dann machte er einen Satz über den toten Wachmann und stürzte zur Eingangstür des Kastells.
Der enge, dunkle Korridor führte an mehreren Holztüren vorbei, die Corin hastig und in ständiger Erwartung eines Gegners aufstieß. Doch er fand nichts, was ihn interessierte und niemand, der sich für ihn interessierte, fand ihn.
Entgegen der üblichen Aufteilung hatte der wichtigste Reisende an Bord offensichtlich keine Kabine auf dieser Ebene. Neben Lagerraum und Kombüse fand er vor allem Schlaflager aus Stroh für die Soldaten an Bord.
Corin lief die Treppe herunter in den Bauch des Schiffes und gelangte in einen engen Korridor, der am Ende in einen großen Raum mündete und nur noch vom Rumpf des Schiffes begrenzt wurde.
Corin stieß die erste Tür im Korridor auf und war sich sofort sicher, dass er hier richtig war. Die Kammer war zwar klein, aber mit einem einzelnen Bett und einem Schreibtisch eingerichtet. Eine Öllampe brannte auf so kleiner Stufe, dass die Dunkelheit sich keine nennenswerte Sorge um ihre Existenz zu machen hatte. Ein großes kostbares Tafelbild110 mit einem Christusmotiv stand auf die Seite gedreht auf dem Tisch und lehnte an der Wand. Der junge Giles machte einen Satz in Richtung Schreibmöbel, versenkte die Cinquedea in der Lederscheide an seiner Hüfte und begann eilig die verschiedenen Schriftstücke zu inspizieren. Er fand einen privaten Brief, eine Art Tagebuchseite und mehrere Bücher, aber nichts, was auf einen –
Es quietschte. Corin wirbelte herum und sah einen Schrank von Wachsoldat im Korridor stehen. Nicht die schiere Körpergröße des Gegners brachte Corins Nebenniere dazu, hektisch ein ganzes Fass voll frisch gezapftes Adrenalin umzutreten, sondern die Tatsache, dass der Mann eine kompakte Armbrust in den Händen hielt und nun Corin ins Visier nahm. Corin begriff instinktiv, dass es keine Deckung gab, die er hätte aufsuchen können. Er entschied sich deshalb dafür, die Deckung zu sich zu holen, während seine Nebenniere entschied, sich die Augen zuzuhalten, nachdem sie den letzten Tropfen Adrenalin mit einem unsanften Fußtritt in Corins Blutbahn befördert hatte.
Giles Junior griff nach der Holzplatte des Tafelbildes und wirbelte herum, das Brett vor Kopf und Oberkörper haltend. Der Einschlag kam unmittelbar und mit einem gellenden Krachen. Der kleine Bolzen durchdrang das kostbare Bild an genau der Stelle, die selbst Jesus Christus niemals zu entblößen pflegte, und blieb glücklicherweise eine Handbreite weiter stecken. Dennoch fand die Spitze des Bolzens ihren Weg in Corins Brust, etwa eine Fingerbreite tief bohrte sich das Projektil genau zwischen zwei seiner Rippen. Die Wunde war nicht wirklich bedrohlich, der Bolzen war immer noch fest im Tafelbild verankert und ließ sich sofort entfernen. Corin warf Jesus Christus auf den Boden, murmelte etwas, das der Junge künftig als Dankschuldigung zu bezeichnen gedachte, zog seine Cinquedea und griff an.
Der Schrank mochte ein guter Schütze gewesen sein, er war definitiv ein lausiger Nahkämpfer, zumindest mit der Blankwaffe. Schrank hatte ebenfalls ein Kurzschwert gezogen und schien Corin zunächst für leichte Beute zu halten. Drei Augenblicke später hatte er nicht nur reichlich seine Meinung geändert, sondern war auch reichlich tot. Der Soldat ging zu Boden.
Corin ächzte schwer. Warmes Blut lief aus der Wunde und rann auf seiner Brust über seinen Bauch hinunter. Plötzlich begann die Verletzung zu schmerzen.
Corin riss sich zusammen und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Er durchwühlte nochmals die Papiere auf dem Schreibtisch, ohne neues Ergebnis. Wo mochte der Kurier die entscheidende Nachricht aufbewahrt haben? Und wo war der Kurier überhaupt?
Corin hielt inne.
Dann fluchte er in bereits gewohnter Manier, wobei er dieses Mal begrifflich die rasierten Fortpflanzungsorgane des Paarhufers gegen den unteren Verdauungstrakt eines beschwipsten Uhus ersetzte.
Kurier! Wenn irgendjemand an Bord wie ein Schreiber oder Bote aussah, dann war es der Zitronenmann, dem er anfangs an Deck begegnet war. Corin stürmte auf den Korridor und zurück nach draußen.
Der Kampf war bereits vorbei. Gerade sprangen noch zwei Soldaten desertierend von Bord. Auf Corins ersten flüchtigen Blick hin schienen die Piraten fast ebenso viele Männer verloren zu haben, wie die Kaufmannsgesandtschaft. Die Ligavertreter hatten nur das Pech gehabt, deutlich in der Unterzahl zu sein. Corin entdeckte ein paar bekannte Gesichter unter den Gefallenen, aber glücklicherweise niemanden seiner engsten Freunde.
Dort wo Corin ihn zurückgelassen hatte, lag schließlich der gedrungene Mann mit dem gelblichen Gesicht und spielte Toter Mann. Der Junge beugte sich vor, griff Zitrone am Kragen und wollte ihn hochziehen, hatte aber erstens die eigene Wunde vergessen und zweitens das Gewicht des Beamten unterschätzt.
Zitrone heulte in Todesangst, kam ein Stück hoch und zog dann Corin durch sein schieres Gewicht wieder nach unten. Corin plumpste erst auf den Mann, dann auf das Deck und fluchte dieses Mal ganz harmlos der Muttergottes eine saftige Pestbeule an den Hals.
»Wo sind die Briefe von der Königin«, keuchte Corin und packte den liegenden Beamten nochmals am Kragen.
Dies hier war das vierte Schiff, das die Piraten innerhalb von drei Tagen gekapert hatten. Das vierte Schiff, welches einerseits keine schwere Ladung an Bord hatte und aus Kalmar heraus Richtung Lubeca segelte. Jetzt mussten sie endlich einen Treffer landen und die Exkursion Kurierquetsche erfolgreich zum Abschluss bringen.
Claas kam eilig angestampft und beteiligte sich umgehend an dem Verhör, in dem er Zitrone die Klingenspitze seiner Waffe an den Hals drückte. »Ich will nicht sterben«, wimmerte Zitrone völlig überflüssigerweise, denn wer will das schon. »Ich zähle bis drei«, brummte Claas. Corin schob die Klinge des Kapitäns zur Seite und Claas ließ das geschehen. Mehr und mehr Piraten versammelten sich um dem Verhör beizuwohnen.
»Gib mir die Nachrichten«, befahl Corin dem Beamten, »und ich verspreche dir, dass dir nichts passiert«. Der Mann schluckte und begriff seine Chance. Langsam drehte er den Kopf, sah an Corin vorbei zu Nybur, dessen Leiche immer noch neben der Reling lag, und richtete seinen Zeigefinger auf den toten Ratsherren. Corin lockerte seinen Griff, sah zwar den Gesandten, aber auch noch andere Gefallene. »Hol mir die Briefe«, wies Corin Zitrone an und bemühte sich neben Strenge auch ein bisschen Freundlichkeit in seine Stimme zu legen.
Zitrone robbte los, wimmernd, erst flach auf dem Boden, dann auf allen vieren. Er passierte einen gefallenen Piraten und erreichte dann den entseelten Körper Nyburs, der flach auf dem Rücken lag und mit starren Augen in den Himmel zu blicken schien. Zitrone konnte seinen eigenen Blick nicht von den bewegungslosen, geweiteten Pupillen seines Vorgesetzten lassen und wünschte sich jetzt nichts sehnlicher, als gemütlich in seiner Schreibstube zu sitzen und bei einer Tasse lauwarmer Eselsmilch den Jahresbericht des heimischen Tierkörperverwerters Korrektur zu lesen.
Aber nichts da. Die toten Augen seines Ratsherrn glotzen immer noch und Zitrone tastete winselnd unter dem Mantel nach dem Schreiben der Königin. Nybur hatte es bei sich gehabt. Es musste doch irgendwo sein. In dem verdammten Mantel. Die Finger des Beamten spürten ein Pergament und erleichtert zog er das Schriftstück unter dem Mantel hervor. Nun ja, er wollte den Brief hervorziehen, aber es ging nicht, und schnell erkannte Zitrone, warum. Das Geschoss, das tief in Nyburs Brust steckte, hatte auch das Pergament aufgespießt. Zitrone jaulte auf, sprach ein Stoßgebet und tat, was getan werden musste. Mit der Hand packte er den herausstehenden Schaft des Bolzens und zog. Vergeblich. Das Eisen rührte sich praktisch gar nicht. Zitrone keuchte, heulte wieder auf, setzte seine Knie auf Nyburs Brustkorb und packte mit beiden Händen das Ende des Geschosses. Er zog und drehte und rührte, und zu seinem Entsetzen folgte der gesamte Oberkörper des toten Hanseaten jedem seiner Bewegungen.
Endlich kam der Bolzen schmatzend frei und Zitrone warf das blutige Eisen angewidert fort. Schnell griff er unter den Mantel und zog das Pergament hervor, das am Rand durchlöchert, aber aufgrund moderaten Blutverlustes noch gut zu lesen war.
Eilig kam Zitrone auf die Beine und hastete zu Corin, der auch aufgestanden war und die Blutung seiner kleinen Brustwunde mit der flachen Hand zu stoppen suchte. Der Beamte gab Corin den Brief mit zitternden Händen und fiel wieder in eine neue Jammerphase, die in einem spitzen Schrei gipfelte.
In einer Panikattacke lief er davon, hektisch, ziellos und in jeder Beziehung gesundheitsschädigend. Denn fünf Schritte weiter packte ein Pirat die Gelegenheit beim Schopfe und trieb sein Schwert mit Wucht in die Brust des fliehenden Beamten. Zitrone gurgelte auf und fiel zu Boden. Er seufzte tief und sein Gesicht drehte sich gen Himmel.
Da! Waren dort nicht ganze Herden trächtiger Eselstuten und gigantische Stapel in Gold gefasster Jahresberichte zu sehen?
Ja.
Zitrone lächelte.
Zitrone starb.
»Nein«, brüllte Corin, knüllte das Pergament in seiner Linken, zog seine Cinquedea mit der Rechten und war mit drei Sätzen bei Zitrones Mörder.
»Corin!«, wies Claas den Jungen brüllend zurecht, aber der Pirat hatte schon den ersten Angriff pariert. Bevor der Mann aber auch nur an eine weitere Attacke denken konnte, hatte Corin die eigene Waffe im Handgelenk herum geschwungen und die Schwerthand des Seeräubers getroffen. Der ließ sofort die eigene Waffe fallen und bevor er den Schnitt auf seinem Handrücken betrachten oder auch nur der erste Bluttropfen aus der Wunde quellen konnte, hatte er auch schon Corins Cinquedea am Hals.
»Corin!«, grölte Claas noch einmal, »das reicht jetzt! Und nutzen tut es auch nichts mehr«.
Corin funkelte den Piraten böse an, aber das schien den Mann, der gut einen Kopf größer war als Corin, wenig zu beeindrucken. Im Gegenteil. Er grinste.
»Corin, gib mir den Brief«, wollte Claas nun beschwichtigen. Corin holte tief Luft und gehorchte. Er ließ von seinem feixenden Gegner ab und Claas gab dem Mann ein Zeichen sich gefälligst in Luft aufzulösen.
»Kannst du lesen?«, fragte Corin seinen Kapitän und Claas brummte irgendetwas Gutturales, das in allen Sprachen der Erde gemeinhin mit Nein übersetzt werden konnte. Corin entknüllte das Pergament und versuchte um die Löcher und Blutflecken herum etwas zu entziffern.
»Es ist von Königin Margarete«, bestätigte er triumphierend und wies mit dem Finger auf das Siegel Margaretes. Dann begann er zu lesen. »Ehrenwerte Herren… sechs bis zwölf Schiffe… die aus Kalmar kommend… vor Gotland auf die Flotte treffen… wie von Euch erbeten am Morgen des vierten Tages nach Christopherus111… im Jahre unseres Herren 1396«.
Das war es.
Der junge Giles sah auf und strahlte. »Wir haben es!« rief er, reckte das Pergament in die Höhe und die gesamte Meute fing an zu jubeln.
Erst ein paar Augenblicke später fing Corin an zu begreifen, dass man dem Gegner zwar nun alle entscheidenden Details abgerungen hatte.
Das änderte aber nichts daran, dass sich eine mächtige Koalition anschickte, Gotland noch in diesem Sommer anzugreifen. Und Corin und seine Seeräuberkumpanen allesamt zum Trocknen an die frische Luft zu hängen.