Prolog

 

Wer auch immer sich den Spruch Das Leben ist kein Wunschkonzert ausgedacht hat – der hat keine Ahnung davon, wie mein Leben gerade ist. Kein Wunschkonzert ist die Untertreibung des Jahres. Momentan ähnelt es eher der Langen Nacht der Volksmusik, moderiert von Florian Silbereisen, Carmen Nebel und Caroline Reiber, mit Auftritten von Stefanie Hertel und Stefan Mross, den Flippers, den Amigos, Andrea Berg, Michael Hirte mit seiner Mundharmonika und Jopi Heesters, der mit zittriger Stimme sein großes Hit-Medley schmettert. Die ganze Veranstaltung dauert natürlich nicht nur die im Namen angedrohte lange Nacht, sondern zwei bis drei Wochen ohne Unterbrechung, und ich sitze an einen Sessel festgekettet in der ersten Reihe, die geöffneten Augenlider mit Klebeband fixiert, damit ich auch ja keine dieser Grausamkeiten verpassen kann.

Ja, so in etwa lässt sich mein Leben derzeit beschreiben. Denn während es bis vor kurzem noch super war – ich hatte eine gemütliche und schöne Drei-Zimmer-Wohnung in Hamburgs angesagtem Stadtteil Ottensen, ein süßes Fiat-500-Cabriolet und vor allem einen Job als Senior A&R-Manager (die Abkürzung für Artists & Repertoire; das sind die coolen Leute, die neue Bands entdecken, sie unter Vertrag nehmen und dann hoffentlich mit ihnen ein paar absolute Hits produzieren) bei einer Hamburger Plattenfirma, also eigentlich alles, was ich so brauchte – stehe ich gerade ziemlich allein und verlassen im Wald. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes im Wald. Irgendwo mitten in der Lüneburger Heide (man könnte auch sagen: am Arsch der Heide), ohne die geringste Ahnung, wie ich von hier nach Hause kommen soll. Und ohne einen Schimmer, ob ich noch meinen coolen Job habe. Falls nicht, könnte sich das unter Umständen negativ auf meine schöne Drei-Zimmer-Wohnung, mein süßes Autochen und mein Leben insgesamt auswirken.

Zum etwa zwanzigsten Mal starre ich hoffnungsvoll auf mein Handy – aber es ist zwecklos. Kein Empfang. Ich bin von jeglicher Zivilisation abgeschnitten. Seufzend marschiere ich los. Irgendwo in dieser gottverdammten Pampa wird es ja wohl einen Bus, eine Bahn oder von mir aus auch ein Taxi geben, das mich zurück in mein normales Leben bringt. Wie gesagt, wenn es denn noch da ist, mein normales Leben. Gerade in diesem Moment habe ich da so meine Zweifel …