ZWEI

Die Korankommission bestand aus vier Männern, drei amerikanischen und einem britischen Akademiker. Alle waren Professoren, keiner war Araber, aber sie alle hatten ihr Leben mit dem Studium des Korans und der vielen tausend gelehrten Kommentare dazu verbracht.

Einer arbeitete an der Columbia University in New York, und auf Befehl von Fort Meade wurde ein Militärhubschrauber entsandt, der ihn zur NSA bringen sollte. Zwei waren in Washington, D. C, der eine bei der Rand Corporation, der andere bei der Brookings Institution, und sie wurden von Dienstwagen der US-Army abgeholt.

Der vierte und jüngste war Dr. Terry Martin von der School of Oriental and African Studies in London, zurzeit Gastdozent an der Georgetown University in Washington, D. C. Die SOAS gehört zur London University, und ihre Arabistik-Abteilung genießt weltweit großes Ansehen.

Was die Kenntnis alles Arabischen anging, hatte der Engländer den anderen etwas voraus. Er war als Sohn eines Buchhalters bei einer großen Ölfirma im Irak geboren und aufgewachsen, und sein Vater hatte ihn mit Bedacht nicht auf die angloamerikanische Schule geschickt, sondern auf ein privates Institut, das die Söhne der gesellschaftlichen Elite des Irak ausbildete. Mit zehn Jahren konnte Terry unter seinen Mitschülern als arabischer Junge durchgehen, zumindest in sprachlicher Hinsicht. Nur mit seinem rosigen Gesicht und seinem buschigen rötlich blonden Haar konnte man ihn niemals vollends für einen Araber halten.

1965 geboren, war er elf Jahre alt, als Mr. Martin Senior beschloss, den Irak zu verlassen und ins sichere Großbritannien zurückzukehren. Die Baath-Partei war wieder an der Macht, doch die eigentliche Macht hatte nicht Präsident Bakr, sondern der Vizepräsident, der einen skrupellosen Vernichtungsfeldzug gegen seine politischen Feinde führte, gegen reale wie gegen eingebildete.

Seit den milden fünfziger Jahren und der Regierungszeit König Feisals hatten die Martins bereits turbulente Zeiten hinter sich. Sie hatten das Massaker an dem jungen König und seinem prowestlichen Ministerpräsidenten Nuri Said erlebt, den gleichermaßen blutrünstigen Mord an seinem Nachfolger General Kassem vor laufender Kamera im Fernsehstudio und das erste Auftreten der brutalen Baath-Partei, die ihrerseits gestürzt worden und 1968 wieder an die Macht gelangt war. Sieben Jahre lang sah Martin senior zu, wie der psychopathische Vizepräsident Saddam Hussein immer mächtiger wurde, und 1975 kam Martin zu dem Schluss, dass es Zeit war, das Land zu verlassen.

Sein älterer Sohn Mike war dreizehn und alt genug für ein britisches Internat. Martin senior bekam einen guten Posten bei Burmah Oil in London – ein gewisser Denis Thatcher, dessen Frau soeben die Vorsitzende der Konservativen Partei geworden war, hatte ein freundliches Wort für ihn eingelegt. So waren alle vier, der Vater, Mrs. Martin und die Söhne Mike und Terry, zum Weihnachtsfest wieder in Großbritannien.

Terrys brillanter Verstand war bereits aufgefallen. Er glitt durch Prüfungen, die für zwei oder drei Jahre ältere Jungen gedacht waren, wie ein heißes Messer durch ein Stück Butter. Man ging – wie sich zeigte, beinahe zu Recht – davon aus, dass er mit einer Serie von Stipendien durch die Oberschule und dann nach Oxford oder Cambridge kommen würde. Aber er wollte seine arabischen Studien weiter betreiben. Noch als Schüler bewarb er sich bei der SOAS; im Frühjahr 1983 bestand er die Aufnahmeprüfung, und ab Herbst desselben Jahres studierte er die Geschichte des Nahen Ostens.

Nach drei Jahren legte er mühelos ein erstklassiges Examen ab und verwandte drei weitere Jahre auf seine Promotion, bei der er sich auf den Koran und die ersten vier Kalifate spezialisierte. Danach nahm er ein Sabbatjahr, um seine Koranstudien am berühmten al-Azhar-Institut in Kairo fortzusetzen, und bei seiner Rückkehr bot man ihm im jugendlichen Alter von fünfundzwanzig Jahren eine Dozentur an – eine beachtliche Ehre, denn in allen Fragen des Arabischen ist die SOAS eine der strengsten Schulen der Welt. Mit vierunddreißig wurde er zum Assistenzprofessor befördert, und mit vierzig war er für eine Professur vorgesehen. Er war einundvierzig, als die NSA an jenem Nachmittag um seinen Rat bat, und verbrachte gerade ein Jahr als Gastprofessor an der Georgetown University, denn im Frühjahr 2006 war sein Leben in Stücke gegangen.

Der Abgesandte aus Fort Meade fand ihn in einem Hörsaal, wo Terry Martin eben eine Vorlesung über die Lehren des Korans und ihre Relevanz für die heutige Zeit zum Abschluss brachte.

Selbst aus den Kulissen war deutlich zu spüren, dass seine Studenten ihn mochten. Der Hörsaal war brechend voll. Er gestaltete seine Vorlesung wie eine lange, zivilisierte Konversation unter Gleichen. Nur selten warf er einen Blick in seine Notizen. In Hemdsärmeln ging er auf und ab, und seine kleine, rundliche Gestalt verströmte den Enthusiasmus, mit dem er seine Gelehrsamkeit vermittelte und teilte. Jede Äußerung aus dem Auditorium behandelte er mit ernsthafter Aufmerksamkeit, und niemals demütigte er einen Studenten wegen mangelhaften Wissens. Er hielt seinen Vortrag knapp und ließ reichlich Zeit für die Fragen der Studenten. Die Frage-und-Antwort-Runde war im Gange, als der Agent aus Fort Meade in den Kulissen erschien.

Jemand in einem roten Hemd in der fünften Reihe hob die Hand. »Sie haben gesagt, mit der Bezeichnung ›fundamentalistisch‹ in Bezug auf die Philosophie der Terroristen sind Sie nicht einverstanden. Warum nicht?«

Angesichts der seit 9/11 über Amerika hinwegflutenden Woge des öffentlichen Interesses an allem, was arabisch, islamisch oder koranwissenschaftlich war, wechselte jede solche Fragerunde schnell von theoretischen Erkenntnissen zu den Angriffen gegen den Westen, die einen großen Teil der vergangenen zehn Jahre ausgefüllt hatten.

»Weil die Bezeichnung falsch ist«, erwiderte der Professor. »Das Wort an sich impliziert eine ›Rückkehr zu den Grundlagen‹. Aber die Leute, die ihre Bomben in Zügen, Einkaufszentren und Bussen explodieren lassen, kehren nicht zu den Grundlagen des Islam zurück. Sie haben sich selbst ein neues Drehbuch geschrieben, und jetzt argumentieren sie retroaktiv und suchen nach Koranpassagen, die ihren Krieg rechtfertigen sollen.

Fundamentalisten gibt es in allen Religionen. Christliche Mönche in einem geschlossenen Orden, die Armut, Selbstverleugnung, Keuschheit und Gehorsam geloben, sind Fundamentalisten. Asketen gibt es bei jeder Glaubensrichtung, aber sie befürworten keine Massenmorde an Männern, Frauen und Kindern. Das ist die entscheidende Erkenntnis. Beurteilen Sie alle Religionen und alle Sekten innerhalb dieser Religionen nach dieser Erkenntnis, und Sie werden sehen, dass der Wunsch nach Rückkehr zu den fundamentalen Glaubenslehren nicht zum Terrorismus führt, denn in keiner Religion, auch nicht im Islam, befürworten die fundamentalen Glaubenslehren den Massenmord.«

Von der Seite her versuchte der Mann aus Fort Meade, Dr. Martins Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aus dem Augenwinkel bemerkte der Professor den jungen Mann mit den kurz geschnittenen Haaren, dem Buttondown-Hemd und dem dunklen Anzug. Das Wort »Regierung« war ihm auf den Leib geschrieben. Der Mann tippte auf seine Armbanduhr. Martin nickte.

»Wie würden Sie die heutigen Terroristen dann bezeichnen? Als Dschihadisten?«

Die Frage kam von einer ernsthaften jungen Frau weiter hinten. Nach ihrem Gesicht zu urteilen, vermutete Dr. Martin, dass ihre Eltern aus dem Mittleren Osten stammten: aus Indien, Pakistan, vielleicht aus dem Iran. Aber sie trug kein Kopftuch, das sie als strenge Muslimin ausgewiesen hätte.

»Auch ›Dschihad‹ ist das falsche Wort. Natürlich gibt es den Dschihad, aber er hat seine Regeln. Entweder ist er der persönliche Kampf im Innern eines Menschen auf dem Weg zu einem Dasein als besserer Muslim, doch in diesem Fall ist er frei von jeder Aggression. Oder er ist der wahre heilige Krieg – der bewaffnete Kampf zur Verteidigung des Islam. Darum, behaupten die Terroristen, geht es ihnen. Aber sie überpinseln die Regeln, die im Text stehen.

Zum einen kann nur eine legitimierte Koran-Autorität von erwiesenem und anerkanntem Ansehen den Dschihad ausrufen. Bin Laden und seine Anhänger sind berüchtigt für ihren Mangel an Koran-Gelehrsamkeit. Selbst wenn der Westen tatsächlich den Islam und somit alle Muslime angegriffen, gekränkt, beschädigt, gedemütigt und erniedrigt hätte, gibt es immer noch Regeln, und der Koran drückt sich da sehr klar aus. Es ist verboten, Menschen anzugreifen und zu töten, die dich nicht beleidigt oder gekränkt haben. Es ist verboten, Frauen und Kinder zu töten. Es ist verboten, Geiseln zu nehmen, und es ist verboten, Gefangene zu misshandeln, zu quälen oder zu töten. Die al-Qaida-Terroristen tun das alles tagtäglich. Und wir dürfen nicht vergessen, dass sie sehr viel mehr Muslime als Christen oder Juden umgebracht haben.«

»Wie würden Sie ihren Feldzug dann nennen?«

Der Mann am Rand des Auditoriums wurde immer unruhiger. Ein leibhaftiger General hatte ihm einen Auftrag gegeben. Er wollte sich nicht als Letzter zurückmelden.

»Ich würde diese Leute als ›Neue Dschihadis‹ bezeichnen, denn sie haben einen unheiligen Krieg außerhalb der Gesetze des Heiligen Korans und somit des Islam erfunden. Der wahre Dschihad ist nicht grausam, aber was sie praktizieren, ist es. Letzte Frage, fürchte ich.«

Bücher und Notizen wurden zusammengepackt. Vorn hob sich eine Hand. Sommersprossen, ein weißes T-Shirt mit dem Emblem einer studentischen Rockband.

»Alle diese Bomber behaupten, Märtyrer zu sein. Wie rechtfertigen sie das?«

»Schlecht«, antwortete Dr. Martin, »denn man hat sie getäuscht, auch wenn einige von ihnen durchaus gebildet sind. Im Kampf für den Islam bei einem rechtmäßig ausgerufenen Dschihad kann man als schahid, als Märtyrer, sterben. Aber auch hier gibt es im Koran klare Regeln. Der Kämpfer darf nicht durch die eigene Hand sterben, selbst wenn er sich freiwillig zu einer tödlichen Mission gemeldet hat. Er darf die Zeit und den Ort seines Todes nicht kennen.

Bei Selbstmordattentätern ist aber genau das der Fall. Und Selbstmord ist ausdrücklich verboten. Zu seinen Lebzeiten weigerte sich Mohammed, den Leichnam eines Selbstmörders zu segnen, obwohl der Mann sein Leben beendet hatte, um den lähmenden Qualen einer Krankheit zu entgehen. Wer Massenmord an Unschuldigen und Selbstmord begeht, kommt in die Hölle, nicht ins Paradies. Die falschen Prediger und Imame, die sie auf diesen Weg locken, werden ihnen dort wiederbegegnen. Und jetzt müssen wir leider in die Welt von Georgetown und seinen Hamburgern zurückkehren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«

Die Studenten applaudierten stehend, und der Professor nahm, rot vor Verlegenheit, sein Jackett und ging zu dem Mann aus Fort Meade.

»Entschuldigen Sie die Störung, Professor«, sagte dieser. »Meine Vorgesetzten brauchen die Korankommission im Fort. Der Wagen wartet draußen.«

»Sofort?«

»Gestern. Der Teufel ist los.«

»Wissen Sie, wieso?«, fragte Martin.

»Nein, Sir.«

Natürlich. Verschlusssache. Die unumstößliche Regel: Was du nicht wissen musst, um deinen Auftrag zu erfüllen, werden sie dir nicht sagen. Martin würde seine Neugier zügeln müssen. Draußen wartete die übliche dunkle Limousine mit der verräterischen Dachantenne: Der Kontakt zur Basis durfte nicht abbrechen. Der Fahrer war ein Corporal, aber obwohl Fort Meade ein Militärstützpunkt ist, war der Mann in Zivil, nicht in Uniform. Nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.

Der Fahrer hielt ihm die Tür auf, Dr. Martin setzte sich auf den Rücksitz, und sie fuhren durch den frühabendlichen Verkehr hinaus zum Highway Richtung Baltimore.

 

Weit im Osten streckte sich der Mann, der eine Scheune zu seinem Ruhesitz umbaute, neben einem Lagerfeuer im Obstgarten aus. Er fühlte sich wohl. Wer auf Steinen und Schneewehen schlafen konnte, der konnte es ganz sicher im weichen Gras unter den Apfelbäumen.

Brennholz war kein Problem. Er hatte genug verrottete alte Bretter für ein ganzes Leben. Sein Wasserkessel sang über der roten Glut, heiß genug für einen willkommenen Becher mit dampfendem Tee. Extravagante Drinks sind auf ihre Art etwas Schönes, aber nach einem harten, arbeitsreichen Tag ist der Lohn des Soldaten ein Becher heißer Tee.

Tatsächlich hatte er sich den Nachmittag freigegeben; er hatte sein hohes Dach verlassen und war zu Fuß nach Meonstoke gegangen, um für das Wochenende einzukaufen.

Offensichtlich wussten alle dort, dass er die Scheune gekauft hatte und sie eigenhändig instand setzte. Bei den Leuten kam das gut an. Reiche Londoner, die mit Schecks wedelten und gern den Landjunker spielten, wurden höflich begrüßt, aber hinter ihrem Rücken zuckte man die Achseln. Der dunkelhaarige, ledige Mann dagegen, der in seinem Obstgarten zeltete und die handwerklichen Arbeiten selbst ausführte, war ein guter Kerl – davon war man im Dorf immer mehr überzeugt.

Dem Briefträger zufolge bekam er wenig Post, abgesehen von ein paar amtlich aussehenden braunen Umschlägen, und auch die ließ er im dörflichen Pub, im »Buck's Head«, abliefern, um dem Briefträger den langen Marsch über den lehmigen Feldweg zu ersparen, eine Geste, die der Briefträger zu schätzen wusste. Die Briefe waren an einen »Colonel« adressiert, doch davon erwähnte er nie etwas, wenn er im Pub ein Bier trank oder sich im Laden eine Zeitung oder Lebensmittel kaufte. Er lächelte nur und war immer höflich. Allerdings war die wachsende Wertschätzung der Einheimischen von Neugier gefärbt. So viele »Zugezogene« benahmen sich dreist und laut. Wer war er, woher kam er, und warum hatte er beschlossen, sich in Meonstoke niederzulassen?

Bei seinem Spaziergang durch das Dorf an diesem Nachmittag hatte er die alte St.-Andrew-Kirche besucht, und dort war er dem Pfarrer, Reverend Jim Foley, begegnet und hatte sich mit ihm unterhalten.

Der ehemalige Soldat spürte, dass ihm das Leben hier gefallen würde. Er konnte mit seinem robusten Mountainbike nach Droxford an der Straße nach Southampton fahren und dort im Bauernmarkt Obst und Gemüse direkt vom Erzeuger kaufen. Er konnte die zahllosen kleinen Landstraßen erkunden, die er von seinem Dach aus sehen konnte, und in den alten Pubs mit den Balkendecken das Bier probieren.

Aber in zwei Tagen würde er zur Sonntagsandacht nach St. Andrew's gehen, und im stillen Dämmerlicht hinter den uralten Steinmauern würde er beten, wie er es oft tat.

Er würde den Gott, an den er fest glaubte, um Vergebung für all die Männer bitten, die er getötet hatte, und darum beten, dass ihre unsterblichen Seelen ihren Frieden fänden, sie und die der Kameraden, die er neben sich hatte sterben sehen. Er würde Gott dafür danken, dass er niemals Frauen und Kinder getötet hatte und niemanden, der in Frieden gekommen war, und er würde darum beten, dass auch er seine Sünden eines Tages würde tilgen und ins Himmlische Königreich eingehen können.

Und dann würde er auf seine Anhöhe zurückkehren und die Arbeit wieder aufnehmen. Er hatte nur noch tausend Dachpfannen vor sich.

 

So groß der Gebäudekomplex der National Security Agency auch ist, er umfasst doch nur einen Bruchteil von Fort Meade, einer der größten Militärbasen in den USA. Vier Meilen östlich des Interstate 95 auf halbem Wege zwischen Washington und Baltimore gelegen, beherbergt diese Basis ungefähr zehntausend Soldaten und fünfundzwanzigtausend zivile Angestellte. Sie ist eine Stadt für sich und hat alles, was eine Kleinstadt zu bieten hat. Der Bereich der »Schlapphüte« liegt versteckt in einer streng bewachten Sicherheitszone in einem Winkel des Komplexes, die Dr. Martin noch nie zuvor von innen gesehen hatte.

Der Wagen glitt durch das weitläufige Fort, ohne anzuhalten, bis er an dieser Zone ankam. An einem Tor wurden die Ausweise kontrolliert, und Gesichter spähten durch die Wagenfenster zu dem britischen Akademiker herein, während der Mann, der ihn abgeholt hatte, für ihn bürgte. Eine halbe Meile weiter hielt der Wagen am Seiteneingang des großen Hauptgebäudes, und Dr. Martin und sein Begleiter gingen hinein. Ein Empfangstisch war mit militärischem Wachpersonal besetzt. Weitere Kontrollen. Telefonate. Daumen wurden auf Touchpads gedrückt. Iris-Scans. Dann ließ man sie durch.

Nach einem Marathonlauf durch endlose Korridore kamen sie zu einer anonymen Tür. Der Begleiter klopfte, und sie traten ein. Endlich sah Dr. Martin vertraute Gesichter und erkannte seine Freunde: die Kollegen und Mitglieder der Korankommission.

Wie so viele Besprechungszimmer in regierungsamtlichen Einrichtungen war auch dieser Raum anonym und funktional. Er hatte keine Fenster, aber eine Klimaanlage sorgte für frische Luft. Die Einrichtung bestand aus einem runden Tisch und gepolsterten Stühlen. An einer Wand hing ein Bildschirm für grafische Darstellungen, und auf kleinen Tischen an der Wand standen Kaffeemaschinen und Tabletts mit kleinen Häppchen für den unersättlichen amerikanischen Hunger.

Die Gastgeber waren keine Akademiker, sondern zwei Nachrichtendienstoffiziere. Sie stellten sich mit unverbindlicher Höflichkeit vor. Der eine war der Deputy Director der NSA, dessen Teilnahme der General persönlich veranlasst hatte. Der andere war ein leitender Offizier vom Heimatschutzministerium in Washington.

Die vier Wissenschaftler, zu denen Dr. Martin gehörte, kannten einander. Schon bevor sie eingewilligt hatten, in der namenlosen Expertenkommission mitzuarbeiten, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einem einzigen Buch und einer einzigen Religion beschäftigte, kannten sie einander sowohl durch ihre Veröffentlichungen als auch persönlich von Seminaren, Vorträgen und Kongressen her. Die Welt des intensiven Koranstudiums ist ziemlich klein.

Terry Martin begrüßte Dr. Ludwig Schramme von der Columbia University in New York, Dr. Ben Jolley von der Rand Corporation und Dr. »Harry« Harrison von Brookings, der ganz sicher einen anderen Vornamen hatte, aber überall nur als Harry bekannt war. Das älteste und daher leitende Mitglied der Kommission war Ben Jolley, ein großer, bärtiger Bär von einem Mann, der sofort – und ohne auf die vorgeschobenen Lippen des Deputy Directors zu achten – eine furchterregende Bruyère-Pfeife hervorholte und anzündete. Als sie qualmte wie ein herbstliches Laubfeuer, paffte er zufrieden. Die Klimatechnik der Firma Westinghouse über ihren Köpfen tat ihr Bestes, und sie tat es mit einigem Erfolg. Aber demnächst würde sie eine Generalüberholung benötigen.

Der Deputy Director kam ohne Umschweife zum Kern der Sache. Er verteilte Kopien zweier Dokumente, eine Akte für jeden Teilnehmer. Es waren die arabischen Originale der Dateien, die man auf dem Laptop des al-Qaida-Financiers gefunden hatte, sowie die Übersetzungen der internen Arabisch-Abteilung. Die vier Männer nahmen sich unverzüglich die arabischen Fassungen vor und lasen sie schweigend. Dr. Jolley paffte, der Mann vom Heimatschutz verzog gequält das Gesicht. Alle vier waren fast gleichzeitig fertig.

Dann lasen sie die englischen Übersetzungen, um festzustellen, was übersehen worden war – und warum. Jolley sah die beiden Nachrichtendienstoffiziere an.

»Und?«

»Und was, Professor?«

»Was ist das Problem?«, fragte der Arabist. »Warum sind wir hier?«

Der Deputy Director beugte sich vor und tippte auf einen Absatz in der englischen Übersetzung. »Da ist das Problem. Das hier. Was bedeutet es? Wovon ist da die Rede?«

Alle vier hatten den Koranverweis im arabischen Text entdeckt. Eine Übersetzung brauchten sie nicht. Jeder hatte diesen Satz schon oft gelesen und seine möglichen Bedeutungen studiert. Aber das war im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Texten geschehen. Hier handelte es sich um moderne Briefe. In dem einen Brief erschien der Verweis dreimal, in dem anderen einmal.

»Al-Isra? Das muss ein Code sein. Es bezieht sich auf eine Episode aus dem Leben des Propheten Mohammed.«

»Verzeihen Sie unsere Unkenntnis«, sagte der Mann vom Heimatschutz. »Was ist al-Isra?«

»Erklären Sie es, Terry«, bat Dr. Jolley.

»Tja, Gentlemen«, begann Terry Martin, »damit ist eine Offenbarung im Leben des Propheten gemeint. Bis zum heutigen Tag streiten sich die Gelehrten, ob er da ein echtes göttliches Wunder erlebte oder ob es sich schlicht um ein außerkörperliches Erlebnis handelte.

Kurz gesagt: Ein Jahr bevor er seinen Geburtsort Mekka verließ und nach Medina auswanderte, hatte er eines Nachts einen Traum. Oder eine Halluzination. Oder es war ein göttliches Wunder. Der Kürze halber will ich sagen, es war ein Traum, und dabei bleiben.

In diesem Traum wurde er aus der Mitte des heutigen Saudi-Arabien nach Jerusalem entrückt, das damals nur für Christen und Juden eine heilige Stadt war.«

»Zu welcher Zeit? Nach unserem Kalender.«

»Um das Jahr sechshundertzwanzig.«

»Und was geschah dann?«

»Der Erzengel Gabriel nahm Mohammed auf einem geflügelt Pferd mit hinauf durch die sieben Himmel und brachte ihn schließlich vor das Angesicht des allmächtigen Gottes, der ihn in den Gebetsritualen unterwies, an die ein wahrer Gläubiger sich zu halten habe. Mohammed prägte sich alles ein und diktierte es später einem Schreiber, und so wurde es zu einem integralen Bestandteil der Sechstausendsechshundertsechsundsechzig. Diese Verse wurden zur Grundlage des Islam, und sie sind es bis heute geblieben.«

Die anderen drei Professoren nickten zustimmend.

»Und das glauben die Muslime?«, fragte der Deputy Director.

»Wir wollen nicht herablassend werden«, sagte Harry Harrison in scharfem Ton. »Im Neuen Testament wird uns berichtet, dass Jesus vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wildnis fastete und danach dem Teufel entgegentrat und ihm widersagte. Wer so lange Zeit ohne Nahrung verbringt, wird ganz sicher Halluzinationen haben. Aber für gläubige Christen ist es die Heilige Schrift, an der sie nicht zweifeln.«

»Okay, ich entschuldige mich. Al-Isra ist also die Begegnung mit dem Erzengel?«

»Keineswegs«, sagte Jolley. »Al-Isra ist die Reise an sich. Eine magische Reise. Eine göttliche Reise, unternommen auf Anweisung Allahs selbst.«

»Man hat sie auch als Reise durch die Dunkelheit zu großer Erleuchtung bezeichnet«, warf Dr. Schramme ein.

Er zitierte aus einem alten Kommentar. Die anderen drei kannten ihn gut und nickten.

»Und was würde ein moderner Muslim und ein führendes al-Qaida-Mitglied damit meinen?«

Es war der erste Hinweis auf die Herkunft der Dokumente, den die Akademiker bekamen.

»Waren diese Texte schwer bewacht?«

»Zwei Männer sind gestorben, bevor sie uns in die Hände fielen.«

»Ah. Ja. Verständlich.« Dr. Jolley betrachtete mit großer Aufmerksamkeit seine Pfeife. »Ich fürchte, es kann nichts anderes sein als ein Hinweis auf irgendein Projekt, eine Operation. Und zwar auf eine ziemlich bedeutende.«

»Eine große Sache?«, fragte der Mann vom Heimatschutz.

»Gentlemen, fromme Muslime, ganz zu schweigen von fanatischen Muslimen, reden nicht leichtfertig über al-Isra. Für sie war es etwas, das die Welt verändert hat. Wenn sie einem Unternehmen den Codenamen al-Isra geben, haben sie etwas Großes vor.«

»Aber nichts weist darauf hin, worum es sich handeln könnte?«

Dr. Jolley schaute in die Runde. Seine drei Kollegen zuckten die Achseln.

»Nein. Beide Autoren rufen den Segen Allahs auf ihr Projekt herab, doch das ist alles. Ich glaube, ich kann in unser aller Namen sagen, dass Sie herausfinden sollten, was dieses Projekt ist. Was immer dahinterstecken mag – eine schlichte Rucksackbombe, einen verwüsteten Nightclub oder einen zerstörten Linienbus würden sie niemals mit ›al-Isra‹ bezeichnen.«

Niemand hatte sich Notizen gemacht. Es war nicht nötig. Jedes Wort war aufgezeichnet worden. In der Branche war dieses Gebäude schließlich unter dem Namen »Puzzle-Palast« bekannt.

Die beiden Nachrichtendienstoffiziere würden innerhalb einer Stunde das Transkript der Unterredung in Händen halten und noch in der Nacht ihren gemeinsamen Bericht verfassen. Noch vor dem Morgengrauen würde dieser Bericht das Gebäude verlassen; versiegelt und von einem bewaffneten Kurier würde er an einen höheren Ort gebracht werden. An einen sehr hohen Ort, den höchsten, den es in den USA gibt: ins Weiße Haus.

 

Terry Martin fuhr mit Ben Jolley in einer Limousine zurück nach Washington. Der Wagen war größer als der, mit dem er gekommen war; zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil war eine Glastrennwand. Durch die Scheibe sahen sie zwei Hinterköpfe: den Fahrer und den jungen Offizier, der sie begleitete.

Der bärbeißige alte Amerikaner spielte gedankenvoll mit der Pfeife in seiner Jackentasche und starrte hinaus in die vorüberziehende Landschaft, ein Meer von goldenem und braunem Herbstlaub. Der jüngere Brite schaute in die andere Richtung und hing ebenfalls seinen Gedanken nach.

In seinem ganzen Leben hatte er eigentlich nur vier Menschen geliebt, und drei davon hatte er in den vergangenen zehn Monaten verloren. Anfang des Jahres waren seine Eltern, die ihre beiden Söhne erst bekommen hatten, als sie schon in den Dreißigern waren, mit über siebzig Jahren beinahe gleichzeitig gestorben, sein Vater an Prostatakrebs und seine Mutter kurz darauf an gebrochenem Herzen: Sie hatte nicht mehr weiterleben wollen. Sie schrieb jedem ihrer beiden Söhne einen bewegenden Brief, legte sich in ein heißes Bad und nahm ein Röhrchen Schlaftabletten. So schlief sie ein und ging, um es mit ihren eigenen Worten zu sagen, »zu Daddy«.

Terry Martin war am Boden zerstört, aber er überlebte durch die Kraft zweier Männer, der beiden anderen Menschen, die er mehr liebte als sich selbst. Der eine war sein Partner, der große, gut aussehende Börsenmakler, mit dem er seit vierzehn Jahren zusammenlebte, bis in einer wilden Nacht im März dieser betrunkene Autofahrer gekommen war, in irrsinnigem Tempo – der knirschende Zusammenprall von Stahl und menschlichem Körper, der Leichnam auf einem Tisch im Leichenschauhaus, die furchtbare Beerdigung, Gordons Eltern mit ihrer steifen Missbilligung von Terrys unverhohlenen Tränen.

Er hatte ernsthaft daran gedacht, seinem eigenen, nur noch jammervollen Leben ein Ende zu machen. Aber sein älterer Bruder Mike schien seine Gedanken zu spüren. Er zog für eine Woche zu ihm und redete mit ihm, bis die Krise überwunden war.

Die Heldenverehrung für seinen Bruder reichte zurück bis in ihre Kinderzeit im Irak und die Jahre auf der britischen Privatschule von Haileybury am Rande des Marktstädtchens Hertford.

Mike war immer all das gewesen, was Terry nicht war. Dunkel, nicht blond. Schlank, nicht pummelig. Hart, nicht weich. Schnell, nicht langsam. Tapfer, nicht ängstlich. Während Terry jetzt in der Limousine durch Maryland glitt, wanderten seine Gedanken zurück zu diesem letzten Rugby-Match gegen Tonbridge, mit dem Mike seine fünf Jahre in Haileybury beendet hatte.

Als die beiden Mannschaften vom Platz kamen, stand Terry an dem mit Seilen abgesperrten Durchgang und strahlte. Mike streckte die Hand aus und zerzauste ihm das Haar.

»Na«, sagte er, »wir haben's geschafft, Brüderchen.«

Terry war vor Angst fast vergangen, als der Augenblick kam, seinem Bruder zu gestehen, ihm sei jetzt klar, dass er schwul sei. Mike, inzwischen Offizier bei den Fallschirmjägern und eben aus dem Falklandkrieg zurück, dachte kurz darüber nach, lächelte dann sein spöttisches Lächeln und antwortete mit Joe E. Browns letztem Satz in Manche mögen's heiß.

»Tja. Nobody is perfect.«

Von diesem Augenblick an kannte Terrys Heldenverehrung für seinen Bruder keine Grenzen mehr.

 

In Maryland ging die Sonne unter. In derselben Zeitzone sank sie auch über Kuba, und auf der südwestlichen Halbinsel namens Guantanamo breitete ein Mann seinen Gebetsteppich aus, wandte sich nach Osten, kniete nieder und fing an zu beten. Vor der Zelle schaute ein GI ungerührt zu. Er hatte das alles schon oft gesehen, aber er hatte den strengen Befehl, in seiner Wachsamkeit niemals nachzulassen.

Der betende Mann war seit fast fünf Jahren in diesem Gefängnis – früher Camp X-Ray, jetzt Camp Delta und in den Medien kurz »Gitmo« für Guantanamo Bay genannt. Die ersten Brutalitäten und Entbehrungen hatte er lautlos, klaglos überstanden. Er hatte die vielfältigen Erniedrigungen seines Körpers und seiner Religion wortlos ertragen, doch wenn er seine Folterer anstarrte, konnten sogar sie den unversöhnlichen Hass in den schwarzen Augen über dem schwarzen Bart lesen, und dann schlugen sie ihn desto mehr. Aber brechen konnten sie ihn nicht.

In den Tagen von Zuckerbrot und Peitsche, als die Insassen ermutigt wurden, ihre Kameraden um kleiner Vergünstigungen willen zu denunzieren, war er stumm geblieben und hatte keine bessere Behandlung erwirkt. Andere hatten es gesehen und ihn angeschwärzt, um sich Zugeständnisse zu verschaffen, da ihre Beschuldigungen jedoch aus der Luft gegriffen waren, hatte er sie weder geleugnet noch bestätigt.

In den Akten, die die Verhörspezialisten zum Nachweis ihrer Erkenntnisse führten, fand sich vieles über den Mann, der an diesem Abend betete, aber fast nichts davon stammte von ihm selbst. Höflich hatte er die Fragen beantwortet, die ihm Jahre zuvor von einem dieser Spezialisten gestellt worden waren, der einen humanen Ansatz verfolgt hatte. Nur deshalb existierte überhaupt eine brauchbare Akte über seine Vergangenheit.

Das Problem war allerdings immer noch das gleiche. Keiner von denen, die ihn verhört hatten, verstanden auch nur ein einziges Wort der Muttersprache des Mannes; sie hatten sich immer auf die Dolmetscher verlassen, die sie überallhin begleiteten. Doch die Dolmetscher verfolgten ebenfalls eigene Interessen. Auch sie erhielten Vergünstigungen, wenn sie interessante Enthüllungen lieferten, und so hatten sie einen guten Grund, welche zu erfinden.

Nach vier Jahren war der betende Mann als »unkooperativ« eingestuft worden, was nur bedeutete, dass er nicht zu brechen war. 2005 hatte man ihn über den Golf in das neue Hochsicherheits-Isolationsgefängnis Camp Echo verlegt. Hier waren die Zellen kleiner, sie hatten weiße Wände, und Bewegung für die Häftlinge gab es nur nachts. Seit einem Jahr hatte der Mann die Sonne nicht mehr gesehen.

Keine Familie fragte lautstark nach ihm, keine Regierung bemühte sich um Informationen über ihn, kein Anwalt klagte um seinetwillen. Die Häftlinge um ihn herum verfielen in psychotische Zustände und wurden zur Therapie fortgebracht. Er blieb stumm und las seinen Koran. Draußen wurde die Wache abgelöst, während er betete.

»Verdammter Araber«, knurrte der Mann, der jetzt dienstfrei hatte. Seine Ablösung schüttelte den Kopf.

»Er ist kein Araber«, sagte er. »Er ist Afghane.«

 

»Wie denken Sie über unser Problem, Terry?«

Ben Jolley hatte seine Gedankengänge beendet und drehte sich zu Martin um.

»Klingt nicht gut, wie?«, erwiderte Terry Martin. »Haben Sie die Gesichter unserer beiden Geheimdienstfreunde gesehen? Sie wussten, dass wir nur bestätigten, was sie bereits vermutet hatten, aber sie waren nicht glücklich, als wir gingen.«

»Das ändert nichts an der Beurteilung. Sie müssen herausfinden, worum es bei der Operation al-Isra geht.«

»Wie sollen sie das anstellen?«

»Na, ich habe schon lange genug mit diesen Schlapphüten zu tun. Seit dem Sechstagekrieg berate ich sie in allen Nahost-Fragen. Sie haben eine Menge Möglichkeiten: Insiderquellen, umgedrehte Agenten, Lauschangriffe, Datenspionage, Satellitenbeobachtungen. Und ihre Computer sind eine große Hilfe bei der Vernetzung von Daten – was früher Wochen gedauert hat, schaffen sie heute innerhalb von Minuten. Ich nehme an, sie werden es herausbekommen und irgendwie stoppen. Vergessen Sie nicht, wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, seit Gary Powers 1960 über Swerdlowsk abgeschossen wurde und seit die U2 1962 die Fotos von Chruschtschows Raketen auf Kuba lieferte. Da waren Sie sicher noch gar nicht auf der Welt, was?« Er gluckste grummelnd bei dem Gedanken an sein eigenes, methusalemhaftes Alter, als Terry Martin nickte.

»Vielleicht haben sie sogar jemanden innerhalb von al-Qaida«, erwog Martin.

»Das bezweifle ich«, sagte Jolley. »Wenn es dort jemanden in hoher Position gäbe, wüssten wir längst, wo sich der Führungszirkel aufhält, und dann hätten wir sie mit Smart Bombs eliminiert.«

»Aber vielleicht können sie jemanden dort einschleusen, der uns dann berichtet.«

Wieder schüttelte der Ältere voller Überzeugung den Kopf. »Kommen Sie, Terry, wir wissen beide, dass das unmöglich ist. Ein Araber würde sich wahrscheinlich umdrehen lassen und gegen uns arbeiten. Und ein Nichtaraber? Vergessen Sie's. Wir wissen beide, dass alle Araber weit verzweigten Familien, Sippen und Stämmen angehören. Eine Nachfrage bei der Familie oder dem Klan, und jeder Spitzel wäre enttarnt. Er müsste also einen unangreifbaren Lebenslauf haben. Dazu kommt, er müsste seiner Rolle entsprechend aussehen und reden können, und vor allem: Er müsste sie beten können. Eine falsche Silbe bei all diesen Gebeten, und die Fanatiker würden etwas merken. Sie sprechen ihre Gebete fünfmal täglich und lassen niemals eins aus.«

»Das stimmt.« Martin wusste, dass der andere wahrscheinlich Recht hatte, doch er ließ gern seine Fantasie spielen. »Aber die Koranpassagen lassen sich auswendig lernen, und man könnte eine Familie erfinden, die unaufspürbar ist.«

»Vergessen Sie's, Terry. Kein Europäer oder Amerikaner kann unter Arabern als Araber durchgehen.«

»Mein Bruder schon«, sagte Dr. Martin. Eine Sekunde später hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Aber er hatte Glück. Dr. Jolley grunzte nur, ließ das Thema fallen und schaute hinaus in die Außenbezirke von Washington. Die beiden Köpfe vor der Scheibe hatten sich nicht bewegt. Martin atmete erleichtert auf. Falls es ein Mikro im Wagen gab, war es offenbar abgeschaltet.

Er irrte sich.