12. Kapitel
Auf dem Rückweg bemerkte ich: »Zurück zum Vorschlag deines klugen Mannes: Wie kann man den Bauern Jaax provozieren?«
»Vielleicht durch die grundsätzliche Einstellung, dem Ehepaar nichts mehr zu glauben, alles infrage zu stellen«, antwortete sie.
»Und was ist das - alles?«
»Das ganz Normale, die angeblich gute finanzielle Absicherung, die Reise der Hausfrau nach Neuseeland aus lauter Reiselust, alles eben.«
»Was kann daran provozierend sein? Eine Reise nach Neuseeland ist eine Reise nach Neuseeland. Wenn ich das bezweifele, gewinne ich nichts.«
»Nicht so ganz«, antwortete Emma. »Sie hat sich Neuseeland einmal touristisch ansehen wollen, die gute Hausfrau. Das ist die offizielle Version. Aber vielleicht stimmt das nicht, vielleicht war sie dort, um einen Liebhaber zu treffen. Und vielleicht stammt dieser heimliche Liebhaber aus Hillesheim und reiste mit ihr zusammen. Heimlich. Nichts stimmt mehr.«
»Na gut, aber was an solchen Fragen kann provokant sein? Kein Mensch hält sie auf, so wichtig sind sie auch nicht.«
»Ich glaube, mein Ehemann meinte etwas anderes. Er meinte wahrscheinlich, dass alles Fassade sei. Es ist doch verwunderlich, dass alle Landwirte in der Eifel ständig am Limit leben, ständig in Sichtweite zur Pleite, weil alle ihre Höfe zu klein sind, um zu leben, aber auch zu groß, um zu sterben. Aber ausgerechnet der Betrieb vom Ehepaar Jaax nicht. Denen geht es gut, die haben angeblich viel Geld, die haben angeblich Wald geerbt. Was ist, wenn das alles nicht stimmt?«
»Dann stimmt es eben nicht«, erwiderte ich muffig. »Was soll sein, wenn das alles gemogelt ist? Vielleicht fördern sie ja auch heimlich Erdöl, oder sie sind im Kartoffelacker auf Platin gestoßen.«
»Du bist ein Dickkopf, Baumeister. Manchmal tust du so, als könntest du kein Wässerchen trüben und hättest absolut kein Gehirn. Rodenstock meint, dass deren Wohlhabenheit aus völlig anderen Quellen stammen könnte, als die Öffentlichkeit glaubt. Dass bei dem Ehepaar Jaax alles anders ist, als sie erzählen. Dass, mit einfachen Worten ausgedrückt, der Norbert Bleckmann den Hof der Jaax von oben beobachtete, weil da etwas ablief, weil da etwas vor sich ging. Weil da auf dem Hof genau das zu besichtigen war, weshalb es ihnen wirtschaftlich so gut geht.«
»Dann brauchen wir unbedingt deinen Jammerjungen, und zwar schnell.«
»Das sagte ich bereits«, entgegnete sie spitz.
»Aber genauso schnell brauchen wir Elvis, den Stier und seinen jungen Star Anna Waclawick, die es an der Stange treibt.«
»So ist es. Nina übrigens verlässt uns heute oder morgen. Sie will sich um die Wohnung in Mainz kümmern, sie will sie auflösen. Sie will ihr Kind in der Eifel zur Welt bringen. Weil ihr toter Mann die Eifel so liebte. Ich finde das gut und richtig.«
»Da ist was dran. Und wo will sie wohnen?«
»Da, wo er geboren ist, in Manderscheid. Sie sucht ein kleines Haus zur Miete.«
»Ich will sie noch etwas fragen. Können wir das gleich erledigen?«
»Du vermutest, sie kann mit Florians Aussage etwas Klarheit in die Sache bringen?«
»Genau das«, nickte ich. »Könnte sein.«
Also fuhren wir bei mir vorbei, ich setzte mich in meinen Wagen und fuhr hinter Emma her nach Heyroth.
Nina telefonierte, lag satt und zufrieden wie eine Katze auf Emmas Sofa, trug dicke Wollsocken und fühlte sich offensichtlich wohl. Sie telefonierte zu Ende und fragte: »Seid ihr weitergekommen?«
»Ja«, sagte Emma. »Und wir haben eine Frage an dich. Hat Christian jemals erwähnt, dass die Firma des alten Seeth übernommen werden sollte? Mit einem Trick durch eine Holding namens POWER POINT aus Luxemburg oder Irland?«
Sie überlegte eine Weile und schüttelte den Kopf. »Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Davon war nie die Rede.«
»Da fällt mir etwas ein«, murmelte ich. »Wenn Christian bei Glatt aufgetaucht ist, um nach der Holding zu fragen, dann müsste er logischerweise vorher oder nachher bei dem alten Seeth gewesen ein, oder?«
»Du bist doch nicht auf den Kopf gefallen«, sagte Emma strahlend. »Willst du einen Kaffee?«
»Nein, ich fahre heim und gehe ins Bett. Oder nein, ich unternehme noch etwas. Ich gehe Bauernhof gucken.«
»Du bist verrückt«, murmelte Emma.
»Das stimmt«, nickte ich. »Das habe ich vor Jahrhunderten von dir und deinem Mann gelernt. Ich verabschiede mich und wünsche euch eine gute Nacht.«
Ich setzte mich in meinen Wagen und gondelte in aller Gemütsruhe hinüber nach Hillesheim. Der Betrieb auf den kleinen Nebenstraßen war nahe Null, mir begegnete kaum ein Auto. In Hillesheim fuhr ich durch die kleine Siedlung hinauf auf die Wiese, schaltete früh meine Lichter aus, sodass ich auf dem Hof niemanden warnen konnte.
Es war 23.27 Uhr, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was mir begegnen würde. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir ein wenig dämlich vorkam, als ich da auf der Wiese stand. Was sollte schon passieren? Wie kann denn ein vernünftiger Mensch von heute auf die ausgefallene Idee kommen, nachts einen Bauernhof in der Eifel zu beobachten? Einfach so. In der etwas schrägen Hoffnung, dass zwanzig Meter unterhalb irgendetwas Aufregendes geschieht?
Das Einzige, was für das Unternehmen sprach, war die Tatsache, dass es nicht regnete, der Himmel klar war und die Sichtverhältnisse gut.
Ich nahm aus dem Handschuhfach mein kleines Fernglas und hängte es mir um den Hals.
Dann dachte ich in großer Erheiterung, dass es wahrscheinlich sehr professionell wirken würde, wenn ich mir das Gesicht schwärzte. Vielleicht dazu ein Haimesser mit einer dreißig Zentimeter langen, gezackten Klinge in einer Lederscheide am rechten Unterschenkel. Mein Beitrag zu schlechten amerikanischen B-Filmen vom Typ A-Team. Man kann daraus durchaus darauf schließen, dass ich das Kommandounternehmen nicht gerade zu meinem Hobby machen wollte.
Ich stieg aus und ging nach vorn an die Kante. Im großen Stall hörte ich die Rinder sich bewegen, schnauben, die üblichen matten, trägen Geräusche. Nur ein blaues, kleines Dämmerlicht auf der linken Seite, wahrscheinlich eine Funzel, die die ganze Nacht über brannte, um dem Licht zu geben, der nachts zu den Tieren musste. Ansonsten blauschwarze Finsternis.
Das Wohnhaus links von mir mit zwei hell erleuchteten Fenstern in der Küche, im ersten Stock ein matter Lichtschimmer hinter blickdichten Vorhängen. Wahrscheinlich das Schlafzimmer des Ehepaares. Also: einer schon im Bett, der andere noch in der Küche.
Ich sah an der steilen Wand hinunter, die von mir aus nahezu senkrecht in die Tiefe fiel. Die Rotsandsteinblöcke waren wie eine unregelmäßige Treppe angeordnet. Es war durchaus machbar hinunterzusteigen und auch wieder hochzukommen. Die unregelmäßigen Steinblöcke maßen etwa achtzig Zentimeter in der Höhe.
Dann ging jemand hinter den hellen Fenstern der Küche auf und ab. Er telefonierte. Es war der Bauer. Er sprach lebhaft, hatte das Telefon am Ohr, diskutierte aufgeregt mit der rechten Hand, beugte sich vor, ging einen Schritt, sprach wieder, die rechte Hand schoss nach vorn, wahrscheinlich um eine Behauptung zu unterstreichen.
Warum soll ein Bauer kurz vor Mitternacht nicht telefonieren?
Hatten sie einen Hund?
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob irgendetwas auf einen Hund hindeutete. Irgendetwas auf dem Hof? Irgendetwas im Haus? Ich konnte mich nicht erinnern. Allerdings konnten sie einen Hund nur dann gebrauchen, wenn nachts nichts geschah. Ein wütender Kläffer würde ganz Hillesheim wecken.
Dann dachte ich, dass vielleicht eine Taschenlampe gut sei. Ich ging zum Auto, fummelte sie aus dem Müll im Handschuhfach und ging zurück an die Kante.
Aus irgendeinem Grund musste ich an Endzeitstimmung denken. Ich hatte im Magazin der ZEIT einen guten und nicht einmal ironischen Beitrag gelesen, der sich mit Leuten beschäftigte, die dem Glauben anhingen, erstens seien unsere Lebensversicherungen demnächst nichts mehr wert, zweitens tauge unsere Währung nichts mehr, drittens steuerten uns internationale Banker mit irrer Geschwindigkeit in die allerletzte große Krise, und viertens sei es deshalb dringend geboten, Lebensmittelkonserven in größeren Mengen zu kaufen und im Keller zu stapeln, sowie auch die letzten handtuchgroßen Grünflächen vorzubereiten, um für den Notfall Kartoffeln und Tomaten anzubauen. Ich weiß nicht genau, wieso ich diesem Gedanken ausgerechnet in dieser Nacht folgte, aber plötzlich erschien er mir sehr logisch und bedenkenswert.
Dann machte ich mich an den Abstieg.
Im Wohnhaus waren immer noch die Lichter an, und der Bauer Sebastian Jaax telefonierte immer noch, tigerte noch immer in seiner Küche hin und her und sprach mit seinen nächtlichen Schatten.
Ich brauchte die Taschenlampe nicht einmal, der Abstieg war leicht, nahezu bequem.
Unten angelangt umrundete ich erst einmal in aller Gemütsruhe den großen Stall mit den Tieren. Zum Haus hin lag die Melkkammer, ein sehr großer Raum, sicher hundert Quadratmeter groß. Die Fläche zwischen beiden großen Wirtschaftsgebäuden war fast fünfzig Meter breit. Das zweite große Gebäude war ebenso groß wie der Stall, musste es auch sein, denn der Hof zählte mehr als einhundert Rinder, musste also einen gewaltigen Vorrat an Heu, Stroh und Futterzusätzen verfügbar halten. Dazu all die Geräte, die gebraucht wurden. Und Zugmaschinen aller Größen. Hinter dem zweiten Wirtschaftsgebäude war nur ein schmaler, fußwegbreiter Streifen, dahinter eine steil ansteigende Böschung mit einem Besatz aus Erlen, kleinen Birken und Haselnuss.
Der Hof lag in einem kleinen, nahezu perfekten Kessel.
Ich ging vorsichtig an das Wohnhaus heran. Der Bauer Jaax telefonierte noch immer, tigerte hin und her.
Ich wollte wissen, was hinter dem Wohnhaus war, also ging ich an der Haustür vorbei und kam in einen Garten, der sehr gepflegt war und anscheinend gut vorbereitet auf den Frühling. Aber da Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist, querte ich den Garten, und er endete an einem kleinen Gehölzstreifen, der nur etwa dreißig Meter tief war. Dann folgte eine Wiese, die an die Bundesstraße 421 nach Jünkerath und Stadtkyll grenzen musste. Ein idealer Fluchtweg, falls ich flüchten musste, und falls ich die Steinblockmauer nicht mehr erreichen konnte, um an mein Auto zu kommen.
Dann war da plötzlich das Tier, das sehr hoch winselte und mir dauernd an die Beine stieß. Es war ein großes Tier, reichte mir bis zu den Knien und war in einer dauernden hektischen Bewegung. Es mochte durchaus ein sibirischer Tiger sein, aber ich musste wenigstens wissen, um was es sich handelte. Also bückte ich mich und griff beherzt zu. Es hatte ein glattes, kurzes Fell, es hatte einen sehr prallen Bauch, und es war überaus friedlich und schien sich über meine Anwesenheit zu freuen. Es fuhr mir mit einer nassen Zunge durch das Gesicht, es hatte einen massiven, üblen Mundgeruch. Es war, einfach formuliert, ein uralter, verfetteter Köter, der gestreichelt werden wollte.
Also streichelte ich ihn und erholte mich etwas von meinem sehr hochgeschnellten Blutdruck.
Dann schrie jemand laut: »Müller!«
Das Tier reagierte kaum, fühlte sich aber angesprochen. Es verharrte einige Sekunden und horchte in die Nacht. »Müller! Verdammt noch mal!«
»Herrchen ruft!«, flüsterte ich.
Müller machte sich widerstrebend auf die Socken und verschwand durch den Garten. Aus Hundesicht betrachtet, waren die Jaaxens erstaunlich langweilig.
Die Haustür klackte zu.
Ich ging vorsichtig durch den Garten zum Hof zurück und hielt mich links. Ich kam an dem offenen Schuppen vorbei, der sehr groß war und alles Mögliche beherbergte. Das ging von drei schweren, auf Ballonreifen ruhenden Anhängern, bis zu einem gut zweieinhalb Meter hohen Güllewagen. Von einem motorisierten Rasenmäher mit Treckersitz, über einen Heuwender, einen neuen Ford Ka, bis zu einem Range Rover mit der Ausstattung für bessere Herrschaften.
An diesem Punkt wurde ich misstrauisch. Ich habe nichts gegen Eifelbauern, die dieses Auto fahren, es sei ihnen gegönnt. Aber es passte nicht zur Kleinfamilie Jaax, es passte überhaupt nicht, und es hatte den Wert eines kleinen Einfamilienhauses. Wurde das etwa auch mit ererbtem Waldbesitz erklärt?
Ich kann nicht sagen, dass ich bis dahin nervös war, denn bis dahin verlief meine Exkursion geradezu gespenstisch harmlos. Jetzt war mir plötzlich mulmig zumute.
Wieso ein solches Auto?
Das Licht in der Küche wurde nicht gelöscht, stattdessen telefonierte der Hausherr wieder, lief diesmal nicht hin und her, sondern saß gemütlich am Küchentisch, vor sich eine Hasche Bier.
Es war dreißig Minuten nach Mitternacht.
Jetzt das zweite Wirtschaftgebäude, in dem ich Riesenmengen an Futter vermutete, weitere Maschinen, weiteres Gerät, Heu und Stroh und die Futterzusätze, sowie all das an Gerätschaft, was zurzeit auf den Weiden und im Haus nicht gebraucht wurde. Beide Stirnseiten waren mit einem großen, auf Schienen rollenden Tor verschlossen. Diese riesigen Tore waren mattschwarz lackiert. Sie waren nicht aus Holz, sie waren makellos, sie waren aus Metall, Aluminium wahrscheinlich. Der Bauer Jaax war ein wohlhabender Mann. In jedem Tor eine normale, eingefügte Tür. Beide Türen waren mit einem Sicherheitsschloss oberhalb der Klinke versehen und ließen sich nicht öffnen.
Das war seltsam für einen Bauernhof.
Aber vielleicht enthielt das Gebäude irgendetwas, was zu stehlen sich lohnte. Damit wären die Sicherheitsschlösser erklärt.
Ich ging langsam hinter dem Gebäude an dem kleinen Steilhang entlang. Ich wollte den kleinen Hohlweg sondieren, der auf die Anlage führte. Er war vielleicht zweihundert Meter lang, geschottert und gute zwanzig Meter breit.
Da, wo er auf eine kleine, asphaltierte Straße traf, endete rechter Hand der Asphalt und ging in einen Wirtschaftsweg über. Nur landwirtschaftliche Maschinen hieß es auf einem kleinen, weißen Schild in schwarzer Schrift.
Dann erschienen in etwa dreihundert Metern Entfernung die Lichter eines Pkw und näherten sich schnell.
Ich rannte durch den Hohlweg so schnell ich konnte und schob mich in den Schatten des zweiten Wirtschaftsgebäudes.
Unmittelbar neben mir begann es leise und dumpf zu dröhnen, und das Riesentor schob sich komplett zur Seite, gleichzeitig ging innen das Licht an. Es war ein ungemein grelles Licht, das sicher ausgereicht hätte, einen Sportplatz zu beleuchten. In diesem Moment öffnete sich auch das Tor der Gegenseite.
Ich riskierte einen schnellen Blick um die Ecke in die Halle. Sie war riesig, sie war zementiert und vollkommen glatt. Rechts und links je drei Galerien vom Boden bis zur Decke, aufgefüllt mir irgendwelchen großen, weißen Kartons auf Paletten.
Es gab auf der großen Fläche einen massiven, grellgelb lackierten Gabelstapler mit zwei senkrecht hochsteigenden Schienen zum Be- und Entladen für große Höhen.
Dann sah ich am anderen Ende der Halle Sebastian Jaax in das Licht treten.
Ich drückte mich in den Schatten, weil der Pkw kam, gar nicht erst im Hohlweg anbremste, sondern gleich stracks an mir vorbei in die Halle rauschte. Es war ein dunkelgrüner Peugeot 608. Er hatte ein Kölner Kennzeichen, aber Einzelheiten wie Buchstaben und Nummern konnte ich nicht erkennen, der Wagen huschte zu schnell vorbei.
Das Tor hinter ihm glitt nahezu geräuschlos zu und rastete mit einem Seufzer ein.
Was war das?
Ich wurde ein wenig mutiger, weil Müller absolut keine Bedrohung war. Ich ging auf die andere, wohnhausnahe Seite der Halle. Auch dieses Tor war zu. Einmal glaubte ich, einen Motor zu hören, war mir aber nicht sicher. Menschliche Stimmen hörte ich nicht, die Nacht war totenstill.
Nach ungefähr einer halben Stunde, glitten beide Tore auf, der Peugeot fuhr auf meiner Seite aus der Halle, drehte auf dem Hof einen großen Kreis und fuhr sehr schnell davon.
Ich konnte die Nummer nicht erkennen.
Sebastian Jaax ging auf das Wohnhaus zu, ich erkannte in seiner rechten Hand so etwas wie eine lange Fernbedienung. Die Tore glitten zu, das Licht erlosch, alles lag in tiefem Frieden, so, als sei nie etwas geschehen.
Es war 1.45 Uhr.
Ich konnte lautlos verschwinden, konnte die beunruhigende Szenerie hinter mir lassen, wollte aber auch sichergehen, dass ich nichts übersehen hatte. Also nahm ich erneut den schmalen Fußweg an der Halle entlang und ging in den Hohlweg hinein. Ich wollte exakt wissen, wie lang der Weg bis zur B 421 war.
Ich hatte den Hohlweg noch nicht passiert, als rechts neben mir zwischen den Büschen etwas knackte. Es war ein lautes Geräusch, es klang auf keinen Fall wie Müller.
Ich drehte mich also schnell nach rechts, ich wollte etwas sagen, kam aber nicht soweit. Wer immer das war, er war blitzschnell sehr eng an mir dran, schlug mir etwas scharf auf den Schädel, rannte an mir vorbei und lief die schmale Straße entlang, die ich hatte gehen wollen.
Es dröhnte in meinen Ohren, ich hatte das würgende Gefühl, ich müsse mich übergeben, ich ging in die Knie, fühlte meine Beine nicht mehr, fand mich in einer kriechenden Haltung wieder, schmeckte irgendetwas wie Erde zwischen meinen Zähnen, stützte mich mit flachen Händen ab, und merkte wie scharfe Steinchen in meine Handflächen schnitten.
Ich fand mich durchaus bestätigt: Welcher vernünftige Mensch beobachtet einen Bauernhof mitten in der Eifel mitten in der Nacht?
Ich musste mich dann tatsächlich übergeben, und das ekelhafte Würgen tat sehr weh.
Ich dachte in einem Zustand übermütiger, kindischer Erheiterung an einen niemals erschienenen Titel der BILD, der gelautet hatte: Frau zog Mann Scheitel mit Beil, und ich konnte nicht umhin leicht zu grinsen, stellte mir vor, was Rodenstock zu dieser unmöglichen Exkursion sagen würde, fühlte auf meinem Schädel zwischen den Resthaaren Feuchtes und sinnierte darüber, weshalb ich denn nicht nach Schließung der Halle sofort zu meinem Auto gegangen war.
Den Weg über die Rotsandsteinbrocken hinauf auf die Wiese konnte ich nicht nehmen - zu unsicher wegen massiver körperlicher Schwierigkeiten. Es blieb nur der Weg über den schmalen Feldweg und dann nach rechts die Wiese hoch zu meinem Auto. Bis ich das geschafft hatte, vergingen ein paar Ewigkeiten. Der Kopfschmerz war ekelhaft scharf, und manchmal schienen meine Augen nicht mehr zu funktionieren, manchmal sah ich Strukturen doppelt.
Es war 2.30 Uhr, als ich in meinem Auto hockte. Ich schaltete die Scheinwerfer erst ein, als ich die kleine Siedlung erreichte. Ordnung muss sein.
Ich scheute mich, Emma zu wecken, begriff aber, dass die Wunde auf meinem Schädel genäht werden musste, außerdem bin ich eitel.
Ich klingelte sie also aus dem Bett und sagte etwas nuschelnd: »Ich suche Asyl.«
»Wie siehst du denn aus?! Das ist ja Blut!« Sie hatte ganz große Augen und zog mich ins Haus.
»Zeig mal her, hab dich nicht so, was hast du denn wieder angestellt, setz dich mal auf den Stuhl da, du hast doch nicht etwa Schmerzen, ach, du lieber Gott, dein Kopf ist ja ganz auf, und überall dieses Blut, das ist ja ekelhaft, warte mal, das klafft ja richtig …«So lief, alles in allem, das ungemein anregende Gespräch in den nächsten paar Minuten.
Dann das Resultat: »Da rufen wir aber den Notarzt, da will ich ganz sicher gehen, da können wir das Risiko nicht eingehen, das gefällt mir gar nicht, ach, du mein armer Baumeister!«
Dann rief sie den Notarzt und sagte erregt: »Wir haben hier einen offenen Schädel. - Wie? Was meinen Sie? - Nein, keinen offenen Schädel, also eher einen, wo die Schwarte durch ist. Das reicht aber.«
Sie drückte die rote Taste, mir war immer noch flau im Magen.
»Sie kommen gleich. Erzähl mal, was ist passiert?« Also erzählte ich etwas müde von Müller bis Peugeot, und es erschien der gleiche Notarzt, der schon Nina geholfen hatte. Er sagte trocken: »Ich abonniere dieses Haus. Was ist es denn diesmal? Nein, sagen Sie nichts, ich rate mal. Sie sind beim Fensterin erwischt worden, und der in Wahnsinn geratene Ehemann kippte die Leiter um.«
»Nicht ganz«, antwortete ich. »Es war ein Einbrecher, ich habe ihn gestört.«
»In diesem winzigen Anwesen hier?«
»Nein, nein, drüben in Hillesheim.«
Er sah mich misstrauisch an.
»Sie dürfen mir keine Gesetzesverstöße mitteilen«, murmelte er, »sonst muss ich Meldung machen. Strecken Sie mal den Kopf nach vorn. So, so ist es gut. Mein lieber Schlemihl, der hat aber gründlich zugelangt. Ich würde sagen, wir weisen Sie ein. Aber wir nähen Sie vorher und stillen die Blutung. Ruhig, bitte, Gleich gibt es einen kleinen Pieks, wenn die Spritze kommt. Haben Sie doppelt gesehen?«
»Ja, einige Sekunden lang, unmittelbar danach. Seitdem nicht mehr.«
»Und was war es wirklich?«
»Ein Unbekannter mit Knüppel«, antwortete ich so korrekt, wie es mir möglich war. »Und hätten Sie etwas gegen Kopfschmerz?«
»Überfall etwa?«
»Na ja, er war wohl sturzbetrunken«, sagte ich milde.
»Auch das noch. Geben Sie mir mal die Schere da, bitte. Die Haare sind so unpraktisch.«
Emma reichte ihm die Schere, und er schnippelte.
»Und wer, bitte, hat Ihnen das Veilchen verpasst?«
»Das war in einem vorherigen Leben ein vorheriger Gegner.«
Er arbeitete hochkonzentriert und schnell, trank zwischendurch von dem Kaffee, den Emma ihm hingestellt hatte, und erzählte Döneken aus seiner Zeit als Notarzt.
»Ich nehme Sie mit. Sie brauchen Untersuchung, sie brauchen Abklärung, Sie brauchen Ruhe. Und kein Widerspruch, bitte, sonst kriege ich erhebliche Schwierigkeiten mit meiner Haftpflichtversicherung.« Das klang gar nicht mehr lustig. »Einverstanden«, nickte ich.
Er bestand darauf, dass ich mich in seinem Kombi auf die Trage legte, dann zeigte er mir, wie schnell ein Notarzt in der Eifel sein kann.
»Was war es denn nun? Ein Einbrecher? Ein Kneipengegner? Ein wilder Ehemann?«
»Eine Mischung daraus«, sagte ich.
»Also, im weitesten Sinne ein missglückter Streich unter Freunden auf Ihren Kopf?«
»So würde ich sagen«, lautete meine Antwort. »Na, also.«
Im Krankenhaus Maria Hilf zu Daun erfuhr ich liebende Fürsorge. Sie schoben mich in eine Röhre, sie befanden, dass meine Schädeldecke standgehalten hatte, sie injizierten mir einige Flüssigkeiten, nach deren Sinn und Zweck ich gar nicht erst fragte. Dann wurde ich auf eine Behelfsliege gepackt, die mit einer Art Pferdedecke belegt war, will sagen dunkelbraun mit dem Versuch einiger eingewebter Sonnenblumen in noch dunklerem Braun. Was karitative Katholiken allemal als freundlich bezeichnen würden. Aber geeignet für arg strapazierte Straßenkleidung.
Eine winzige, ganz junge Krankenschwester, nicht wesentlich größer als ein Gartenzwerg, die vor lauter Überlastung nicht wusste, wo sie war und was sie hier wollte, drehte mir das Licht aus und erklärte: »Sie werden jetzt eine Weile schlafen, mein Lieber.«