Kapitel 23
Die nächsten Wochen und Monate vergingen wie in einem Traum. Einem großen Hochzeitstraum. Zwar platzten auch ohne Ingrid so ziemlich alle meine Wunschvorstellungen für meine Hochzeit, aber am Ende der Vorbereitungszeit war ich doch sehr, sehr zufrieden mit dem, was in der nächsten Woche unsere Hochzeitsfeier sein würde.
Wir hatten elf Schlösser in der Berliner Umgebung angesehen, kannten jeden romantischen Landgasthof und jedes Luxus-Hotel im Umkreis von 100 Kilometern. Doch am Ende gefiel uns nichts von alledem. Bei den meisten gefiel uns vor allem der Preis nicht, aber wie schon beim Hochzeitskleid, war das leider ein sehr schlagkräftiger Nein-Danke-Punkt.
So fiel unsere Wahl schließlich auf ein kleines Hotel, das ganz modern im Bauhaus-Stil ausgestattet war und an einem der zahlreichen Seen im Berliner Umland lag. Das hatte mit meinen romantischen Hollywood-Hochzeitsträumen zwar nichts zu tun, aber wenn ich ehrlich war, lag mir die moderne Ausstattung des Hotels deutlich mehr als die große Schloss-Romantik. Klare Linien und weiß dominierten den großen Saal, den wir für unsere Feier gemietet hatten. Dazu schwarze, schlichte Bauhaus-Stühle und Tische, kein Krims-Krams, keine Schnörkel. Fast wie unsere Wohnung, wenn Ingrid nicht gerade zu Besuch war.
An jedem Tag, der bis zu unserer Hochzeit verging, gratulierte ich mir zu unserer coolen Wahl, auch wenn sie nicht ganz freiwillig zustande gekommen war. Meine Hochzeit würde anders werden als all die Hochzeiten, die ich als Single hatte durchleiden müssen. Meine Hochzeit würde modern, schlicht und elegant werden. Leider waren alle meine Freundinnen mittlerweile verheiratet, so hatte ich keine Gelegenheit mehr, einer Single-Freundin den besten Platz im ganzen Saal zu geben. Dafür konnte ich mich nun an ein paar Gästen für die besonders schlimmen Katzentische rächen, an denen ich auf ihren Hochzeiten hatte sitzen müssen. Was ich auch tat. Die Höchststrafe war der Platz neben Ingrid.
Mein Hochzeitskleid war ebenfalls ein Traum. Eine Mischung aus den vier Kleidern, die ich in dem exquisiten Brautmodengeschäft abfotografiert hatte. Die Petze Melanie war natürlich - als einzige Kollegin aus dem Büro - nicht eingeladen, obwohl das Fotografieren der Hochzeitskleider keinerlei Konsequenzen für mich gehabt hatte. Verkäuferin Sabrina hatte nach Melanies Offenbarung etwas pikiert dreingeschaut, aber nichts weiter gesagt. Also hatte ich meinen Sekt schnell ausgetrunken und war mit einer Handvoll Gummibärchen aus dem Laden geeilt. Melanie war bei der Arbeit nun immer betont freundlich zu mir, was wohl allein der Angst entsprang, dass ich die Wahrheit über ihre tolle Schwiegermutter erzählen könnte. Was ich nicht tat. Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass meine Kollegin gestraft genug war.
Ich hütete mein Kleid – ein schlichtes, zart beiges, bodenlanges Gewand – wie meinen größten Schatz. Zum einen wollte ich auf keinen Fall, dass Rigoletto es vor der Hochzeit sah, zum anderen wurde ich wieder jede Nacht von einem Hochzeitskleid-Albtraum geplagt. In meinem Traum war ich gerade fertig für die Kirche, als Igerich unvermutet aus einer Seitentür hervortrat, stolperte und mir ein Glas Rotwein über mein Kleid schüttete. Hinter Igerich tauchte sofort Ingrid mit ihrem geschmacksverirrten Kleid auf dem Arm auf und schrie triumphierend:
„Mandylein! Ein Glück, dass ich mein Kleid dabei habe. Zieh das doch schnell an!“
Gott sei Dank weilte Ingrid während der gesamten Vorbereitungen, wie versprochen, auf Hawaii. Dennoch konnte ich nicht aufhören, an sie zu denken. Sie war immer präsent, da ich nonstop damit rechnete, dass sie doch noch irgendeinen Hochzeitstrumpf in der Hand hielt. Das eine Mal, als Ingrid von Hawaii anrief, tat ich denn auch so, als könnte ich aufgrund der sehr schlechten Verbindung kein Wort verstehen. Ich hatte ja keine Ahnung, was sie wollte: Vielleicht versuchte sie doch noch, per Telefon wenigstens ein wenig Einfluss zu nehmen und uns einen Catering-Service anzudrehen, der auf vegane Kräuter-Küche spezialisiert war. Oder sie hatte aus der Ferne einen Feng-Shui-Pfarrer, der nackt predigte, aufgetrieben. Oder sie wollte einen Verkaufsstand mit ihren Kräutern direkt neben dem Altar aufbauen.
Am Abend ihres Anrufs sagte ich wie nebenbei zu Rigoletto:
„Ich glaube, deine Mutter hat angerufen. Doch die Verbindung war so schlecht, ich habe kein Wort verstanden. Leider war die Nummer unterdrückt, sonst hätte ich natürlich sofort zurückgerufen.“
Das waren gleich zwei Lügen in einem Satz. Erstens klingelte mir Ingrids freudig gebrülltes „Mandylein!“ immer noch in den Ohren und zweitens hatte ich die Nummer allein schon wegen der exotischen Vorwahl sehr wohl erkannt. Vorsichtshalber hatte ich aber extra fünf Freundinnen gebeten, mich kurz mit unterdrückten Nummern anzurufen, damit die Nummer aus dem Telefonspeicher verschwand und mein Hase gar nicht erst auf die Idee kam, seine Mutter zurückzurufen. Ich war ziemlich stolz auf mich und meine Umsicht. In mir keimte ernsthaft die Hoffnung auf, dass unsere Hochzeit tatsächlich komplett und ganz ohne Ingrids Einflussnahme ablaufen würde. Fälscher hätte ich nicht liegen können.
Als Ingrid ein paar Tage vor der Hochzeit aus Hawaii zurückkehrte, war ich fest davon überzeugt, dass der Ablauf der Hochzeit unumstößlich war. Mittlerweile kannte ich sie gut genug, um zu wissen, dass sie sicher von einem fast unstillbaren Hochzeits-Tatendrang besessen war, aber was konnte sie noch ausrichten? Vorsichtshalber ließ ich mir von allen beteiligten Firmen und Personen - außer von Rigoletto - per Fax den Auftrag und dessen Ausführung bestätigen und sank am Abend vor der Hochzeit erschöpft, aber glücklich in mein Bett. In diesem Moment klingelte das Telefon.
„Mandylein!“
Es war Ingrid. Ich saß sofort aufrecht im Bett und warf einen schnellen Blick auf meine Bestätigungsfaxe. Alle noch da. Die Faxmaschine angeschaltet aber regungslos. Alles war gut. War alles gut?
„Mandylein, ich wollte dir nur noch mal schnell Glück für morgen wünschen. Igerich und ich freuen uns wirklich sehr, dass du nun Teil unserer kleinen Familie wirst.“
Ich wäre fast so etwas wie gerührt gewesen, hätte mich das plötzliche Summen des Faxgerätes nicht auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich sprang wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett und rannte zum Fax. Während ich hektisch das noch nicht ganz fertige Blatt aus der Maschine zog, erzählte Ingrid fröhlich weiter.
Zum Glück war es nur ein Fax von Rigoletto, der die Nacht vor der Hochzeit traditionsgemäß im Hotel verbringen wollte, und mir eine gute Nacht wünschte. Selbiges tat in diesem Moment auch Ingrid und legte auf. Ich ließ mich erschöpft aufs Bett zurückfallen, um sofort wieder wie ein Teufel aus der Schachtel hochzuschnellen. Was hatte Ingrid gerade gesagt? Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich war so mit dem Fax beschäftigt gewesen, dass ich Ingrid nicht zugehört hatte. Immer ein Fehler, der Schwiegermutter nicht zu zuhören! Nur ein einziges Wort fiel mir wieder ein: Überraschung. Ein kurzer Gedanke an die Urlaubsüberraschung, die Ingrid mir bereitet hatte reichte, und ich geriet in Panik.
In der Nacht vor meiner Hochzeit tat ich kein Auge zu. Und das nicht aus Angst, dass mein zukünftiger Ehemann am nächsten Tag vielleicht doch noch einen Rückzieher machen könnte. Oder weil ich unter generellem Hochzeitsfieber litt. Es war Ingrids Überraschung, die mich keinen Schlaf finden ließ. Was hatte sie geplant? Es konnte nur furchtbar sein. Irgendetwas musste ich übersehen haben. Irgendetwas nicht bedacht. Da die Frau meine Gedanken lesen konnte wie ein offenes Buch, hatte sie es natürlich herausgefunden und meine Hochzeit würde als Desaster enden. Egal, was es war, womit sie mich überraschte, es würde auf jeden Fall schlimmer als ein FKK-Pfarrer und der vegane Kräuter-Caterer sein. Denn an die hatte ich selbst bereits gedacht. Ingrid würde mich mit etwas Spektakulärem übertrumpfen. So wie sie mich bislang in allem übertrumpft oder schlecht hatte aussehen lassen.