3. Kapitel

Die Poststraße zwischen der Hauptstadt der jetzigen Kolonie Viktoria, Melbourne, und der von Süd-Australien, Adelaide, war damals noch gar nicht so lange eröffnet, und einmal wöchentlich fuhr in jener ersten Zeit ein zweirädriger Karren (der eine Anzahl von Passagieren tragen konnte), mit den Postbeuteln betraut, die lange, öde, durch den dichten Busch nur notdürftig ausgeschlagene Bahn. Die Fahrt selbst war eine Marter für den Reisenden, und auf Bequemlichkeiten unterwegs durfte er ebensowenig rechnen. Nichtsdestoweniger wurde diese »Royal Mail« doch stark benutzt, da sie die einzige zu einer bestimmten Zeit abgehende und eintreffende Verbindung zwischen den schon recht bedeutenden Städten des australischen Kontinents bildete. Dampfschiffahrt war nämlich noch nicht eingerichtet, und die Passage auf einem gelegentlich abgehenden Segelschiff war viel zu ungewiß und langweilig, als daß man sich ihrer zur Personenbeförderung gern bedient hätte.

Wie aber die Straße rauh und die Postkutsche nur ein höchst primitives Fuhrwerk war, so diente außerdem die Unsicherheit der Gegend dazu, das »Romantische« einer solchen Fahrt zu erhöhen. Gar nicht etwa so selten kam es vor, daß die Reisenden von Sträflingen angefallen und geplündert wurden, die in den Busch geflohen waren. Doch galt es dabei als Tatsache, daß die Reisenden für ihr Leben nichts zu fürchten hatten, sobald sie sich gutwillig dem Unvermeidlichen fügten und - keine Waffen bei sich führten. Die Buschranger nahmen ihnen dann eben ab, was sie brauchen konnten, untersuchten die Postfelleisen nach Geld oder Geldeswert und ließen die Passagiere meist ungehindert ziehen.

Nur wenn diese bewaffnet waren oder gar Widerstand leisteten, war es vorgekommen, daß der so verübte Raub auch in einen Raubmord ausartete, und es blieb bald kein Geheimnis mehr, daß der berüchtigte Führer dieser Schar niemand anders sei als Gentleman John.

So verwegen diese Bande aber auch sein mochte, so lehrten sie doch endlich zahlreiche gegen sie ausgesandte Patrouillen, daß sie einer disziplinierten und bewaffneten Macht nicht gewachsen waren, und wenn alle diese Expeditionen auch nicht von besonderem Erfolg gekrönt wurden, trieben sie die Strauchdiebe doch weiter in das Innere zurück und deckten einigermaßen die stark bedrohte Straße.

Es war im April, daß die »Royal Mail« an einem rauhen und unfreundlichen Herbsttag, ungewöhnlich stark mit Passagieren besetzt, die vom Regen aufgeweichte Straße entlangrasselte, während die wettermürrischen Reisenden, in ihre Mäntel gehüllt und von dem unbeholfenen Fuhrwerk schlammbespritzt und durchgerüttelt, erst wieder anfingen aufzutauen, als sie eine der seltsamen Stationen erreichten, auf denen ihnen eine halbe Stunde Rast für ein flüchtiges Mittagsmahl gegönnt wurde.

Das Gebäude war kaum mehr als eine Rindenhütte mit einer Art von Anbau, der zugleich als Küche und Vorratskammer diente, und lag an einer der ödesten Stellen der Straße. Trotzdem enthielt es aber weit mehr Bequemlichkeit und Genüsse, als sein etwas rauhes, ungelecktes Äußere versprach, und die Passagiere befanden sich bald, zu ihrer höchst angenehmen Überraschung, an einem reinlich gedeckten Tisch, von dem ihnen ein sorgfältig hergerichtetes Mahl entgegenduftete. Auch die Getränke waren vortrefflich und in größter Auswahl vorhanden, und die Wirtin, eine echt englische Matrone, einfach, aber sauber und nett gekleidet, präsidierte an der Tafel.

Der Wirt hatte sich noch nicht sehen lassen, denn er hatte draußen noch mit dem Kutscher zu tun und frische Pferde zu besorgen.

Die Reisegesellschaft bestand aus lauter Männern, da sich Damen diesem rauhen Beförderungsmittel nur im höchsten Notfall, und dann auch nur auf kurze Strecken, von einer Station zur andern, anvertrauten. Allerdings mußten sie in dem Fall, wenn sie für solche Fahrt die Post benutzen wollten, warten, bis sich ein Platz für sie fand, da die Postverwaltung nicht daran dachte, einen Beiwagen zu geben, selbst wenn sich genug Passagiere gefunden hätten. Was dem einmal vorhandenen Karren von Reisenden aufgepackt werden konnte, wurde geladen, die übrigen mußten abwarten, ob sie vielleicht in der nächsten Woche mitgenommen werden konnten.

Wie aber nun in Australien die Bevölkerung höchst wunderlich gemischt ist, so schien auch auf dieser Post fast jede Schicht der Einwohnerschaft vertreten. Eine höchst anständig aussehende Persönlichkeit in schwarzen Tuchkleidern mit schwerer goldener Kette, weißer Wäsche und Glacéhandschuhen, die eigentlich nicht recht in die ganze Umgebung zu passen schien, repräsentierte den Kaufmannsstand der Kolonien. Es war ein Mr. Warrel aus Melbourne, der mit der Post nach Adelaide wollte, um eine kurz vorher von Melbourne per Segelschiff expedierte Ladung an Ort und Stelle zu verkaufen.

Die zweite ansehnliche Persönlichkeit war ein Siedler aus dem Adelaide-Distrikt, mit vollem Bart, einen Kohlpalmenhut auf, mit Rock, Hose und Weste aus sogenanntem englischen Lederzeug, mit derben Buschschuhen und einem rotseidenen Halstuch, das, um den schneeweißen Hemdkragen geschlagen, den sonnverbrannten kräftigen Hals entblößt ließ.

Ganz gegen den Gebrauch der übrigen Passagiere schien es dieser aber zu verschmähen, sich waffenlos der Gnade oder Ungnade des etwa dort umherstreifenden räuberischen Gesindels zu übergeben. In dem breiten um den Leib geschnallten Gürtel, der ein kurzes Buschmesser trug, staken ein paar feingearbeitete Pistolen, und außerdem führte er auch noch eine, wie er sagte, stets mit Rehposten geladene englische Doppelflinte bei sich, die er unterwegs zwischen den Knien und ziemlich trotzig zum Gebrauch stets in Bereitschaft hielt.

Seinen Platz hatte er vorn auf dem Bock, und der dritte Passagier, der zwischen ihm und dem Kutscher eingeklemmt saß, war ein dürres, kleines, bleiches Männchen, ebenfalls ein Engländer, der in ziemlich schäbigen Kleidern, mit einem alten, abgetragenen Hut, bis dahin trotz seiner offensichtlichen Armut die entsetzlichste Angst vor einem möglichen Überfall gezeigt und besonders seinen schwerbewaffneten Nachbar fortwährend mit mißtrauischen Blicken betrachtet hatte.

Die Post hatte nur zwei Sitzbänke - die eine war die, auf welcher der Kutscher saß, und die neben ihm befindlichen Passagiere hatten die Aussicht nach vorn über die Pferde hin. Auf der zweiten, notdürftig gepolsterten und mit Leder überzogenen Bank saßen die übrigen Reisenden, jedoch mit dem Rücken nach vorn, und die niedere eiserne Lehne diente weit weniger zu ihrer Bequemlichkeit, als sich daran festzuklammern, wenn der Wagen einen steilen Hang hinaufgerissen wurde. Versäumten sie es, so wären sie rettungslos aus der Kutsche herausgestürzt.

Auf dieser hinteren Bank saß der schon vorher erwähnte Kaufmann aus Melbourne dicht hinter dem Kutscher. Den Mittelsitz nahm schon von Melbourne her ein etwas ruppig aussehendes Individuum ein. Es war dies dem Anschein nach einer der gewöhnlichen Arbeiter, in ordinären, aber trotzdem reinlich gehaltenen Kleidern und mit hoffentlich besseren Empfehlungen und Zeugnissen in der Tasche, als ihm das Gesicht gewähren konnte. Der Bursche, der die ganze Fahrt hindurch verdrossen und störrisch auf seinem unbequemen Sitz kauerte und ununterbrochen Tabak kaute, hatte mit seinen Mitpassagieren kaum drei Worte gewechselt und alle an ihn gerichteten Fragen - wenn überhaupt - mit »Ja«, »Nein« oder »Weiß nicht« beantwortet.

Auf dem dritten Platz neben ihm und Rücken an Rücken mit dem Siedler, saß ein Mittelding zwischen Siedler und Arbeiter. Es war ein vierschrötiger, kräftiger Geselle mit sonnverbrannten, nicht häßlichen Zügen und etwas Keckem, Drolligem in seinem ganzen Wesen. Er war erst in Wanebat, bis wohin ein anderer Passagier mitgefahren war, aufgestiegen und bis jetzt eigentlich der einzige gewesen, der durch seinen Humor trotz Wetter und schlechtem Fuhrwerk einiges Leben in die träge Unterhaltung gebracht hatte. Dem letzten Regenguß hatte freilich auch er schweigend und mürrisch die Wetterseite geboten. Jetzt aber, im Trockenen, mit einer Flasche Sherry an der einen und einem Becher Porter an der anderen Seite, taute er rasch wieder auf, und es gelang ihm auch wirklich, seine sonst recht schweigsamen Reisegefährten zu einer lebendigen Unterhaltung zu bringen.

Stoff hierzu gab es vor allem durch den kleinen ängstlichen Passagier, der unterwegs zwischen dem Kutscher und dem Siedler saß und an jedem Halteplatz neue und meist immer entsetzliche Nachrichten über kürzlich erst verübte Greueltaten der Buschranger sammelte. Auch hier hatte er nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich mit seinen Erkundigungen an eine Art von Hausknecht zu wenden, der die angekommenen Pferde eben abschirrte, damit sie frei im Busch weiden konnten.

Dieser aber, ein verschmitzter Ire, und jedenfalls auch nur ein mit einem Ticket of leave freigegebener Sträfling, sah bald, mit welcher Art von Menschen er es hier zu tun habe, und erzählte dem ihm ängstlich und bestürzt Zuhörenden in aller Geschwindigkeit ein paar so entsetzliche und schauererregende Mordgeschichten, daß der kleine Mann mit bleichem Antlitz in das Passagierzimmer stürzte, seine furchtbaren Neuigkeiten so rasch wie möglich den übrigen mitzuteilen.

»Lügen, nichts als Lügen«, parierte übrigens Mr. Warrel, der sich eben mit den anderen an der gut besetzten Tafel niedergesetzt hatte, kaltblütig die schrecklichen Nachrichten. »Von wem habt Ihr Euch diese Geschichten aufbinden lassen?«

»Von wem?« rief der kleine Mann entrüstet, »von dem Burschen, der die Pferde versorgt.«

»Von Tom, dem Iren«, sagte aber jetzt selbst die Matrone lachend, die gerade im Begriff war, ein saftiges Roastbeef zu zerlegen, »ja, mein lieber Herr, den dürft Ihr über so etwas nicht fragen, denn wenn er merkt, daß sich jemand vor Buschrangern fürchtet, erzählt er ihm die gräßlichsten Geschichten, die ihm nur einfallen.«

»Was heißt fürchten?« fragte kopfschüttelnd der Kleine, »wer hat ihm gesagt, daß ich mich fürchte? Wovor fürchten? Meine Kleider sind alt und schlecht genug, und meine Haut können sie nicht gebrauchen. Weiter hab ich nichts bei mir auf der Gotteswelt als vierzehn Schilling bar Geld für die Reisespesen.«

»Nun, so gleichgültig wäre mir's gerade nicht«, brummte der Siedler, eben mit einem saftigen Stück Fleisch beschäftigt, finster in den Bart, »und den blutigen Kanaillen möchte ich diesmal gerade nicht in die Hände fallen. Aber - hol sie der Teufel, ehe sie mein Geld bekommen, sollen sie erst mit meinem Pulver und Blei Bekanntschaft machen, und ich denke, ich habe genug von dem bei mir, ihnen zu dem anderen den Appetit zu versalzen.«

»Sie sind allerdings kein Mann für die Buschranger, bester Herr«, sagte da lachend der Passagier von Wanebat, der sich Mr. Bush nannte, »denn von oben bis unten mit Stahl und Eisen gespickt, dürften sich die armen Teufel bei ihnen wohl mehr Schläge als Geld holen; unser Freund in Schwarz dagegen, den ich zugleich herzlich ersuchen möchte, mir einmal die Sherryflasche herüberzuschieben, scheint ihnen freundlicher gesinnt zu sein, denn er trägt kein solches Mordgewehr, dafür aber Gold genug zur Schau, ihnen den Mund danach wässerig zu machen.«

»Gott soll mir helfen, wenn's nicht wahr ist«, stimmte diesem der Kleine in etwas verkehrter Beteuerung bei. »Ich wüßte 'nen besseren Platz, goldene Kettchen und Uhren zur Firma zu tragen, als die Buschstraße zwischen Melbourne und Adelaide.«

Der Kaufmann lachte und aß eine Weile ruhig weiter; endlich aber sagte er noch immer schmunzelnd:

»Freut mich, daß Ihr mich für so grün haltet, mit solchem Firlefanz hier paradieren zu wollen. Werden wir aber wirklich von Buschrangern überfallen, so gönne ich ihnen die ganze Bescherung von Herzen. An Geld hab ich nur ein paar Pfund Sterling bei mir, und wenn sie mir die und den Plunder abgenommen haben, sind sie seelenglücklich und bedanken sich am Ende noch gar bei mir.«

»Tät da ein silbernes Kettchen nicht dieselben Dienste?« meinte aber der Kleine. »Wozu den Halunken das gute Gold in die Zähne werfen.«

»Gold!« Der Kaufmann lachte mit einem verschmitzten Blick zu Mr. Bush hinüber. »Die Uhr mit Kette kostet mich in Melbourne gerade zwölf Schilling - das Zeug hier ist Tombak und das Werk selbst keine Sixpence wert.«

»Ha, ha, ha, ha«, lachte Mr. Bush, »das ist vortrefflich, und der Plan ist ganz ausgezeichnet. Wenn die Strauchdiebe Uhr und Börse von einem Gentleman erbeutet haben, visitieren sie ihn nachher nicht einmal weiter.«

»Und wenn sie mich durchsuchen«, sagte Warrel lachend, »ich trage nichts auf der Gotteswelt weiter bei mir. Komm ich dann auch ausgeplündert nach Adelaide, so ist die Handschrift des alten Warrel bekannt genug an der Bank, mir Kredit zu verschaffen.«

»Mr. Warrel, in der Tat?« sagte Bush, ihn rasch und ehrfurchtsvoll grüßend. »Ah, das glaub ich, daß Ihr weder in Adelaide noch in Melbourne vierundzwanzig Stunden ohne Geld zu sein braucht. Da muß unser Freund hier seine Barschaft sorgfältiger verstecken!«

»Ich?« rief der kleine Mann erschrocken und ließ die eben aufgenommenen Messer und Gabel klirrend auf den Teller zurückfallen. »wo soll ich Barschaft versteckt haben? - Etwa in den Täschchen hier oder in den zerrissenen Stiefelchen? Ich weiß ja kaum, wovon ich die erste Woche meine Kost in Adelaide zahlen soll, die so schrecklich teuer ist in den Gasthöfen.«

»Nun, nun«, sagte Bush, »mir ist's ja recht, und ich brauche nicht dafür zu sorgen. Übrigens haben wir keinesfalls etwas zu fürchten, denn mein wohlbewaffneter Nachbar hier wird uns das Gesindel schon vom Leibe halten. Eure Pistolen sind doch hoffentlich geladen, und nicht auch nur ein falsches Aushängeschild wie Uhr und Kette von Mr. Warrel?«

»Und ob sie geladen sind!« erwiderte der Siedler, emsig mit dem vor ihm liegenden Braten beschäftigt. »Ich will verdammt sein, wenn ich nicht guten Gebrauch davon zu machen gedenke. - Habt Ihr gar keine Waffen bei Euch?«

»Ich? Ei gewiß«, rief Bush. »Ich teile keineswegs die Ansicht der Herren, die sich den Strauchdieben gutwillig überlassen mögen. Manchmal ja mag man es mit einem gutmütigen Exemplar zu tun bekommen. Es bleibt aber stets ein fatales Gefühl, sich der Gnade oder Ungnade solcher Burschen zu überlassen. Solange ich mich noch meiner Haut wehren kann, seh ich nicht ein, weshalb ich den Versuch nicht wenigstens machen sollte.«

»Dann seid Ihr mein Mann!« rief der Siedler, ihn augenscheinlich beruhigt auf die Schulter klopfend. - »Und Ihr da drüben, Freund«, wandte er sich an den schweigsamen Passagier, der an dem unteren Ende der Tafel keinen Blick von seinem Teller wandte und keine Silbe gesprochen hatte, »wie steht es mit Euch?«

Der Angeredete sah, ohne den Kopf zu heben, einen Moment nur durch seine buschigen Augenbrauen zu dem Sprecher hinüber und schien erst keine Antwort auf die an ihn gerichtete Frage geben zu wollen.

»Wer - ich?« fragte er endlich, als der Siedler noch immer schwieg und seinen Blick nicht von ihm nahm.

»Ja, Ihr, Mate, seid Ihr bewaffnet?«

»Nein«, brummte der Mann, sich neuen Fleischvorrat auf seinen Teller häufend. »Wozu?«

»Wozu? Wollt Ihr Euch von den Buschläufern wehrlos mißhandeln lassen?«

Der Angeredete ließ seinen Blick von dem Sprecher langsam und fast wie höhnisch auf dessen Nachbar, Mr. Bush, gleiten und sagte dann plötzlich, indem er gleichgültig wieder seine Mahlzeit fortsetzte:

»Wollen's abwarten, Mate!«

»Auf unseren schweigsamen Freund da unten«, lachte Bush, »scheint es, werden wir nicht besonders rechnen dürfen. Dann haben wir nur noch den Kutscher als dritte Hilfe!«

»Hol die Kutscher der Böse«, brummte der Siedler, mit dem Erfolg seiner Anrede nichts weniger als zufrieden. »Wenn die es nicht geradezu offen mit den Buschkleppern halten, passieren sie doch die Straße viel zu oft, als daß sie sich Feinde machen würden. Die Kerle bleiben gewöhnlich ruhig auf ihrem Bock sitzen und sind froh, wenn ihnen nur die Pferde gelassen werden, um weiterfahren zu können. Alles übrige kümmert sie wenig genug.«

»Bah«, sagte Mr. Warrel, »die ganze Geschichte ist ja doch nur ein müßiges Geschwätz von Reisenden, die - an dem Ort ihrer Bestimmung glücklich und ungehindert angelangt - nicht umhinkönnen, mit irgendeiner überstandenen schrecklichen Gefahr zu prahlen. Hier im Land haben wir keine Tiger oder andere reißenden Bestien, und da müssen dann jahraus und jahrein die Buschranger den alleinigen wieder- und wiedergekäuten Stoff liefern. Ich wette hundert Pfund Sterling, daß wir auf der ganzen Fahrt keinen zu sehen bekommen.«

»Topp!« rief ihm Mr. Bush plötzlich entgegen, »ich nehme Eure Wette an, Sir, und kann dabei jedenfalls nur ein gutes Geschäft machen.«

»Auch wenn Ihr verliert?« rief Mr. Warrel.

»Dann erst gewiß«, sagte der junge Mann lachend. »Ich habe eine Herde von 15 000 Schafen verkauft, für die ich das Geld in Wechseln und Banknoten bei mir trage, und will gern hundert Pfund davon bezahlen, wenn ich das übrige sicher nach Adelaide bringe. Wird es mir aber abgenommen, so sind Eure hundert Pfund wieder ein ganz hübscher Anfang für einen neuen Beginn.«

»Hol's der Henker«, rief der Siedler, »wenn Ihr die Sache von der Seite betrachtet, möcht ich auch wetten, denn wenn mich die Schufte plünderten, machten sie ebenfalls kein schlechtes Geschäft. Wie wär's, Mr. Warrel, wenn wir eine gleiche Versicherung abschlössen.«

»Danke, Sir«, wehrte aber dieser lachend ab, »ich bekomme dafür nichts Gleichwertiges, denn das Vergnügen, einen wirklichen Buschranger zu sehen, ist doch kaum mehr als hundert Pfund wert, und wenn es wirklich der berüchtigte Gentleman John selbst wäre.«

»Dann nehmt wenigstens eine von meinen Pistolen«, sagte der Siedler. »Drei entschlossene und bewaffnete Männer können sich einen ganzen Schwarm der feigen, räuberischen Schufte vom Leibe halten.«

»Auch dafür muß ich danken«, sagte der vorsichtige Kaufmann. »Ich habe Frau und Kind und ein recht hübsches Besitztum zu Hause und keineswegs Lust, mein Leben oder meine gesunden Gliedmaßen unnötigerweise aufs Spiel zu setzen. Was ich bei mir trage, bin ich jeden Augenblick bereit, mit Vergnügen herzugeben - sollten die Herren uns wirklich ganz gegen Erwarten einen Besuch abstatten. Mehr können sie nicht verlangen und verlangen sie nicht. Wer mehr zu verlieren hat, mag zu anderen Mitteln seine Zuflucht nehmen.«

Der mit dieser Politik nicht besonders einverstandene Siedler murmelte einen leisen Fluch in den Bart, erwiderte aber weiter nichts, und der Kutscher, der indessen draußen in der Küche sein Mittagsmahl verzehrt hatte, erschien auch in diesem Augenblick in der Tür, den Passagieren anzuzeigen, daß ihre Ruhezeit verflossen und die »Royal Mail« gerade wieder im Begriff sei abzufahren.

Draußen an der Tür stand der Wirt, den Hut auf dem Kopfe, die Hände in den Taschen, und nickte den Passagieren zu, als sie an ihm vorübergingen.

»Glückliche Reise, Gentlemen; kommt gesund nach Adelaide. Und du, Bill, wirf die Herrschaften nicht etwa hier gleich unten im Sumpf in das Wasserloch, wie es James neulich gemacht hat. Es könnte nicht wieder so gut abgehen, daß sie mit ein paar Arm- und Beinbrüchen davonkämen. Einen Doktor haben wir jetzt überdies nicht mehr im Haus.«

»Habt keine Angst, Jones«, lachte der Angeredete. »Wenn wir nur glücklich durch den Billibong drüben kommen, im Sumpf selbst hat's keine Gefahr, und wenn wir umkippen, will ich uns schon eine weiche Stelle aussuchen.«

»Das sind vortreffliche Aussichten, Mr. Bush«, sagte der Melbourner Kaufmann, als er neben diesem dem Wagen zuschritt. »Dagegen wird Euch wohl keine Versicherung helfen, wie?«

»Die Kerle fahren wie der Teufel«, beruhigte ihn aber dieser, »und haben ihre Tiere sicher in der Hand. Solange der Karren hält, haben wir schwerlich etwas zu fürchten.«

»Desto besser dann«, sagte der Kaufmann, sich, so gut es gehen wollte, wieder auf seinem schmalen Sitz zurechtrückend. »Und nun, Kutscher, fahrt zu; Wetter noch einmal, ist das eine unbequeme Bank. Man hat wirklich alle Hände voll zu tun, sich nur festzuhalten. Sucht Ihr denn Eure Passagiere wieder zusammen, wenn Ihr einige davon einmal verliert?«

»Manchmal«, erwiderte der Mann trocken. - »He da - alle an Bord?«

»Alle - so gut es eben geht.«

»Gut denn - laß gehn da vorn, Tom - halt fest da hinten - komm Jerry, komm Bock - hu - pih!« Und mit kräftigem Peitschenschlag auf die sich bäumenden Tiere einhauend, trieb er diese zu raschem Ansprung, daß sie den unbeholfenen Karren mit einem Ruck nach vorn rissen.

»Um Gottes willen, mein Hut!« rief Mr. Warrel, der sich beinahe den Arm an der eisernen Lehne ausgerenkt hatte, während ihm der Hut vom Kopfe flog.

»Macht nichts, Bill!« rief aber Tom, der Hausknecht, an derartige kleine Folgen wahrscheinlich schon gewöhnt, indem er den Hut in der Luft fing und seinem Besitzer mit außerordentlicher Geschicklichkeit wieder zuschleuderte. »Alles in Ordnung - go on!«

Der Kutscher, der von dem Zuruf auch nicht die mindeste Notiz genommen hatte, bedurfte dieser Beruhigung gar nicht, denn ohne sich nach dem Passagier oder dessen Hut auch nur umzusehen, gab er seinen Tieren nur wiederholt die Peitsche, und der fest auf seinen Achsen ruhende Karren rasselte rücksichtslos und wild über die rauhe, holprige Straße hin, seine Bahn entlang.

An eine Unterhaltung zwischen den Passagieren war unter solchen Umständen gar nicht zu denken. Jeder hatte vollauf zu tun, sich auf seinem Sitz und, wie ein australisches Sprichwort ganz passend sagt, die Zunge im Munde festzuhalten, bis der Weg wieder ebner und weicher wurde und der Karren, von den Flüchen der mißhandelten Passagiere begleitet, wenigstens verhältnismäßig ruhig auf seiner Bahn dahinfuhr.

Der Weg zog sich hier, wo er schon das Murraytal berührte, durch einen Wald der mächtigsten Gumbäume hin, und die Bahn hindurch war dabei keineswegs in einer geraden Linie gehauen worden, sondern wich den stärksten Stämmen aus und wählte die lichtesten Stellen. Hier und da stand auch wohl noch ein tüchtiger Stumpf mitten im Weg, und es bedurfte der ganzen Geschicklichkeit des Kutschers, das allerdings mit seinen zwei Rädern leicht zu wendende Fuhrwerk zwischen all den Hindernissen mit solcher Schnelligkeit hinzuführen.

Dem Siedler, der neben dem Kutscher auf dem Bock saß und dabei Zeuge war, wie die Achsen oft nur um Haaresbreite an einem der alten Waldriesen vorübergerissen wurden, war gar nicht wohl bei der Fahrt, und er hatte seine ganze Kaltblütigkeit nötig, dem tollen Rennen so ruhig zuzusehen. Einmal aber, als der Wagen wieder an einem alten Gumbaum so dicht vorbeischnellte, daß er noch ein Stück von der dicken weichen Rinde mit abriß, und dann gleich darauf mit dem einen Rad über einen umgestürzten Klotz fuhr, wonach der Karren wohl fünfzehn Schritt weit auf dem anderen eben noch balancierte, konnte er es doch nicht mehr so ruhig mit ansehen und sagte, sich zu dem Kutscher wendend:

»Heda, Freund - von unseren Hälsen gar nicht zu reden, scheint Ihr auch mit Eurem eigenen verwünscht rücksichtslos umzugehen. Wenn wir hier umgeschlagen wären, hätten wir leicht die Härte unserer Schädel an jenen Gumbäumen versuchen können.«

»Könnt recht haben, Mate«, erwiderte ziemlich ungeniert Bill, der Rosselenker, »aber immer noch besser, als daß wir den gesegneten Buschkleppern in den Rachen laufen.«

»Und hätten wir hier wirklich etwas von ihnen zu fürchten?« fragte der Siedler rasch.

»Hier? - Habt Ihr den Kerl nicht gesehen, der etwa fünfhundert Schritt zurück links vom Weg in den Busch hineinsprang?«

»Den Kerl? - Habt Ihr jemanden gesehen?«

»Glaubt ihr, ich treibe meine Tiere hier umsonst zuschanden?« brummte der Mann mürrisch in den Bart. »Hol die Post auch ein solches Leben, und das soll die letzte Fahrt sein, die meiner Mutter Sohn auf dieser vermaledeiten Straße hin und wider fährt.«

Der Siedler erwiderte kein Wort weiter, griff aber nach seinen Pistolen, ob sie ihm der Hand bequem im Gürtel stäken, und sah nach den Hütchen auf seiner Doppelflinte.

Der Kutscher warf seitwärts einen halb neugierigen, halb unzufriedenen Blick auf die Waffen und sagte:

»Schießen die Dinger sicher?«

»Das wollt ich meinen«, erwiderte der Siedler.

»Und geh'n sie auch los?«

»Ich möchte Euch nicht auf fünfzig Schritt im Wege stehn«, lautete die beruhigende Antwort.

»Hm«, brummte aber der Mann, noch keineswegs damit zufriedengestellt, »ich weiß doch nicht, ob Ihr nicht besser tätet, die Dinger in den Kasten zu packen.«

»Damit uns die Schufte ungehindert plündern, wie?«

»Ist eben nur noch die Frage, ob Ihr sie damit hindern werdet«, lautete die mißtrauische Antwort. »Die Schufte wählen sich eben Ort und Zeit nach eigenem Gefallen, und wenig Gutes hab ich bis jetzt von solchen Schießdingern gesehen, die nie losgehen, wenn sie eigentlich sollen. Alle, die ich bis jetzt auf dem Karren gehabt, haben sich die Buschranger mitgenommen und noch nicht einmal ›Danke‹ dafür gesagt.«

»Und seid Ihr hier schon einmal von den Räubern überfallen worden?« mischte sich der kleine Zwischenpassagier in das Gespräch, der demselben bis dahin in fieberhafter Angst gelauscht hatte.

»Einmal?« sagte der Kutscher, indem er einen halb erstaunten, halb verächtlichen Blick zu dem an seine Seite geklemmten Passagier hinunterwarf, »viermal haben mich schon die ›Herren von der Straße‹, wie sie sich nach echt englischer Art zu nennen belieben, unter den Fäusten gehabt, und ich will froh sein, wenn ich die Bekanntschaft dieser verdammten Kanaillen nicht heute zum fünftenmal zu machen habe.«

»Hallo, Kamerad«, rief da Mr. Bush, der sich zu dem Kutscher umdrehte, »haben sie Dich so schlecht behandelt, daß Du ihnen solche Ehrentitel gibst?«

»Hol sie der Böse!« zischte Bill zwischen den Zähnen durch, »wenn sie mir auch noch nichts zuleide getan haben, ist es doch nur eine blutige Bande von Sträflingen und dem Galgen abgestohlenes Gelichter, und je weniger man mit den Schuften zusammenkommt, desto besser.«

»Das ist ein gefährliches Urteil für eine gemischte australische Gesellschaft«, sagte der junge Mann lachend, »aber Ihr seid wohl noch nicht lange im Lande und wohl gar einer der sogenannten freien Einwanderer?«

Bill warf einen zornigen Blick zu dem Sprecher zurück und sagte finster:

»Bin ich auch, Mate, wenn's Euch etwa kümmert, und für mein eigen Geld in die Kolonie gekommen, und das ist mehr, als mancher Gentleman von sich sagen kann.«

Mr. Bush lachte gutmütig vor sich hin und warf nur einen Seitenblick auf seinen Nachbar. Dieser schien aber weder den »Gentleman« noch die andere Anspielung auf sich zu beziehen und kaute ruhig an einem riesigen Priem weiter, den er fortwährend aus der linken in die rechte Backe und wieder zurück wechselte.

Das Gespräch wurde hier durch einen gotteslästerlichen Fluch des Kutschers unterbrochen, der vor sich in dem schmalen Weg ein paar von einem Gumbaum niedergebrochene sehr starke Äste liegen sah, die sich auf keine Weise umgehen ließen und erst fortgeräumt werden mußten. Unfern davon, unter einem anderen Baum, saß ein Fußreisender, ein sogenannter Bündelmann, der sein Bündel und seinen Stock neben sich gelegt hatte, sein Frühstück vor sich auf den Knien, ganz ruhig und unbekümmert in freier Luft tafelte und den dicht neben ihm haltenden Postkarren kaum eines Blickes würdigte.

»Hallo, Mate!« rief ihm da der Kutscher zu, wie er nun seiner ansichtig wurde, »macht's Euch was aus, wenn Ihr einmal einen Augenblick aufständet und das verdammte Holz da aus dem Wege räumtet? Ich kann die Zügel hier nicht loslassen!«

»Hm«, sagte der Bursche, ohne sich besonders außer Fassung bringen zu lassen, »Eure ganze Gesellschaft da oben hält wohl die Zügel mit oder hat sich festgebunden, daß sie nicht abgeschüttelt wird? - Na meinetwegen; das nächstemal, wenn ich fahre, könnt Ihr mir vielleicht das Holz aus dem Wege räumen.« Und sein Frühstück neben sich niederlegend, stand er langsam auf und stieg zu dem nächsten Ast hinüber, dicht vor dem die schäumenden Pferde hielten.

»Donnerwetter, Mate, das Holz ist schwer«, rief er, als er vergebens den einen Ast zu lüften versuchte. »Na, Eure Pferde beißen doch nicht?«

»Bewahre - laßt sie nur los - he da, Kamerad, Ihr drückt sie mir ja ganz in den Busch hinein. Die Pest über Euch, Ihr werdet mir den Karren umwerfen.«

»O bewahre!« sagte der Bündelmann, der das Handpferd beim Zügel genommen und seitwärts zwischen die Bäume gedrückt hatte, »kommt gleich alles in Ordnung, Mate. Da sind auch noch ein paar Kameraden, die mir helfen können.«

»Hallo, Bush!« rief da plötzlich der Siedler, der von rechts und links unter den Bäumen ein paar zerlumpte und drohende Gestalten auftauchen sah, indem er sein Gewehr in die Höhe riß, »jetzt gibt's Arbeit - nehmt Ihr die rechts, ich will mit denen da links -.«

»Vorsichtig, Kamerad«, sagte aber Mr. Bush, der schon, als der Bündelmann zu den Pferden ging, ein Doppelpistol aus der Tasche gezogen und die Hähne gespannt hatte und mit der linken Hand nach der Schulter des Siedlers griff und diese drückte. »Ich möchte Euch etwas sagen.«

»Da kommen sie, bei George - Wetter, Mate, Ihr drückt mir die Schulter ein - was ist - he - was -.«

»Pst! - Nicht einen Laut!« sagte Mr. Bush ruhig, und der Siedler sah zu seinem Entsetzen das gespannte Pistol seines Reisegefährten mit der Mündung dicht an seinem Ohr. »Der geringste Griff nach Euren Waffen - eine weitere Bewegung nur, und ich schicke Euch, größerer Bequemlichkeit wegen, ein Lot Blei durchs Hirn. - Ihr anderen haltet euch ruhig, und es soll euch nichts zuleide geschehen. - Wenn sich allerdings jemand widersetzt, mag er sich die Folgen dann auch selbst zuschreiben.«

Von allen Seiten sprangen indessen wild genug aussehende Kerle, die meisten von ihnen Gewehre in der Hand haltend, aus den Büschen und hinter Bäumen, hinter denen sie bis jetzt versteckt gelegen hatten, hervor, während der Bündelmann, ohne sich weiter um die Passagiere zu kümmern, die Stränge der Pferde durchschnitt und die Flucht unmöglich machte.

Der Siedler knirschte mit den Zähnen, aber er wußte sich auch so vollständig in der Gewalt seines jetzt hinter ihm stehenden bewaffneten Feindes, daß ein Widerstand völlig nutzlos gewesen wäre und im nächsten Augenblick sein Leben gekostet haben würde.

Die übrigen, unbewaffneten Passagiere hielten sich ruhig und ließen das Unvermeidliche über sich ergehen. Nur Bill, der Kutscher, konnte nicht so geduldig mit ansehen, wie die Stränge seiner Kutsche zerschnitten wurden.

»Höll' und Teufel, Mate!« schrie er, die Pferde an den Zügeln zurückreißend, »was ruiniert Ihr mir denn das Geschirr? Seht Ihr denn nicht, daß ich bis über die Ohren in dem vermaledeiten Holz sitze und weder vor- noch rückwärts kann?«

»Ruhig, mein Herz!« rief ihm der vermeintliche Bündelmann entgegen, der indessen auch eine bisher versteckt gehaltene Muskete aufgegriffen hatte, »bleib du nur ganz still und geduldig auf deinem alten Klapperkasten sitzen, bis man dich ruft. Mit deinen Pferden wirst du wohl keine Sorge weiter haben.«

»Meine Herrschaften!« sagte in diesem Augenblick der sogenannte Mr. Bush, ohne jedoch seine drohende Stellung auch nur im mindesten zu verändern, »ich muß euch ersuchen, einzeln und langsam vom Wagen abzusteigen. Ihr habt für euer Leben nichts zu fürchten - nur wer sich widersetzt, ist ein Kind des Todes. Mr. Warrel, Ihr habt wohl die Güte, den Anfang zu machen.«

»Mit Vergnügen«, sagte der würdige Herr, der mit einiger Verlegenheit an das selbstverratene Geheimnis seiner unechten Uhr und Kette dachte, dem Befehl jedoch Folge leistete. Zugleich sah er sich unter der Aufsicht eines der Buschranger, der mit gespannter Muskete neben ihm stehenblieb.

»Nun, Ihr da, Freund, ich weiß Euren Namen nicht, wenn's gefällig wäre.«

»Dank Euch, John«, sagte der Mann, der bei dem ganzen Überfall auch nicht eine Miene verzogen oder sich anders benommen hätte, als ob ihnen auch nur das Allergewöhnlichste begegnete.

»Ihr kennt mich?« rief Mr. Bush überrascht aus.

»Sollt es denken«, meinte der andere, ohne auch nur die Hände aus seinen Taschen zu nehmen, als er von seinem Sitz hinunterstieg und langsam zu dem Kaufmann hinüberging, »habe schon früher einmal das Vergnügen gehabt.«

»So?« sagte Gentleman John, der Anführer der Schar, lachend, »nun, davon nachher. - Jetzt Ihr da, Kamerad, mit dem traurigen Aussehen und dem geflickten Kittel. Herunter mit Euch, habt Ihr mich verstanden?«

»Ach, gnädigster Herr Buschranger«, winselte der arme Teufel, indem er wie eine Schlange zwischen dem Kutscher und dem Siedler hindurch über den Rücksitz des Bocks hinweg hinten hinunterglitt: »Ich habe ja nichts als mein elendes erbärmliches Leben, und wenn Ihr nur so äußerst gnädig sein wolltet und mir -«

»Stopf dem Burschen einmal das Maul, Bob, wenn er nicht von selbst ruhig ist«, rief Gentleman John ruhig vom Bock nieder, und der Kleine sah kaum die furchtbare Muskete auf sich gerichtet, als er auch winselnd und erschrocken in die Knie sank und keinen Laut weiter über die Lippen brachte.

»Jetzt hierher, zwei von euch!« rief da der Befehl des Anführers wieder einige der Schar zu dem Wagen, auf dem Gentleman John noch immer neben dem Kutscher den bewaffneten Siedler mit der gespannten Pistole bedrohte. »Nehmt dem Herrn hier doch einmal die schweren Waffen ab und bringt sie in Sicherheit. - Laßt geschehen, Freund, was Ihr nicht hindern könnt, denn der geringste Widerstand - halt - bemüht Euch nicht selbst - so, Rotkopf, wenn du genötigt sein solltest, auf den Herrn zu schießen, so tritt ein wenig beiseite, daß ich nicht auch einen Teil der Ladung bekomme. Nehmt das Gewehr herunter, und nun die Pistolen. Auch den Gürtel schnallt ab, an dem das Messer sitzt, eine vortreffliche Waffe, wie es scheint, die ich als Andenken behalten werde. So, meine wertgeschätzten Herren, und nun, Mates, bindet ihm doch einmal die Hände auf den Rücken, daß wir vorläufig keine weiteren Umstände mit ihm haben.«

»Was wollt Ihr noch mehr von mir?« rief der Siedler bei diesen Worten entrüstet, »ich habe alle meine Waffen abgegeben.«

»Nur ruhig, Kamerad, nur ruhig. Das andere wird sich weiter finden«, sagte Gentleman John mit freundlichem Kopfnicken. »Euch vor allen Dingen müssen wir sicher haben. Die anderen Herren sind klug genug, sich auch ohne das geduldig unseren Wünschen zu fügen.«

Der Siedler, von mehreren Seiten dabei durch die auf ihn gerichteten Gewehre bedroht, mußte vom Wagen herunter, wo ihn einige von der Bande im Empfang nahmen und ihm die Ellbogen auf dem Rücken zusammenschnürten, und Bill, dem Kutscher, wurde dann ebenfalls bedeutet, seinen Bock zu verlassen.

Gentleman John übernahm jetzt, als er sämtliche Passagiere unter sicherer Aufsicht sah, die Durchsuchung oder vielmehr die Plünderung der Überfallenen und begann dabei mit dem Siedler, dem er eine stark gefüllte Brieftasche und eine wohlgespickte Börse abnahm, ohne den Inhalt für jetzt weiter eines Blickes zu würdigen.

Nach ihm kam der Kleine an die Reihe, der sich unter winselnden Beteuerungen hoch und heilig verschwor, der ärmste Mensch unter der Sonne zu sein, und bereitwillig seine Taschen umdrehte, aus denen nur einige Schillinge und etwas Kupfergeld zur Erde fielen.

»Das ist freilich wenig«, sagte mit bedauerndem Schulterzucken sein früherer Reisegefährte, »wer aber so bereitwillig alles hergibt, was er hat, verdient auch eine Belohnung dafür. Hier, Rotkopf, zieht doch einmal dem Kutscher Schuhe und Strümpfe aus und Hosen und Kleider auch. Er mag mit dem Kleinen da tauschen.«

»Gott soll mich bewahren, daß ich dem Mann seine warmen Kleider nähme«, rief der, indem er bleich vor Schreck wurde, »bin ich doch zufrieden mit dem, was ich habe.«

»Nein, nein«, sagte Gentleman John lachend, »wir wissen besser, was sich schickt - heda, helft ihm doch bei seiner Toilette. Zum Teufel auch, Jungen, seid doch ein wenig galant und unterstützt unsere Gäste.«

Der Kleine wollte sich noch länger sträuben, aber es half ihm nichts. Ein paar der Buschranger sprangen hinzu, und während ihn einer hielt, zog ihm ein anderer Schuhe und Strümpfe aus, aus denen bald verschiedene kleine Päckchen von Banknoten zum Vorschein kamen.

Der arme Teufel schrie und tobte und verlangte Hilfe von den anderen Passagieren, aber es half ihm niemand. Jede Naht, jede Falte, jedes Stückchen Unterfutter der zerlumpten Kleider wurde unter dem Jubel der Räuber auf das sorgfältigste untersucht, und die Beute zeigte sich weit reichlicher, als selbst Gentleman John erwartet hatte. Der Kleine bekam dann die guten, warmen Sachen des Kutschers, während dieser, trotz all seines Fluchens und Schwörens, in die Lumpen des Kleinen hinein mußte.

»Nun, mein bester Mr. Warrel«, wandte sich jetzt der Buschranger an den seine Zeit in voller Gemütsruhe erwartenden Kaufmann, »haben wir beide ein kleines Geschäft miteinander, das wir hoffentlich zu beiderseitiger Zufriedenheit rasch beenden werden.«

»Ihr wünscht?« fragte dieser verbindlich, indem er mit einem kaum bemerkbaren Lächeln um die Lippen Miene machte, die Uhr aus der Tasche zu ziehen.

»Bitte, bemüht Euch nicht«, sagte Gentleman John lachend, indem er abwehrend die Hand gegen ihn ausstreckte. »Ich kenne den Wert Eurer Kleinodien zu genau, als daß ich Euch ihrer berauben würde. Auch das wenige Geld, was Ihr bei Euch habt, werdet Ihr zur Fortsetzung Eurer Reise notwendig brauchen. Dafür erlaubt mir aber, Euch einen Wechsel auf fünfhundert Pfund Sterling vorzulegen, den ich Euch bitten werde zu unterzeichnen. Daß er seinen Bestimmungsort erreicht, ehe Ihr selbst imstande seid, dorthin Gegenbefehl zu schicken, mag dann meine Sorge sein.«

Mr. Warrel biß sich auf die Lippen, aber er wußte auch recht gut, daß er gezwungen war zu gehorchen, und erwiderte trocken:

»Es bleibt mir nichts übrig, als Euch zu danken, daß Ihr nicht ebenso viele Tausende verlangt, und ich freue mich, so wohlfeilen Kaufes davonzukommen. Wahrscheinlich habt Ihr doch den Wechsel bei der Hand.«

»Jedenfalls finden wir einen unausgefüllten in Euerm Taschenbuch«, sagte Gentleman John, in derlei Geschäften viel zu erfahren, irgendeinen Mißgriff zu machen, »und an derselben Stelle auch vielleicht Eure Unterschrift zum Vergleich. Dürfte ich Euch darum ersuchen?«

»Mein Taschenbuch?«

»Fürchtet nicht, daß ich Euch Eurer Papiere berauben werde, sagte der Mann, »sie hätten für mich nicht den geringsten Wert. Wenn nicht doch vielleicht geheim gehaltene Banknoten -«

»Überzeugt Euch selbst«, sagte der Kaufmann, indem er dem Räuber seine Brieftasche überreichte. Dieser blätterte das Buch flüchtig durch und nahm, als er wirklich kein Geld darin fand, nur einen unausgefüllten Wechsel heraus. Aus der eigenen Tasche brachte er dann ein Tintenfaß und eine Feder zum Vorschein, benutzte ohne weitere Umstände den Hut des Kutschers als Tisch und füllte mit fester und geübter Hand den Wechsel aus.

»So«, sagte er dann, Mr. Warrel die Feder überreichend und ihm den Hut etwas näher schiebend, »wenn ich Euch jetzt um Eure Unterschrift ersuchen dürfte.«

Der Kaufmann nahm die Feder; als er aber vorher einen flüchtigen Blick über das Geschriebene warf, sah er rasch zu dem Buschranger auf und sagte:

»Ihr verlangtet nur fünfhundert Pfund, hier stehen aber sechs!«

»Ich glaubte«, erwiderte Gentleman John ruhig, »daß es Euch in dieser Weise am bequemsten wäre, zugleich die verlorene Wette zu bezahlen.«

»Ach so«, sagte Mr. Warrel lachend, Ihr habt recht; an die Wette dachte ich gar nicht mehr. Genügt Euch das?«

John nahm den ihm dargereichten Wechsel, dessen Unterschrift er genau prüfte und mit einer in dem Taschenbuch gefundenen verglich, faltete das Papier dann zusammen, schob es in die Tasche und sagte: »Ich danke Euch, Mr. Warrel, und hoffe, daß wir später noch bessere Geschäfte miteinander machen mögen.«

»Nun, ich weiß doch nicht, ob ich der Hoffnung gerade beistimmen soll«, meinte der Kaufmann; »aber dürfen wir jetzt unseren Weg fortsetzen? Ich glaube nicht, daß sonst noch etwas -«

»Nur noch einen Augenblick«, unterbrach ihn Gentleman John, »bis ich die Briefbeutel revidiert habe. Gebt mir einmal den Schlüssel zum Kasten, Bill - ja so, der steckt wohl in den Kleidern, die jetzt dem Kleinen gehören. Dürfte ich Euch wohl einmal darum bitten, verehrter Herr?«

Der Schlüssel fand sich übrigens nicht, wenigstens nicht so rasch, wie es der Buschranger wünschte, und der Kasten wurde deshalb ohne weiteres erbrochen, der lederne Briefbeutel aufgeschnitten, und Gentleman John war wohl eine Stunde lang emsig beschäftigt, die verschiedenen Briefe und Pakete zu öffnen und nach Geld zu durchsuchen.

Diese Ernte fiel über Erwarten günstig aus. Als Gentleman John alles hatte, was er wünschte, stopfte er die mißhandelten Briefe wieder ziemlich rücksichtslos in den zerschnittenen Beutel zurück, hing sich die Doppelflinte des Siedlers mit dessen Pulverhorn und Kugeltasche um und sagte:

»Nun, Bill, habe ich nichts dagegen, wenn du versuchst, so rasch wie möglich die nächste Station zu erreichen. Es wird sich freilich nicht sehr bequem in den nassen Wegen gehen.«

»Aber die Pferde, Sir!«

»Tut mir leid, Mate, die brauche ich selbst viel zu notwendig«, lautete die Antwort des Buschrangers, »als daß ich ein so treffliches Paar verschenken könnte. Ihr müßt Euch bis auf die nächste Station schon so behelfen.«

»Wir sollen laufen?« rief Mr. Warrel erschrocken.

»Tut mir wirklich leid, Euch die Unbequemlichkeit für die kurze Strecke zu machen«, sagte John, »aber es läßt sich nicht ändern. Ihr werdet auch wahrscheinlich auf der nächsten Station etwas länger als gewöhnlich auf die Pferde warten müssen, da ich sie ebenfalls für meine Leute brauche. - So lebt denn wohl, meine Herrschaften, mein Freund hier, unser Siedler, wird die Güte haben, uns noch eine Strecke zu begleiten und unser Gepäck zu tragen - kein Wort der Widerrede, Sir, es wird für Euch das nächstemal eine Warnung sein, sich mit höchst unnötigen und gefährlichen Schußwaffen zu versehen. Und Ihr, Bill, ich hoffe, Ihr denkt billig genug, den Kleinen nicht zu einem abermaligen Tausch zu zwingen.«

»Ich will verdammt sein -«

»Schon gut - daran zweifle ich nicht im mindesten. Aber bald hätte ich noch etwas vergessen. Mr. Warrel, ich habe noch eine Bitte an Euch!«

»An mich, Sir?«

»Mein Hut ist vom letzten Regen so sehr mitgenommen, während sich der Eurige, von gutem Filz, vortrefflich gehalten hat. Dürfte ich Euch bitten, mit mir zu tauschen?«

»Mit Vergnügen, Sir, und er soll mir stets ein teures Andenken bleiben.«

»Ihr seid gar zu gütig«, sagte Gentleman John lächelnd, seinen Hut dem Kaufmann überreichend, während er selbst dessen weit besseren entgegennahm.

Einer von Johns Leuten machte diesen jetzt auf die schwere goldene Kette aufmerksam, die Mr. Warrel noch immer trug. Ein paar Worte des Führers beruhigten den Burschen aber völlig. Die Pferde wurden dann an den Busch geführt, und dem Siedler, der mit störrischem Gleichmut alles über sich ergehen ließ, sein eigener wie der Reisesack des Mr. Warrel aufgeladen, mit dem er den Räubern in den Busch folgen mußte. Der schweigsame Passagier wurde gar nicht belästigt.

Wenige Minuten später waren alle hinter den grauen Gumbüschen verschwunden, und Bill blieb mit dem Rest seiner Passagiere neben dem unbespannten und ausgeplünderten Postkarren mitten auf der Straße zurück.

Allerdings ließ er einen Teil seines Grimmes an dem unglücklichen Kleinen aus, den er, trotz der Mahnungen des Gentleman John, ohne weiteres zwang, ihm seine eigenen Kleider herauszugeben. Ihre Lage wurde aber dadurch um nichts gebessert, und sie sahen sich endlich alle gezwungen, Bill, der den zerschnittenen Briefsack auf den Rücken nahm, zu Fuß zu der nächsten, etwa noch zehn englische Meilen entfernten Station zu folgen.

Hier mußten sie einen ganzen Tag verbleiben, um erst von weiterher andere Pferde zu bekommen, denn Gentleman John hatte die Wahrheit gesprochen, als er Mr. Warrel versicherte, daß die dorthin gehörenden Pferde von seinen eigenen Leuten weggetrieben seien, und erst am vierten Tag erreichten sie in einem höchst traurigen Zustande die Hauptstadt Süd-Australiens - Adelaide.

Diese so übermütige Beraubung der Post wie die Wegführung eines der Passagiere, der sich später freilich, von Dornen zerfetzt und von den erlittenen Anstrengungen zu Tode ermattet, wieder einfand, machte in Adelaide nicht geringes Aufsehen.

Die Frechheit der Räuber war doch zu groß gewesen, als daß man sie diesmal ungestraft hingehen lassen wollte. Die ganze südaustralische Polizei, über die im Augenblick verfügt werden konnte, wurde deshalb aufgeboten, die Buschranger aufzuspüren und auf eine oder die andere Art unschädlich zu machen. Auf den Kopf des Anführers, des berüchtigten Gentleman John, war überdies eine Prämie von hundert Pfund Sterling gesetzt, und dem, der ihn lebendig einbringen würde, sogar eine Belohnung von zweihundert Pfund zugesichert worden.

Gentleman John hatte indessen seine Zeit vortrefflich genutzt, nicht allein seine Wechsel und Papiere in Adelaide, ehe der Raub bekannt wurde, zu verwerten, sondern auch die andere reiche Beute in Sicherheit zu bringen. Überall dort genau bekannt, wie auch mit den einzelnen in jener Gegend heimischen Stämmen der Australier befreundet, benutzte er diese zu Spionen, und was er ihnen dafür an wollenen Decken und Lebensmitteln gab, machte sie zu seinen willfährigen und in dem öden, wasserarmen Busch oft höchst nützlichen und brauchbaren Dienern.

Er hatte sich sogar eine der Frauen des Stammes genommen und alle dabei gebräuchlichen Zeremonien durchgemacht wie auch den Eltern des Mädchens ein reiches und übliches Kaufgeld gegeben. Dadurch fühlte sich der Stamm besonders geehrt, und Gentleman John war ihnen schon deshalb lieb geworden, weil die übrigen Weißen ihnen nur Schaden zufügten und sie von einem Platz zum andern trieben, während er ihr Freund zu sein schien. Sahen sie doch in ihm einen Leidensgefährten, der wie sie verfolgt wurde, dessen wohlbewaffnete Schar sie aber gegen weitere Übergriffe ihrer Feinde schützen und bewahren konnte.

Und Gentleman John selbst? - Der benutzte, in wildem und unbegrenztem Übermut, jede Hilfe, die sich ihm bot, kam sie von welcher Seite auch immer, jeden günstigen Augenblick, den er erhaschen konnte. Jedenfalls in seiner Jugend zu Besserem erzogen, lag, Verführter oder Verführer, ein dunkles Leben hinter ihm, und mit der neugewonnenen Freiheit schien er entschlossen, diese zu genießen, allen menschlichen Gesetzen zu Trotz und Hohn.

Rücksichtslos dabei alles unter die Füße tretend, was nicht seinem Zweck diente, wußte er sich bei der Bande, die sich ihm angeschlossen hatte, leicht in Respekt, bei der ganzen Umgegend aber in Furcht zu setzen, und er hatte schon manchen gegen ihn unternommenen Angriff vor der Ausführung vereitelt oder mit seiner wohlbewaffneten und sogar nicht einmal schlecht disziplinierten Schar zurückgeschlagen, und wenig kümmerte er sich jetzt um die Folgen seines frechen Streiches.

Von allen Seiten her aber von vortrefflichen Spionen bedient, konnte es ihm auch nicht lange verborgen bleiben, daß sich diesmal doch ein schwereres Unwetter als gewöhnlich über seinem Haupte zusammenzog. Von allen Richtungen kamen die Boten, die ihm Kunde brachten, daß in den verschiedensten Distrikten bewaffnete Mannschaft aufgeboten und ein Schlag vorbereitet würde, der ihn und seine zu gefährlich gewordene Bande mit einemmal vernichten sollte. Auch der auf sein Einbringen gesetzte Preis von zweihundert Pfund Sterling - der dem Verräter, wenn er ein entflohener Sträfling sei, außerdem volle Straffreiheit zusicherte - machte seine Stellung mehr und mehr gefährlich, denn daß er nicht auf die Treue von allen seinen Leuten zählen durfte, wußte er recht gut. Einige waren in der Tat unter ihnen, die ihn nicht ungern verraten hätten, wenn sie nur ihr eigenes Leben nicht zu sehr dabei gefährdet wußten.

Solchem Zustand mußte er ein Ende machen. Außerdem hatte er dies trostlose Leben, die stete Gefahr, das rastlose Umherstreifen in dem öden Wald, recht von Herzen satt und schon den Plan entworfen, Australien so bald wie möglich zu verlassen.

An einer Biegung des Murray hatten sie für den Augenblick ihr Lager aufgeschlagen, und die rings umher aufgeschichteten und mit Rindenstücken gegen das Wetter geschützten Vorräte schienen auf die Absicht eines längeren Aufenthalts zu deuten. Unfern davon aber und im Schilf versteckt lag ein tüchtiges Fischerboot, von denen einige den Viktoria-See befuhren, und unterderhand hatte der Buschranger bis jetzt von seinen Leuten mehrere kleine Fässer mit Wasser füllen und einigen Proviant an Bord schaffen lassen.

Allerdings drohte ihnen bei einem Fluchtversuch in die offene See noch eine keineswegs unbedeutende Gefahr, denn an der Mündung des Viktoria-Sees in die Encounter-Bay wälzt sich eine so furchtbare Brandung dem kühnen Schiffer entgegen, daß die Durchfahrt durch diesen schmalen Meeresarm schon von vielen Seeleuten als ganz unmöglich geschildert wurde. Gefahr aber, ob sie ihm von Menschen oder den Elementen drohte, konnte den verwegenen Räuber nicht schrecken. Durch diese Brandung führte die Bahn zur Freiheit, und durch sie hin war er entschlossen, seinen Weg zu suchen.

Die Einschiffung selbst sollte auch schon am nächsten Morgen stattfinden, und nur den Australiern hatte er bis jetzt noch den eigentlichen Zweck dieser Flucht verheimlicht, da sich diese wahrscheinlich widersetzt oder ihn gar im entscheidenden Augenblick verraten hätten. Ließ er sie doch schutzlos der Rache der Weißen allein zurück.

Der Morgen dämmerte eben. Auf die höchsten Wipfel der hier in der Niederung zu riesiger Höhe gewachsenen Gumbäume lag der erste Schimmer des anbrechenden Tages und färbte das mattgraue Laub der holzigen Blätter mit einem eigenen fast zauberhaften Duft. Zugleich stand noch der Mond in voller Scheibe am Himmel und warf sein fahles Licht durch die nur spärlich belaubten Wipfel auf die niederen Rindendächer und halb verglommenen Feuer, um die sich wunderliche Gruppen fest in ihre Decken eingehüllter menschlicher Gestalten und ganze Scharen halbverhungerter Hunde gelagert hatten.

Die Biwakierenden schienen sich übrigens völlig sicher zu fühlen oder der Wachsamkeit der ausgestellten Posten zu vertrauen, die nötige Zeit der Ruhe nicht durch nutzlose Sorge zu unterbrechen oder zu stören. Nur hier und da hob einer der Schläfer manchmal den Kopf, aus müden Augenlidern nach dem dämmernden Tag emporzuschauen, und hüllte sich dann fester in seine Decke, die kalten Morgennebel von sich fernzuhalten.

Da glitt eine dunkle, nackte Gestalt, mehr einem Schatten als menschlichem Wesen gleich, am Ufer des Stromes herauf und durch die dichten Büsche hin dem Lager zu. Die Hunde hoben knurrend den Kopf und drückten ihn winselnd wieder gegen ihre Weiche, als sie mit einen Augenblick hochgehaltenen Nasen den Bekannten gewittert hatten. Dieser aber sprang mitten zwischen ihnen hin, zum nächsten Feuer, schürte die Brände zusammen, bis sie zu heller Glut emporloderten, und wärmte daran die halberstarrten nackten Glieder. Doch nur kurze Rast gönnte er sich an der wohltuenden Glut. Sein rasch umhergeworfener Blick hatte bald das Rindendach des weißen Häuptlings unter den übrigen herausgefunden, und zu diesem hinanschleichend, faßte er nach der dort ausgestreckten kräftigen Gestalt Gentleman Johns und legte die Hand auf dessen Schulter.

Im Nu fuhr der Buschranger von seinem Lager empor, und die in demselben Augenblick auch aufgegriffene und gespannte Pistole bewies deutlich genug, daß er während der ganzen Nacht hindurch doch nur »mit der Hand am Kolben« geschlafen hatte.

»Pst!« flüsterte der Australier, den Finger warnend erhoben. »Sie kommen!«

»Sie kommen? - Wer?« rief John, sich wild die Haare aus der Stirn streifend.

»Die Weißen«, lautete die vorsichtige Antwort des Australiers. »Müssen die ganze Nacht bei Mondschein marschiert sein - sind oben am Fluß und eben dabei, herüberzukommen.«

»Und wie viele, Bukkul?« rief John, der erst jetzt in dem Alten den zum Kundschaften ausgesandten Vater seiner Frau erkannte.

»Tausend«, erwiderte dieser mit dem Zahlwort, das in der Sprache der Australier eine unbestimmte, aber sehr große Zahl bedeutet. »Tausend. Haben Pferde und Gewehre und viele rote Jacken und blaue Jacken und lange Messer.«

»Alle Teufel!« brummte John leise vor sich hin, »das ist um vierundzwanzig Stunden zu früh, läßt sich aber jetzt nicht ändern. Die Burschen sollen uns wenigstens nicht unvorbereitet finden. Wecke die Deinen, Bukkul!«

Ein scharfer Pfiff, den er zugleich ausstieß, schallte gellend durch den stillen Wald und brachte im Nu die schlafenden Buschranger auf die Füße. War es doch das Alarmzeichen ihrer Schar, und die Bande war sich der Gefahr, in der sie fortwährend schwebte, viel zu gut bewußt, als daß sie die Warnung auch nur für einen Moment unbeachtet gelassen hätte.

Im Nu fuhren sie von ihren harten Lagern empor, und, ihre Taschen umgehängt, die Gewehre in ihren Händen, sammelten sie sich um ihren Führer, der indessen schon einige der jungen Leute von den Australiern ausgeschickt hatte, das Vorrücken der Feinde zu beobachten.

Gentleman John übrigens, so viel persönlichen Mut er auch selbst besaß, fühlte doch viel zu gut das Mißliche seiner Lage, und er war keineswegs blind genug, sich über das Gefährliche auch nur einen Augenblick zu täuschen. Andere Kundschafter hatten berichtet, daß sich die wider ihn ausgesandte Macht auf nahezu hundert Mann belief, und wenn er denen gegenüber leicht eine gleiche Zahl ins Feld stellen konnte, wußte er doch recht gut, daß er sich nicht einmal ganz fest auf seine weißen Kameraden verlassen durfte, während die Australier bei der ersten Salve davonliefen oder doch den sicheren Busch zur Deckung suchten.

Außerdem konnte, von dem Versprechen der Straffreiheit und der goldenen Belohnung verblendet, selbst während des Kampfes leicht einer der Seinigen zum Verräter werden, und ihrer aller Untergang wäre dann gewiß gewesen. Das ja ist das Unglück des Verbrechers, daß er niemandem, selbst seinen Helfershelfern nicht, mehr trauen darf und in der ganzen Menschheit seinen Feind zu suchen hat. Auf einen gleichen Kampf mit der Polizei hätte er es deshalb auch gern und rasch gewagt; die Verzweiflung stählt den Arm des Kämpfenden, und Verzweifelte waren es hier, denen selbst der Sieg nur eine Galgenfrist bieten konnte. Jetzt aber, wo er die Übermacht auf seiten seiner Feinde wußte und ein einziger Verräter ihn leicht in ihre Hände, in die Hände des Henkers liefern konnte, mußte er sich den Rücken decken.

Rasch gab er deshalb seine Befehle, einen kleinen Teil der Vorräte in das versteckte Boot zu schaffen, während er die Schar, auf die er sich am sichersten glaubte verlassen zu können, in die Nähe, hinter eine rasch von heruntergebrochenen Zweigen und herangewälzten Stämmen aufgeworfene Barrikade postierte. Seine ganze Mannschaft teilte er dann in drei Trupps, die das Terrain nach besten Kräften nutzen und einander mit ihren Gewehren decken sollten. Solcherart hoffte er den Überfall, der jeden Augenblick stattfinden konnte, wenigstens so lange aufzuhalten, bis er sein Boot flott und segelfertig hatte, und der breite, hier ziemlich rasch strömende Fluß mochte ihn dann der Freiheit entgegenführen.

Rasch und willig führten die Buschranger die ihnen gegebenen Befehle aus, denn auch ihnen lag weit mehr daran, ihre Haut in Sicherheit zu bringen, als einen langen und ernsthaften Kampf mit den disziplinierten Gegnern zu bestehen. Mit mißtrauischen Blicken betrachteten dagegen die Australier das eilige Instandsetzen des Bootes; denn rasch genug begriffen sie, daß es ihre weißen Bundesgenossen zur Flucht benutzen wollten. Das kleine Fahrzeug konnte aber, schwerbeladen wie es war, kaum diese alle aufnehmen, und was sollte da aus ihnen werden. Der weiße Häuptling, ihrem Stamm durch eine ihrer Töchter verwandt, durfte sie nicht verlassen, und doch traf er dazu jetzt alle Vorbereitungen.

Bukkul, einer der Burkas oder Stammesältesten, der Vater von Lloko, Gentleman Johns Frau, wurde denn auch von seinem Stamm abgesandt, des Weißen Plan zu erfahren, und die erste Frage nur, die er an den schlauen Räuber richtete, warnte diesen vor der neu auftauchenden Gefahr.

»Das Boot, Bukkul?« sagte John, »sollen wir das etwa den Rotjacken überlassen? Und ebenso all das Brot und Fleisch und den Brandy, der hier aufgehäuft liegt? - Wenn wir zurück müssen in den Busch, können wir doch nicht alles auf unseren Schultern tragen, und wenn wir wieder hierherkommen, wollen wir wieder essen und trinken.«

»Und wohin will Johnny mit dem Boote gehen?« fragte der Alte.

»Wohin? - Nirgendshin - nur den Fluß ein Stück hinab, bis dahin, wo uns die Rotjacken nicht im Sumpf und Schilf folgen können.«

»Und du selbst gehst mit hinein?«

»Kann ich ins Boot?« rief der Buschranger, »wo ich uns alle hier verteidigen muß?«

»Gut«, sagte Bukkul, »dann laß die Frauen und Kinder darin den Strom hinabschwimmen, wo sie die Kugeln der Tohs [Toh bedeutet in der Sprache einiger Murraystämme zugleich Teufel und weißer Mann] nicht erreichen können. Lloko mag mit ihnen gehen, und Bukkul wird dafür sorgen, daß das große Kanu gesichert bleibt.«

»Wenn ich dich entbehren könnte, Bukkul«, erwiderte ausweichend John, »aber du allein hast Ansehen bei deinem Stamm, und wenn du fort bist, laufen deine jungen Männer auch in den Busch und lassen Johnny allein hier zurück, das Lager zu verteidigen.«

»Und sollen die Frauen und Kinder in das große Kanu?« fragte Bukkul.

»Nein«, sagte John nach einigem Zögern. »Sie sind sicherer im Busch. Wenn sie im Kanu springen und schaukeln, kentern sie, und alles, was wir darin haben, wäre verloren.«

»Es ist gut«, sagte Bukkul finster und schritt langsam zu den Feuern der Seinen zurück.

John sah ihm mit fest aufeinandergebissenen Lippen nach, aber an anderer Stelle war seine Gegenwart zu nötig, als daß ihm lange Zeit zum Überlegen geblieben wäre.

Unter den Buschrangern hatte sich nämlich ein Streit entsponnen, da ein Teil die ihnen zugewiesenen Plätze nicht behaupten und lieber mit den übrigen in der Nähe des Bootes bleiben wollte. Wer bürgte ihnen dafür, daß die anderen sie nicht im Stich ließen; wußten sie doch recht gut, daß sie an deren Stelle dasselbe getan hätten.

John war aber kaum unter sie getreten, den Streit zu schlichten, als gar nicht weit von dem Lager entfernt ein Schuß fiel, und gleich darauf stürzte einer der Australier, seinen Speer schwingend, zum Lager.

»Wahnsinnige!« schrie da John, den Augenblick nutzend. »Jetzt, wo der Feind im Begriff ist, uns von allen Seiten anzugreifen, streitet Ihr Euch wie Kinder um Euren Platz im Kampf. An Eure Posten, oder, beim Teufel, der erste, der noch ein Wort der Gegenrede über seine Lippen bringt, stirbt von meiner Hand. Fort, Ihr da - hinüber hinter das Verhau - seht Ihr dort hinten die Rotjacken durch die Bäume schimmern? - Die sind ein treffliches Ziel, und an denen laßt Euren Grimm aus, soviel Ihr wollt.«

John hatte recht. Schon konnten sie zwischen den schlanken und hohen Stämmen der Niederung hin die rote Uniform ihrer Feinde hier und da vorschimmern sehen, und da die Buschranger recht gut wußten, daß sie wenigstens den ersten Anprall der Gegner zurückweisen mußten, um freie Hand zu ihrer Flucht zu bekommen, folgten sie jetzt dem Befehl des Anführers, der ihnen mit seinem Beispiel voranging. An den Kampf im Busch gewöhnt, und besonders hier mit jedem Vorteil, den ihnen der Boden gewährte, bekannt, hatten sie auch bald die erste mehr zur Erkundung als zum wirklichen Angriff ausgesandte Abteilung des Militärs in die Flanke gefaßt, und ihre Kugeln trafen und überraschten den Feind von allen Seiten.

Durch den Übermut der Buschranger dazu getrieben, dem Unwesen endlich ein Ende zu machen und die Sicherheit des Eigentums in der Kolonie einigermaßen wiederherzustellen, waren in der Tat, wie schon erwähnt, die äußersten Anstrengungen gemacht worden. Hielten doch diese Nachrichten, wenn sie nach Europa drangen, vielleicht zum Auswandern Gewillte davon ab, ihr Leben und Vermögen einer Kolonie anzuvertrauen, wo beides in solchem Grade gefährdet war und, wie es schien, von den Behörden nicht einmal mehr geschützt werden konnte.

Der Oberbefehl war dabei wieder unserem alten Bekannten, Tolmer, übertragen worden, der nicht allein den Busch, sondern auch diesen übermütigen und gefährlichen Räuber sehr genau kannte. Er hatte ihn früher schon einmal eingeliefert, und jetzt hatte er es den nachlässigen Behörden zu danken, daß er aufs neue sein Leben in die Schanze schlagen durfte, den zum Äußersten getriebenen Verbrecher endlich unschädlich zu machen.

Es bedurfte aber auch eines solchen Führers, das mit dem Busch nur wenig vertraute Militär alle die ihm entgegenstehenden Schwierigkeiten überwinden zu lassen, denn von den Siedlern und Schäfern durften sie auf wenig oder gar keine offene Hilfe und Unterstützung rechnen. Diese fürchteten die Buschranger und deren Rache, wenn das Unternehmen mißglücken sollte, mehr, als sie von dem gegen sie unternommenen Zug erhofften.

Nur zu oft war es nämlich schon vorgekommen, daß sich die Siedler hatten verleiten lassen, den gegen die Strauchdiebe ausgesandten Polizeibeamten tätige und offene Hilfe zu leisten, ohne daß die letzteren etwas Wesentliches ausgerichtet hätten. Die Polizei zog sich dann wieder zurück, aber die Siedler blieben auf ihren einsamen Stationen der Rache der gereizten Verbrecher preisgegeben, die dann auch selten säumten, furchtbare Wiedervergeltung zu üben. Mit solchen Erfahrungen hielten es die auf viele Meilen voneinander zerstreut wohnenden Ansiedler für geratener, sich bei späteren Expeditionen, wo das nicht ganz im geheimen geschehen konnte, gar nicht mehr zu beteiligen, ja sie unterstützten die in ihrer Nachbarschaft ihr Wesen treibenden Buschranger wohl noch gar mit Lebensmitteln und Kleidern, wenn sie deren dringend bedurften; sie versuchten damit sich deren guten Willen zu erkaufen und sie abzuhalten, ihre Herden fortzutreiben oder ihre Stationshäuser in Brand zu stecken.

Tolmer brauchte sie nicht; mit ein paar Australiern, die dem am Murray lagernden Stamm feindlich gesonnen waren, hatte er am Abend vorher, ehe der Angriff stattfinden sollte, die Gegend ausgekundschaftet und sich von der Situation des Lagers wie der ungefähren Stärke des Feindes überzeugt. Wäre diese aber auch doppelt so stark gewesen, Tolmer wußte, daß seine Leute siegen würden, denn wenn auch die Verzweiflung einer solchen Schar ihre wackere Hilfe im Kampf ist, wog das Bewußtsein ihrer guten Sache das auch doppelt wieder auf. Von dem im Schilf versteckten Boot hatte er keine Ahnung und deshalb an die andere Seite des Stromes nur einige Scharfschützen postiert, auf solche der Feinde zu feuern, die etwa in einem der erbärmlichen Rindenkanus oder durch Schwimmen das gegenüberliegende Ufer zu erreichen versuchten.

Zwei Freiwillige hatten sich übrigens seinem Zug angeschlossen, und zwar zwei alte Bekannte von uns, Bill, der Kutscher der »Royal Mail«, der dem würdigen Fuhrwerk Valet gesagt hatte, sein Brot auf andere Weise zu verdienen, und jener Siedler, Passagier der geplünderten Postkutsche.

Bill, der auf den Fahrten mit dem lebensgefährlichen Karren wochenlang seinen Hals riskiert hatte, sah auch in dieser Expedition eben nichts Gefährlicheres und wollte, weil für den Augenblick ohne bestimmte Beschäftigung, die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, den verwünschten Buschranger wiederzufinden und Rechenschaft zu fordern für die erlittene Mißhandlung.

Der Siedler kam in einer anderen Hoffnung. Gentleman John hatte ihm nämlich nicht allein seine erst teuer gekauften Waffen, sondern mit der Brieftasche auch sein ganzes Besitztum abgenommen, das er erst wenige Tage vorher zu Geld gemacht hatte. Seine Absicht war gewesen, sich in der Nähe von Adelaide niederzulassen, weshalb er seine Station mit all seinen Herden am Nooratberg verkauft hatte. Jetzt, von allen Mitteln entblößt, blieb ihm fast nichts anderes übrig, als hier einen letzten verzweifelten Versuch zu machen, sein Geld vielleicht wiederzubekommen oder doch wenigstens an dem frechen Räuber Rache zu nehmen.

Tolmer hatte indessen seine ihm untergebene Schar in zwei Gruppen geteilt, von denen er die eine in die Flanke der Bande gesandt hatte, während er mit der anderen gerade vorrückte. Recht gut wußte er dabei, daß die Buschranger an dem dort sehr hohen Ufer des Stromes eine günstige Stellung eingenommen hatten, und sie oder wenigstens einen Teil von ihnen aus ihr herauszulocken, schickte er eine kleine Abteilung Militär voraus, das den strengen Befehl hatte, nur einige Schüsse abzufeuern und sich, sowie der Feind gegen sie anrücke, langsam hinter den Schutz der Bäume zurückzuziehen.

Gentleman John war aber zu schlau, als daß er in diese viel zu offen liegende Falle ginge, und sowie die Soldaten dem scharfen Feuer der Seinen wichen, rief sein Signal die siegesmutigen Räuber wieder hinter ihre Verschanzungen zurück.

Rotkopf, einer der wenigen Buschranger, auf die er sich am besten glaubte verlassen zu dürfen, hatte indessen die Einschiffung der zu einer langen Fahrt notwendigsten Gegenstände besorgt; er hatte insbesondere einige der Australier dazu verwandt, nicht allein den Proviant in das Boot zu packen, sondern auch noch verschiedene kleine Wasserfässer zu füllen, da sie das Wasser den Strom weiter hinab seines Salzgehaltes wegen nicht mehr gebrauchen konnten. Dadurch aber war der Verdacht der Australier zur Gewißheit geworden; denn wenn den Weißen nur daran lag, ihr Boot weiter unten am Strom in ein sicheres Versteck zu bringen, so hätten sie dazu nicht des vielen frischen Wassers bedurft. Gingen sie aber wirklich in See, so war ihr Stamm hier der größten Gefahr ausgesetzt, von den Feinden aufgerieben zu werden.

Tolmer wußte allerdings nichts von dieser Uneinigkeit im Lager der Feinde, er hatte sie aber diesmal zu fest und sicher umstellt, als daß er nicht von einem entschiedenen Angriff seiner ganzen Macht alles erhofft hätte. Über den Fluß konnten die Buschranger nicht, ohne von seinen Schützen drüben empfangen zu werden, der Weg in den Busch war ihnen durch seine Konstabler und berittenen Polizeisoldaten abgeschnitten, und ein Teil der letzteren mit der kleinen ihm mitgegebenen Abteilung regulären Militärs mußte sie jetzt entweder aufreiben oder in das Uferschilf des Murray jagen, wo ihnen zuletzt keine andere Wahl blieb, als sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben.

Kaum hatte sich deshalb der zum Erkunden abgeschickte erste Trupp vor dem heftigen Feuer der sich von allen Seiten auf sie werfenden Buschranger zurückgezogen - wobei sie drei Tote auf dem Kampfplatz lassen mußten -, als Tolmer das Zeichen zum allgemeinen Angriff gab und jetzt besonders die reguläre Truppe mit weit mehr Erbitterung über den heißen Empfang als Vorsicht auf die Räuber eindrang. Sie erreichte auch zuerst den Kampfplatz, und die Buschranger, die am Anfang glaubten, daß sie die ganze Macht des Feindes hier vor sich hätten, richteten auf die roten, leicht zu erkennenden und besonders im Buschkampf höchst unzweckmäßigen Uniformen ihr ganzes tödliches Feuer. Selbst die an der rechten Flanke postierten Männer schossen ihre Musketen nach jener Richtung ab und erhoben ein Siegesgeschrei, als sie sahen, welch schlimme Wirkung ihre Kugeln in dem dichtgedrängten kleinen Trupp der Soldaten anrichtete.

Diesen Augenblick, ehe die Räuber imstande waren, ihre Gewehre wieder zu laden, benutzten die Konstabler, denen sich der Siedler und Bill angeschlossen hatten, mit einem lauten Hurra und bei dem Rasseln einer von den Soldaten geborgten Trommel, aus ihrem Hinterhalt zu brechen. Ohne einen Schuß zu feuern, drangen sie bis auf etwa zwanzig Schritt gegen die bestürzten Buschranger vor und hatten, erst jetzt in tödlicher Nähe ihre Musketen und Doppelflinten auf sie entladend, im Nu den Verhau gestürmt, der den Räubern bis dahin Schutz gewährt hatte.

Zu ihrem Beistand war zwar von Gentleman John der ganze Stamm der Australier bestimmt worden, der mit seinen Speeren einen dort angreifenden Feind in der Flanke fassen sollte. Bukkul aber, nicht gesonnen, das Boot außer acht zu lassen, hatte seinen Leuten insgeheim Gegenbefehle gegeben, und während die überraschten Buschranger jetzt in panischem Schreck zu dem Haupttrupp der Ihren flohen, glitten die Australier, von den Frauen und Kindern gefolgt, der Stelle zu, wo das Boot, nur von einigen überhängenden Bäumen verdeckt, flott im Strome lag.

Gentleman John übersah mit einem Blick die über ihn hereinbrechende Gefahr. Rotkopf, den er zum ersten Leutnant seiner Schar gemacht, hatte freilich sogar für diesen von dem schlauen Buschranger vorhergesehenen Fall seine Instruktionen - durfte er aber selbst diesem trauen? Da antwortete eine Musketensalve vom Boot her seinem ängstlichen Zweifel. Die dort gestörte Schar hatte, dem Befehl des Anführers getreu und auch im eigenen Trieb der Selbsterhaltung, ohne weiteres auf die befreundeten Australier Feuer gegeben, und laut aufheulend in Schmerz und Wut wichen diese den wohlgezielten Kugeln der Verräter.

Dies plötzliche Feuer im Rücken aber erfüllte den vorderen Trupp der Buschranger, die von diesem Befehl keine Ahnung hatten und sich von allen Seiten umzingelt glaubten, mit Entsetzen. Und während John, die augenblickliche Verwirrung benutzend, zurück zu dem Boot sprang, warfen sich einige von seinen Leuten voller Verzweiflung und alles verloren glaubend in den Strom, das gegenüberliegende Ufer durch Schwimmen zu gewinnen, während andere neben den Feinden hin in das Dickicht zu entkommen suchten.

Der Siedler sowohl wie Bill, die bei dem siegreichen Flankenangriff beteiligt waren, hatten indessen unter den Räubern beide ihren gemeinsamen Feind erkannt, und ohne sich um die anderen zu kümmern, deren zersprengter Schwarm meist niedergeschossen wurde oder den Konstablern in die Hände fiel, sprangen die beiden Männer hinter der flüchtigen Gestalt des Räubers her, mitten in das Lager hinein.

John wußte recht gut, daß er keinen Augenblick zu versäumen hatte, sich und einige wenige der Seinen in dem Boot in Sicherheit zu bringen. Was kümmerten den Räuber die übrigen; sie hätten an seiner Stelle dasselbe getan. Jetzt gerade war der günstigste Moment, da die Feinde durch das Ausbrechen des überraschten Vortrupps vollauf beschäftigt und aufgehalten wurden. Ohne sich deshalb auch nur nach denen, die er befehligt hatte, umzusehen, und völlig gleichgültig dagegen, was aus ihnen würde, umsprang er die nächste Verschanzung, hinter der noch der letzte Rest ihrer Vorräte aufgeschichtet lag.

Von dort aus konnte er das Boot erkennen. Rotkopf stand im Spiegel, das Steuer in der Hand, sechs oder sieben seiner Schar hatten teils Riemen, teils Stangen aufgegriffen, das Fahrzeug, sowie der Befehl gegeben wurde, vom Ufer zu stoßen, und zwei andere waren gerade beschäftigt, eine dünne Ankerkette, die um einen Baum am Ufer geschlungen war, loszuwerfen. Es schien die höchste Zeit, daß er sich seinen Leuten zeigte, fühlte er sich doch nicht einmal ganz sicher, daß selbst Rotkopf auf ihn warten würde, wenn der, Gefahr für sich sehend, das Boot, von allen Hindernissen frei, im Strom hatte.

Kaum noch hundert Schritt war er von diesem entfernt, und er wollte eben einen im Weg liegenden Gumbaum überspringen, als sich ihm dort die drohende Gestalt seines alten Bekannten, des Siedlers, in den Weg warf, der ihm, das Gewehr auf ihn angelegt, ein donnerndes »Halt, verdammte Bestie!« entgegenrief. Zu gleicher Zeit hörte er flüchtige Schritte hinter sich, und, den Kopf scheu zurückwendend, erkannte er Bill, den früheren Postillon der »Royal Mail«, der, sein abgeschossenes Gewehr am Lauf haltend, mit gehobenem Kolben hinter ihm dreinsprang.

»Ergib dich, Kanaille«, donnerte der Siedler dem Buschranger entgegen, »oder, beim ewigen Gott, ich schicke dir eine Ladung Blei durchs Hirn!«

»Schieß und sei verdammt!« knirschte der Buschranger durch die Zähne, denn er hatte nur noch die Wahl zwischen dem Tod auf dem Schlachtfeld oder am Galgen; und mit raschem Ansprung wollte er sich auf den Gegner werfen. Da berührte dessen Finger den Drücker, und um Johns Leben wäre es geschehen gewesen, hätte sich nicht in diesem Augenblick jemand dazwischengeworfen.

Es war Lloko, die er mit allen ihres Stammes gerade dem Feind überlassen wollte. Mit der kurzen Kriegskeule in der Hand, die sie zu ihrer Verteidigung aufgegriffen hatte, schmetterte sie das drohend auf ihn gerichtete Rohr zur Seite, als es seine tödliche Ladung gegen ihn entsandte. Der zweite, blitzschnell dem ersten folgende Schlag war gegen das Haupt des Weißen gerichtet, und der ehrliche Siedler brach, von dem harten Holz getroffen, bewußtlos zusammen.

John, der sich jetzt nur noch von einem, und zwar dem am wenigsten gefährlichen Gegner bedroht sah, schöpfte wieder neue Hoffnung.

»Brav, Lloko!« rief er, indem er geschickt dem Kolbenschlag Bills auswich. »Du verstehst es viel besser als der Tölpel hier.« Im gleichen Moment unterlief er den im Buschkampf weniger geübten Rosselenker, und Bill fühlte nur noch ein paar unbestimmte dumpfe Schläge, die ihm der geübte Boxer auf Stirn und Schläfe gab, als er, wie von einem Schmiedehammer getroffen, zusammenknickte.

Drei, vier Schüsse wurden jetzt von einzelnen der Konstabler, die den Kampf aus der Ferne gesehen hatten, herübergefeuert, und die Kugeln schlugen links und rechts in die Bäume ein. Unversehrt aber sprang John, von Lloko dicht gefolgt, dem Boote zu, das in diesem Augenblick seine Kette freibekommen hatte.

»Höchste Zeit, daß Ihr kommt, Johnny!« rief diesem Rotkopf entgegen, »Teufel noch einmal, es wird Zeit, daß wir abschieben - an Bord, sag ich - an Bord, oder wir haben die Rotjacken am Hals, ehe wir's denken. - Soll denn die Schwarze mit?«

John blickte, noch wägend, zu Lloko hinüber, die sich aber, ohne auf die Frage zu achten, in den Strom warf und zu dem Boot schwamm und an Bord kletterte. Zeit zum Überlegen blieb überhaupt nicht, und Gentleman John mußte ihrem Beispiel folgen, wollte er nicht selbst zurückgelassen werden. Seine Brieftasche zwischen den Zähnen, stieg er in den Strom und hatte kaum eine ihm zugereichte Stange ergriffen, sich hinüberziehen zu lassen, als die ersten der Feinde schon auf der Uferbank erschienen und rannten, das Boot am Abfahren zu hindern. In wenigen Sekunden war der Führer der Buschranger an Bord, und mit Stangen und Riemen arbeitete die kleine Schar, die Mitte des hier ziemlich breiten und tiefen Stromes zu gewinnen.

Durch das Geschrei der Konstabler angelockt, eilte jetzt auch ein kleiner Trupp der bis zu dem verlassenen Hauptlager vorgedrungenen Soldaten herbei, und diese feuerten, als sie das Boot im Wasser sahen, ihre Gewehre darauf ab. Zwei der Buschranger wurden getötet, und John erhielt eine Streifwunde an der Schulter. Das schilfige Ufer verhinderte hier aber, daß ihnen die Feinde rasch folgen konnten, und ehe diese wieder geladen hatten, waren die Fliehenden aus dem Bereich ihrer Kugeln.

Schweren Stand würden die flüchtigen Räuber freilich trotzdem gehabt haben; denn Tolmer führte einen Teil seiner Leute auf einem ihm bekannten Pfad den Strom hinab, wo sie, wenn sie vor dem Fahrzeug eintrafen, den an dieser Stelle wohl sehr tiefen, aber nicht breiten Strom sehr leicht überschießen konnten.

Ein scharf einsetzender Nordwestwind begünstigte aber die Verbrecher. Nachdem sie die beiden Leichen der getöteten Kameraden ohne weitere Zeremonie über Bord geworfen und ihr kleines Boot dadurch wesentlich erleichtert hatten, setzten sie das schon bereitliegende Segel und glitten jetzt, weit schneller, als ihnen das mit Rudern möglich gewesen wäre, den leicht gekräuselten Strom hinab.

Als die Verfolger die erwähnte Stelle erreichten, konnten sie eben noch in der Ferne, gerade dort, wo der Murray breit und sumpfig in den Viktoriasee einmündet, das lichte Segel der Räuber erkennen; an ein weiteres Nachsetzen ohne Boote war nicht zu denken.

Zwar wurden solche so rasch wie möglich vom Ufer des Sees her requiriert, und der Anführer der Polizei hatte immer noch die Hoffnung, die flüchtigen Feinde wieder aufzuspüren, die, wie er glaubte, es nicht wagen würden, die gefährliche Einfahrt in die Encounter-Bay und in die offene See zu versuchen.

Was aber blieb den zur Verzweiflung getriebenen Männern anderes übrig als jetzt, mit den Mitteln ausgestattet, das Land ihrer Knechtschaft, das für sie entsetzliche Australien, zu verlassen, auch das Äußerste dafür zu wagen. Sie alle wußten, daß sie, einmal in die Hände des Gerichts gefallen, rettungslos der Strick des Henkers erwarte, und was war dagegen die tosende Brandung, die ihnen am nächsten Abend ihren weißen Kamm entgegenwälzte.

Rotkopf, ein alter Matrose, der früher wegen versuchter und wahrscheinlich auch schon ehedem ausgeführter Seeräuberei deportiert worden war, übernahm die Führung des kleinen Fahrzeugs, von dem aus er erst eine Zeitlang den Gang der Brandung beobachtete. Dabei fand er bald, daß sie sich in ziemlich hohen und gefährlichen Sturzwellen gegen die einzige Ausfahrt heranwälzte. Zwischen den verschiedenen Sturzwellen aber, und regelmäßig nach der dritten, trat eine kurze Ruhe mit stillem Wasser ein, die ihnen die Möglichkeit ließ, hindurchzukommen. Der Wind war ihnen günstig, und benutzten sie ihre Zeit kaltblütig und geschickt, so war, das sah er bald, die Ausfahrt möglich.

Ohne Zögern wurden deshalb die nötigen Vorbereitungen getroffen. Mit dem scharfen Bug glitt das kleine, schwankende Fahrzeug zitternd der Flut entgegen, als ob es erbebe vor der nahenden Gefahr. Rotkopf aber handhabte das schmucke Boot mit sicherem Blick. Das Segel wurde, als sie die Brandung fast erreicht hatten, eingeholt, nur die Ebbe führte sie jetzt mit starker Strömung der furchtbaren Stelle zu. - Ein Zurück war schon nicht mehr möglich - vor ihnen bäumten sich die gläsernen Mauern und schüttelten ihnen drohend die weißen, sonneblitzenden Mähnen entgegen - es war die dritte Brandungswelle, die fast über ihren Häuptern hing. Jetzt schmolz sie wie ein Hauch in sich zusammen, und rechts und links vom Boot zischte und tanzte der silberblinkende, wirbelnde, kochende Schaum.

»Euer Segel auf!«

Im Nu faßte es der Wind und riß das Boot durch den gärenden Strudel hin. - Schon hob sich die neue Woge wieder bäumend auf, und hinter dem Spiegel des kleinen Fahrzeuges quoll es empor in riesenhafter Größe - noch wenige Sekunden, und es hätte dem Schiff den Wind genommen und es hineingezogen in den Wasserberg - aber die Ebbe half den Räubern über die Gefahr. Zischend schoß das schlank und trefflich gebaute Boot der offenen Flut, der freien See entgegen, und jauchzend, jubelnd begrüßten die Geretteten das Meer!