ZWÖLF

Al-Khattab blieb eine Woche weg. Martin saß in seiner Zelle, und nur der Koran leistete ihm Gesellschaft. Bald, das spürte er, würde er zu der angesehenen Schar derer gehören, die jeden der 6666 Verse auswendig hersagen konnten. Aber die Jahre bei den Special Forces hatten ihm die unter Menschen seltene Gabe verschafft, außergewöhnlich lange bewegungslos dazusitzen und der Langeweile und der Nervosität zu trotzen.

So trainierte er von neuem die Anpassung an das kontemplative Innenleben, das allein verhindern kann, dass ein Mann in Einzelhaft dem Wahnsinn verfällt.

Dieses Talent verhinderte indessen nicht, dass die Atmosphäre in der Operationszentrale in Edzell sehr angespannt wurde. Sie hatten ihren Mann verloren, und die Nachfragen von Marek Gumienny in Langley und Steve Hill in London wurden immer drängender. Der Predator bekam einen doppelten Auftrag: Er sollte Ras al-Khaimah beobachten für den Fall, dass Crowbar wieder zum Vorschein käme, und er sollte die Dhau Rasha überwachen, wenn sie im Golf auftauchte und irgendwo in den Vereinigten Arabischen Emiraten festmachte.

Dr. al-Khattab kam zurück, nachdem er jeden Aspekt der Geschichte, soweit sie Guantanamo Bay betraf, verifiziert hatte. Das war nicht leicht gewesen. Er hatte nicht die leiseste Absicht, sich einem der vier britischen Insassen, die nach Hause entlassen worden waren, zu offenbaren. Sie alle hatten wiederholt erklärt, sie seien keine Extremisten, und sie seien nur zufällig in das Netz der Amerikaner geraten. Was immer die Amerikaner dachten, al-Qaida konnte bestätigen, dass sie die Wahrheit sagten.

Die Sache wurde dadurch weiter erschwert, dass Izmat Khan wegen seiner mangelnden Kooperationsbereitschaft so lange Zeit in Einzelhaft verbracht hatte. Deshalb hatte kein anderer Häftling ihn näher kennen gelernt. Er verhehlte nicht, dass er ein paar Brocken Englisch aufgeschnappt hatte, aber nur in den endlosen Vernehmungen, wenn er den CIA-Mann und dann die Übersetzung des Paschto-Dolmetschers gehört hatte.

Nach allem, was Dr. al-Khattab in Erfahrung bringen konnte, hatte sein Gefangener keine einzige falsche Angabe gemacht. Das wenige, das aus Afghanistan zu hören war, deutete darauf hin, dass der Ausbruch aus dem Gefängnisbus auf der Fahrt von Bagram nach Pul-i-Charki tatsächlich echt gewesen war. Er konnte natürlich nicht wissen, dass diese Episode von dem tüchtigen Leiter der SIS-Niederlassung in der britischen Botschaft inszeniert worden war. Brigadier Yusuf hatte seinen Zorn sehr überzeugend gespielt, und die Agenten der wiedererstarkenden Taliban hatten ihm geglaubt. Und das hatten sie auch auf Nachfrage von al-Qaida gesagt.

»Kehren wir noch einmal zu Ihrer Vergangenheit in Tora Bora zurück«, schlug al-Khattab vor, als er sein Verhör fortsetzte. »Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit.«

Al-Khattab war clever, aber er konnte nicht ahnen, dass Martin, auch wenn er ein Doppelgänger war, sich in den Bergen Afghanistans besser auskannte als er. In den sechs Monaten, die der Kuwaiti in den terroristischen Ausbildungslagern verbracht hatte, war er ausschließlich mit anderen Arabern zusammen gewesen, nicht mit Paschtunen aus den Bergen. Er machte sich zahlreiche Notizen; sogar die Namen der Früchte, die in den Gärten von Maloko-zai gewachsen waren, schrieb er sich auf. Seine Hand huschte über den Schreibblock und füllte Seite um Seite.

Am dritten Tag der zweiten Sitzung kamen sie zu dem Tag, der sich als entscheidender Wendepunkt in Izmat Khans Leben erweisen sollte: zum 20. August 1998, als die Tomahawk-Cruise-Missiles in den Berg krachten.

»Ah, ja, das ist wirklich tragisch«, sagte al-Khattab leise.

»Und merkwürdig, denn Sie müssen der einzige Afghane sein, für den kein lebender Verwandter mehr bürgen könnte. Das ist ein bemerkenswerter Zufall, und als Naturwissenschaftler hasse ich Zufälle. Wie hat dieses Ereignis auf Sie gewirkt?«

Tatsächlich hatte sich Izmat Khan in Guantanamo geweigert, darüber zu sprechen, warum er die Amerikaner mit solcher Leidenschaft hasste. Informationen von anderen Kämpfern, die Qala-i-Jangi überlebt hatten und in Camp Delta gelandet waren, hatten diese Lücke gefüllt. In der Taliban-Armee war Izmat Khan zu einer Ikone geworden, und an den Lagerfeuern erzählte man seine Geschichte in ehrfürchtigem Flüsterton: Er war ein Mann, der immun gegen Angst war. Die anderen Überlebenden hatten in ihren Verhören die Geschichte von der ausgelöschten Familie erzählt.

Al-Khattab machte eine Pause und schaute seinen Gefangenen an. Noch immer hatte er ernste Vorbehalte, aber eines war inzwischen sicher: Der Mann war wirklich Izmat Khan. Zweifel hatte er noch in der zweiten Frage: War er von den Amerikanern »umgedreht« worden?

»Sie sagen also, Sie haben eine Art Privatkrieg erklärt? Einen ganz persönlichen Dschihad? Und Sie haben darin nie nachgelassen? Aber was haben Sie tatsächlich unternommen?«

»Ich habe gegen die Nordallianz gekämpft, gegen die Verbündeten der Amerikaner.«

»Aber erst ab Oktober/November 2001«, sagte al-Khattab.

»Die Amerikaner kamen erst im Herbst 2001«, erwiderte Martin.

»Das stimmt. Sie haben also für Afghanistan gekämpft … und verloren. Und jetzt wollen Sie für Allah kämpfen?«

Martin nickte. »Wie der Scheich es vorausgesagt hat.«

Zum ersten Mal ließ Dr. al-Khattab seine Weltgewandtheit im Stich. Eine volle halbe Minute lang starrte er das schwarzbärtige Gesicht seines Gegenübers an, mit offenem Mund und bewegungslos erhobenem Füllfederhalter. Endlich flüsterte er: »Sie haben … den Scheich tatsächlich kennen gelernt?«

In all den Wochen im Lager hatte al-Khattab Osama bin Laden niemals zu Gesicht bekommen. Einmal war ein Toyota Land Cruiser mit schwarz getönten Scheiben vorbeigefahren, aber er hatte nicht angehalten. Er hätte sich buchstäblich mit einem Metzgerbeil die linke Hand abgehackt, wenn er dafür die Gelegenheit bekommen hätte, den Mann, den er mehr als jeden anderen auf der Welt verehrte, zu sehen oder gar mit ihm zu sprechen.

»Erzählen Sie mir diese Episode von Anfang an, und beschreiben Sie haargenau, was passiert ist. Lassen Sie nichts aus.«

Martin erzählte. Er berichtete, wie er als Teenager, frisch aus der madrasa bei Peschawar, in der lashkar seines Vaters gekämpft hatte. Wie er mit anderen auf Patrouille gewesen und auf einem Berghang überrascht worden war, wo nur ein paar Felsen Deckung geboten hatten.

Einen britischen Offizier erwähnte er nicht, und er sagte auch nichts von einer Blowpipe-Rakete und vom Abschuss des Kampfhubschraubers. Er sprach nur von dem donnernden Maschinengewehr und von den Granat- und Steinsplittern, die umhergeflogen waren, bis dem Hubschrauber – Allah sei ewiger Dank – die Munition ausgegangen und er weggeflogen war.

Er schilderte, dass er einen Schlag gegen den Oberschenkel gespürt habe, wie von einer Faust oder einem Hammer, und wie seine Kameraden ihn von Tal zu Tal getragen hatten, bis sie einen Mann mit einem Maultier gefunden hatten.

Er berichtete, wie man ihn in einen Höhlenkomplex bei Jaji gebracht und den Saudis übergeben hatte, die dort lebten und arbeiteten.

»Aber der Scheich – erzählen Sie mir vom Scheich«, drängte al-Khattab. Martin erzählte. Der Kuwaiti schrieb Wort für Wort mit.

»Wiederholen Sie das bitte noch einmal.«

»Er sagte zu mir: ›Der Tag wird kommen, da Afghanistan dich nicht mehr brauchen wird. Aber der allbarmherzige Allah wird einen Kämpfer wie dich immer brauchen. ‹«

»Und dann?«

»Wechselte er den Verband.«

»Der Scheich hat das getan?«

»Nein, der Arzt, der bei ihm war. Ein Ägypter.«

Dr. al-Khattab lehnte sich zurück und atmete tief aus. Natürlich, der Arzt, Aiman al-Sawahiri, Bin Ladens Gefährte und Vertrauter, der Mann, der den islamischen Dschihad aus Ägypten zum Scheich gebracht und mit ihm zusammen al-Qaida gegründet hatte. Al-Khattab ordnete seine Papiere.

»Ich muss Sie noch einmal verlassen. Es wird eine Woche dauern, vielleicht länger. Sie werden so lange hierbleiben müssen. Angekettet, fürchte ich. Sie haben zu viel gesehen, Sie wissen zu viel. Aber wenn Sie wirklich ein Wahrer Gläubiger und wenn Sie tatsächlich der Afghane sind, dann werden Sie sich uns als geachteter Rekrut anschließen dürfen. Wenn nicht …«

Martin war wieder in seiner Zelle, als der Kuwaiti ging. Diesmal kehrte al-Khattab nicht geradewegs nach London zurück. Er fuhr ins Hilton und schrieb einen Tag und eine Nacht lang ununterbrochen und gewissenhaft. Als er fertig war, tätigte er mehrere Anrufe auf einem neuen, blütenreinen Handy, das er gleich danach in den Tiefwasserhafen warf. Niemand hörte diese Gespräche ab, aber was er sagte, hätte auch niemandem etwas verraten. Dr. al-Khattab war immer noch ein freier Mann, weil er sehr vorsichtig war.

Bei diesen Telefonaten vereinbarte er ein Treffen mit Faisal bin Selim, dem Kapitän der Rasha, die in Dubai vor Anker lag. Am Nachmittag fuhr er mit seinem billigen Mietwagen nach Dubai und sprach mit dem Kapitän, und dieser nahm einen langen persönlichen Brief in Empfang und verbarg ihn tief unter seinen Gewändern. Und zwanzigtausend Fuß hoch über ihnen kreiste der Predator.

Islamistische Terrorgruppen haben schon viel zu viele führende Agenten verloren, um nicht zu wissen, dass Handys und Satellitentelefone gefährlich für sie sind, mögen sie noch so vorsichtig sein. Die Abhör- und Entschlüsselungstechnologie des Westens ist einfach zu gut. Und ihre zweite Achillesferse ist der Transfer großer Summen über das normale Bankensystem.

Um den Gefahren des Letzteren zu entgehen, benutzen sie das hundi-System, das mit einigen Abwandlungen so alt ist wie das erste Kalifat. Hundi basiert auf dem Konzept des totalen Vertrauens, und jeder Rechtsanwalt würde davon abraten. Aber es funktioniert, weil jeder Geldwäscher, der seinen Kunden betrügt, bald arbeitslos wäre – oder Schlimmeres.

Der Zahlende gibt sein Geld in bar dem hundi-Mann am Ort A und bittet darum, dass sein Freund am Ort B die gleiche Summe abzüglich des Anteils für den hundi-Mann erhalte.

Der hundi-Mann hat einen Partner seines Vertrauens, meistens einen Verwandten, am Ort B. Er informiert diesen Partner und weist ihn an, dem Zahlungsempfänger, der sich auf eine vereinbarte Weise zu identifizieren hat, die entsprechende Summe Bargeld auszuhändigen.

Angesichts der zig Millionen Muslime, die Geld an ihre Familien in der Heimat schicken, und in Anbetracht dessen, dass es weder Computer noch überprüfbare Akten gibt, dass die gesamte Transaktion in bar vorgenommen wird und dass Zahler und Empfänger Pseudonyme benutzen können, sind solche Geldbewegungen unmöglich abzufangen oder zu verfolgen.

Für die Kommunikation besteht die Lösung darin, die Botschaften der Terroristen mit dreistelligen Codes zu verschlüsseln, die sich per E-Mail oder SMS um die ganze Welt schicken lassen. Nur ein Empfänger, der über die Liste mit bis zu dreihundert solchen Zifferngruppen verfügt, kann die Nachricht entschlüsseln. Das funktioniert mit kurzen Anweisungen und Warnungen. Aber ab und zu muss ein längerer und exakter Text um die halbe Welt reisen.

Nur der Westen hat es immer eilig. Der Orient hat Geduld. Was lange dauert, dauert eben lange. Die Rasha stach an diesem Abend in See und fuhr zurück nach Gwador. Ein loyaler Kurier in Karachi, weiter unten an der Küste, war per SMS herbeibeordert worden. Er war mit seinem Motorrad da, übernahm den Brief und fuhr nordwärts durch Pakistan bis zu der kleinen Fanatikerstadt Miram Schah.

In einem vereinbarten chaikhanna wartete der Mann, der so viel Vertrauen genoss, dass er ins Hochgebirge von Südwasiristan gehen durfte, und der versiegelte Umschlag wechselte erneut die Hände. Die Antwort kam auf demselben Weg zurück. Sie brauchte zehn Tage.

Aber Dr. al-Khattab blieb nicht am Arabischen Golf. Er flog nach Kairo und von dort weiter nach Westen, nach Marokko. Dort führte er ein paar Gespräche und wählte die vier Nordafrikaner aus, die zur neuen Mannschaft gehören würden. Da er noch immer nicht beobachtet wurde, erfasste auch kein Radar diese Reise.

 

Bei der Verteilung des guten Aussehens hatte Mr. Wei Wing Li eine Niete gezogen. Er war kurz, gedrungen und krötenähnlich, und auf seinen Schultern saß ein Kopf wie ein Fußball. Sein Gesicht war von Pockennarben übersät. Aber er verstand seinen Job.

Er war mit seiner Truppe zwei Tage vor der Java Star bei dem verborgenen Flusslauf auf der Halbinsel Zamboanga eingetroffen. Auf ihrer Reise von China, wo sie eine bedeutende Rolle in der kriminellen Unterwelt von Guangdong spielten, hatte es keine lästigen Pass- und Visaprobleme gegeben. Sie waren einfach an Bord eines Frachters gegangen, dessen Kapitän gut bezahlt worden war, und waren so zur Insel Jolo gelangt, wo zwei Schnellboote aus einer philippinischen Flussmündung gekommen waren und sie abgeholt hatten.

Mr. Wei hatte seinen Gastgeber, Mr. Lampong, und den örtlichen Abu-Sayyaf-Führer, der ihn empfohlen hatte, begrüßt, die Quartiere für sein Dutzend Arbeiter inspiziert, fünfzig Prozent seines Honorars als Anzahlung kassiert und darum gebeten, die Werkstätten sehen zu dürfen. Nach einer gründlichen Inspektion zählte er die Sauerstoff- und Azetylenflaschen und erklärte sich zufrieden. Dann studierte er die Fotos aus Liverpool. Als die Java Star schließlich hereingeschleppt wurde, wusste er schon, was er zu tun hatte, und machte sich an die Arbeit.

Der Umbau von Schiffen war seine Spezialität, und mehr als fünfzig Frachter, die unter falschen Namen und mit falschen Papieren die Meere Südostasiens befuhren, hatten dank Mr. Wei auch ein falsches Aussehen. Er hatte gesagt, er brauche zwei Wochen, und man hatte ihm drei gegeben – aber nicht eine Stunde länger. Innerhalb dieser Zeit würde aus der Java Star die Countess of Richmond werden. Das wusste Mr. Wei nicht. Er brauchte es auch nicht zu wissen.

Auf den Fotos, die er studierte, war der Name des Schiffes wegretuschiert worden. Mr. Wei interessierte sich nicht für Namen und Papiere. Seine Sache war die äußere Form.

Teile der Java Star würden herausgeschnitten, weitere abgeschnitten werden. Andere würden aus geschweißtem Stahl neu geformt werden. Aber vor allem würde er sechs lange, stählerne Hochseecontainer bauen, die in drei Paaren von der Brücke bis zum Bug reichen würden.

Allerdings würden es keine echten Container sein. Von allen Seiten und auch von oben würden sie so aussehen, bis hin zu den Hapag-Lloyd-Beschriftungen. Noch aus nächster Nähe würden sie jede Inspektion bestehen. Zusammen würden sie jedoch einen einzigen Raum ohne Trennwände bilden, eine lang gestreckte Halle mit einem an Scharnieren befestigten, aufklappbaren Dach, zugänglich durch eine neue Luke, die unterhalb der Brücke ins Schott geschnitten werden würde, unsichtbar für jeden, der nicht wusste, wo die Entriegelung angebracht war.

Die Farbarbeiten würden Mr. Wei und sein Team nicht übernehmen. Das würden die philippinischen Terroristen tun, und der neue Name des Schiffs würde angebracht werden, wenn Mr. Wei wieder weg wäre.

An dem Tag, als er seine Schweißbrenner in Gang setzte, passierte die Countess of Richmond den Suezkanal. Als Ali Aziz al-Khattab in die Villa zurückkam, war er ein anderer Mensch. Er ließ seinem Gefangenen die Fesseln abnehmen und bat ihn zum Mittagessen an seinen Tisch. Seine Augen funkelten vor Aufregung.

»Ich habe mit dem Scheich selbst Verbindung aufgenommen«, schnurrte er. Offensichtlich erfüllte ihn diese Ehre mit grenzenlosem Stolz. Die Antwort hatte er nicht schriftlich bekommen. Sie war dem Boten in den Bergen mündlich mitgeteilt worden, und er hatte sie auswendig gelernt. Auch diese Praxis ist in den oberen Ebenen von al-Qaida sehr üblich.

Der Bote war bis zum Arabischen Golf gebracht worden, und als die Rasha anlegte, hatte er die Botschaft vor Dr. al-Khattab Wort für Wort wiederholt.

»Es gibt noch eine letzte Formalität«, sagte al-Khattab. »Würden Sie den Saum Ihrer dishdasha über den Schenkel hochziehen?«

Martin tat es. Er kannte Dr. al-Khattabs wissenschaftliche Disziplin nicht, er wusste nur, dass der Mann einen Doktortitel hatte. Hoffentlich war er kein Mediziner.

Der Kuwaiti untersuchte die Narbe mit größter Aufmerksamkeit. Sie war genau da, wo sie sein sollte. Sechs Nähte, angebracht in einer Höhle in Jaji vor neunzehn Jahren durch einen Mann, den er verehrte.

»Danke, mein Freund. Der Scheich persönlich lässt dir seine Grüße übermitteln. Was für eine unglaubliche Ehre. Er und der Doktor erinnerten sich an den jungen Kämpfer und an die Worte, die damals gesprochen wurden.

Er hat mich ermächtigt, dich in eine Mission aufzunehmen, die dem Großen Satan einen so schrecklichen Schlag versetzen wird, dass selbst die Zerstörung der Türme wie eine Kleinigkeit erscheint.

Du hast Allah dein Leben angeboten. Dein Angebot wurde angenommen. Du wirst glorreich sterben, ein echter schahid. Von dir und den anderen Märtyrern wird man noch in tausend Jahren sprechen.«

Nachdem drei Wochen Zeit verschwendet worden waren, hatte Dr. al-Khattab es jetzt eilig. Die al-Qaida-Ressourcen an der ganzen Küste wurden mobilisiert. Ein Friseur kam und verwandelte die zottige Mähne in einen westlichen Haarschnitt. Er wollte auch den Bart abschneiden. Martin protestierte. Als Muslim und Afghane wollte er seinen Bart behalten. Al-Khattab gestand ihm einen säuberlichen kleinen Spitzbart am Kinn zu, aber mehr nicht.

Suleiman machte Passfotos und legte vierundzwanzig Stunden später einen tadellosen Pass auf den Tisch, der den Eigentümer als Schiffbauingenieur aus dem entschieden prowestlichen Sultanat Bahrain auswies.

Ein Schneider erschien, nahm Martins Maße und kam mit Schuhen, Strümpfen, Hemd, Krawatte und einem dunkelgrauen Anzug zurück, zusammen mit einem passenden Koffer.

Die Gruppe würde am nächsten Tag abreisen. Suleiman, der, wie sich herausstellte, aus Abu Dhabi stammte, würde den Afghanen auf der ganzen Strecke begleiten. Die beiden anderen waren »Muskelmaterial«, vor Ort rekrutiert und entbehrlich. Die Villa hatte ihren Zweck erfüllt; man würde sie säubern und räumen.

Bevor Dr. al-Khattab als Erster verschwand, wandte er sich noch einmal an Martin.

»Ich beneide dich, Afghane. Du ahnst nicht, wie sehr. Du hast für Allah gekämpft, für ihn geblutet, du hast Schmerzen erlitten und die stinkenden Ungläubigen für ihn ertragen. Und jetzt wirst du für ihn sterben. Wenn ich dich nur begleiten könnte.«

Er streckte nach englischer Art die Hand aus, aber dann fiel ihm ein, dass er Araber war, und er umarmte den Afghanen. In der Tür drehte er sich ein letztes Mal um.

»Du wirst vor mir im Paradies sein. Halte mir dort einen Platz frei. Inshallah.«

Dann war er fort. Er parkte seinen Mietwagen stets ein paar hundert Meter entfernt, zwei Straßenecken weiter. Draußen vor der Villa ging er wie immer in die Hocke, um einen Schnürsenkel zu richten. Auf diese Weise konnte er unauffällig die Straße hinauf- und hinunterblicken. Er sah niemanden außer einem jungen Mädchen, das zweihundert Meter weiter versuchte, einen Motorroller in Gang zu bringen, der nicht anspringen wollte. Sie war eine Einheimische; sie trug den jilbab, der ihr Haar und das halbe Gesicht bedeckte. Trotzdem fand er es anstößig, dass eine Frau ein Motorfahrzeug hatte.

Er drehte sich um und ging zu seinem Wagen. Das Mädchen mit dem stotternden Motorroller beugte sich vor und sprach in den Korb, der vorn am Lenker hing. Ihr präzises Englisch klang nach dem Cheltenham Ladies' College.

»Mongoose One, in Bewegung«, sagte sie.

 

Jeder, der jemals etwas mit dem zu tun hatte, was Kipling »das große Spiel« nannte und was bei James Jesus Angleton von der CIA »ein Labyrinth der Spiegel« hieß, wird eines bestätigen: Der größte Feind ist der UFU.

Der unvorhergesehene Fuck-up hat wahrscheinlich mehr verdeckte Operationen scheitern lassen als Verrat oder die brillante Gegenspionage der anderen Seite. Auch für Operation Crowbar hätte er beinahe das Ende bedeutet. Und das alles fing an, weil jeder, der von der neuen Hochstimmung der Kooperation erfasst war, sich bemühte, hilfreich zu sein.

Die Bilder von den beiden Predators über den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Arabischen See wanderten von Thumrait nach Edzell, wo man genau wusste, was sie bedeuteten, und zum CENTCOM der U. S. Army nach Tampa in Florida, wo man annahm, die Briten hätten um eine routinemäßige Luftüberwachung gebeten. Martin hatte darauf bestanden, es dürften nicht mehr als zwölf Personen wissen, dass er draußen »in der Kälte« war, und noch waren es sogar nur zehn. Und diese zehn waren nicht in Tampa.

Wenn die Predators über den Emiraten waren, zeigten ihre Bilder eine wimmelnde Masse von Arabern, Nichtarabern, Autos, Taxis, Hafenanlagen und Häusern. So viele Menschen konnte man nicht einzeln überprüfen. Aber die Dhau Rasha und ihr Kapitän waren bekannt. Und wenn sie im Hafen lag, war jeder, der sie besuchte, möglicherweise von Interesse.

Doch das taten Dutzende. Sie musste be- und entladen, betankt und mit Lebensmitteln versorgt werden. Der omanische Matrose, der das Deck schrubbte, wechselte freundliche Worte mit den Passanten auf dem Kai. Touristen schlenderten heran und bestaunten die echte Kaufmannsdhau aus traditionellem Teakholz. Ihr Skipper wurden von seinen Agenten und Freunden an Bord besucht. Als ein glatt rasierter junger Araber in weißer dishdasha und mit der filigranen weißen Schädelkappe mit Faisal bin Selim sprach, war er nur einer von vielen.

Edzells Operationszentrale verfügte über Aufnahmen von tausend Gesichtern mutmaßlicher und identifizierter al-Qaida-Mitglieder, und jedes Bild, das die abwechselnd fliegenden Predators übermittelten, wurde elektronisch damit verglichen. Dr. al-Khattab ließ keine rote Warnlampe aufleuchten, denn er war nicht bekannt. Also übersah Edzell ihn. So etwas kommt vor.

Der schlanke junge Araber, der die Rasha besuchte, ließ auch in Tampa keine Alarmglocken läuten, aber die Army schickte die Bilder gefälligkeitshalber weiter an die NSA in Fort Meade und an den Satellitenaufklärungsdienst, die National Reconnaissance Agency, in Washington. Die NSA schickte sie im Rahmen der üblichen Kooperation an ihre britischen Partner beim Government Communication Headquarter in Cheltenham, die sich die Bilder lange und gründlich anschauten, ohne al-Khattab zu entdecken, und sie dann an den britischen Security Service, besser bekannt unter der Bezeichnung MI5, ins Thames House gleich hinter dem Parlament weiterleiteten.

Hier glich ein junger Mitarbeiter, der unbedingt Eindruck machen wollte, die Gesichter sämtlicher Besucher der Rasha mit der Gesichtserkennungsdatenbank ab.

Es ist noch nicht allzu lange her, dass man bei der Identifizierung menschlicher Gesichter auf talentierte Agenten angewiesen war, die im Halbdunkeln und mit Vergrößerungsgläsern über körnigen Fotos brüteten und versuchten, zwei Fragen zu beantworten: Wer ist der Mann auf diesem Foto, und haben wir ihn schon einmal gesehen? Es war immer eine einsame Arbeit, und es dauerte Jahre, bis ein hingebungsvoller Gesichtserforscher den sechsten Sinn entwickelte, der ihm half, sich zu erinnern, dass der »Kollege« auf dem Foto fünf Jahre zuvor auf einer Cocktailparty vietnamesischer Diplomaten in Delhi gewesen war und deshalb zweifellos zum KGB gehörte.

Dann kam der Computer, und es entstand eine Software, die das menschliche Gesicht auf über sechshundert winzige Einzelvermessungen reduzierte und abspeicherte. Jedes menschliche Gesicht der Welt lässt sich mit solchen Vermessungen identifizieren. Vielleicht ist es der (auf ein Mikron) genaue Abstand zwischen den Pupillen oder die Breite der Nase an sieben Stellen zwischen Nasenspitze und Augenbrauen. Allein für die Lippen gibt es zweiundzwanzig verschiedene Messungspunkte, und die Ohren …

Ah, die Ohren. Gesichtsanalytiker lieben Ohren. Jede Falte und Furche, jede Runzel und Kurve, jeder Knick, jedes Ohrläppchen ist anders. Auch das rechte und das linke Ohr desselben Menschen sind nicht gleich. Plastische Chirurgen ignorieren das, aber gibt man einem talentierten Gesichtsbetrachter ein gutes Foto beider Ohren, wird er die dazugehörige Person sicher identifizieren.

Die Datenbank des Computers war sehr viel umfangreicher als die Liste der tausend in Edzell gespeicherten Gesichter. Sie enthielt auch Kriminelle ohne ersichtliche politische Überzeugung, denn sie arbeiten ebenfalls für Terroristen, wenn die Bezahlung stimmt. Sie enthielt Immigranten, legale wie illegale, und nicht alle waren konvertierte Muslime. Sie enthielt Tausende und Abertausende von Gesichtern, die bei Demonstrationen fotografiert worden waren, wenn die Protestierer an versteckten Kameras vorbeimarschierten, ihre Transparente schwenkten und ihre Slogans skandierten. Und die Datenbank beschränkte sich nicht auf das Vereinigte Königreich. Kurz: Sie enthielt über drei Millionen Gesichter aus der ganzen Welt.

Der Computer zerlegte das Gesicht des Mannes, der mit dem Kapitän der Rasha sprach, glich den schrägen Blickwinkel mit Hilfe des einen Bildes aus, auf dem der Mann den Kopf hob, um zu einem Flugzeug hinaufzuschauen, das auf dem Flughafen von Abu Dhabi startete, nahm sechshundert verschiedene Messungen vor und begann mit dem Abgleichen.

Es war ein schneller Computer, und er brauchte trotzdem eine Stunde. Aber er fand ihn.

Er war ein Gesicht in einer Menge, die sich unmittelbar nach 9/11 vor einer Moschee versammelt hatte und lautstark bejubelte, was immer der Redner sagte. Der Redner war bekannt als Abu Qatada, ein fanatischer al-Qaida-Anhänger in Großbritannien, und die Menge, zu der er an diesem Septembertag im Jahr 2001 sprach, war eine Dschihad-begeisterte Extremistengruppe namens al-Muhajirun.

Der junge Mitarbeiter druckte das Gesicht des Studenten aus und ging damit zu seinem Vorgesetzten. Von dort wanderte es höher hinauf zu der Respekt gebietenden Chefin des MI5, Eliza Manningham-Buller. Sie befahl, den Mann aufzuspüren. In diesem Moment wusste noch niemand, dass der junge Mitarbeiter den britischen al-Qaida-Chef entdeckt hatte.

Es dauerte noch eine Weile, aber dann gelang ein zweiter Treffer: Ein Bild zeigte den Mann, wie er in einer akademischen Feierstunde seinen Doktorhut erhielt. Sein Name war Ali Aziz al-Khattab, und er war ein anglisierter Akademiker an der Aston University in Birmingham.

Aus dem, was die Behörden jetzt wussten, konnte man schließen, dass der Mann entweder ein höchst erfolgreicher Langzeit-»Schläfer« oder ein Dummkopf war, der sich in seiner Studentenzeit mit extremistischer Politik befasst hatte. Wenn man jeden Bürger verhaften wollte, der zur zweiten Kategorie gehört, gäbe es mehr Häftlinge als Polizisten.

Sicher war, dass er sich nach jenem Tag vor der Moschee anscheinend nie wieder in der Nähe von Extremisten aufgehalten hatte. Aber einen dummen Jungen, der irgendwann zur Besinnung gekommen war, sah man nicht im Gespräch mit dem Kapitän der Rasha im Hafen von Abu Dhabi. Also gehörte er zu Kategorie Nummer eins: Er war ein al-Qaida-Schläfer, solange das Gegenteil nicht erwiesen wäre.

Weitere diskrete Nachprüfungen ergaben, dass er wieder in Großbritannien war und seine Labortätigkeit an der Universität aufgenommen hatte. Die Frage war: Sollte man ihn verhaften oder lieber beobachten? Das Problem war, dass eine Luftaufnahme, die nicht offenbart werden durfte, keine Überführung sicherstellen konnte. Also entschied man, den Akademiker unter Beobachtung zu stellen, so kostspielig das auch sein mochte.

Das Dilemma löste sich eine Woche später, als Dr. al-Khattab einen Flug zurück zum Arabischen Golf buchte. Jetzt brachte man das SRR ins Spiel.

Großbritannien besitzt seit Jahren eine der besten Aufspüreinheiten der Welt. Früher war sie bekannt als 14th Intelligence Company, aber auch als »Detachment« oder noch kürzer als »The Det«. Mike Martin hatte 1988 bei dieser Einheit in Nordirland gedient. Sie arbeitete extrem verdeckt. Im Gegensatz zum SAS und zur SBS war es keine Einheit ultraharter Kämpfer. Ihre Talente waren das unauffällige und geschickte Anbringen von Wanzen, das Fotografieren über große Distanzen und Lauschen und Verfolgen. Gegen die nordirische IRA war sie besonders erfolgreich im Einsatz.

In mehreren Fällen konnte der SAS aufgrund von Informationen, die »The Det« geliefert hatte, terroristische Angriffskommandos in die Falle gehen lassen und eliminieren. Anders als die harten Einheiten setzte das Det häufig Frauen ein. Bei Beschattungseinsätzen wirkten sie viel harmloser, und niemand hatte Angst vor ihnen. Aber die Informationen, die sie lieferten, waren umso mehr Grund, sie zu fürchten.

2005 entschied die britische Regierung, das Det zu erweitern und höher einzustufen, und wandelte es in das Special Reconnaissance Regiment um. Es gab eine Gründungsparade, bei der jeder, einschließlich des führenden Generals, nur von der Hüfte abwärts fotografiert werden durfte. Der Sitz seines Hauptquartiers ist geheim, und wenn SAS und SBS schon diskret sind, so ist das SRR unsichtbar. Aber Dame Eliza bat um seine Unterstützung und bekam sie.

Als Dr. al-Khattab das Flugzeug von London Heathrow nach Dubai bestieg, waren sechs Leute vom SRR an Bord, unauffällig unter dreihundert Passagiere verteilt. Einer davon war ein junger Buchhalter, der in der Reihe hinter dem Kuwaiti saß.

Weil es sich nur um einen Beschattungseinsatz handelte, sah man keinen Grund, die Special Forces der Vereinigten Arabischen Emirate nicht um Unterstützung zu bitten. Seit bekannt war, dass der 9/11-Attentäter Marwan al-Shehhi aus den Emiraten stammte, und mehr noch seit durchgesickert war, dass das Weiße Haus erwogen hatte, den Fernsehsender al-Dschasira in Qatar zu bombardieren, waren die Vereinigten Arabischen Emirate extrem vorsichtig gegenüber dem islamistischen Extremismus, und sie waren es vor allem in Dubai, wo die Special Forces ihr Hauptquartier hatten.

Und so standen zwei Mietwagen und zwei gemietete Motorroller für das SRR-Team bereit, als die Maschine landete, für den Fall, dass Dr. al-Khattab abgeholt werden sollte. Man hatte beobachtet, dass er nur Bordgepäck dabeihatte. Aber die Mühe hätte man sich sparen können: Er mietete einen japanischen Kleinwagen, und so hatten sie genug Zeit, ihre Positionen einzunehmen.

Zunächst verfolgten sie ihn vom Flughafen zum Creek in Dubai, wo die Rasha nach ihrer Rückkehr aus Gwador festgemacht hatte. Diesmal näherte er sich dem Schiff nicht, sondern blieb hundert Meter weit entfernt bei seinem Wagen stehen, bis Bin Selim ihn entdeckte.

Ein paar Minuten später kam ein junger Mann, den niemand kannte, von unten an Deck der Rasha, bahnte sich seinen Weg durch die Menge und flüsterte dem Kuwaiti etwas ins Ohr. Es war die Antwort des Mannes in den Bergen in Wasiristan. Al-Khattab machte ein erstauntes Gesicht. Im dichten Verkehr der Küstenstraße fuhr er hinauf nach Ajman und Umm al-Quwain und weiter nach Ras al-Khaimah. Dort checkte er im Hilton ein und zog sich um. Das war rücksichtsvoll von ihm, denn so konnten die drei jungen Frauen, die zum SRR-Team gehörten, sich auf die Damentoilette zurückziehen, den alles bedeckenden jilbab anziehen und zu ihren Fahrzeugen zurückkehren.

Dr. al-Khattab erschien in seiner weißen dishdasha, stieg in seinen Wagen und fuhr durch die Stadt. Dabei vollführte er mehrere Manöver, die dazu dienen sollten, einen Beschatter abzuhängen, aber damit hatte er kein Glück. Am Arabischen Golf wimmelt es von Motorrollern mit Fahrern beiderlei Geschlechts, und weil die Kleidung immer die gleiche ist, sieht ein Rollerfahrer aus wie der andere. Seit der Auftrag erteilt worden war, hatte das Team die Straßenkarten aller sieben Emirate studiert und sich jede einzelne Landstraße eingeprägt. Und so verfolgten sie ihn bis zur Villa.

Wenn es noch den Rest eines Zweifels daran gegeben hätte, dass er nichts Gutes im Schilde führte, so hatte er ihn mit seinen Abschüttelungsversuchen zerstreut. Ein unschuldiger Mann benahm sich nicht so.

Er verbrachte die Nacht nicht in der Villa, sondern fuhr zum Hilton zurück, und die SRR-Agentin folgte ihm. Die drei Männer bezogen Position auf einer Anhöhe, wo sie die Villa die Nacht hindurch im Blick behielten. Aber niemand betrat oder verließ sie.

Am zweiten Tag sah es anders aus. Jetzt kamen Besucher. Die Beobachter konnten es nicht wissen, doch diese Besucher brachten einen neuen Pass und neue Kleidung. Ihre Autonummern wurden notiert, und einer würde später aufgespürt und verhaftet werden. Ein dritter war der Friseur, den man ebenfalls aufspüren würde.

Am Ende des zweiten Tages kam al-Khattab zum letzten Mal aus dem Haus. Das war der Augenblick, als Katy Sexton, die ein Stück weiter oben an der Straße an ihrem Motorroller herumhantierte, ihre Kollegen informierte, dass die Zielperson in Bewegung sei.

Im Hilton offenbarte der kuwaitische Akademiker seine Pläne, als er von seinem Zimmer aus, das in seiner Abwesenheit verwanzt worden war, einen Platz in der Morgenmaschine von Dubai nach London buchte. Das Team begleitete ihn, bis er zu Hause in Birmingham war, ohne dass er etwas merkte.

Das MI5 hatte großartige Arbeit geleistet, und das wusste es. Der Coup wurde durch streng geheime Kanäle an nur vier Personen in den britischen Geheimdiensten übermittelt. Einer davon war Steve Hill. Er flog fast in den Orbit.

Der Predator wurde umgeleitet und überwachte jetzt die Villa in dem zur Wüstenseite gelegenen Vorort von Ras al-Khaimah. Aber es war Vormittag in London und schon Spätnachmittag am Golf. Alles, was der Vogel sah, war die Putzkolonne, die ins Haus ging. Und die Razzia.

Es war zu spät, um zu verhindern, dass die Special Forces der Emirate ihre schnelle Eingreiftruppe losschickten. Ihr Kommandant war ein ehemaliger britischer Offizier, Dave de Forest. Der Leiter der SIS-Niederlassung in Dubai, ohnehin ein persönlicher Freund, nahm blitzschnell Kontakt mit ihm auf, und sofort wurde über die Buschtrommel verbreitet, der »Hit« habe stattgefunden, weil ein anonymer Nachbar, der irgendeinen Groll hegte, einen Tipp gegeben habe.

Die beiden Putzfrauen wussten nichts; sie kamen von einer Agentur, sie waren im Voraus bezahlt worden, die Schlüssel hatte man ihnen gebracht. Aber sie waren noch nicht fertig, und in einem Haufen Schmutz, den sie zusammengefegt hatten, fanden sich Büschel von schwarzen Haaren, Kopf- und Barthaare, wie an der unterschiedlichen Struktur zu erkennen war. Ansonsten fand sich keine Spur von den Männern, die hier gewohnt hatten.

Nachbarn hatten einen geschlossenen Lieferwagen gesehen, doch an das Kennzeichen konnte sich keiner erinnern. Er wurde bald gefunden und erwies sich als gestohlen, doch es war zu spät und brachte nichts mehr ein.

Der Schneider und der Friseur waren ergiebiger. Sie redeten ohne Zögern, konnten allerdings nur die fünf Männer im Haus beschreiben. Al-Khattab war bereits bekannt. Suleiman konnten sie anhand von Fahndungsfotos identifizieren, weil er auf einer lokalen Verdächtigenliste stand. Die Beschreibung der beiden Unterlinge ließ nirgends eine Glocke läuten.

Die beiden Golf-Araber, der Schneider und der Frisör, kamen aus Ajman und waren einfache Handwerker. Es war der fünfte Mann, auf den sich de Forest mit seinen perfekten Arabischkenntnissen konzentrierte. Der Chef der SIS-Niederlassung saß dabei.

Niemand in diesem Raum wusste etwas von einem Afghanen. Sie nahmen lediglich die Personenbeschreibung auf und leiteten sie nach London weiter. Auch von einem Pass wusste niemand etwas, denn dafür war allein Suleiman zuständig gewesen. Sie wussten nicht, warum die in London hysterisch wurden, als sie von einem großen Mann mit langem schwarzem Haar und Vollbart hörten. Sie konnten nur berichten, dass er jetzt sauber rasiert war und wahrscheinlich einen dunkelgrauen Mohairanzug trug.

Die letzte Information von dem Friseur und dem Schneider versetzte Steve Hill, Marek Gumienny und das Team in Edzell in Entzücken.

Die Araber hatten ihren Mann wie einen Ehrengast behandelt. Und offensichtlich bereiteten sie ihn auf seine Abreise vor. Er lag nicht als Leiche auf einem Fliesenboden irgendwo am Arabischen Golf.

Michael McDonald und Gordon Phillips in Edzell waren ebenso erfreut wie ratlos. Sie wussten, dass ihr Agent sämtliche Prüfungen bestanden hatte und als Dschihadi aufgenommen worden war. Nach wochenlangen Sorgen hatten sie jetzt ein zweites Lebenszeichen von ihm bekommen. Aber hatte er irgendetwas über Stingray herausgefunden, was ja der einzige Sinn dieser Übung war? Wohin ging er jetzt? Konnten sie irgendwie Kontakt mit ihm aufnehmen?

Doch selbst wenn sie mit ihrem Agenten gesprochen hätten, er hätte ihnen nicht helfen können. Er wusste nichts.

Und niemand wusste, dass die Countess of Richmond dabei war, ihre Jaguars in Singapur auszuladen.