4. Kapitel
Superintendent Robin King war nicht gerade erfreut, als man ihn um drei Uhr morgens weckte, doch als er hörte, daß ein Mann von MI5 aus London auf seinem Polizeirevier sei und um Beistand ersuche, versprach er, sofort zu kommen, und zwanzig Minuten später war er unrasiert und ungekämmt zur Stelle.
Er hörte aufmerksam zu, während Preston erklärte, worum es ging: Ein Ausländer, wahrscheinlich ein sowjetischer Agent, sei von London aus beschattet worden, und, nachdem er in Chesterfield aus dem fahrenden Zug gesprungen war, bis zu einem Haus in der Compton Street, dessen Nummer man noch nicht kenne, verfolgt worden.
»Ich weiß noch nicht, wer in diesem Haus wohnt und was der Verdächtige darin zu schaffen hat. Ich möchte das gerne herausfinden, aber ohne im Augenblick eine Verhaftung vorzunehmen. Ich möchte das Haus beobachten. Später am Vormittag können wir uns vom Chief Constable für Derbyshire weitergehendere Vollmachten besorgen; doch im Augenblick ist das Problem selbst dringender. Ich hab' vier Observanten auf der Straße, aber sobald es tagt, werden sie so unauffällig aus der Gegend ragen wie Maibäume. Also brauche ich Hilfe.«
»Was kann ich genau für Sie tun, Mr. Preston?« fragte der Polizeibeamte.
»Haben Sie einen neutralen Kombiwagen?«
»Nein. Ein paar neutrale Polizeiwagen und einige Kombis, die aber das Polizeikennzeichen an der Seite tragen.«
»Können wir einen neutralen Kombi auftreiben und ihn, mit meinen Männern darin, vor dem Haus parken?«
Der Superintendent rief den Sergeant vom Dienst an, stellte die gleiche Frage und lauschte eine Weile.
»Wecken Sie ihn telefonisch und bitten sie ihn, mich sofort anzurufen«, sagte er. Zu Preston: »Einer unserer Leute hat einen Kombi. Das Auto ist ziemlich verbeult, und sein Besitzer wird deswegen dauernd gehänselt.«
Dreißig Minuten später traf sich der noch nicht ganz wache Police Constable mit dem Observantenteam vor dem Haupteingang des Fußballstadions. Burkinshaw und seine Leute kletterten in den Kombi, der in die Compton Street fuhr und gegenüber dem verdächtigen Haus parkte. Wie abgemacht stieg der Polizist aus, dehnte und reckte sich und ging die Straße entlang, als komme er von der Nachtschicht heim.
Burkinshaw spähte durch das Rückfenster und rief Preston über Funk.
»Schon besser«, sagte er. »Wir haben einen großartigen Blick auf das Haus gegenüber. Es ist übrigens Nummer 59.«
»Halten Sie eine Weile durch«, sagte Preston, »ich versuche etwas noch Besseres zu organisieren. Sollte Winkler das Haus verlassen und zu Fuß weggehen, folgen Sie ihm mit zwei Männern. Die beiden anderen sollen bleiben. Wenn er mit dem Auto wegfährt, fahren Sie mit dem Kombi hinterher.«
»Superintendent, wir müssen das Haus vielleicht längere Zeit beobachten. Das heißt, wir müssen uns gegenüber, in einem Vorderzimmer im oberen Stock, einnisten. Können wir in der Compton Street jemanden finden, der uns aufnimmt?«
Der Polizeichef dachte nach.
»Ich kenne jemanden, der in der Compton Street wohnt«, sagte er. »Wir sind beide Freimaurer, Mitglieder derselben Loge. Ein ehemaliger Obermaat der Navy, jetzt im Ruhestand. Er wohnt Nummer 68. Ich weiß nicht, wo das Haus genau liegt.«
Burkinshaw bestätigte, daß Achtundsechzig zwei Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite war. Durch das Fenster im oberen Stock, das wahrscheinlich zum Schlafzimmer gehörte, würde man das Ziel vorzüglich beobachten können.
Superintendent King rief seinen Freund vom Revier aus an.
Auf Prestons Anregung hin erzählte er dem verschlafenen Hauseigentümer, Mr. Sam Royston, daß es sich um eine Polizeiaktion handle; man wolle einen Verdächtigen beobachten, der in dem Haus gegenüber Zuflucht gesucht habe. Nachdem Mr. Royston seinen Verstand einigermaßen beisammen hatte, zeigte er sich ganz auf der Höhe der Situation. Als gesetzesfürchtiger Bürger würde er der Polizei selbstverständlich erlauben, sein Vorderzimmer zu benutzen.
Der Kombi fuhr gemächlich um den Block in die West Street; Burkinshaw und sein Team stiegen über Gartenzäune und schlüpften zwischen Villen hindurch, bis sie zu Mr. Roystons Haus kamen, das sie durch den Hintergarten betraten. Kurz bevor die Sommersonne die Straße überflutete, ließ das Observantenteam sich in Mr. Roystons ungemachtem Schlafzimmer hinter den Spitzenvorhängen nieder, durch die man die Nummer 59 gegenüber sehen konnte.
Mr. Royston, der stocksteif in einem Kamelhaarmorgenrock steckte und die Wichtigtuerei eines Patrioten an den Tag legte, der gebeten worden war, den Beamten der Königin beizustehen, lugte durch die Vorhänge auf das Haus gegenüber.
»Bankräuber, wie? Rauschgifthändler, was?«
»So was ähnliches«, bestätigte Burkinshaw.
»Ausländer«, schnaubte Royston. »Nie gemocht. Hätten keinen von den Brüdern ins Land lassen sollen.«
Ginger, dessen Eltern aus Jamaika stammten, starrte stoisch durch die Vorhänge. Mungo, der Schotte, holte ein paar Stühle von unten. Mrs. Royston tauchte wie eine Maus aus ihrem Versteck auf, nachdem sie Lockenwickler und Haarnadeln entfernt hatte.
»Hätte jemand«, fragte sie, »gerne eine gute Tasse Tee?«
Barney, der jung und hübsch war, setzte sein gewinnendstes Lächeln auf.
»Das wäre reizend, Mammi.«
Es wurde Mrs. Roystons großer Tag. Sie begann die erste einer, wie sich dann herausstellte, endlosen Abfolge von Tassen Tee zuzubereiten, einem Gebräu, von dem sie ohne sichtliche Zufuhr von fester Nahrung zu leben schien.
Auf dem Polizeirevier hatte der diensthabende Sergeant inzwischen die Identität der Bewohner von Compton Street Nummer 59 festgestellt.
»Zwei griechische Zyprioten, Sir«, berichtete er Superintendent King. »Brüder und beide Junggesellen. Andreas und Spiridon Stephanides. Nach Aussage des für dieses Revier zuständigen Constable wohnen sie seit ungefähr vier Jahren dort. Scheinen in Holywell Cross ein griechisches Spezialitätenrestaurant mit Straßenverkauf zu betreiben.«
Preston telefonierte seit einer halben Stunde mit London. Zuerst hatte er den diensthabenden Offizier in Sentinel House angerufen, der ihn dann mit Barry Banks verbunden hatte.
»Barry, setzen Sie sich doch mit C in Verbindung, ganz gleich, wo er ist, und bitten Sie ihn, mich zurückzurufen.«
Fünf Minuten später war Sir Nigel am Apparat, ruhig und hellwach, als wäre er nicht aus dem Schlaf gerissen worden. Preston informierte ihn über die Ereignisse der vergangenen Nacht.
»Sir, gestern war ein Empfangskomitee in Sheffield. Zwei Leute von Special Branch und drei Uniformierte mit Haftbefehlen.«
»So war es aber nicht abgemacht, John.«
»Nicht, soweit ich im Spiel bin.«
»All right, John, ich werde mich um diese Seite der Angelegenheit kümmern. Sie haben das Haus ausgemacht. Schlagen Sie jetzt los?«
»Ich habe ein Haus ausgemacht«, korrigierte Preston. »Ich möchte nicht losschlagen, weil ich nicht glaube, daß dies das Ende der Spur ist. Noch etwas, Sir. Sollte Winkler nach Hause zurückreisen, dann möchte ich, daß man ihn in Ruhe ziehen läßt. Wenn er ein Kurier ist oder ein Bote oder einfach jemand, der sich über den Gang bestimmter Dinge informieren soll, dann werden seine Leute in Wien auf ihn warten. Kommt er nicht zurück, werden sie unweigerlich den ganzen Laden von A bis Z dichtmachen.«
»Ja«, sagte Sir Nigel langsam. »Ich werde mit Sir Bernard darüber reden. Wollen Sie an Ort und Stelle bleiben oder nach London zurückkommen?«
»Ich möchte, wenn möglich, am Ball bleiben.«
»All right. Ich sorge im Namen von Sechs dafür, daß Sie alles bekommen, was Sie brauchen. Jetzt nehmen Sie Rückendeckung und machen Sie Ihren Bericht für Charles Street.«
Preston legte auf, und Sir Nigel rief Sir Bernard zu Hause an. Der Generaldirektor von »Fünf« erklärte sich bereit, mit ihm um acht Uhr im Guards Club zu frühstücken.
»Sie sehen also, Bernard, die Zentrale ist vielleicht wirklich gerade dabei, eine Großaktion bei uns durchzuführen«, sagte »C«, während er seinen zweiten Toast mit Butter bestrich.
Sir Bernard Hemmings schien zutiefst beunruhigt. Er saß vor seinem Frühstück, ohne es anzurühren.
»Brian hätte mich über den Vorfall in Glasgow informieren müssen«, sagte er. »Warum zum Teufel liegt dieser Bericht immer noch auf seinem Schreibtisch?«
»Wir machen alle dann und wann Fehler. Erare humanum est und so«, murmelte Sir Nigel. »Schließlich haben meine Leute in Wien angenommen, Winkler sei ein Postkurier für einen seit langem bestehenden Agentenring, und ich folgerte daraus, daß Jan Marais zu diesem Ring gehören könne. Jetzt sieht es so aus, als handle es sich um zwei getrennte Operationen.«
Er verschwieg, daß er selbst das Wiener Telegramm vom vergangenen Tag verfaßt hatte, um von seinem Kollegen zu bekommen, was er wollte - die Einbeziehung Prestons in die Operation Winkler als Einsatzleiter. Für »C« gab es eine Zeit der Offenheit und eine Zeit für diskrete Verschwiegenheit.
»Und die zweite Operation, die mit den Dingen zusammenhängt, die man in Glasgow abgefangen hat?«
Sir Nigel zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung, Bernard. Wir tappen alle im dunkeln. Brian glaubt offensichtlich nicht daran. Vielleicht hat er recht. In diesem Fall bin ich dann der Blamierte. Und doch, die Affäre Glasgow, der geheimnisvolle Sender in den Midlands, die Ankunft Winklers. Winkler war ein Glücksfall, vielleicht der letzte in dieser Sache.«
»Und welche Schlußfolgerungen ziehen Sie aus dem Ganzen, Nigel?«
Sir Nigel lächelte entwaffnend. Auf diese Frage hatte er gewartet.
»Keine Schlußfolgerungen, Bernard. Nur ein paar Vermutungen. Sollte Winkler ein Kurier sein, dann müßte er sich meiner Meinung nach mit seinem Kontaktmann in Verbindung setzen und sein Paket abliefern oder das Paket, weswegen er gekommen ist, abholen, und zwar irgendwo im Freien. Auf einem Parkplatz, an einem Flußufer, auf einer Gartenbank, an einem Teich. Wenn hier eine Großaktion im Gange ist, dann muß irgendwo ein Illegaler der ersten Garnitur vor Ort sein. Der Mann, der die Fäden zieht. Würden Sie an seiner Stelle die Kuriere bei sich zu Hause empfangen? Natürlich nicht. Sie würden eine Zwischenstation oder vielleicht sogar zwei einschalten. Noch ein bißchen Kaffee?«
»Schön. Ich bin Ihrer Meinung.«
Sir Bernard wartete, bis sein Kollege ihm die Tasse vollgeschenkt hatte.
»Ich folgere also, Bernard, daß Winkler nicht der Obermacher sein kann. Er ist nur ein kleiner Fisch, ein Bote, ein Kurier oder etwas Ähnliches. Das gleiche gilt für die beiden Zyprioten in dem Haus in Chesterfield. Schläfer, meinen Sie nicht?«
»Richtig«, sagte Sir Bernard, »untergeordnete Schläfer.«
»Sieht daher allmählich so aus, als sei das Haus in Chesterfield ein Zwischenlager für ankommende Pakete, ein Briefkasten, ein sicheres Haus oder der Standort des Senders. Es liegt schließlich in der richtigen Gegend; die beiden vom GCHQ aufgefangenen >Spritzer< sind aus dem Peak District von Derbyshire und von den Hügeln nördlich von Sheffield gekommen, beides Orte, die von Chesterfield aus leicht zu erreichen sind.«
»Und Winkler?«
»Was meinen Sie, Bernard? Ein Techniker, der den Sender reparieren soll, falls er Zicken macht? Jemand, der den Gang der Dinge überprüfen soll? Wie dem auch sei, ich glaube, wir sollten ihn drüben berichten lassen, daß alles in Ordnung ist.«
»Und der Obermacher, meinen Sie, daß er persönlich auftaucht?«
Sir Nigel zuckte wieder die Achseln. Er befürchtete, daß Brian Harcourt-Smith als Ersatz für die entgangene Verhaftung in Sheffield nun zum Sturm auf das Haus in Chesterfield blasen würde. Voreilig, dachte Sir Nigel.
»Ich möchte annehmen, daß irgendwo ein Kontakt stattfindet. Entweder geht er zu den Griechen, oder sie kommen zu ihm«, sagte er.
»Wissen Sie was, Nigel, ich glaube, wir sollten das Haus in Chesterfield observieren lassen, zumindest eine Zeitlang.«
Der Chef des SIS nickte ernst.
»Bernard, alter Freund, Sie sprechen mir aus der Seele. Aber Brian scheint ganz geil darauf zu sein, einige Verhaftungen vorzunehmen. Gestern abend hat er es in Sheffield versucht. Natürlich, mit Verhaftungen kann man eine Zeitlang Staat machen, aber -«
»Überlassen Sie Brian Harcourt-Smith ruhig mir, Nigel«, sagte Sir Bernard grimmig. »Ich pfeife vielleicht aus dem letzten Loch, aber ich bin immer noch gut für ein letztes Gefecht. Ich werde die Leitung dieser Operation persönlich übernehmen.«
Sir Nigel legte die Hand auf Sir Bernards Arm.
»Ich wäre wirklich froh, wenn Sie das täten, Bernard.«
Winkler verließ das Haus in der Compton Street um neun Uhr dreißig, zu Fuß. Mungo und Barney glitten durch den Hinterausgang, durchquerten die Gärten und waren an der Ecke der Ashgate Road hinter dem Tschechen. Der ging zum Bahnhof, stieg in den Zug nach London und wurde in St. Pancras von einem neuen Team übernommen. Mungo und Barney fuhren nach Derbyshire zurück.
Winkler ging nicht mehr zu seiner Pension, um dort seine Sachen zu holen, sondern fuhr direkt nach Heathrow. Er nahm das Nachmittagsflugzeug nach Wien. Irvines Residenturchef in Wien berichtete später, Winkler sei von zwei Leuten der Sowjetbotschaft abgeholt worden.
Preston verbrachte den Rest des Tages auf dem Polizeirevier und erledigte den ganzen Verwaltungskrempel, den eine Observierung in der Provinz mit sich bringt.
Die bürokratische Maschine war angelaufen; Charles Street hatte das Innenministerium aufgescheucht, das den Chief Constable von Derbyshire ermächtigte, Superintendent King dahingehend zu instruieren, daß er Preston und seinen Leuten jede nur mögliche Unterstützung gewähren solle. Mr. King war sowieso liebend gern dazu bereit, doch der Papierkram mußte in Ordnung sein.
Len Stewart kam per Auto mit einer zweiten Mannschaft und wurde in einem Junggesellenheim für Polizisten einquartiert.
Die beiden griechischen Brüder wurden mit Teleobjektiven fotografiert, als sie kurz vor Mittag die Compton Street verließen, um zu ihrer Taverne nach Holywell Cross zu fahren, und die Aufnahmen wurden per Motorrad nach London gebracht. Weitere Experten kamen von Manchester. Sie zapften im zuständigen Fernsprechamt die Telefonanschlüsse der Griechen an, zu Hause und in der Taverne, und brachten in ihrem Wagen einen Ortungssignalgeber an.
Am Spätnachmittag wurde London bei den Griechen fündig. Sie waren zwar echte Brüder, aber keine echten Zyprioten. Als Altkommunisten waren sie in der ELLAS-Bewegung tätig gewesen und vor zwanzig Jahren von Griechenland nach Zypern gegangen. Athen hatte damals London freundlicherweise informiert. Ihr wirklicher Name war Costapopoulos. Aus Zypern waren sie, laut Nikosia, vor acht Jahren verschwunden.
Das Immigrationsregister in Croydon berichtete, daß die Gebrüder Stephanides vor fünf Jahren in Großbritannien angekommen waren und als rechtmäßige Staatsbürger von Zypern eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hatten.
Die amtlichen Unterlagen in Chesterfield zeigten, daß sie vor dreieinhalb Jahren aus London zugezogen waren, einen langfristigen Pachtvertrag für die Taverne abgeschlossen und das kleine Flachdachhaus in der Compton Street gekauft hatten. Seitdem führten sie das Leben von friedlichen und gesetzesfürchtigen Bürgern. An sechs Tagen der Woche öffneten sie ihre Taverne gegen Mittag, wo nur wenige Leute zum Essen kamen, und blieben bis spät in die Nacht, um die zahlreiche Laufkundschaft zu bedienen, die sich ihr Abendessen mit nach Hause nahm.
Außer Superintendent King erfuhr niemand im Polizeirevier den wahren Grund für die Observierung, den im ganzen nur sechs Leute kannten. Für alle übrigen handelte es sich um die Zerschlagung eines landesweiten Rauschgiftrings. Die Londoner habe man zugezogen, weil sie die Ganoven kannten.
Nach Sonnenuntergang verließ Preston das Polizeirevier und ging zu Burkinshaw und seinem Team.
Zuvor bedankte er sich noch überschwenglich bei Superintendent King für die freundliche Unterstützung.
»Wollen Sie bei der Observierung mitmachen?« fragte der Polizeichef.
»Ja«, sagte Preston. »Warum?«
Superintendent King lächelte traurig.
»Die halbe Nacht hatten wir einen äußerst ramponierten Schaffner vom Bahnhof bei uns im Revier. Anscheinend hat ihn jemand auf dem Bahnhofsplatz vom Moped gestoßen und sich damit davongemacht. Wir haben das Moped unversehrt in der Foljambe Road gefunden. Er hat uns eine genaue Beschreibung seines Angreifers gegeben. Sie gehen doch nicht viel aus dem Haus, oder?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Sehr vernünftig«, meinte Superintendent King.
In seinem Haus in der Compton Street hatte man Mr. Royston eingeschärft, er solle sich so verhalten wie immer, morgens zum Einkaufen gehen und nachmittags zum Bowling. Zusätzliche Nahrung und Getränke sollten nach Einbruch der Dunkelheit gebracht werden, damit die Nachbarn sich nicht über den plötzlichen Wolfshunger der Roystons wunderten. Ein kleiner Fernseher wurde für »die Burschen da oben«, wie Mr. Royston sich ausdrückte, aufgestellt, und dann begann das große Warten.
Die Roystons waren in das rückwärtige Gästezimmer umgezogen, und das Einzelbett aus diesem Zimmer war nach vorne gebracht worden. Die Observanten würden sich abwechselnd darin ausruhen. Weiter hatte man ein scharfes Fernglas auf einem Stativ installiert, desgleichen eine Kamera mit Teleobjektiv für Tageslichtaufnahmen und einer Infrarotlinse für Nachtaufnahmen. Zwei vollgetankte Wagen parkten ganz in der Nähe, und Len Stewarts Leute hielten sich im Fernmelderaum des Polizeireviers auf, um die Verbindung zwischen den Handfunkgeräten im Haus und London herzustellen.
Als Preston ankam, schienen die vier Observanten es sich gemütlich gemacht zu haben. Barney und Mungo, die gerade aus London zurückgekommen waren, dösten, der eine auf dem Bett, der andere auf dem Boden. Ginger saß in einem Lehnstuhl und schlürfte eine Tasse frisch gebrauten Tee; Harry Burkinshaw kauerte in einem Armsessel und spähte durch die Spitzenvorhänge auf das Haus gegenüber.
Er hatte sein halbes Leben bei jedem Wetter im Freien verbracht und war daher ganz zufrieden mit seiner jetzigen Lage. Er war im Warmen, im Trockenen, mit einem reichlichen Nachschub an Pfefferminzbonbons und hatte die Schuhe ausgezogen. Es gab Schlimmeres. Das Zielhaus lag zu alledem vor der fünfzehn Fuß hohen Betonmauer eines Fußballplatzes, was bedeutete, daß niemand die Nacht über im Gebüsch kauern mußte. Preston setzte sich auf den Stuhl neben Burkinshaw, hinter der aufgestellten Kamera, und ließ sich von Ginger eine Tasse Tee geben.
»Lassen Sie die Klempner kommen?« fragte Harry. Er meinte damit die ausgebildeten Einbrecher, die der Technische Dienst für heimliche Besuche bereithielt.
»Nein«, sagte Preston, »denn wir wissen ja nicht einmal, ob nicht doch irgend jemand in der Wohnung ist. Und außerdem könnten Warngeräte vorhanden sein, die jeden heimlichen Besuch signalisieren und die wir nicht alle ausmachen können. Und schließlich warte ich darauf, daß ein Chummy auftaucht. Wenn das passiert, folgen wir ihm im Wagen. Len kann das Haus übernehmen.«
Sie verfielen wieder in Schweigen. Barney wachte auf.
»Irgendwas in der Glotze?« fragte er.
»Nicht viel«, sagte Ginger. »Die Abendnachrichten. Der übliche Quatsch.«
Vierundzwanzig Stunden später, am Donnerstagabend zur gleichen Zeit, waren die Nachrichten interessanter. Auf ihrem kleinen Bildschirm sahen sie die Premierministerin, die auf der Treppe von Downing Street Nummer 10 in einem adretten blauen Kostüm vor einer Horde von Presse- und Fernsehjournalisten stand.
Sie verkündete, daß sie soeben vom Buckingham-Palast komme, wo sie die Königin gebeten habe, das Parlament aufzulösen. Das Land würde sich also auf die Unterhauswahlen vorbereiten, die auf den 18. Juni festgesetzt seien.
Der Rest des Abends war dieser Sensation gewidmet, wobei die Führer und Koryphäen aller Parteien ihrer Siegeszuversicht Ausdruck gaben.
Gedankenverloren sah Preston auf den Bildschirm. Schließlich sagte er: »Ich glaub', ich hab' ihn.«
»Sie haben wen, John?« fragte Harry.
»Meinen Stichtag«, sagte Preston, wollte sich aber nicht weiter darüber auslassen.
Im Jahre 1987 wiesen nur noch wenige in Europa hergestellte Autos die altmodischen runden Scheinwerfer von früher auf, und eines dieser wenigen war der unverwüstliche Austin Mini. Ein Fahrzeug dieses Typs befand sich unter den vielen Wagen, die am Abend des 2. Juni mit dem Fährschiff von Cherbourg in Southampton ankamen.
Der Wagen war vor vier Wochen in Österreich gekauft, in eine geheime Garage in Deutschland gebracht, dort geändert und wieder nach Salzburg zurückgefahren worden. Er war mit einwandfreien österreichischen Papieren versehen, ebenso wie der Tourist, der ihn fuhr, obgleich er Tscheche war, der zweite und letzte Beitrag des StB zum Transport der von Valeri Petrofski benötigten Teile.
Der Mini wurde vom Zoll durchsucht, der nichts Ungewöhnliches entdeckte. Nachdem der Fahrer die Docks von Southampton hinter sich hatte, folgte er den Richtungsschildern nach London, bis er in den nördlichen Vororten der Hafenstadt die Straße verließ und in einen großen Parkplatz einbog. Es war schon dunkel, und im hinteren Teil des Parkplatzes konnte er von den Fahrern der vorbeiflitzenden Wagen nicht mehr gesehen werden. Er stieg aus und machte sich mit einem Schraubenzieher an den Scheinwerfern zu schaffen.
Zuerst nahm er den Chromring ab, der den Spalt zwischen dem Scheinwerfergehäuse und dem Kotflügel verdeckte. Dann entfernte er mit einem größeren Schraubenzieher die Schrauben, die das Scheinwerfergehäuse fest mit dem Kotflügel verbanden, zog den Scheinwerfer heraus, machte die Anschlußschnüre ab, die von der Lichtmaschine des Wagens zur Rückseite der Lampenschale führten, und steckte das Gehäuse, das ungewöhnlich schwer zu sein schien, in eine neben ihm stehende Segeltuchtasche.
Der Ausbau der beiden Scheinwerfer dauerte fast eine Stunde. Als er fertig war, starrte der kleine Wagen aus seinen leeren Scheinwerferhöhlen blicklos vor sich hin. Am nächsten Morgen würde der Fahrer mit neuen Scheinwerfern aus Southampton zurückkommen, die Gehäuse einsetzen und wegfahren.
Er hob die schwere Segeltuchtasche auf, ging zur Straße zurück und hundert Yards weiter in Richtung Hafen. Die Bushaltestelle war genau da, wo man ihm gesagt hatte, daß sie sein werde. Er sah auf seine Armbanduhr; noch zehn Minuten bis zum Treff.
Genau zehn Minuten später kam ein Mann in Ledermontur zur Bushaltestelle. Außer ihnen beiden war niemand da. Der Neuankömmling sah die Straße hinunter und bemerkte:
»Der letzte Nachtbus läßt immer lange auf sich warten.«
Der Tscheche stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Ja«, antwortete er, »aber ich werde Gott sei Dank um Mitternacht zu Hause sein.«
Sie warteten schweigend, bis der Bus nach Southampton kam. Der Tscheche ließ die abgestellte Tasche stehen und stieg ein. Als die Schlußlichter in Richtung Stadt verschwanden, hob der Motorradfahrer die Tasche auf und ging die Straße entlang zur Wohnsiedlung, wo er sein Fahrzeug abgestellt hatte.
Gegen Morgen kam er, nach einem Umweg über Thetford, wo er sich umgezogen und das Fahrzeug gewechselt hatte, in Cherryhayes Close, Ipswich, an, mit dem letzten der laut Liste vorgesehenen Teile, auf die er in diesen langen Wochen gewartet hatte. Kurier Nummer neun hatte geliefert.
Zwei Tage später war die Observierung des Hauses in der Compton Street eine Woche alt und hatte absolut nichts Berichtenswertes zutage gefördert.
Die beiden griechischen Brüder führten ein Leben von untadeliger Ereignislosigkeit. Sie standen um neun auf, beschäftigten sich im Haus - sie schienen alles selbst zu erledigen, vom Aufräumen bis zum Abstauben - und fuhren dann in ihrer fünf Jahre alten Limousine kurz vor Mittag zu ihrem Restaurant. Dort blieben sie bis zur Schließung um Mitternacht und fuhren dann wieder nach Hause zum Schlafen. Es gab keine Besucher und nur wenig Telefongespräche. Wenn sie telefonierten, dann handelte es sich um Bestellungen von Fleisch und Gemüse oder anderen harmlosen Dingen.
Über die Taverne in Holywell Cross berichteten Len Stewart und seine Leute so ziemlich das gleiche. Das Telefon wurde häufiger benutzt, doch es ging nur um Bestellungen von Nahrungsmitteln, Tischreservierungen und Weinlieferungen. Es war nicht möglich, jeden Abend einen Observanten zum Essen hinzuschicken; die Griechen waren Profis, die seit Jahren ein Doppelleben führten und die einen Gast, der zu häufig kam und zu lange blieb, sofort ausmachen würden. Doch Stewart und sein Team taten ihr Bestes.
Für das Team im Hause der Roystons war das Hauptproblem die Langeweile. Selbst Mr. und Mrs. Royston wurde, nachdem der Reiz der Neuheit verpufft war, ihre Gegenwart allmählich lästig. Mr. Royston hatte sich der konservativen Partei als freiwilliger Wahlhelfer zur Verfügung gestellt, und die Vorderfenster des Hauses waren nun mit dem Konterfei des örtlichen Tory-Kandidaten geschmückt.
Das ermöglichte einen regen Parteienverkehr, denn die Nachbarn achteten nicht auf das Kommen und Gehen der Leute, welche die Rosette der Konservativen im Knopfloch trugen. Burkinshaw und sein Team konnten so, mit der Rosette im Knopfloch, gelegentlich zu einem Spaziergang aus dem Haus gehen, solange die Griechen in ihrem Restaurant waren. Das verschaffte ein bißchen Abwechslung. Der einzige, der gegen Langeweile gefeit zu sein schien, war Burkinshaw.
Im übrigen hingen sie, um sich zu zerstreuen, am Fernseher, der, besonders wenn die Roystons außer Haus waren, auf leise gestellt war. Hauptthema waren die Wahlen. Eine Woche nach Beginn der Kampagne wurden drei Dinge immer klarer.
Die liberal-sozialdemokratische Allianz hatte laut Meinungsumfragen den Durchbruch nicht geschafft, und es lief anscheinend wieder auf das traditionelle Rennen zwischen den Konservativen und der Labour Party hinaus. Zum zweiten ließen alle Umfragen erkennen, daß die beiden Hauptparteien näher aneinander lagen, als dies vor vier Jahren, nach dem Erdrutschsieg der Konservativen, vorhersehbar gewesen war; ferner erwiesen die Wahlkreisumfragen, daß die Entscheidung über die Farbe der nächsten Regierung höchstwahrscheinlich in den achtzig unsicheren Wahlkreisen fallen würde. Bei jeder Umfrage gaben die Wechselwähler mit ihrem zwischen zehn und zwanzig Prozent variierenden Stimmanteil den Ausschlag.
Zum dritten zeigte es sich, daß trotz aller ideologischen und wirtschaftlichen Schwerpunkte und der Bemühungen aller Parteien, diese Themen auszuschlachten, sich die Wahlkampagne immer mehr auf die ungleich gefühlsbeladenere Streitfrage der einseitigen nuklearen Abrüstung zuspitzte. In einer zunehmenden Anzahl von Meinungsumfragen stellte sich das nukleare Wettrüsten als Problem Nummer eins oder Nummer zwei heraus.
Die weitgehend linkslastigen und ausnahmsweise weitgehend unter sich einigen Friedensbewegungen führten eine eigenständige Parallelkampagne. Fast täglich fanden Massendemonstrationen statt, über die Presse und Fernsehen ausgiebig berichteten. Obgleich die Bewegungen über keine Finanzierungsquellen zu verfügen schienen, brachten sie doch gemeinsam soviel Geld auf, daß sie Hunderte von Bussen mieten konnten, um damit ihre Demonstranten im fliegenden Einsatz hierhin und dorthin zu fahren, quer durchs ganze Land.
Die Koryphäen der Harten Linken, durch die Bank Agnostiker und Atheisten, traten gemeinsam mit dem schickeren Flügel der Anglikanischen Kirche in jeder Fernsehsendung, bei jeder Massenkundgebung auf, wobei die Mitglieder der einen Gruppe jeweils gedankenschwer zustimmend zu den Ausführungen der anderen Gruppe nickten.
Obgleich auch die Allianz keineswegs für einseitige Abrüstung war, blieb doch die konservative Partei das Hauptangriffsziel der Abrüstungsbefürworter, deren Hauptverbündeter wiederum ganz natürlicherweise die Labour Party wurde. Als der Parteivorsitzende sah, aus welcher Ecke der Wind blies, ging er mit Unterstützung des Nationalen Parteivorstands auf alle von den Abrüstungsbefürwortern gestellten Forderungen ein.
Ein anderes Schwerpunktthema der Linken war der AntiAmerikanismus. Bei Podiumsgesprächen konnte weder der Diskussionsleiter noch der eingeladene Parteistar der Konservativen dem Sprecher der Abrüstungsbefürworter das geringste tadelnde Wort an die Adresse Sowjetrußlands entlocken; ewig wiederholtes Leitmotiv war der Haß auf Amerika, das als Kriegstreiber, Imperialist und Bedrohung für den Frieden hingestellt wurde.
Am Donnerstag, dem 4. Juni, wurde die Wahlschlacht noch verschärft durch ein plötzliches Angebot Rußlands an ganz Westeuropa, neutrale wie auch NATO-Länder, wonach die Sowjets sich bereit erklärten, für immer und ewig eine atomwaffenfreie Zone zu garantieren, falls Amerika desgleichen tun würde.
Als der britische Verteidigungsminister zu erklären versuchte, daß (a) die Beseitigung der europäisch-amerikanischen Atomwaffen nachprüfbar sei, während man das von dem Abzug der sowjetischen Sprengköpfe nicht behaupten könne, und daß (b) die konventionellen Streitkräfte des Warschauer Pakts viermal so stark seien wie die der NATO, wurde er niedergeschrieen und mußte von seinen Leibwächtern aus den Händen wütender Pazifisten befreit werden.
»Als ob diese Wahl«, brummte Burkinshaw und ließ ein Pfefferminzbonbon in den Mund springen, »eine Volksabstimmung über nukleare Abrüstung wäre.«
»Ist sie auch«, sagte Preston.
Am Freitag ging Major Petrofski im Stadtzentrum von Ipswich einkaufen. In einer Eisenwarenhandlung erstand er einen leichten zweirädrigen Karren mit kurzen Handgriffen, wie man ihn zum Transport von Säcken, Mülltonnen und schweren Koffern verwendet. In einem Geschäft für Baumaterial zwei zehn Fuß lange Bretter.
In einem Laden für Büroartikel kaufte er einen kleinen stählernen Aktenschrank, dreißig Zoll hoch, achtzehn breit und zwölf tief, mit gut verschließbarer Tür.
Ein Holzgeschäft lieferte eine Auswahl an Leisten, Stäben und kurzen Balken, während ihm ein Bastlerladen einen kompletten Werkzeugkasten verkaufte, mit Hochleistungsbohrer einschließlich dazugehöriger Bohrer für Stahl und Holz, sowie Nägel, Bolzen, Schrauben, Muttern und ein Paar strapazierfähige Industriehandschuhe.
In einem Lagerhaus für Verpackungsmaterial erstand er Schaumstoff für Isolierzwecke und in einem Elektromarkt eine Auswahl vielfarbiger Drähte. Er mußte zweimal fahren, um das alles in seinem Wagen nach Cherryhayes Close zu schaffen. Er stapelte die beiden Fuhren in der Garage und brachte den größten Teil des Materials nach Einbruch der Dunkelheit ins Haus.
In dieser Nacht erhielt er per Morsefunk nähere Angaben über die Ankunft des »Monteurs«, das einzige Ereignis, das er sich nicht hatte einprägen müssen. Es würde der Treff X sein, am Montag, dem 8. Knapp, dachte er, verdammt knapp, aber er würde den Zeitplan einhalten.
Während Petrofski über seinem Einmalcode kauerte und die Botschaft entzifferte, während die Griechen Moussaka und Kebab an die Nachtschwärmer verkauften, sprach Preston im Polizeirevier telefonisch mit Sir Bernard Hemmings.
»Die Frage ist, wie lange wir uns in Chesterfield halten können, wenn nichts dabei herauskommt«, sagte Sir Bernard.
»Das Ganze geht erst eine Woche, Sir«, sagte Preston. »Manche Observierungen haben viel länger gedauert.«
»Das weiß ich sehr wohl. Nur haben wir meistens mehr Anhaltspunkte. Hier sind immer mehr Leute dafür, bei den Griechen einzubrechen und nachzusehen, was sie im Haus versteckt haben. Warum sind Sie gegen einen heimlichen Besuch, während die Brüder weg sind?«
»Weil wir es wahrscheinlich mit Spitzenprofis zu tun haben, die den Braten sofort riechen würden. Wenn das passiert, haben sie wahrscheinlich eine todsichere Methode, um ihren Einsatzleiter vor jedem weiteren Kommen zu warnen.«
»Sicher haben Sie recht. Doch Sie sitzen nur herum und warten, bis der Tiger zur angebundenen Ziege ins Haus kommt. Aber angenommen, der Tiger kommt nicht?«
»Früher oder später wird er kommen, Sir Bernard«, sagte Preston. »Bitte, geben Sie mir noch ein bißchen Zeit.«
»All right«, sagte Sir Bernard nach einer Pause, während der er eine Rückfrage getätigt hatte. »Eine Woche, John. Nächsten Freitag muß ich aber die Leute von Special Branch auf das Haus loslassen, damit sie dort alles auseinandernehmen. Schließlich könnte ja der Mann, den wir suchen, die ganze Zeit über in der Wohnung gesteckt haben.«
»Das glaube ich nicht. Winkler hätte nie die Höhle des Tigers besucht. Ich glaube, daß der Tiger irgendwo herumstreicht und daß er kommen wird.«
»Also gut. Eine Woche, John. Freitag, letzter Termin.«
Sir Bernard legte auf. Preston starrte den Hörer an. Die Wahl war in dreizehn Tagen. Allmählich verließ ihn der Mut; vielleicht hatte er sich von Anfang an getäuscht. Niemand, ausgenommen Sir Nigel, glaubte an seinen Riecher. Eine kleine Poloniumscheibe und ein tschechischer Kurier für untergeordnete Aufgaben waren keine besonderen Anhaltspunkte, noch dazu, wenn sie vielleicht gar nichts miteinander zu tun hatten.
»All right, Sir Bernard«, sagte er zu dem summenden Handapparat, »eine Woche. Danach hau' ich die Brüder sowieso in die Pfanne.«
Der Finnair-Jet aus Helsinki kam am nächsten Montagnachmittag wie immer planmäßig an, und seine Passagiere brachten die Zoll- und Paßkontrolle in Heathrow ohne besondere Probleme hinter sich. Einer davon war ein großer, bärtiger Mann mittleren Alters, dessen finnischer Paß ihn als Urho Nuutila auswies und dessen fließende Beherrschung der Sprache sich aus seiner karelischen Abkunft erklärte. In Wirklichkeit war er ein Russe namens Wassiliew, von Beruf Kernphysiker, abgestellt zur Artillerie, Feldzugforschungs-Direktorat. Wie auch die meisten Finnen sprach er ein passables Englisch.
Er fuhr mit dem Flughafenbus zum Penta Hotel, ging hinein und am Empfang vorbei zur Hintertür, von der aus man zum Parkplatz kam. Er wartete in der Spätnachmittagssonne unbeachtet an der Tür, bis eine kleine Limousine vor ihm hielt. Der Fahrer hatte sein Fenster heruntergekurbelt.
»Setzen die Flughafenbusse hier ihre Fahrgäste ab?« fragte er.
»Nein«, sagte der Reisende, »ich nehme an, um die Ecke, am Vordereingang.«
»Wo kommen Sie her«, fragte der junge Mann.
»Aus Finnland, wenn Sie es genau wissen wollen«, sagte der Bärtige.
»Muß kalt sein in Finnland.«
»Nein, um diese Jahreszeit ist es sehr heiß. Das Hauptproblem ist die Mückenplage.«
Der junge Mann nickte. Wassiliew ging um den Wagen herum und stieg ein. Sie fuhren davon.
»Name?« fragte Petrofski.
»Wassiliew.«
»Das genügt. Bleiben wir dabei. Ich bin Ross.«
»Noch weit?« fragte Wassiliew.
»Ungefähr zwei Stunden.«
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Petrofski machte drei verschiedene Manöver, um eventuelle Verfolger zu entdecken. Da waren keine. Mit dem letzten Tageslicht kamen sie in Cherryhayes Close an. Mr. Armitage, Petrofskis Nachbar, mähte in seinem Vorgarten das Gras.
»Besuch?« fragte er, als Wassiliew ausstieg und zur Haustür ging. Petrofski nahm den kleinen Koffer vom Rücksitz und zwinkerte Armitage zu.
»Stammhaus«, flüsterte er. »Muß mich anständig benehmen. Gibt vielleicht eine Beförderung.«
»Oh, das möchte ich annehmen«, grinste Armitage. Er nickte ermutigend und machte sich wieder an seinen Rasen.
Drinnen im Wohnzimmer zog Petrofski die Vorhänge zu, wie immer, bevor er Licht machte. Wassiliew stand bewegungslos im Halbdunkel.
»Gut«, sagte er, als das Licht anging, »zur Sache. Haben Sie alle neun Sendungen erhalten?«
»Ja. Alle neun.«
»Prüfen wir nach. Ein Spielball, circa zwanzig Kilo schwer.«
»Abgehakt.«
»Ein Paar Schuhe, eine Schachtel Zigarren, ein Gipsverband.«
»Abgehakt.«
»Ein Transistorradio, ein Elektrorasierer, ein Stahlrohr, ungewöhnlich schwer.«
»Das muß das da sein.«
Petrofski ging zum Schrank und hielt ein kurzes Stück schweren Metalls in einer hitzebeständigen Umhüllung hoch.
»Ist es auch«, sagte Wassiliew. »Schließlich ein Handfeuerlöscher, ungewöhnlich schwer, ein Paar Autoscheinwerfer, ebenfalls sehr schwer.«
»Abgehakt.«
»Gut, das war's. Wenn Sie den Rest des harmlosen Materials gekauft haben, fange ich morgen früh mit dem Zusammenbauen an.«
»Warum nicht gleich?«
»Erstens, junger Mann, weil das Sägen und Bohren um diese Zeit von Ihren Nachbarn vielleicht als störend empfunden würde. Und zweitens, weil ich müde bin. Bei dieser Art Spielzeug darf man keinen Fehler machen. Ich fange ausgeruht morgen früh an und bin bis Sonnenuntergang fertig.«
Petrofski nickte.
»Nehmen Sie das rückwärtige Schlafzimmer. Am Mittwoch fahre ich Sie rechtzeitig für die erste Maschine nach Heathrow.«