DREIZEHN
Zwar konnte die Reisegruppe es nicht wissen, aber sie wurde im Abstand von nur wenigen Stunden verfolgt, und so war ihr Entkommen nur ein glücklicher Zufall.
Wenn sie Kurs auf die Küste der sechs Emirate genommen hätte, wären sie wahrscheinlich gefasst worden. Aber sie fuhr nach Osten, über die gebirgige Landenge und auf das siebte Emirat zu, nach Fujairah am Golf von Oman.
Bald ließen sie die letzte Asphaltstraße hinter sich und fuhren auf ausgefahrenen Pisten, die sich zwischen den braun gebrannten Bergen von Jebel Yibir verloren. Von der Passhöhe ging es hinunter zu dem kleinen Hafen von Dibbah.
Ein gutes Stück weiter unten an derselben Küste erhielt die Polizei von Fujairah eine Anfrage mit einer umfassenden Beschreibung aus Dubai, und sie richtete an der Straße, die aus den Bergen zu ihrer Stadt führte, eine Straßensperre ein. Viele Lieferwagen wurden gestoppt, aber in keinem saßen die vier Terroristen.
Dibbah ist nicht weiter bemerkenswert: weiße Häuser, eine Moschee mit grüner Kuppel, ein kleiner Hafen für Fischer und manchmal auch Charterboote für westliche Taucher. Zwei Flussmündungen weiter wartete ein Aluminiumboot; es war auf den Strand heraufgezogen, und die beiden großen Außenborder ragten aus dem Wasser. Der Laderaum mittschiffs war von angeketteten Zusatztanks ausgefüllt. Die zweiköpfige Besatzung hatte im Schatten eines einzelnen Kameldorns zwischen den Felsen Schutz gesucht.
Für die beiden einheimischen jungen Männer war die Reise hier zu Ende. Sie würden den gestohlenen Lieferwagen hoch hinauf in die Berge fahren und dort zurücklassen. Und dann würden sie einfach in denselben Straßen verschwinden, die auch Marwan al-Shehhi hervorgebracht hatten. Suleiman und der Afghane halfen mit, das Zigarettenboot wieder ins hüfttiefe Wasser zu schieben. Ihre westliche Kleidung war noch verpackt, um sie vor der Salzwassergischt zu schützen.
Als die beiden Passagiere und die Besatzung an Bord waren, fuhr das Schmugglerboot geruhsam an der Küste entlang fast bis zur Spitze der Halbinsel hinauf. Erst in der Dunkelheit würden die Schmuggler die rasende Überfahrt durch die Meerenge beginnen.
Zwanzig Minuten nach Sonnenuntergang forderte der Mann am Steuer seine Passagiere auf, sich festzuhalten, und dann gab er Vollgas. Das Boot hob sich aus dem unruhigen Wasser vor der äußersten Spitze Arabiens und schoss in Richtung Iran. Die fünfhundert PS der beiden Motoren ließen es über das Wasser fliegen. Martin schätzte, dass sie fast fünfzig Knoten erreichten. Die kleinste Welle traf das Boot wie ein Klotz, Gischt peitschte über die Bordwände. Alle vier hatten sich das Gesicht mit der keffiyeh umwickelt, um die Sonne abzuhalten, und jetzt schützte das Tuch sie vor den harten Wassertropfen.
Nach weniger als dreißig Minuten tauchten an Backbord die ersten verstreuten Lichter der persischen Küste auf, doch das Schmugglerboot raste weiter ostwärts in Richtung Gwador und Pakistan. Die gleiche Strecke hatte Martin vor einem Monat unter den ruhigen Segeln der Rasha zurückgelegt. Die Rückfahrt ging jetzt zehnmal so schnell.
Vor den Lichtern von Gwador drosselte die Besatzung die Motoren und stoppte dann. Es war eine willkommene Erleichterung. Mit Trichtern und Muskelkraft schafften sie die Benzinfässer ins Heck und füllten die Tanks der beiden Motoren bis zum Rand. Wo sie für den Rückweg nachtanken würden, war ihre Sache.
Faisal bin Selim hatte Martin gesagt, diese Schmuggler könnten innerhalb einer Nacht aus omanischen Gewässern nach Gwador fahren und im Morgengrauen mit neuer Ladung zurück sein. Aber diesmal fuhren sie offensichtlich weiter und würden auch bei Tageslicht unterwegs sein müssen.
Als der Morgen dämmerte, waren sie weit in pakistanische Gewässer vorgedrungen und hielten sich nah genug an der Küste, dass man sie für ein Fischerboot halten konnte, das seiner Arbeit nachging – nur, dass kein Fisch so schnell schwimmt. Aber von den Behörden war weit und breit nichts zu sehen, während die kahle braune Küste wie im Flug vorüberzog. Als es Mittag wurde, begriff Martin, dass Karachi ihr Ziel sein musste. Was sie vorhatten, wusste er immer noch nicht.
Noch einmal tankten sie auf See nach, und als die Sonne hinter ihnen im Westen unterging, wurden sie bei einem stinkenden Fischerdorf unweit des größten pakistanischen Hafens an Land gebracht.
Suleiman war wohl noch nicht hier gewesen, aber er war offensichtlich von jemandem instruiert worden, der seine Hausaufgaben gemacht hatte. Martin wusste, dass al-Qaida ungeachtet von Zeit und Kosten gewissenhaft recherchierte; es war eins der wenigen Dinge, die er an ihr bewundern konnte.
Der Golf-Araber fand das einzige Fahrzeug im Dorf, das zu mieten war, und handelte einen Preis aus. Die Tatsache, dass zwei Fremde ohne jeden Anschein von Legalität von einem Schmugglerboot an Land gebracht worden waren, veranlasste hier niemanden, auch nur die Brauen zu heben. Hier war Belutschistan. Die Regeln aus Karachi waren etwas für Idioten.
Im Wagen stank es nach Fisch und Körperschweiß, und der Motor schaffte unter Fehlzündungen nicht mehr als vierzig Meilen pro Stunde. Mehr ließen aber auch die Straßen nicht zu. Bald hatten sie den Zubringer zum Flughafen gefunden und hatten, als sie dort ankamen, noch ein wenig Zeit.
Der Afghane zeigte sich angemessen erstaunt und unbeholfen. Er war ja erst zweimal geflogen – beide Male in einer amerikanischen C-130 Hercules, beide Male als Gefangener in Ketten. Er wusste nichts von Check-in-Schaltern, Flugtickets, Passkontrollen. Mit spöttischem Lächeln zeigte Suleiman ihm alles.
Irgendwo zwischen den endlos drängelnden und schiebenden Menschenmassen im Hauptterminal des Karachi International Airports fand der Araber den Ticketschalter der Malaysian Airlines und kaufte zwei Tickets in der Economy Class nach Kuala Lumpur. Umfangreiche Visaanträge mussten ausgefüllt werden, in englischer Sprache; Suleiman übernahm das. Die Tickets bezahlte er bar mit amerikanischen Dollars, der überall auf der Welt akzeptierten Währung.
Der Flug mit dem europäischen Airbus A330 dauerte sechs Stunden plus drei wegen der Zeitverschiebung. Die Maschine landete um neun Uhr dreißig, nachdem ein kleines Frühstück serviert worden war. Zum zweiten Mal legte Martin seinen neuen Bahraini-Pass vor und fragte sich, ob es Beanstandungen geben würde. Es gab keine. Der Ausweis war perfekt.
Aus der internationalen Ankunftshalle führte Suleiman sie zum Abflug-Terminal für Inlandsflüge und kaufte zwei einfache Tickets. Erst als Martin seinen Boardingpass vorzeigen musste, sah er, wohin sie flogen: zur Insel Labuan.
Er hatte schon von Labuan gehört, aber viel wusste er nicht. Die Insel lag vor der Nordküste Borneos und gehörte zu Malaysia. In der Touristenwerbung war von einer geschäftigen, kosmopolitischen Insel die Rede, von atemberaubenden Korallenriffen in den Gewässern ringsum, aber in westlichen Briefings über die kriminelle Unterwelt genoss die Insel einen anderen, dunkleren Ruf.
Sie war früher Teil des Sultanats Brunei, das zwanzig Meilen weit entfernt an der Küste von Borneo liegt. Die Briten annektierten sie 1846 und behielten sie 117 Jahre lang, von denen drei Jahre japanischer Besetzung im Zweiten Weltkrieg abgerechnet werden müssen. Im Zuge der Dekolonisation übergaben die Briten die Insel 1963 an den Staat Sabah, und 1984 fiel sie an Malaysia.
Da sie zu jenen Absonderlichkeiten gehört, die auf ihrem fünfzig Quadratmeilen umfassenden ovalen Territorium keinerlei erkennbare Ökonomie besitzen, hat sie sich eine geschaffen. Mit dem Status eines internationalen Offshore-Finanzzentrums, eines zollfreien Hafens und Billigflaggen-Standorts und eines Mekkas für Schmuggler hat Labuan eine ziemlich dubiose Klientel angelockt.
Martin begriff, wohin er flog: mitten ins Herz der wildesten Schiffsentführer-, Frachträuber- und Matrosenmörder-Industrie. Er brauchte jetzt Kontakt zur Basis, um ein Lebenszeichen abzugeben, und er musste sich überlegen, wie er ihn herstellen sollte. Und zwar schnell.
Bei der kurzen Zwischenlandung in Kuching, dem ersten Anflughafen auf Borneo, blieben die Passagiere, deren Flug hier nicht zu Ende war, an Bord.
Nach vierzig Minuten Aufenthalt startete die Maschine in Richtung Westen, kreiste über dem Meer und ging auf Nordostkurs in Richtung Labuan. Tief unter dem kreisenden Flugzeug war die Countess of Richmond unter Ballast auf dem Weg nach Kota Kinabalu, um Padauk und Rosenholz aufzunehmen.
Nach dem Start verteilte die Stewardess die Landing Cards. Suleiman füllte sie beide aus. Martin musste weiter so tun, als könne er nicht Englisch schreiben oder lesen und nur ein paar Worte sprechen. Aber er hörte die Sprache überall um sich herum. Er und Suleiman hatten sich in Kuala Lumpur umgezogen und trugen jetzt Anzüge und Hemden. Er hatte keinen Stift und auch keinen Grund, sich einen zu borgen. Vorgeblich waren sie ein bahrainischer Ingenieur und ein omanischer Buchhalter, die mit einem Vertrag der Erdgasindustrie auf dem Weg nach Labuan waren. Das trug Suleiman jetzt auch in die Formulare ein.
Martin murmelte, er müsse zur Toilette. Er stand auf und ging nach hinten, wo es zwei gab. Die eine war frei, aber er tat, als seien sie beide besetzt, und ging nach vorn. Das hatte einen Sinn. Die Boeing 737 flog mit zwei Kabinen: Economy und Business Class. Zwischen beiden war ein Vorhang, und Martin musste hindurch.
Vor der Toilettentür in der Business Class blieb er stehen, strahlte die Stewardess an, die die Landing Cards verteilt hatte, und zupfte eine neue Landing Card und ihren Kugelschreiber aus ihrer oberen Jackentasche. Die Toilettentür öffnete sich klickend, und er ging hinein. Er hatte nur Zeit, eine kurze Nachricht auf die Rückseite der Karte zu schreiben, sie zusammengefaltet in die Brusttasche zu schieben, herauszukommen und den Kuli zurückzugeben. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück.
Man hatte Suleiman gesagt, der Afghane sei vertrauenswürdig, aber er behielt ihn dennoch ständig im Auge. Vielleicht wollte er vermeiden, dass sein Schützling aus Naivität oder Unerfahrenheit einen Fehler beging, vielleicht lag es auch an seiner jahrelangen Ausbildung bei al-Qaida – jedenfalls ließ seine Wachsamkeit niemals nach, nicht einmal während der Gebete.
Der Flughafen von Labuan war das Gegenteil von dem in Karachi: klein und gepflegt. Martin hatte immer noch keine Ahnung, wohin sie wollten, aber vermutlich wäre der Flughafen die letzte Chance, seine Nachricht loszuwerden. Hoffentlich hatte er Glück.
Es war nur ein kurzer Augenblick, und er ergab sich auf dem Gehweg vor dem Terminal. Die Instruktionen, die Suleiman sich eingeprägt hatte, mussten außergewöhnlich präzise gewesen sein. Er hatte sie um die halbe Welt geführt, und er war offensichtlich ein erfahrener Reisender. Martin konnte nicht wissen, dass der Araber seit zehn Jahren bei al-Qaida war und der Bewegung im Irak und in Fernost, vor allem in Indonesien, gedient hatte. Und er konnte auch nicht wissen, was Suleimans Spezialität war.
Suleiman suchte die Vorfahrt vor dem Terminalgebäude ab, das Ankunft und Abflug auf einer Ebene abfertigte: Er hielt Ausschau nach einem Taxi, als eines auf sie zugefahren kam. Es war besetzt, aber offenbar würden die Fahrgäste vor dem Terminal aussteigen.
Es waren zwei Männer, und Martin hörte sofort ihren englischen Akzent. Beide waren groß und muskulös, beide trugen Khakishorts und geblümte Hawaii-Hemden. Beide waren verschwitzt von der brennenden Sonne und der schwülen 30-Grad-Hitze vor dem Monsun. Der eine zog malaysisches Geld aus der Tasche, um den Taxifahrer zu bezahlen, der andere holte das Gepäck aus dem Kofferraum. Sie hatten zwei Hartschalenkoffer und zwei Taschen mit Taucherausrüstungen. Es waren Journalisten, die für eine britische Sporttaucher-Zeitschrift die Korallenriffe besichtigt hatten.
Der Mann am Kofferraum konnte nicht alle vier Gepäckstücke gleichzeitig bewältigen. Bevor Suleiman ein Wort sagen konnte, griff Martin zu und half dem Taucher. Er wuchtete eine der Ausrüstungstaschen aus dem Wagen auf den Gehsteig. Dabei steckte er die zusammengefaltete Landing Card in eine der Seitentaschen, von denen Tauchertaschen mehrere haben.
»Danke, Mann«, sagte der Taucher, und die beiden nahmen Kurs auf den Check-in-Schalter für ihren Flug nach Kuala Lumpur und weiter nach London.
Suleiman gab dem malayischen Fahrer seine Anweisungen auf Englisch: Es ging zu einer Frachtagentur im Herzen des Hafens. Hier wurden die Reisenden endlich von jemandem erwartet. Wie die beiden erregte auch er keine Aufmerksamkeit durch auffällige Kleidung oder Gesichtsbehaarung. Er war takfir wie sie. Er stellte sich als Mr. Lampong vor und führte sie zu einem Kabinenkreuzer, einem 50-Fuß-Sportfischerboot, das am Kai lag. Wenige Minuten später hatten sie den Hafen hinter sich gelassen.
Mit einer stetigen Geschwindigkeit von zehn Knoten fuhr der Kreuzer nordostwärts in Richtung Kudat, auf die Einfahrt der Sulu-See und das Terroristenversteck in der philippinischen Provinz Zamboanga zu.
Es war eine anstrengende Reise gewesen. Die Meeresdünung war einlullend, die Brise erfrischend nach der Saunahitze von Labuan. Die beiden Passagiere schliefen ein. Der Steuermann gehörte zur Terrorgruppe Abu Sayyaf; er kannte sich aus, er fuhr nach Hause. Die Sonne ging unter, und kurz darauf war die tropische Nacht da. Der Kreuzer glitt an den Lichtern von Kudat vorbei, durch die Straße von Balabag und über die unsichtbare Grenze in philippinische Gewässer.
Mr. Wei hatte seinen Auftrag vor der Zeit erfüllt und war schon wieder auf dem Heimweg nach China. Ihm konnte es gar nicht schnell genug gehen. Aber wenigstens war er auf einem chinesischen Schiff und aß gutes chinesisches Essen und nicht den Fraß, den die Piraten ihm in ihrem Camp am Fluss vorgesetzt hatten.
Er wusste nicht, was er da hinterlassen hatte, und es interessierte ihn auch nicht. Im Gegensatz zu den Killern von Abu Sayyaf und den zwei oder drei indonesischen Fanatikern, die fünfmal am Tag betend auf den Knien lagen und die Stirn auf ihre Teppiche senkten, gehörte Wei Wing Li zur Schlangenkopf-Triade und betete zu niemandem.
Was er dort geschaffen hatte, war eine bis auf die letzte Niete genaue Nachbildung der Countess of Richmond, gebaut aus einem Schiff von ähnlicher Größe, Tonnage und Silhouette. Er wusste nicht, wie das ursprüngliche Schiff geheißen hatte oder wie das neue heißen würde. Das Einzige, was ihn interessierte, war die dicke Rolle großer Dollarscheine von einem Konto bei einer Bank in Labuan, eingerichtet von dem verstorbenen Mr. Tewfik al-Qur, ehemals Kairo, Peschawar und Leichenschauhaus.
Anders als Mr. Wei betete Kapitän McKendrick durchaus. Nicht so oft, wie er sollte, das wusste er, aber er war als guter Liverpool-irischer Katholik aufgewachsen; auf der Brücke vor dem Steuer stand eine Figur der Heiligen Jungfrau, und an seiner Kabinenwand hing ein Kruzifix. Vor dem Auslaufen betete er immer um eine gute Reise, und nach der Heimkehr dankte er dem Herrn.
Er brauchte nicht zu beten, als der Lotse aus Sabah die Countess an den Untiefen vorbei und zu ihrem Liegeplatz am Kai von Kota Kinabalu bugsierte. Früher war hier der Kolonialhafen Jesselton gewesen. Damals gab es noch keine Kühlschränke, und wenn die britischen Kaufleute in den monatlichen Proviantlieferungen Butterkonserven erhalten hatten, mussten sie sie aus kleinen Krügen auf ihr Brot träufeln.
Kapitän McKendrick wischte sich mit dem Halstuch über den schweißnassen Nacken und dankte dem Lotsen. Endlich konnte er alle Luken und Bullaugen schließen und die erholsame Klimaanlage einschalten. Das und ein kaltes Bier, dachte er, würde jetzt guttun. Der Wasserballast würde am nächsten Morgen abgepumpt werden, und er sah die Hölzer, die er aufnehmen sollte, unter den Lichtern auf dem Kai. Mit einer guten Schauerkolonne würde er morgen Abend um sieben wieder auf See sein.
Die beiden jungen Taucher waren in Kuala Lumpur umgestiegen und saßen nun in der British-Airways-Maschine nach London. British Airways ist keine »trockene« Airline, und so hatten die beiden genug Bier getrunken, um jetzt fest zu schlafen. Der Flug würde zwölf Stunden dauern, aber durch die Zeitzonen würden sie acht gewinnen und am frühen Morgen in Heathrow landen. Die Hartschalenkoffer waren im Laderaum, doch ihre Tauchertaschen lagen in den Fächern über den Köpfen der Schlafenden. Sie enthielten Schwimmflossen, Masken, Neoprenanzüge, Lungenautomaten und Tarierwesten; nur die Tauchermesser waren in den Koffern unten im Laderaum. Und in einer der beiden Taschen steckte eine noch unentdeckte malaysische Landing Card.
In einem Flusslauf am Rande der Halbinsel Zamboanga arbeitete ein Lackierer im Flutlicht auf einer Plattform, die vor dem Heck hing, am letzten »d« im Namen des Schiffes, das hier festgemacht hatte. Am Mast hing schlaff die Flagge der britischen Handelsmarine. Zu beiden Seiten des Bugs und am Heck stand der Name Countess of Richmond, und am Heck darunter noch das Wort »Liverpool«. Als der Lackierer von der Plattform stieg und das Flutlicht erlosch, war die Verwandlung vollendet. In der Morgendämmerung kam ein als Sportfischerboot getarnter Kabinenkreuzer langsam den Fluss herauf. Er brachte die letzten beiden Mitglieder der neuen Besatzung der alten Java Star, diejenigen, die das Schiff auf seiner – und ihrer – letzten Reise führen sollten.
Das Beladen der Countess of Richmond begann im Morgengrauen, als die Luft noch kühl und angenehm war. In drei Stunden würde hier wieder das übliche Saunaklima herrschen. Die Ladekräne waren nicht gerade ultramodern, aber die Schauerleute verstanden ihr Gewerbe, und die Edelholzbalken schwangen an ihren Ketten an Bord und wurden unten im Laderaum von der schwitzenden Crew verstaut.
In der Mittagshitze mussten selbst die Einheimischen von Borneo eine Pause einlegen, und vier Stunden lang schlummerte in dem alten Holzhafen alles, was ein bisschen Schatten fand. Bis zum Frühjahrsmonsun war es nur ein Monat, und schon jetzt näherte sich die Luftfeuchtigkeit, die nie weit unter neunzig Prozent lag, allmählich der Hundertermarke.
Kapitän McKendrick wäre lieber auf hoher See gewesen, aber als die Sonne unterging, war die Ladung an Bord und die Luken geschlossen, und am nächsten Morgen würde der Lotse an Bord kommen, um den Frachter wieder auf das offene Meer zu bringen. Das bedeutete eine weitere Nacht in diesem Treibhaus. Seufzend suchte McKendrick noch einmal Zuflucht in der klimatisierten Atmosphäre unter Deck.
Am nächsten Morgen um sechs erschien der örtliche Agent geschäftig an Bord; der Lotse war bei ihm, und die letzten Papiere wurden unterschrieben. Dann glitt die Countess gemächlich hinaus auf das Südchinesische Meer.
Wie vor ihr die Java Star ging sie auf Kurs Nordost, um die Spitze Borneos zu umrunden und dann südwärts durch den Sulu-Archipel nach Java zu fahren. Dort in Surabaya, glaubte der Skipper, erwarteten ihn sechs Hochseecontainer mit asiatischen Seidenstoffen. Er sollte nicht erfahren, dass diese Seide nicht in Surabaya lag – und nie gelegen hatte.
Der Kreuzer setzte seine drei Passagiere an einem wackligen Landungssteg in dem Flusslauf ab. Mr. Lampong ging den anderen voraus zu einem Langhaus auf Pfählen über dem Wasser, das als Ess- und Schlafstätte für die Männer diente, denen die Mission anvertraut war, die Martin als »Stingray« und Mr. Lampong als »al-Isra« kannte. Andere in dem Langhaus würden zurückbleiben. Mit ihrer Arbeit hatten sie die gekaperte Java Star für die Reise vorbereitet.
Sie waren bunt zusammengewürfelte Indonesier von der Gruppe Jemaat Islamija, die für die Bombenanschläge auf Bali und anderen Inseln der Kette verantwortlich war, und Philippinos von Abu Sayyaf. Sie sprachen das heimische Tagalog und javanesischen Dialekt, und von denen, die von weiter westlich kamen, hörte man gelegentliche Randbemerkungen auf Arabisch. Einen nach dem andern lernte Martin die Crew kennen und erfuhr, welche Aufgabe jeder hatte.
Ingenieur, Steuermann und Funker waren Indonesier. Suleimans Fach war, wie sich herausstellte, die Fotografie. Was immer bei dieser Mission passieren sollte, vor seinem Märtyrertod würde Suleiman den Höhepunkt mit einer digitalen Radiokamera fotografieren, und per Laptop und Satellitentelefon würde der ganze Datenstrom an den Fernsehsender al-Dschasira gesendet und von dort verbreitet werden.
Ein Teenager war dabei, der aussah wie ein Pakistani, aber Lampong sprach Englisch mit ihm. Als er antwortete, war dem Jungen anzuhören, dass er in Großbritannien geboren und aufgewachsen sein musste, jedoch pakistanische Eltern hatte. Er sprach ein breites Nordenglisch; in Martins Ohren klang es nach der Gegend von Leeds und Bradbury. Allerdings konnte Martin nicht herausfinden, wozu der Junge dabei war. Vielleicht als Koch.
Damit blieben drei: Martin selbst betrachtete seine Anwesenheit als persönliches Geschenk von Osama bin Laden. Der zweite war ein echter Chemieingenieur und vermutlich Sprengstoffexperte. Und der dritte war der Anführer der Mission aber er war nicht anwesend. Sie alle würden ihn erst später kennen lernen.
Am Vormittag erhielt der stellvertretende Anführer Lampong einen Anruf auf seinem Satellitentelefon. Das Gespräch war kurz und zurückhaltend, doch es genügte. Die Countess of Richmond hatte Kota Kinabalu verlassen und war auf See. Etwa bei Sonnenuntergang würde sie zwischen Tawitawi und den Joloinseln durchfahren. Die Schnellboote, die sie abfangen würden, hatten noch vier Stunden Zeit, ehe sie ablegen müssten. Suleiman und Martin hatten die westlichen Anzüge abgelegt und trugen die ortsübliche Kleidung: Hosen, geblümte Hemden und Sandalen, die man ihnen gegeben hatte. Man ließ sie über eine Treppe ins flache Wasser des Flüsschens hinuntersteigen, damit sie sich vor den Gebeten und einer Mahlzeit aus Reis und Fisch waschen konnten.
Martin konnte nur zuschauen, ohne viel zu verstehen, und abwarten.
Die beiden Taucher hatten Glück. Die meisten anderen Passagiere waren aus Malaysia und mussten an der Passkontrolle in der Schlange für Nichtbriten anstehen, während die wenigen Briten schnell abgefertigt wurden. Sie waren unter den Ersten am Gepäckband, konnten ihre Koffer nehmen und zur Zollschranke für anmeldefreie Waren gehen.
Vielleicht lag es an ihren rasierten Schädeln und den Sechstagebärten, vielleicht an den muskulösen Armen in den kurzärmeligen, geblümten Hemden an einem eisigen englischen Märzmorgen – jedenfalls winkte sie ein Zollbeamter an die Kontrollbank.
»Darf ich bitte Ihre Pässe sehen?«
Eine Formalität. Sie waren in Ordnung.
»Und woher kommen Sie?«
»Aus Malaysia.«
»Zweck Ihres Besuches dort?«
Einer der beiden jungen Männer deutete auf seine Tauchertasche. Sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass er die Frage ziemlich dämlich fand, denn die Taschen trugen das Logo einer bekannten Taucherausrüstungsfirma. Aber es ist immer ein Fehler, sich über einen Zollbeamten lustig zu machen. Dessen Miene blieb ungerührt, doch in seiner langen Laufbahn hatte er Unmengen von exotischem Raucherbedarf und Injektionsmitteln aus dem Fernen Osten abgefangen. Er zeigte auf die eine der beiden Taschen.
Sie enthielt nichts als die übliche Taucherausrüstung. Er zog den Reißverschluss zu und schob die Hände in die Seitentaschen. Aus einer zog er eine gefaltete Karte hervor, sah sie an und las sie.
»Woher haben Sie die, Sir?«
Der Taucher war ehrlich verblüfft.
»Das weiß ich nicht. Nie gesehen.«
Ein paar Schritte weiter bemerkte ein zweiter Zollbeamter die wachsende Anspannung, die an der beispielhaften Höflichkeit des Tons zu erkennen war, und kam dazu.
»Würden Sie bitte hier warten?«, sagte der erste und verschwand durch eine Tür hinter ihm. Die großen Spiegel an der Zollabfertigung sind nicht dazu da, dass eitle Reisende ihr Makeup auffrischen können. Es sind Einwegspiegel, und dahinter sitzen die diensthabenden Beamten der Inneren Sicherheit – in diesem Fall von Scotland Yards Special Branch.
Wenige Minuten später saßen die beiden Taucher mit ihrem Gepäck in separaten Vernehmungszimmern. Die Zollbeamten durchsuchten Koffer und Taschen, Flosse für Flosse, Maske für Maske, Hemd für Hemd. Sie fanden nichts Illegales.
Der Mann in Zivil studierte die gefaltete Karte.
»Jemand muss sie da hineingesteckt haben, aber ich war es nicht«, beteuerte der Taucher.
Inzwischen war es halb zehn geworden. Steve Hill saß an seinem Schreibtisch in Vauxhall Cross, als sein privates, nirgends registriertes Telefon klingelte.
»Mit wem spreche ich?«, fragte eine Stimme. Hill stellte die Stacheln auf.
»Vielleicht sollte ich Sie das Gleiche fragen. Ich glaube, Sie haben sich verwählt«, sagte er.
Der MI5-Beamte hatte die Nachricht gelesen, die in der Tauchertasche gesteckt hatte, und er neigte dazu, dem Mann zu glauben. In diesem Fall aber …
»Ich rufe aus Heathrow an, Terminal drei. Büro für Innere Sicherheit. Wir haben einen Passagier aus Fernost abgefangen. In seiner Tauchertasche war eine kurze handschriftliche Nachricht. Sagt Ihnen das Wort ›Crowbar‹ etwas?«
Für Hill war es wie ein Schlag in die Magengrube. Der Mann hatte sich nicht verwählt; niemand konnte aus Versehen in diese Leitung geraten. Er nannte den Dienst, für den er arbeitete, und seinen Rang, befahl dem Mann, die beiden Reisenden in Gewahrsam zu halten, und machte sich auf den Weg. Keine fünf Minuten später verließ sein Wagen die Parkgarage, fuhr über die Vauxhall Bridge und bog in die Cromwell Road in Richtung Heathrow ein.
Es war Pech für die Taucher, dass sie den ganzen Vormittag verloren hatten, aber nachdem Steve Hill sie eine Stunde lang vernommen hatte, war er sicher, dass sie unschuldig und ahnungslos waren. Er ließ ihnen aus der Personalkantine ein Frühstück mit allem Drum und Dran bringen und bat sie, sich das Hirn zu zermartern, bis ihnen einfiele, wer ihnen die Karte in die Tasche geschmuggelt haben könnte.
Sie versuchten, sich an jeden zu erinnern, dem sie begegnet waren, seit sie gepackt hatten. Endlich sagte der eine: »Mark, erinnerst du dich an den arabisch aussehenden Typen, der dir am Flughafen beim Ausladen geholfen hat?«
»Welcher arabisch aussehende Typ?«, fragte Hill.
Sie beschrieben den Mann, so gut sie konnten. Schwarzes Haar, schwarzer Bart, sauber getrimmt. Dunkle Augen, olivfarbene Haut. Ungefähr fünfundvierzig, fit aussehend. Dunkler Anzug. Hill hatte die Aussagen von dem Friseur und dem Schneider aus Ras al-Khaimah. Es war Crowbar. Er dankte den beiden aufrichtig und ließ sie durch einen Fahrer nach Hause bringen.
Als er Gordon Phillips in Edzell und Marek Gumienny beim Frühstück in Washington anrief, konnte er vorlesen, was auf die Karte in seiner Hand gekritzelt war. Die kurze Nachricht lautete: »WENN SIE IHR LAND LIEBEN, RUFEN SIE NACH IHRER RÜCKKEHR DIE NUMMER XXXXXXXXXXXX AN. TEILEN SIE DORT MIT, CROWBAR SAGT, ES WIRD IRGENDEIN SCHIFF SEIN.«
»Ziehen Sie alle Register«, befahl er Edzell. »Suchen Sie die ganze Welt nach einem verschwundenen Schiff ab.«
Wie Kapitän Herrmann von der Java Star hatte auch Liam McKendrick es vorgezogen, sein Schiff selbst um die diversen Landzungen zu führen und das Steuer abzugeben, wenn die Meerenge zwischen den Inseln von Tawitawi und Jolo hinter ihnen läge. Vor ihnen lag die offene Celebes-See, und jetzt ging es auf direktem Südkurs zur Straße von Makassar.
Er hatte sechs Mann Besatzung: fünf Inder aus Kerala, allesamt Christen, loyal und tüchtig, und einen Ersten Offizier aus Gibraltar. Ihm hatte er das Steuer übergeben und war unter Deck gegangen, als die Schnellboote von achtern heranjagten. Wie bei der Java Star hatte die Mannschaft auch hier keine Chance. In Sekundenschnelle waren zehn Piraten über die Reling gekommen und stürmten auf die Brücke. Mr. Lampong, der die Entführung leitete, kam in gemächlicherem Tempo hinterher.
Diesmal gab es keinen Grund für überflüssige Umständlichkeiten oder Gewaltandrohungen. Die Countess of Richmond hatte nur eine Aufgabe: Sie musste verschwinden, mitsamt ihrer Besatzung und für immer. Was sie in diese Gewässer gelockt hatte – ihre wertvolle Fracht –, würde komplett abgeschrieben werden müssen. Bedauerlich, aber nicht zu ändern.
Die Mannschaft wurde einfach an die Heckreling geführt und mit Maschinenpistolen erschossen. Ihre Leichen, noch zuckend aus Protest gegen diesen unfairen Tod, flogen über die Reling. Man brauchte sie nicht einmal mit Ballast zu beschweren, damit sie untergingen. Mr. Lampong kannte seine Haie.
Liam McKendrick ging als Letzter. Wütend brüllte er die Mörder an und nannte Mr. Lampong ein heidnisches Schwein. Der fanatische Moslem ließ sich nicht gern als Schwein bezeichnen. Er achtete darauf, dass der Liverpooler Kapitän verwundet, aber noch lebend ins Wasser stürzte.
Die Piraten von Abu Sayyaf hatten schon genügend Schiffe versenkt, um zu wissen, wo die Bodenventile waren. Als die Bilge unter dem Laderaum zu fluten begann, gingen die Piraten von Bord und dümpelten in einiger Entfernung auf dem Wasser, bis das Heck unterging und der Bug sich aufrichtete. Langsam sank die Countess rückwärts auf den Grund der Celebes-See. Als sie verschwunden war, wendeten die Mörder und rasten in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.
Die Gruppe im Langhaus an dem philippinischen Fluss erfuhr durch einen kurzen Anruf über Mr. Lampongs Satellitentelefon draußen auf dem Meer, wann sie abreisen würden. Die Männer bestiegen den Kreuzer, der am Fuße der Treppe lag. Martin sah, dass die Zurückbleibenden keine Erleichterung zeigten, sondern nur tiefen Neid.
In seiner ganzen Laufbahn bei den Special Forces hatte Martin noch nie einen Selbstmordattentäter vor der Tat gesehen. Jetzt war er gleich von mehreren umgeben, und er war selbst einer von ihnen.
Auf Forbes Castle hatte er viel über ihren Geisteszustand gelesen – von ihrer totalen Überzeugung, dass das, was sie tun, für eine wahrhaft heilige Sache geschieht und automatisch den Segen Allahs in sich trägt, und dass dies ihren sofortigen Eingang ins Paradies garantiert, was auch den letzten Rest von Liebe zum Leben bedeutungslos werden lässt.
Er hatte auch gesehen, wie tief der Hass sein musste, der die schahid neben ihrer Liebe zu Allah erfüllte. Nur eine dieser beiden Regungen würde sie nicht so weit bringen. Der Hass war wie eine ätzende Säure in ihren Seelen, und Martin war davon umgeben.
Er hatte ihn in den Gesichtern der Abu-Sayyaf-Piraten gesehen, die sich genussvoll auf jede Gelegenheit stürzten, einen Westler umzubringen. Er hatte ihn in den Herzen der Araber gesehen, wenn sie um die Chance beteten, mit ihrem eigenen Tod so viele Christen, Juden und säkularisierte oder nachlässige Muslime wie möglich zu töten. Und vor allem hatte er ihn in den Augen al-Khattabs und Lampongs gesehen, gerade weil sie sich selbst besudelten, um inmitten der Feinde unbemerkt zu bleiben.
Langsam tuckerten sie den Flusslauf hinauf. Der Dschungel drängte zu beiden Seiten heran und verdunkelte allmählich auch den Himmel über ihnen. Martin betrachtete seine Begleiter. Sie alle empfanden den gleichen fanatischen Hass, und sie alle glaubten sich gesegnet wie kein anderer Wahrer Gläubiger auf Erden.
Martin war davon überzeugt, dass die Männer um ihn herum genauso wenig wussten wie er, auf welche Weise sie sich opfern würden, wohin die Reise ging, was ihr Ziel war, und womit sie es angreifen würden.
Sie wussten nur eines: Weil sie sich erboten hatten zu sterben und nach sorgfältiger Auswahl angenommen worden waren, würden sie den Großen Teufel auf eine Weise schlagen, von der man noch in hundert Jahren sprechen würde. Wie der Prophet vor langer Zeit unternahmen sie eine Reise in den Himmel, die Reise namens al-Isra.
Vor ihnen teilte sich der Flusslauf. Der tuckernde Kreuzer nahm den breiteren Abzweig, und als sie um eine Biegung kamen, lag vor ihnen ein Schiff an einem Anleger. Der Bug war flussabwärts gewandt, bereit zum Auslaufen auf das offene Meer. Die Deckladung befand sich offenbar in sechs Hochseecontainern auf dem Vorderdeck. Der Name des Schiffs war Countess of Richmond.
Einen Augenblick lang spielte Martin mit dem Gedanken, in den Dschungel zu flüchten. In Brunei, im tropischen Trainingscamp des SAS, hatte er eine wochenlange Dschungelausbildung absolviert. Aber kaum war ihm der Gedanke in den Sinn gekommen, wusste er auch, dass es hoffnungslos war. Ohne Kompass und Machete würde er keine Meile weit kommen, und innerhalb von einer Stunde würden sie ihn haben. Und dann würden tagelange, unsagbare Qualen folgen, wenn sie versuchten, ihm die Einzelheiten seines Auftrags abzupressen. Es hatte keinen Sinn. Er musste auf eine bessere Gelegenheit warten – falls sich je eine bieten sollte.
Nacheinander stiegen sie über die Leiter an Deck des Frachters hinauf: der Ingenieur, der Steuermann und der Funker, alle drei Indonesier, der Pakistani aus Großbritannien mit dem breiten nordenglischen Akzent – der, wie sich herausgestellt hatte, für den Fall dabei war, dass jemand darauf bestand, per Funk mit der Countess zu sprechen – und der Afghane, dem man zeigen konnte, wie man das Steuer bediente und einen Kurs hielt. Während der ganzen Vorbereitung auf Castle Forbes war unter all den Gesichtern bekannter Verdächtiger, die er stundenlang studiert hatte, keiner von ihnen dabei gewesen.
Als er an Deck kam, erwartete sie der Mann, der sie auf ihrer Mission der ewigen Seligkeit kommandieren würde. Und ihn erkannte der Ex-SAS-Mann. Aus der Schurkengalerie von Castle Forbes wusste er, dass es Jusuf Ibrahim war, Stellvertreter und rechte Hand al-Sarkawis, seines selbstmörderischen jordanischen Landsmanns.
In dieser Galerie hatte das Gesicht zur »ersten Abteilung« gehört. Der Mann war klein und stämmig, wie Martin es erwartet hatte, und der verkrüppelte linke Arm hing herab. Er hatte in Afghanistan gegen die Sowjets gekämpft und war bei einem Luftangriff durch mehrere Schrapnelle in diesen Arm getroffen worden. Statt eine saubere Amputation zu akzeptieren, ließ er das verstümmelte Glied lieber nutzlos baumeln.
Gerüchten zufolge war er dort gestorben. Aber sie stimmten nicht. Er war in den Höhlen zusammengeflickt und dann für eine bessere chirurgische Versorgung nach Pakistan geschmuggelt worden. Nach dem Abzug der Sowjets war er verschwunden.
2003, nach dem Einmarsch der Koalition in den Irak, war der Mann mit dem verkrüppelten Arm wieder aufgetaucht. Die Zeit, in der er als vermisst galt, hatte er unter der Taliban-Herrschaft als Sicherheitschef in einem al-Qaida-Ausbildungslager verbracht.
Für einen Augenblick blieb Mike Martin das Herz stehen: Vielleicht kannte der Mann Izmat Khan aus jenen Tagen und würde darüber reden. Aber der Missionskommandant starrte ihn nur mit seinen schwarzen, ausdruckslosen Augen an.
Zwanzig Jahre lang hatte dieser Mann getötet und getötet, und es gefiel ihm. Im Irak hatte er als Musab al-Sarkawis Adjutant vor laufender Kamera Menschen die Köpfe abgehackt, und es hatte ihm gefallen. Es gefiel ihm, sie flehen und schreien zu hören. Martin schaute in die leeren, manischen Augen und sprach die üblichen Begrüßungsworte. Friede sei mit dir, Jusuf Ibrahim, Schlächter von Kerbela.