5

Für Mike Kringel kamen schwere Zeiten. Er hatte sich als Zuschauer so recht behaglich gefühlt. Und auf einmal saß er selber in der Patsche. Das wußte er natürlich noch nicht, als er mit Lauras rotem Sportwagen nach Engenstedt fuhr.

Sein Auto war plötzlich nicht angesprungen. Da war es am besten, sich persönlich zur Reparaturwerkstatt zu bemühen und ein bißchen Dampf dahinter zu machen. Außerdem wollte er mal wieder einen kleinen Abstecher nach Gran Canaria machen und zu diesem Zweck das Reisebüro aufsuchen. Wenn die Leute inzwischen zu seinem Kollegen abwanderten mit ihrem Tierpatienten – die kamen schon wieder zurück. Spätestens, wenn der seinen Urlaub machte.

»Na, Doktorchen, mal wieder ein bißchen Sonne buchen im trüben Herbst?« fragte die Verkäuferin all der Hochglanzträume hinter dem Tresen im Reisebüro.

»Tach, Schätzchen. So ist es«, sprach Mike. Die beiden hatten sich nach einer kurzen, aber stürmischen Affäre auf diesen freundlich vertraulichen Ton geeinigt.

»Eine Person, für den Anfang?«

»Na klar.«

»Und wieder Maspalomas mit Sonnengarantie und all den Minikinis?«

»Möglichst mein Appartement, Schätzchen, deshalb komme ich ja jetzt schon.«

Während sie den Computer befragte, war draußen Eberhardt Bercken vorbeigerauscht. Als er den roten Flitzer mit der Berliner Nummer sah, durchfuhr es ihn wie ein Feuerstoß.

Rens Auto! Vor dem Reisebüro! Jetzt würde er noch einmal in aller Ruhe mit ihr reden.

Kein Platz mehr zum Parken. So ein Mist. Also: flink den nächsten Parkplatz ansteuern. Zu Fuß zurückspurten. Weg! Das Auto war weg.

Eberhardt trat ein. Natürlich war auch keine Ren mehr da. »Entschuldigen Sie bitte«, fragte er die junge Angestellte, »ich meinte hier vorhin eine Bekannte gesehen zu haben. Sie müßte gerade weggegangen sein.«

»Wie sollte sie aussehen?«

»Oh, jung und hübsch. Blond.«

»Nein, so eine junge Frau war überhaupt nicht hier. Ich habe vorhin lediglich einen Herrn bedient. Herrn Dr. Kringel, den werden Sie ja wahrscheinlich auch kennen?«

»Ja, wir sind befreundet«, sagte Eberhardt geistesgegenwärtig. »Hat er zufällig gesagt, wohin er wollte? Ich hätte ihn ganz gern gesprochen.«

»Nö. Das heißt, doch. Er sagte, er muß noch zur Reparaturwerkstatt. Sein Auto ist schon wieder mal nicht angesprungen, und er hat sich den Wagen von seiner Schwester ausgeborgt. Was die sich in der Werkstatt aber auch zurechtpfuschen. Meins war vorige Woche …«

»Verzeihung!« rief Eberhardt und ließ sich die Beschreibung der Unbill entgehen, »ich hab's furchtbar eilig!«

Draußen mußte er sich jedoch eine Sekunde lang an die Schaufensterscheibe lehnen. ›Buchen Sie das Abenteuer‹, stand auf dem Plakat dahinter. Nun, Abenteuer konnte man auch gleich in Engenstedt haben. Offenbar war er, Eberhardt v. Bercken, gerade mittendrin.

In seinem Kopf fand ein komplettes Feuerwerk statt.

Gedanken schossen wie Raketen durch seinen Kopf, dann ging plötzlich blendend hell ein Flammenrad auf. Wieso fuhr Mike Kringel, der Ortscasanova, in dem roten Flitzer einer gewissen Ren v. Sorppen?!

Das ließ verschiedene Schlüsse zu. Erstens: Er hatte sich bereits hinterrücks an die Lady herangepirscht, vielleicht gar schon zu der Zeit, als sie noch Volontärin bei ihrem Opa auf Pluttkorten war. Möglich, daß der durchtriebene Bursche ihr sogar den Rat gegeben hatte, sich zu bewerben beim dummen Bercken. Er fuhr ihr Auto. Man mußte also recht gut bekannt sein.

Zweitens: Mike hatte Eberhardts Lobtiraden gelauscht, sich mit der Hübschen in Verbindung gesetzt und nun, da sie von Eberhardt weg war, sofort seine Chance wahrgenommen. Fragte sich nur, weshalb er hier in ihrem Auto rumgondelte.

Drittens … da ging das Flammenrad auf! Eberhardt hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Jetzt stockte er und schloß wie geblendet die Augen.

»Herr v. Bercken, ist ihnen nicht gut?« fragte ihn die Frau vom Drogisten.

»Doch, vielen Dank für die Nachfrage, Frau Schmidt, es war nur eine ganz flüchtige Kreislaufschwäche, glaub ich.« So war das in kleinen Städten. Jeder kannte jeden. Wahrscheinlich war er längst zum Gespött geworden mit seiner Assistentin, die mit Mike Kringel kramte. Mit diesem Filou, diesem miesen Freund … was war das eben gewesen? Drittens …

»Ich Trottel!« sagte er laut. Natürlich. Mikes Schwester Laura lebt in Berlin. Viele Leute leben dort, das ist klar. Doch dieser ›Zufall‹ hätte mir gleich auffallen müssen. Wäre ich nicht so verunsichert gewesen durch diese süße Person, hätte ich mich nicht so hereinlegen lassen. Denn ich bin geleimt worden. Nach Strich und Faden. Und das hat natürlich Michael Kringel, genannt Mike, auf dem Gewissen.

Oh, dieser Schlawiner. Dieser Verräter. Das werde ich ihm heimzahlen! Und ihr auch! Dieses kleine Luder! Ich habe natürlich gleich gemerkt, daß es mit ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung nicht weit her ist. Mit Pferden kann sie umgehen. Sie hat ein eigenes Pferd, da ist das kein Wunder. Und von Buchführung versteht sie wirklich etwas. Hat Mikes Schwester nicht Volkswirtschaft studiert? War sie nicht irgend etwas mit Steuer … Steuerberaterin. Ja, das war's!

Wie sie wohl über mich gelacht haben! Ihm brach der Schweiß aus bei dem Gedanken: die Geschwister, die sich köstlich amüsierten. Ren – ach was, von wegen Ren, Laura hieß sie! Laura, die genaue Berichte über den Frauenfeind gab und sich vor Lachen wälzte. Und Frau v. Pluttkorten? Sie mußte ja eingeweiht sein, sonst hätte sie am Telefon nicht so reagieren können. Unglaublich! Mike mußte die alte, ehrbare Dame herumgekriegt haben.

Nach und nach gingen noch mehrere Lichtlein an. Das letzte steckte der alte Meerkamp ihm auf.

»Tscha, ich hab mir wohl gedacht, daß die Neue nicht die Enkelin von Pluttkortens sein könnte. Ich glaubte, ehrlich gesagt, daß sie Herrn Dr. Kringels Schwester ist.«

Eberhardt hätte am liebsten gebrüllt und mit den Füßen gestampft. Doch er nahm sich zusammen und fragte ganz leise:

»Und warum haben Sie mir das nicht verraten, Meerkamp?«

Der Alte schniefte ein paarmal. Donnerwetter, der Herr war aber mächtig wütend. Wenn er so leise sprach, dann mußte man sich bei ihm vorsehen.

»Tscha, ich dachte, sie würde Ihnen vielleicht guttun, Herr Baron«, verkündete er sehr formell. »Niedlich ist sie ja. Ich meine, eigentlich ist sie große Klasse. Das sieht auch ein alter Mann.«

Wider Willen mußte Eberhardt lächeln. »Niedlich ist sie in der Tat, Meerkamp. Jetzt passen Sie mal auf. Was auch passiert, Sie halten jetzt auch den Mund, nachdem sie ihn bereits zu lange gehalten haben. Ich habe nämlich einen Plan.«

»Ich schweige wie ein Grab«, versprach Meerkamp und drückte vor Erleichterung feierlich die Hand aufs Herz. Alles hätte er versprochen. Hauptsache, der große Eberhardt, der für ihn auch immer noch ein bißchen der kleine Eberhardt von früher geblieben war, zürnte ihm nicht mehr.

Not macht erfinderisch, heißt es. Aber Liebe macht vielleicht noch erfinderischer. Natürlich gab Eberhardt Bercken nicht einmal sich selber zu, daß er in Laura Kringel, die sich bei ihm als ›Ren‹ Sorppen ausgegeben hatte, unsterblich verliebt war.

Er dachte an ihre umflorten Veilchenaugen, als sie mit dem schweren Koffer die Treppe hinuntergekommen war. Sie hatte geweint! Also war sie gar nicht so kühl, wie sie sich sonst gegeben hatte. Er mochte zwar keine mauzenden, weinerlichen Frauenzimmer, aber wenn eine wie diese Laura seinetwegen weinte, war das selbstverständlich etwas ganz anderes.

Ihr Haar! Wer hätte gedacht, daß dieser stramme Zopf, den sie im Nacken aufgesteckt getragen hatte, eine solche goldene Fülle ergab, wenn man ihn auflöste. Eine Woge aus Gold und reifem Korn.

Jetzt kam auch der Moment, in dem er sich nicht länger um die Erkenntnis herumdrücken konnte, daß er sie auf die Augen, auf die Stirn, die Wangen geküßt hatte – und auf den Mund!

Ich habe mich hinreißen lassen, dachte er, und es war angenehm. Nein, es war herrlich. Es war überwältigend! Sie hat nicht zurückgeküßt. Aber etwas sagt mir, daß sie nicht so kühl ist, wie sie tut. Mike hat sie zu diesem Versteckspiel angestiftet. Im Grunde sind wir also beide Opfer, sie und ich.

Ein kleiner Denkzettel für sie ist aber angebracht. Und Mike … na, dem werde ich jetzt mal eins überbraten. Wenn er denkt, er habe die List für sich gepachtet, dann irrt er sich gewaltig.

So wurde Frau Paulsen erneut gefragt, ob ihr Sohn wohl noch einmal, nach der Arbeit, mit dem Motorrad nach Pluttkorten knattern könne, um einen sehr eiligen Brief abzugeben.

Frau Paulsen griente wie Kommissar Derrick und sagte: »Aha! Sie wollen wohl bei dat gnä' Fräulein die Inazitive ergreifen?«

Eberhardt lächelte in sich hinein. Frau Paulsen hatte nun mal diese unselige Schwäche für Fremdwörter, die sie sich nicht richtig merken konnte. Trotzdem traf sie jeden Nagel auf den Kopf, wenn sie vermutete, Herr v. Bercken würde jetzt die Initiative ergreifen. So war es geplant.

Der Brief war ein Meisterwerk.

»Liebes Fräulein v. Sorppen, liebe Ren«, stand da, »zuerst entschuldige ich mich, daß ich mich so als wilder Mann aufgeführt habe. Mit dieser Sorte Orchideen hingen für mich sehr schmerzliche Erinnerungen zusammen, doch jetzt habe ich sie mit Ihrer Hilfe überwunden.

Ich hoffe also sehr, daß Sie Ihren Entschluß rückgängig machen und wieder nach Berckenhof zurückkehren. Meiner Bitte schließen sich Arco, Dannyboy und Carmencita herzlich an. In allem Ernst ist es so, daß ich Ihre Arbeitskraft sehr schwer entbehren kann.

Sie haben sich in die Bücher so vorzüglich eingearbeitet. Sie haben frischen Wind in das ganze Haus gebracht. Ich würde mich freuen, wenn Sie einfach und ohne große Umstände wieder ihre Räume bezögen! Erwarte Sie stündlich. Es grüßen herzlich Frau Paulsen und Fritz Meerkamp und Ihr sehr ergebener Eberhardt Bercken.«

Arco hatte sie zuerst bemerkt. Er war gerade in ein besonders heftiges Gefecht mit der schwarz-weißen Katze verwickelt. Die hatte ihm wieder eins hinter die Ohren gegeben, um sich danach auf den Nußbaum zu retten, aber sie mußte ja wieder runterkommen, dann würde er sie wegjagen. Er warf einen drohenden Blick nach oben und knurrte wahrhaft furchterregend. Seine Erzfeindin fauchte wie ein Tiger. Da lenkte Arco ein Geräusch ab, das er kannte, dann kam schon der liebliche Duft in seine Nase. Arco wetzte los und winselte entzückt. Wie ein Kreisel sprang er um die wundervolle Person herum, die gerade aus dem roten Flitzer stieg.

»Arco, ja, braver Hund«, schmeichelte Laura und hockte sich nieder, um ihn zu umarmen. »Hoffentlich freut sich dein Herrchen auch so sehr«, sagte sie.

»Tut er. Aufrichtig«, sagte Eberhardt. Laura erhob sich und errötete sanft. Sie hatte wieder ihren strengen, strammen Zopf, die kleine Heuchlerin. Sie wußte natürlich nicht, was er schon wußte. Dachte, er hielte sie immer noch für Fräulein Renate v. Sorppen. Von wegen! Am liebsten hätte er sie wieder geküßt, doch er nahm beherrscht ihren Koffer und trug ihn zurück ins Haus.

»Ich möchte noch etwas mit Ihnen besprechen«, sagte er. »Nehmen Sie wieder einen Whisky pur?« Er schmunzelte. Seit er wußte, daß Mike Kringel hinter der Intrige steckte, war ihm auch klar, weshalb die junge Dame beim Genuß ihres angeblichen Lieblingsgetränks immer so angewidert den Mund verzog. Sie mochte gar keinen Whisky. Mike hatte ihr nur verraten, daß dies das Lieblingsgetränk vom dummen Bercken war, den man leimen wollte.

Aber eine kleine Strafe mußte sein. Er schenkte ihr einen tüchtigen Streifen ins Glas. Sie nahm tapfer den ersten Schluck.

»Fräulein v. Sorppen«, sagte Eberhardt und amüsierte sich köstlich, »Sie sind doch sicher auch dafür, daß wir vollkommen ehrlich zueinander sind?«

Sie nickte verlegen.

Eberhardt fuhr fort: »Deshalb muß ich Ihnen noch etwas erzählen. Ich war neulich in Engenstedt und sah zufällig Mike Kringel in Ihrem Wagen. Also konnte ich mir leicht zusammenreimen, daß Sie und Herr Kringel befreundet sind. Ja, ich vermute jetzt sogar, daß er Ihnen den Tip gegeben hat, sich bei mir zu bewerben. Was Sie nicht wissen konnten, ist dies: Eigentlich wollte ich keinesfalls eine Frau einstellen. Inzwischen bin ich da anderer Meinung. Aber für seine Hinterlist möchte ich dem Kerl noch einen kleinen Streich als Strafe spielen. Ich nehme doch an, oder bin vielmehr sicher, daß Mike in Sie verliebt ist?!« Laura senkte den Kopf.

»Natürlich ist er das. Würden Sie mitspielen, wenn ich ihm erklärte, daß wir beide … nun, daß wir zu heiraten gedenken? Nur, um ihm ein bißchen einzuheizen? Denn das kann einem Schwerenöter wie Mike gewiß nicht schaden! Was meinen Sie, Ren?«

Sie sah sehr verwirrt aus. Und sehr süß, fand Eberhardt.

Jetzt wußte sie natürlich nicht, was sie machen sollte. Zugeben, daß sie Mikes Schwester Laura war und somit riskieren, alles zu verderben, was gerade so gut lief? Oder weitermachen wie bisher und abwarten, was daraus wurde?

Sie atmete tief ein und sagte fest: »Ich mache mit!«

»Wunderbar. Dann werde ich ihn mal gleich anrufen. Ich lade ihn für heute abend ein. Ist Ihnen das recht?«

»Ja.«

Eberhardt war klar, daß Laura sich, sobald er das Haus verlassen hatte, mit ihrem Bruder Mike und vielleicht sogar mit Madame Pluttkorten in Verbindung setzen würde, um den weiteren Schlachtplan zu besprechen. Aber auch er hatte seine Strategie fertig.

Er guckte noch schnell in die Küche. »Frau Paulsen, heute abend kommt Herr Kringel zum Essen. Also bitte ein Gedeck mehr«, ordnete er freundlich an.

Frau Paulsen starrte ihn fragend an. Irgend etwas war hier im Busch. Sie hörte immer das Gras wachsen.

»Ich mache Schampeljongs und Biffsteck und hinterher Ommlett zur Prise«, gab sie bekannt.

»Sehr schön, Frau Paulsen.« Eberhardt wußte längt, daß es sich hier um Beefsteak mit Champignons und Omelette surprise als Nachtisch handelte. Es war nämlich Frau Paulsens Lieblingsmenü für kleinere Gelegenheiten. Sie kochte es meistens.

Eberhardt stapfte in die Stallungen. Es war schön, zu wissen, daß diese angenehme Person wieder hinter dem Schreibtisch saß. Aber er durfte jetzt keine Fehler machen. Er durfte sich nicht hereinlegen lassen. Das war er sich selber schuldig.

Mike lacht sich ins Fäustchen, wenn ich hier um seine Schwester herumbalze. Die Pluttkortens werden die Geschichte überall zum besten geben. Zum Beispiel bei ihren Abendgesellschaften. Und Laura wird mich für einen Trottel halten, den man einfach nicht für voll nehmen kann. Selbst wenn sie mich mag, wird in ihrem tiefsten Herzen die Erinnerung an einen netten, aber dämlichen Kerl festhaken.

»Nein, nein, kommt nicht in Frage«, sagte er laut.

»Was kommt nicht in Frage?« fragte der alte Meerkamp, den Eberhardt gar nicht bemerkt hatte, weil er so in Gedanken war.

»Gott, Meerkamp, Sie können einem aber wirklich einen Schrecken einjagen!«

»Na, sonst sind Sie nicht so schreckhaft, Herr Baron.«

»Nun sparen Sie sich mal Ihre Anspielungen. Sie ist wieder da. Und ich weiß schon, was ich tue.«

Meerkamp sah ihn ruhig an und wiegte den Kopf. »Wenn ne Frau im Spiel ist, wissen die klügsten Männer manchmal nicht mehr, was sie tun, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf.«

Eberhardt lachte laut auf. »Sie dürfen, Meerkamp, Sie dürfen. Sie sollten einen Bercken jedoch nicht unterschätzen.«

»Wo steckt denn der Arco eigentlich?« fragte Meerkamp. »Sonst fällt man doch beinahe über ihn, wenn Sie in der Nähe sind.«

»Arco liegt unter dem Schreibtisch. Er geht unserer Assistentin nicht von der Pelle. Ist außer Rand und Band.«

Meerkamp feixte grimmig. »Genau das wollte ich ausdrücken, Herr Baron! Insofern sind Hunde auch Menschen!«

Eberhardt gestand sich ein, daß er höchst nervös war. Ja, er befand sich in einer Verfassung, die geregeltes Arbeiten fast unmöglich machte. Was tat ein richtiger Mann in solchen Situationen? Er ging der Gefahr entgegen!

Beim Mittagessen – es gab Frau Paulsens brillantes ›Zusammengekochtes‹ – zeigten sich Laura und Eberhardt in feinster gesellschaftlicher Form. Sie plauderten über dies und das und waren sehr höflich und ziemlich kühl zueinander.

Dann sagte Eberhardt: »Ich muß nachher zum Förster. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie mich begleiten, Fräulein Sorppen. Danach können Sie dann auch selbständig mit ihm die nötigen Maßnahmen besprechen.«

»Wann fahren wir, Herr Bercken?«

»Wir fahren nicht. Wir reiten. In einer halben Stunde?«

»In Ordnung.«

Es war ein kühler, sonniger Tag. Das Laub glänzte rotgolden und goldgelb, als sie in den Wald einritten. Eine große schwarze Krähe meldete mit lautem Krächzen den Waldtieren, daß hier Eindringlinge kamen, und andere Vögel nahmen die Warnung auf und gaben sie weiter.

Bei jedem Windhauch lösten sich Sterntaler von den Bäumen, fielen schmeichelnd auf Reiter und Rosse, lagen auf den Mähnen der Tiere, und auch in Lauras blondem Haar hatte sich ein Blatt verankert, wie eine Agraffe, die eine Fee mit leichter Hand gespendet hatte.

Laura ritt Dannyboy. Sie hatte darum gebeten.

»Er erinnert mich an meinen ›Luxor‹«, hatte sie gesagt und ihre Augen hatten eine Sekunde lang verräterisch geschimmert.

»Aber er ist sehr eigenwillig.«

»Ich glaube, er mag mich.«

Ja, er mochte sie ganz offensichtlich. Eberhardt beobachtete, wie der schwarze Ire willig und geschmeidig unter ihr ging. Wie sie sich hinabbeugte, wenn ein Zweig ihn streifte und er auf seine wilde Art zusammenzuckte, um ihm den Hals leicht zu klopfen. Und wie er dann gesammelt den Kopf anhob und ruhig weiterging.

Die Schneise wurde breiter, und sie ritten jetzt nebeneinander. Carmencita suchte Dannyboys Nähe. Eberhardt sah das Mädchen an seiner Seite an. Arco wetzte übermütig ein Stück vor und wieder zurück. Ein Mann, ein Pferd, ein Hund, ja, das war Eberhardt v. Bercken als Glück erschienen. Erst jetzt wußte er wieder, wieviel zum Glück noch gefehlt hatte.

Diese Frau neben ihm, im gleichen Rhythmus bewegt, der Kreatur und der Natur so hautnah verbunden, ihr Atem, der als leichtes Wölkchen in der Luft stand.

Jetzt ihr Lächeln. Wie ihre Augen blitzten, sie waren viel heller als sonst. Und auf ihren Wangen lag ein frisches Rot, das nicht aus dem Tiegel stammte. Und nun ließ sich auf dem Kragen ihrer Pepitajacke ein Sonnenkäfer nieder.

Als sie beide im selben Augenblick antrabten, wußte Eberhardt, daß dies einer der unvergeßlichen Augenblicke im Leben war, die nachher die Erinnerung ausmachen, ein Besitz, den einem niemand wieder nehmen kann.

Bei dem Gespräch mit dem Förster, das sich um Hege und Pflege von Wild und Baumbestand drehte, stellte Laura sich sehr verständig an. Sie tranken den dünnen Kaffee, den die Försterfrau ihnen anbot, wie das köstlichste Getränk. Und zurück legten sie auf freiem Feld einen Galopp vor, gaben die Pferde frei, flogen dahin, herrlich gelöst, ihre Herzen schlugen leicht und unbeschwert.

Eberhardt spürte, daß Laura genau wie er empfand. Mit einer Frau so reiten zu können, das bedeutete schon etwas.

»Brav, Dannyboy, brav!«, rief Laura.

Dann kamen sie an den Bach. Flüchtig kam Eberhardt der Gedanke, daß er gar nicht wußte, ob Laura geübt im Springen war.

Doch da hatte sie schon den Absprung gefunden. Mit gestrecktem Hals und gewölbtem Rücken federte der Schwarze über das Hindernis, setzte sicher auf, und im selben Augenblick flog auch Carmencita, die Leichtfüßige, mit ihrem ganzen Temperament und fast spielerischer Kraft hinüber.

Arco warf einen leidenden Blick zum Hundehimmel empor. Das Bubenstück kannte er schon, mit der Nummer wurde er immer wieder hereingelegt. War er ein Springhund? Leider ja.

Da war es das mindeste, daß er sich nach dem Sprung mit lautem Gekläff um ein Lob bewarb. Nun, damit knauserten sie wirklich nicht. Und was tat ein Hund nicht alles, um Herrchen und Frauchen zufriedenzustellen!

Als Laura und Eberhardt in vorzüglicher Stimmung auf Berckenhof einritten, stand Meerkamp vor der Tür zu den Pferdestallungen.

»Nixi hat Schwierigkeiten mit dem Fohlen«, sagte er. »Ist auch keine gute Zeit dafür.«

Nixi litt in langen Wehen. Sie zitterte und sah die vertrauten Menschen mit einem Blick an, der zu fragen schien: »Warum helft ihr mir denn nicht?«

Flockiger Schweiß bedeckte ihr Fell.

»Wir müssen sofort den Doktor benachrichtigen«, ordnete Eberhardt an.

»Ist schon geschehen«, sagte Meerkamp nur knapp.

»Und? Kommt er?«

»Er müßte unterwegs sein.«

So kam es, daß Mike Kringel sich sein Beefsteak mit Champignons erst noch angestrengt verdienen mußte. Endlich war dann ein nasses Bündelchen auf der Welt. »Eine junge Dame«, sagte Mike, »und ganz die Mama!« Nixi war eine Isabelle, gelbes Fell mit weißer Mähne, ein zierliches Prachtwesen, dem man es kaum zutrauen konnte, daß es ein Füllen austrug. Man sah, daß sie stolz und erleichtert war. Und nun erhob sich das neue Wesen und stakste auf dünnen, zittrigen Beinchen zu seiner Mutter. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand es die Quelle, die nur für sein Weiterleben sprudelte. Da brauchte es nicht lange zu überlegen, stupste das Mäulchen dagegen und trank genüßlich.

Gerührt sahen die Geburtshelfer dieser Szene zu. Wie oft hatten sie das schon gesehen? Und doch war es wieder bewegend, mitzuerleben, wie ein Geschöpf sich auf den Lebensweg machte.

Elf Monate hatte Nixi ihr Kind getragen, nun stand sie ruhig und verantwortungsbewußt still, verleugnete ihr quirliges Temperament, damit ihr Füllen es bequem hatte.

Ein wenig von der Harmonie dieses Anblicks malte sich auch auf den Gesichtern der Zuschauer.

»Kommt ins Haus«, sagte Eberhardt Bercken. Seine Stimme war rauh vor Rührung. »Sie auch, Meerkamp.«

»Ich komme nach«, versprach der alte Mann, der schon ganzen Schwadronen auf die Welt geholfen hatte. Es gab keine Routine, wenn es um seine geliebten Pferde ging. Eberhard hatte beobachtet, wie sich Laura und Mike fest in die Augen sahen. Bestimmt hatten sie ihr weiteres Verhalten schon am Telefon abgesprochen. Nur ich bin der große Unbekannte, dachte Eberhardt und schmunzelte in sich hinein.

»Wir feiern mit Champagner. Heute habe ich die Spendierhosen an«, meldete er.

Er selber holte den ›Dom Pérignon‹ und ließ den Korken mit sanftem Plopp frei.

»Es gibt in der Tat einiges zu feiern«, erklärte er, nachdem er eingeschenkt hatte. »Einmal haben wir also Nixis Fohlen, und es verspricht eine Schönheit zu werden. Vielleicht wird es Rennen gewinnen. Ich meine, es ist einen Schluck wert, dieses freudige Ereignis im Pferdestall.«

Laura, die vorher recht ängstlich geguckt hatte, trank sichtlich erleichtert. Doch da fuhr Eberhardt schon fort: »Bevor wir uns Frau Paulsens köstlicher Küche widmen, gibt es noch ein zweites Ereignis zu begießen.«

Er hätte am liebsten laut heraus gelacht. Wie bänglich jetzt der Blick des Fräulein Laura Kringel wurde, das immer noch glaubte, er hielte es für Fräulein Sorppen, Pluttkortens Enkelin!

»Mike, du erfährst es natürlich zuerst. Fräulein Sorppen hat sich entschlossen, die Probezeit in ein festes Engagement umzuwandeln.«

»Na, da gratuliere ich aber!«

Der Heuchler!

»Ja, und noch etwas. Wir verraten es ihm, nicht wahr, Ren? Wir haben vor, uns in aller Form zu verloben. Das Engagement ist nämlich nicht beruflicher, sondern sehr persönlicher Natur!«

»Herzlichen Glückwunsch«, quetschte Mike hervor. Haha, jetzt saß er in der Klemme. Sie hatte ihm gewiß mitgeteilt, daß die ›Verlobung‹ nicht ernst gemeint war. Andererseits hoffte er vielleicht dennoch, daß sich zwischen Freund und Schwesterlein etwas so Überwältigendes anbahnte, daß der Freund ihm und ihr schließlich verzeihen würde, daß sie sich eigentlich nur einen Jux mit ihm hatten machen wollen.

»Komm zu mir, Liebling«, sagte Eberhardt weich. Sie trat an seine Seite, und er legte ihr den Arm um die Schulter. Laura errötete wie Götterspeise und wurde noch roter, als sie das bemerkte.

Er stieß sein Glas gegen ihr Glas. Es gab einen ganz hellen, schwingenden Klang. Dann drehte er sie leicht zu sich herum und beugte sich zu ihr und küßte sie auf den Mund.

Lauras Knie wurden weich. Sie wollte sagen: Schluß damit. Es ist doch alles gar nicht wahr. Aber seine Nähe, sein Mund auf ihrem Mund, die zärtliche Art, in der er ›Liebling‹ gesagt hatte … das war es doch, was sie wünschte und träumte, seit sie zum erstenmal als erwachsene Frau in seine Augen geschaut hatte.

Mike Kringel atmete tief ein und nahm dann erst einmal einen tüchtigen Schluck Schampus. Er verstand die Welt nicht mehr. Nichts war so, wie es schien. Alle benahmen sich anders, als ihre Rollen im Leben es ihnen eigentlich vorschrieben. Er blickte einfach nicht mehr durch.

Da schmuste Eberhardt, dieser spröde Mann, der sonst keine Frau mehr in seine Nähe ließ, mit Laura, die er für eine andere hielt. Denn daß Eberhardt in der Lage war sich zu verstellen, konnte man getrost ausschließen. Nun ja, er verstellte sich ja schon.

Was Mike aber so ganz besonders verwirrte, war dies: Eberhardts Getue mit ›komm zu mir, Liebling‹ und Lauras offensichtliche Verwirrung schienen ihm nur die Fortsetzung einer Erfahrung zu sein, die Mike am Nachmittag gemacht hatte. Da war sein Weltbild total ins Wanken geraten.

Ich war doch immer ein Spezialist für ›Liebe am Nachmittag‹, dachte Mike trübe. Und ausgerechnet mir mußte das passieren! Mir läuft es ja immer noch heiß und kalt über den Rücken. Noch ein solches Erlebnis, und Dr. med. vet. Kringel ist reif für den Seelendoktor.