6. Kapitel

 

Freitag der 13. gilt als Unglückstag, doch für John Preston sollte er sich als das Gegenteil erweisen. Er brachte ihm den ersten Erfolg bei der Beschattung der beiden hohen Beamten.

Die Überwachung dauerte nun schon sechzehn Tage an und hatte keinerlei Resultat gezeitigt. Beide Männer waren Gewohnheitsmenschen, und keiner hatte die leiseste Ahnung, daß man ihn überwachte; das heißt, sie hielten keine Ausschau nach Beschattern, und die Aufgabe der Observanten war daher ein Kinderspiel. Aber langweilig.

Der Londoner verließ seine Wohnung in Belgravia jeden Morgen um dieselbe Zeit, ging zum Hyde Park Corner, die Constitution Hill hinunter und durch den St. James Park. Er überquerte die Horse Guards Parade und ging dann über die Whitehall Street direkt ins Ministerium. Sein Mittagessen nahm er manchmal im Ministerium, manchmal außerhalb ein. Den Abend verbrachte er meist zu Hause oder im Club.

Der Pendler, der allein in einem malerischen Cottage außerhalb von Edenbridge wohnte, nahm jeden Tag den gleichen Vorortszug nach London, schlenderte von der Charing Cross Station zum Ministerium und verschwand darin. Die Observanten hielten jede Nacht vor seinem Haus fröstelnd Wache, bis sie im Morgengrauen vom ersten Tagesteam abgelöst wurden. Keiner der beiden Männer tat etwas Verdächtiges. Die Post- und Telefonüberwachung brachte weiter nichts zutage als die üblichen Rechnungen, persönliche Briefe, banale Anrufe und eine maßvolle und respektable Geselligkeit. Bis zum 13. Februar.

Preston war als Einsatzleiter im Funkraum im Souterrain von Cork Street, als ein Anruf vom B-Team kam, das Sir Richard Peters auf den Fersen war.

»Joe ruft ein Taxi. Wir sind in unseren Wagen hinter ihm.«

Im Observantenjargon heißt das Ziel immer Joe, Chummy oder »unser Freund«. Nach Schichtende des B-Teams hatte Preston eine Besprechung mit dessen Leiter, Harry Burkinshaw. Harry war ein kleiner, rundlicher Mann mittleren Alters, ein Veteran auf seinem heißgeliebten Spezialgebiet, der Stunden unbeweglich irgendwo in einer Londoner Straße stehen konnte, um dann plötzlich mit bemerkenswerter Geschwindigkeit loszuspurten, wenn sein Ziel einen Ausreißversuch machte.

Er trug eine karierte Jacke und einen Lederhut, hatte einen Regenmantel über dem Arm und eine Kamera um den Hals gehängt, wie der typische amerikanische Tourist. Wie bei jedem Observanten waren Hut, Jacke und Regenmantel aus weichem, beidseitig tragbarem Material und konnten sechsfach kombiniert werden. Observanten lieben ihre »Requisiten« und die verschiedenen Rollen, in die sie in Sekundenschnelle schlüpfen können.

»Was ist passiert, Harry?«

»Er ist zur üblichen Zeit aus dem Ministerium gekommen. Wir hinter ihm her. Doch statt die übliche Richtung einzuschlagen, ist er zum Trafalgar Square gegangen und hat dort ein Taxi genommen. Unsere Schicht war zu Ende. Wir haben unseren Kumpeln von der Ablösung gesagt, sie sollen Gewehr bei Fuß bleiben, und sind dem Taxi nachgefahren.

Er ist bei Panzer's Delikatessenladen in der Bayswater Road ausgestiegen und in Richtung Clanricarde Gardens verduftet. Auf halbem Weg ist er in einen Vorgarten geschossen und die Treppe zum Souterrain hinuntergegangen. Einer meiner Leute hat sich herangepirscht und festgestellt, daß am Ende der Treppe weiter nichts war als die Tür der Souterrainwohnung. Da war er hineingeschossen. Dann mußte mein Mann wieder weg - Joe ist aus der Wohnung und die Treppen heraufgekommen. Er ist zur Bayswater Road zurückgegangen, in ein Taxi gestiegen und wieder ins West End gefahren. Danach war alles wieder wie gehabt. Wir haben ihn am Ende der Park Lane der nächsten

Schicht übergeben.«

»Wie lange war er verschwunden?«

»Dreißig, vierzig Sekunden«, sagte Burkinshaw. »Entweder hat man ihn verdammt schnell reingelassen, oder er hat seinen eigenen Schlüssel gehabt. Drinnen brannte kein Licht. Vielleicht wollte er Post abholen oder nachsehen, ob welche da ist.«

»Was für eine Art Haus?«

»Schmutzig aussehendes Haus, schmutzig aussehendes Souterrain. Steht morgen alles im Bericht. Was dagegen, wenn ich abhau'? Kann kaum mehr stehen.«

Preston dachte den ganzen Abend über den Vorfall nach. Warum um alles in der Welt besuchte Sir Richard Peters eine schäbige Wohnung in Bayswater? Vierzig Sekunden lang? Doch nicht, um dort jemanden zu treffen. Dazu war die Zeit zu knapp. Um Post abzuholen? Oder um eine Nachricht zu hinterlegen?

Er veranlaßte, daß das Haus unter Überwachung gestellt wurde. Innerhalb einer Stunde stand ein Wagen davor, und in dem Wagen saß ein Mann mit einer Kamera.

Wochenende ist Wochenende. Preston hätte die Zivilbehörden über Samstag und Sonntag auf die Wohnung hetzen können, doch das hätte Wirbel gemacht. Dies war eine absolut geheime Überwachung. Er beschloß, bis Montag zu warten.

Der Albion-Ausschuß hatte sich auf Professor Krilow als Vorsitzenden und Sprecher geeinigt, und Professor Krilow ließ Major Pawlow wissen, daß der Ausschuß bereit sei, seine Überlegungen dem Generalsekretär vorzutragen. Das war am Samstagmorgen. Innerhalb von ein paar Stunden wurde jedem der vier Ausschußmitglieder mitgeteilt, es solle sich in der Wochenenddatscha des Genossen Generalsekretär in Usowo einfinden.

Drei kamen in ihren eigenen Wagen. Philby wurde von Major Pawlow persönlich gefahren, so daß er den Fahrer Gregoriew aus der Fahrbereitschaft des KGB, der ihn während der letzten zwei Wochen herumkutschiert hatte, nicht benötigte.

Im Westen Moskaus, jenseits der Uspenskojebrücke, liegt nahe an den Ufern der Moskwa ein Komplex von künstlich geschaffenen Dörfern, um die die Wochenenddatschas der sowjetischen Nomenklatura gruppiert sind. Selbst hier herrscht eiserne hierarchische Ordnung. In Peredelkino sind die Datschas der Künstler, Akademiemitglieder und Militärs; in Zhukowka die des Zentralkomitees und anderer Organe direkt unter dem Politbüro; die Mitglieder des allmächtigen Politbüros aber haben ihre Datschas rund um Usowo, dem exklusivsten dieser Dörfer.

Eigentlich sind die russischen Datschas Landhäuser, doch die der Oberen sind luxuriöse Herrensitze inmitten von ausgedehnten Föhren- und Birkenwäldern. Sie werden Tag und Nacht von Kohorten von Leibwächtern des Neunten Direktorats bewacht, die für die Sicherheit und Ungestörtheit der Wlasti sorgen.

Philby wußte, daß jedem Mitglied des Politbüros vier Wohnsitze zustanden. Erstens die Wohnung am Kutuzowskij- Prospekt, die, sofern der Hierarch nicht in Ungnade fällt, für immer im Besitz der Familie bleibt. Dann die offizielle, mit reichlichem Komfort und Dienstpersonal ausgestattete Villa in den Leninbergen, die unvermeidlich »verwanzt« ist und deshalb kaum für etwas anderes als den Empfang von ausländischen Würdenträgern benutzt wird. Drittens die Datscha in den Wäldern westlich von Moskau, welche die frisch beförderten hohen Tiere nach ihrem eigenen Geschmack planen und bauen lassen können. Schließlich die Sommerresidenz, oft auf der Krim am Schwarzen Meer. Der Generalsekretär jedoch hatte schon vor langer Zeit seine Sommerresidenz in Kislowodosk errichten lassen, einem Mineralwasserkurort im Kaukasus, der auf die Behandlung von Störungen im Abdominalbereich spezialisiert war.

Philby hatte die Datscha des Generalsekretärs in Usowo noch nie gesehen. Als der Tschaika an diesem frostigen Abend schließlich hielt, sah Philby einen langen, niedrigen Bau aus Quadersteinen mit einem geschindelten Dach, der sich wie die Wohnung am Kutuzowskij-Prospekt durch skandinavische Schlichtheit auszeichnete. Drinnen war es sehr warm, und der Generalsekretär empfing sie in einem geräumigen Wohnraum, wo ein mächtiges Kaminfeuer die Hitze noch um einige Grade erhöhte. Nach den notwendigsten Formalitäten forderte der Generalsekretär Professor Krilow auf, die Überlegungen des Albion-Ausschusses vorzutragen.

»Wie Sie sehen werden, Genosse Generalsekretär, haben wir darüber nachgedacht, auf welchem Weg mindestens zehn Prozent der britischen Wählerschaft landesweit zu zwei grundsätzlichen Reaktionen veranlaßt werden könnte: erstens zu einer massiven Erschütterung des Vertrauens in die konservative Regierung, und zweitens zu der Überzeugung, daß in der Wahl einer Labour-Regierung die besten Chancen für Zufriedenheit und Sicherheit liegen.

Um die Suche nach diesem Weg zu vereinfachen, haben wir uns gefragt, ob es nicht eine Kernfrage gibt, welche die ganzen Wahlen beherrscht oder mit einiger Nachhilfe unsererseits beherrschen könnte. Nach reiflicher Überlegung sind wir alle zu dem Schluß gekommen, daß kein Wirtschaftsproblem - wie Arbeitsplatzverlust, Fabrikschließungen, zunehmende Automatisierung in der Industrie, Beschneidungen des Öffentlichen Dienstes - diese alles beherrschende Kardinalfrage bilden könnte, nach der wir suchen.

Wir glauben, daß nur ein einziger Kernpunkt für unsere Zwecke geeignet ist: das größte, nicht mit der Wirtschaft zusammenhängende und am stärksten mit Emotionen befrachtete Problem, das es derzeit in Großbritannien und ganz Westeuropa gibt - die nukleare Abrüstung. Dieses Problem bewegt im Westen Millionen von Durchschnittsbürgern. Es ist der Ausfluß einer Massenfurcht, und diese Furcht sollten wir als

Rammbock benützen; sie heimlich schüren und ausbeuten.«

»Besondere Vorschläge?« fragte der Generalsekretär mit seidiger Stimme.

»Sie kennen, Genosse Generalsekretär, unsere Bemühungen auf diesem Gebiet. Nicht Millionen, sondern Milliarden von Rubel sind ausgegeben worden zur Förderung verschiedener Gruppierungen von Atomwaffengegnern, die den Westeuropäern eintrichtern, der beste Weg zum Frieden führe über die einseitige nukleare Abrüstung. Unsere Bemühungen und die erzielten Resultate waren groß, doch sind sie nichts im Vergleich zu dem, was unserer Meinung nach nun versucht und erreicht werden sollte.

Die britische Labour Party ist die einzige der vier für einen Sieg bei den nächsten Wahlen in Frage kommenden Parteien, die sich für einseitige nukleare Abrüstung einsetzt. Wir halten dafür, daß wir alles einsetzen sollten, finanzielle Mittel, Desinformation, Propaganda, um die schwankenden zehn Prozent der britischen Wählerschaft zu einer Änderung ihres Votums zu veranlassen, sie zu der Überzeugung zu bringen, daß eine Stimme für Labour eine Stimme für den Frieden ist.«

Die Stille, in der sie auf die Reaktion des Generalsekretärs warteten, war fast mit Händen zu greifen. Schließlich sprach er:

»Diese Anstrengungen, die wir acht Jahre lang machten und von denen Sie gesprochen haben, waren die denn erfolgreich?«

Professor Krilow sah aus, als hätte ihn eine Luft-Luft-Rakete getroffen. Philby spürte die Stimmung des Sowjetführers und schüttelte den Kopf. Der Generalsekretär bemerkte die Geste und fuhr fort:

»Acht Jahre lang haben wir in dieser Sache riesige Anstrengungen gemacht, um das Vertrauen der westeuropäischen Wählerschaften in ihre Regierungen zu destabilisieren. Heute sind zwar alle Bewegungen für einseitige nukleare Abrüstung so linksorientiert, daß sie auf die eine oder andere Art unter die Kontrolle unserer Freunde gekommen und in unserem Sinne tätig sind. Das hat uns eine Menge Sympathie und Einfluß eingebracht. Aber -«

Der Generalsekretär ließ plötzlich beide Handflächen auf die Armlehnen seines Rollstuhls klatschen. Diese heftige Geste bei einem normalerweise so eiskalten Mann versetzte den vier Zuhörern einen Schock.

»Nichts hat sich geändert«, schrie der Generalsekretär. Dann nahm seine Stimme wieder ihren gleichmütigen Klang an. »Vor fünf Jahren und vor vier Jahren haben alle unsere Experten im Zentralkomitee und an den Universitäten sowie die analytischen Forschungsgruppen des KGB uns im Politbüro erzählt, die Bewegungen für einseitige nukleare Abrüstung seien so mächtig, daß sie die Aufstellung der Cruise Missiles und der Pershing II verhindern könnten. Wir glaubten ihnen. Zu unserem Schaden. In Genf haben wir gemauert, weil wir uns unter dem Einfluß unserer eigenen Propaganda eingeredet hatten, die westeuropäischen Regierungen würden, wenn wir das Spiel nur lange genug hinzögen, unter dem Druck der heimlich von uns unterstützten riesigen >Friedensdemonstrationen< die Aufstellung von Cruise und Pershing verweigern. Aber sie haben sie aufgestellt, und wir mußten abziehen.«

Philby nickte, wobei er sich um angemessene Bescheidenheit bemühte. Damals, 1983, hatte er sich mit einem Bericht hervorgewagt, in dem er behauptete, die westliche Friedensbewegung werde trotz lärmender Massendemonstrationen keine wichtige Wahl beeinflussen oder irgendeine Regierung zu einem Meinungswechsel veranlassen. Er hatte recht behalten. Die Dinge, vermutete er, liefen in seinem Sinne.

»Das kränkt mich, Genossen, das kränkt mich immer noch«, sagte der Generalsekretär. »Und nun schlagen Sie mir dasselbe, nur in größerem Rahmen, vor. Genosse Oberst Philby, wie sehen die letzten britischen Meinungsumfragen zu diesem Thema aus?«

»Leider nicht gut«, sagte Philby. »Die letzte zeigt, daß zwanzig Prozent der Briten für einseitige nukleare Abrüstung sind. Aber auch das ist mit Vorsicht zu genießen. Bei den Werktätigen, die traditionell für Labour stimmen, ist der Anteil noch kleiner. Es ist nun mal eine traurige Tatsache, daß die britische Arbeiterklasse mit zu den konservativsten der Welt zählt. Umfragen zeigen auch, daß sie mit zu den patriotischsten gehört, patriotisch auf traditionelle Art.

Während der Falkland-Affäre haben hartgesottene Gewerkschaftler Tarifordnung und Arbeitsregelungen über Bord geworfen und rund um die Uhr gearbeitet, um die Kriegsschiffe seetüchtig zu machen.

Wir müssen uns damit abfinden, daß der britische Arbeiter nie erkennen wollte, wo seine Interessen liegen: in einer Zusammenarbeit mit uns oder zumindest in einer Schwächung des britischen Verteidigungspotentials. Und nichts deutet darauf hin, daß er nun plötzlich seine Meinung ändern wird.«

»Der harten Wirklichkeit ins Auge sehen, das habe ich von diesem Ausschuß verlangt«, sagte der Generalsekretär. Er schwieg einige Minuten.

»Gehen Sie jetzt, Genossen. Nehmen Sie Ihre Beratungen wieder auf. Und bringen Sie mir den Plan für eine konkrete Maßnahme, mittels deren die Massenfurcht, von der Sie gesprochen haben, besser als je zuvor ausgebeutet werden kann; etwas, das selbst stockvernünftige Männer und Frauen dazu bringt, für eine Ächtung der Kernwaffen in ihrem Land, das heißt also für Labour, zu stimmen.«

Als sie fort waren, stand der alte Russe auf und ging, auf einen Stock gestützt, langsam zum Fenster. Er schaute auf den tief verschneiten Birkenwald. Bei seinem Machtantritt hatte er sich vorgenommen, in der ihm noch verbleibenden Zeit fünf Ziele zu erreichen.

Er hatte in die Geschichte eingehen wollen als der Mann, der die Nahrungsmittelproduktion steigerte und die Verteilung rationalisierte; der durch eine Generalüberholung der chronisch leistungsschwachen Industrie die Konsumgüterherstellung verdoppelte; der die Parteidisziplin auf allen Ebenen wieder festigte; der die Korruption, die an den lebenswichtigen Organen des Staates nagte, mit Stumpf und Stiel ausrottete; und der schließlich seinem Land die endgültige Überlegenheit in puncto Waffen- und Truppenstärke über die geschlossene Phalanx der Feinde sicherte. Vier Jahre später erkannte er, daß er nichts von alledem erreicht hatte.

Er war alt und krank und wußte, daß seine Tage gezählt waren. Er hatte sich immer viel darauf zugute getan, im Rahmen der streng marxistischen Orthodoxie ein Pragmatiker, ein Realist zu sein. Doch selbst Pragmatiker haben ihre Träume und alte Männer ihre Eitelkeiten. Sein Traum war einfach: Er wollte einen einzigen, gigantischen Triumph, ein einziges Riesendenkmal für sich und nur für sich allein. Wie glühend er sich dies wünschte, das wußte in dieser bitterkalten Winternacht nur er allein.

Am Sonntag schlenderte Preston am Haus in Clanricarde Gardens vorbei, einer Straße nördlich der Bayswater Road. Burkinshaw hatte recht gehabt; es war eines jener fünfstöckigen ehemaligen Herrschaftshäuser im viktorianischen Stil, total verkommen und in Einzimmerabsteigen unterteilt. Der kleine Vorgarten war von Unkraut überwuchert; fünf Stufen führten zu einer vergammelten Haustür. Vom Vorgarten gingen ein paar Stufen zu einem winzigen Vorplatz hinunter, und über dem Schacht war das Oberteil einer Tür zu sehen - die Souterrainwohnung. Preston rätselte wieder, was wohl ein hoher geadelter Beamter in einem so schäbigen Haus suchen mochte.

Irgendwo in Sichtweite war der Observant, wahrscheinlich in einem parkenden Auto, auf dem Schoß eine schußbereite Kamera mit Teleobjektiv. Preston machte keinen Versuch, den Mann zu orten, wußte aber, daß er selbst beobachtet wurde. (Am Montag erschien er im Bericht als »nicht identifizierbares Individuum, das um elf Uhr einundzwanzig am Haus vorbeiging und es interessiert betrachtete«. Danke für die Blumen, dachte er.)

Am Montagmorgen ging er zum Rathaus und warf einen Blick auf die Liste der Kommunalsteuerzahler in dieser Straße. Er fand unter der gesuchten Adresse nur einen einzigen Hauptmieter, Mr. Michael Z. Mifsud. Preston war dankbar für das Z; unwahrscheinlich, daß es noch viele von dieser Art in der Gegend gab. Er setzte sich über Sprechfunk mit dem Observanten in Clanricarde Gardens in Verbindung, und der Mann ging über die Straße und schaute auf die Klingelschilder. M. Mifsud wohnte im Erdgeschoß.

Wahrscheinlich der Besitzer, der den Rest des Hauses möbliert vermietete; Mieter nicht möblierter Wohnungen mußten ihre eigenen Kommunalsteuern bezahlen.

Am späten Vormittag ließ Preston Michael Z. Mifsud durch den Immigrationscomputer in Croydon laufen. Mifsud war aus Malta, wie sein Name anzeigte, und seit dreißig Jahren im Land. Keine weiteren Angaben, außer einem Fragezeichen, das fünfzehn Jahre zurücklag. Ohne weitere Erklärungen. Der Vorstrafencomputer von Scotland Yard enträtselte das Fragezeichen; der Mann wäre beinahe abgeschoben worden. Stattdessen hatte er eine zweijährige Haftstrafe wegen gewerbsmäßiger Kuppelei verbüßt. Nach dem Lunch ging Preston zu Armstrong von der Finanzabteilung in der Charles Street.

»Kann ich morgen als Finanzinspektor auftreten?« fragte er. Armstrong seufzte.

»Ich werd's versuchen. Rufen Sie mich vor Büroschluß an.«

Dann ging Preston zum Rechtsberater.

»Könnten Sie Special Branch bitten, mir für diese Adresse einen Hausdurchsuchungsbefehl auszustellen? Außerdem brauche ich noch einen Sergeant von Special Branch, der auf Abruf zu meiner Deckung verfügbar ist.«

MI5 hat in England keine Verhaftungsbefugnis. Nur ein Polizeibeamter kann eine Verhaftung vornehmen, ausgenommen in Notfällen, wenn eine »Festnahme durch Bürger« möglich ist. Wenn MI5 jemanden kassieren will, zeigt sich Special Branch normalerweise gefällig.

»Sie wollen doch keinen Einbruch begehen?« fragte der Rechtsberater argwöhnisch.

»Bestimmt nicht«, sagte Preston. »Ich möchte warten, bis der Mieter dieser Wohnung auftaucht, dann reingehen und durchsuchen. Eine Verhaftung kann sich, je nach Durchsuchungsergebnis, als notwendig erweisen. Dazu brauche ich den Sergeant.«

»All right«, seufzte der Rechtsberater. »Ich werde mich mit unserem entgegenkommendsten Richter ins Benehmen setzen. Sie kriegen beides morgen früh.«

Kurz vor siebzehn Uhr holte sich Preston seinen Steuerinspektorausweis. Armstrong gab ihm noch eine Karte mit einer Telefonnummer.

»Sollte es Stunk geben, lassen Sie den Verdächtigen diese Nummer anrufen. Es ist das Finanzamt in Willesden Green. Verlangen Sie Mr. Charnley. Er wird für Sie bürgen. Sie heißen übrigens Brent.«

»Hab' ich gesehen«, sagte Preston.

Mr. Michael Z. Mifsud, den Preston am nächsten Morgen aufsuchte, war kein angenehmer Zeitgenosse. Unrasiert, im Netzhemd, selbstsicher und abweisend. Er führte Preston in sein schmuddeliges Wohnzimmer.

»Was erzählen Sie da?« protestierte Mifsud. »Was für 'n Einkommen? Is alles in der Steuererklärung.«

»Mr. Mifsud, es handelt sich um eine Routinestichprobe. Ganz alltägliche Sache. Sie geben alle Ihre Mieteinkommen an, Sie haben nichts zu verbergen?«

»Ich hab' nichts zu verbergen. Erledigen Sie das mit meinem Steuerberater«, sagte Mifsud herausfordernd.

»Kann ich, wenn Sie meinen«, sagte Preston. »Aber glauben Sie mir, wir können dafür sorgen, daß die Gebühren Ihres Steuerberaters ins Astronomische steigen. Ich möchte ganz ehrlich sein: Wenn die Mieten in Ordnung sind, dann zieh' ich weiter und mache anderswo eine Stichprobe. Wenn aber, was Gott verhüte, irgendeine dieser Wohnungen zu unzüchtigen Zwecken vermietet ist, dann ändert das die Lage. Mich interessiert nur die Einkommenssteuer. Ich wäre aber verpflichtet, das Ergebnis meiner Ermittlungen an die Polizei weiterzugeben. Sie wissen doch, was gewerbsmäßige Kuppelei bedeutet?«

»Was soll 'n das?« protestierte Mifsud. »Hier gibt's keine gewerbsmäßige Kuppelei nicht. Lauter anständige Mieter. Sie zahlen Miete, ich zahl' Steuern. Alles.«

Aber er war um eine Schattierung blasser geworden und holte maulend die Mietquittungsbücher. Preston gab vor, sich für alles zu interessieren. Er stellte fest, daß das Souterrain für vierzig Pfund pro Woche an einen gewissen Mr. Dickie vermietet war. Er brauchte eine Stunde, um alle Details zusammenzukriegen. Mifsud hatte den Mieter des Souterrains nie zu Gesicht bekommen. Er bezahlte immer bar, regelmäßig wie ein Uhrwerk. Aber es gab einen maschinengeschriebenen Mietvertrag. Er war von Mr. Dickie unterzeichnet. Preston nahm trotz Mr. Mifsuds Protesten das Schriftstück mit. Um die Mittagszeit übergab er es den Graphologen von Scotland Yard, zusammen mit handgeschriebenen Notizen und der Unterschrift von Sir Richard Peters. Kurz vor Dienstschluß hatte der Yard ihn zurückgerufen. Selbe Handschrift, nur verstellt.

Peters, dachte Preston, hält sich also ein Pied-a-Terre. Für gemütliche Treffs mit seinem Einsatzleiter? Höchstwahrscheinlich. Er gab seine Anweisungen: Wenn Peters sich wieder auf den Weg zur Souterrainwohnung machte, sollte man ihn sofort benachrichtigen, ganz gleich wo. Die Überwachung der Wohnung sollte aufrechterhalten werden, für den Fall, daß jemand anderer auftauchte.

Der Mittwoch verging im Schneckentempo und der Donnerstag ebenso. Dann nahm Sir Richard Peters, nachdem er das Ministerium verlassen hatte, wieder ein Taxi und fuhr damit nach Bayswater. Die Observanten benachrichtigten Preston in der Bar der Gordon Street, von wo aus er Scotland Yard anrief und den vorgesehenen Sergeant von Special Branch aus der Kantine holen ließ. Er gab dem Mann am anderen Ende der Leitung die Adresse durch.

»Wir treffen uns auf dem Bürgersteig gegenüber, so schnell Sie können, aber kein Aufsehen.«

In der frostigen Dunkelheit versammelten sie sich alle auf dem Trottoir gegenüber dem verdächtigen Haus. Der Mann von Special Branch war in einem als Privatwagen getarnten Dienstauto gekommen, das mit seinem Fahrer um die Ecke parkte. Detective Sergeant Lander erwies sich als ein junger und noch ein wenig grüner Mann; es war sein erster Coup mit den Leuten von MI5, und er schien beeindruckt. Harry Burkinshaw tauchte aus dem Schatten auf.

»Seit wann ist er schon drinnen, Harry?«

»Fünfundfünfzig Minuten«, sagte Burkinshaw.

»Irgendwelche Besucher?«

»Nix.«

Preston zog seinen Hausdurchsuchungsbefehl aus der Tasche und zeigte ihn Lander.

»O. K., gehn wir rein.«

»Meinen Sie, daß er gewalttätig wird, Sir?« fragte Lander.

»Oh, ich hoffe nicht«, sagte Preston. »Er ist ein Beamter mittleren Alters. Er könnte Schaden nehmen.«

Sie gingen über die Straße hinein in den Vorgarten. Hinter den Vorhängen der Souterrainwohnung war gedämpftes Licht zu sehen. Sie stiegen schweigend die Treppe hinunter, und Preston drückte auf die Türklingel. Man hörte das Klappern von Absätzen, und die Tür ging auf. Das Licht von drinnen rahmte eine Frau ein.

Als sie die beiden Männer sah, verschwand das Willkommenslächeln von ihren grellrot geschminkten Lippen. Sie versuchte die Tür zu schließen, aber Lander stieß sie auf, drängte die Frau mit dem Ellbogen zur Seite und rannte an ihr vorbei in die Wohnung.

Die Frau war nicht mehr taufrisch, aber sie hatte ihr möglichstes getan. Gewelltes, dunkles, schulterlanges Haar rahmte ein heftig geschminktes Gesicht. Wimperntusche, Lidschatten, Rouge und Lippenstift, an nichts war gespart worden. Bevor sie ihren Morgenrock zusammenraffen konnte, hatte Preston einen Blick auf schwarze Strümpfe und Strumpfhalter sowie auf ein rotbebändertes, engtailliertes Mieder erhascht.

Er führte sie am Ellbogen ins Wohnzimmer zu einem Stuhl. Sie setzte sich und starrte auf den Teppich. Sie warteten schweigend, während Lander die Wohnung durchsuchte. Lander wußte, daß flüchtige Verbrecher sich manchmal unter Betten und in Schränken verstecken. Er machte es gründlich. Nach zehn Minuten tauchte er leicht gerötet aus dem rückwärtigen Teil der Wohnung auf.

»Keine Spur von ihm, Sir. Er muß nach hinten und über den Gartenzaun zur nächsten Straße getürmt sein.«

In diesem Augenblick klingelte es an der Tür.

»Ihre Leute, Sir?« fragte Lander Preston.

»Nicht, wenn's nur einmal klingelt«, antwortete er.

Lander ging zur Tür und machte auf. Preston hörte einen Fluch, und dann rannte jemand. Es stellte sich heraus, daß es ein Mann gewesen war, der beim Anblick des Sergeant die Flucht ergriffen hatte. Burkinshaws Leute hatten sich oben an der Treppe aufgebaut und den Mann so lange festgehalten, bis Lander ihm die Handschellen angelegt hatte. Der Mann wehrte sich nicht mehr und wurde zum Polizeiwagen geführt.

Preston saß neben der Frau und lauschte auf den abebbenden Tumult.

»Sie sind nicht verhaftet«, sagte er ruhig, »aber ich glaube, wir sollten jetzt zur Zentrale fahren, meinen Sie nicht auch?«

Die Frau nickte kläglich.

»Darf ich mich vorher umziehen?«

»Das wäre keine schlechte Idee, Sir Richard«, sagte Preston.

Eine Stunde später wurde ein bulliger, aber sehr schwuler Brummi-Fahrer aus dem Polizeigewahrsam entlassen, mit der eindringlichen Mahnung, in Zukunft nicht mehr auf anonyme Anzeigen in Kontaktpostillen zu reagieren. John Preston brachte Sir Richard Peters aufs Land, hörte sich bis Mitternacht an, was er zu sagen hatte, fuhr wieder nach London zurück und verbrachte den Rest der Nacht mit der Abfassung seines Berichts. Dieser Bericht lag allen Mitgliedern des Paragon-Ausschusses vor, als sie sich am Freitagvormittag um elf Uhr trafen.

Auch das noch, dachte Sir Martin Flannery, der Cabinet Secretary, zuerst Hayman, dann Trestrail, dann Dunnett und nun der da. Können diese elenden Wichte ihren Hosenlatz nicht zugeknöpft lassen?

Der Mann, der den Bericht als letzter zu Ende gelesen hatte, blickte auf. »Entsetzlich«, sagte Sir Hubert Villiers vom Innenministerium.

»Glaube nicht, daß wir den Burschen wieder im Ministerium haben möchten«, sagte Sir Perry Jones von der Verteidigung.

»Wo ist er jetzt?« fragte Sir Anthony Plumb den Generaldirektor von MI5, der neben Brian Harcourt-Smith saß.

»In einem unserer Häuser auf dem Land«, sagte Sir Bernard Hemmings. »Er hat bereits im Ministerium angerufen, angeblich von seinem Cottage in Edenbridge aus, um zu sagen, daß er gestern abend auf einer vereisten Stelle ausgeglitten sei und sich das Fußgelenk gebrochen habe. Hat gesagt, er sei in Gips und für zwei Wochen krank geschrieben. Das gibt uns ein wenig Luft.«

»Übersehen wir dabei nicht eine Frage?« murmelte Sir Nigel Irvine von MI6. »Was immer er auch für ungewöhnliche Neigungen hat, ist er unser Mann? Ist er die undichte Stelle?«

Brian Harcourt-Smith räusperte sich.

»Die Untersuchung, Gentlemen, ist in ihrem Anfangsstadium«, sagte er, »aber es sieht ganz so aus, als sei er es. Ganz sicher ist er im höchsten Maße erpressbar.«

»Die Zeit drängt immer mehr«, schaltete sich Sir Patrick Strickland vom Außenministerium ein. »Das Problem der Schadensfeststellung ist immer noch nicht gelöst, und ich für mein Teil weiß nach wie vor nicht, wann und wie ich es unseren Alliierten beibringen soll.«

»Wir könnten, äh.. das Verhör ein bißchen strammer gestalten«, schlug Harcourt-Smith vor. »Ich glaube, wir könnten unsere Antwort innerhalb von vierundzwanzig Stunden bekommen.«

Ein unbehagliches Schweigen folgte. Der Gedanke, daß einer ihrer Kollegen vom »harten« Team in die Mangel genommen werden könnte, war den Herren nicht sehr angenehm. Sir Martin Flannery spürte, wie sich sein Magen umdrehte. Er hatte eine tiefe persönliche Abneigung gegen Gewaltanwendung.

»Das ist doch sicher in diesem Stadium nicht nötig?« fragte er.

Sir Nigel Irvine hob den Kopf von seinem Bericht.

»Bernard, dieser Preston, der die Untersuchung leitet, scheint ein ganz guter Mann zu sein.«

»Richtig«, bestätigte Sir Bernard Hemmings.

»Ich frage mich«, fuhr Nigel Irvine mit trügerischer Schüchternheit fort, »... er hat doch direkt nach den Ereignissen in Bayswater ein paar Stunden mit Peters verbracht. Es könnte doch für den Ausschuß hilfreich sein, sich diesen Preston einmal anzuhören.«

»Ich habe mir persönlich heute morgen von ihm Bericht erstatten lassen«, warf Harcourt-Smith schnell ein. »Ich kann sicher alle einschlägigen Fragen beantworten.«

Der Chef von »Sechs« erging sich in Entschuldigungen.

»Mein lieber Brian, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen«, sagte er. »Nur... wissen Sie... manchmal gewinnt man beim Verhör eines Verdächtigen einen Eindruck, den man schlecht zu Papier bringen kann. Ich weiß nicht, was der Ausschuß davon hält, aber wir müssen uns jetzt über die nächsten Schritte klarwerden. Ich dachte nur, es könnte hilfreich sein, den Mann zu hören, der mit Peters sprach.«

Allgemeines Kopfnicken rund um den Tisch. Hemmings schickte einen offensichtlich irritierten Harcourt-Smith ans Telefon, damit er Preston herbeizitiere. Während die hohen Herren warteten, wurde Kaffee serviert. Dreißig Minuten später kam Preston. Die Ausschußmitglieder musterten ihn mit einiger Neugier. Man wies ihm einen Stuhl an der Mitte des Tisches zu, gegenüber seinem Generaldirektor und seinem stellvertretenden Generaldirektor. Sir Anthony Plumb erklärte das Dilemma des Ausschusses.

»Was hat sich zwischen Ihnen zugetragen?« fragte Sir Anthony. Preston überlegte einen Augenblick.

»Im Wagen, auf dem Weg aufs Land, ist er zusammengeklappt«, sagte er. »Bis dahin hatte er, wenn auch unter größter Anstrengung, einige Fassung bewahrt. Ich habe ihn selbst gefahren, wir waren also allein. Er ist schließlich in Tränen ausgebrochen und hat geredet.«

»Nun«, drängte Sir Anthony, »was hat er gesagt?«

»Er hat seine Neigung zum Transvestismus zugegeben, schien aber aufs äußerste verblüfft darüber, daß man ihn des Verrats beschuldigte. Er leugnete hitzig und beteuerte immer wieder seine Unschuld, bis ich ihn den Wärtern übergab.«

»Was denn sonst«, sagte Brian Harcourt-Smith. »Er könnte immer noch unser Mann sein.«

»Ja, könnte er«, stimmte Preston zu.

»Aber Ihr Eindruck, Ihr instinktives Gefühl?« murmelte Sir Nigel Irvine.

Preston holte tief Atem.

»Gentlemen, ich glaube nicht, daß er es ist.«

»Darf man fragen, warum?« sagte Sir Anthony.

»Wie Sir Nigel bereits sagte, ist es nur ein instinktives Gefühl«, sagte Preston. »Ich habe zwei Männer gesehen, deren Welt zusammengebrochen war und die geglaubt hatten, daß ihnen kaum noch etwas übriggeblieben sei, für das sich zu leben lohnte. Wenn Männer in dieser Stimmung auspacken, dann legen sie alles auf den Tisch. Nur äußerst charakterstarke Menschen, wie Philby und Blunt, haben das nötige Stehvermögen. Doch das waren ideologische Verräter, überzeugte Marxisten. Wenn Sir Richard Peters zum Verrat erpresst wurde, dann hätte er dies meiner Meinung nach zugegeben oder zumindest bei der Anschuldigung, ein Verräter zu sein, keine Überraschung gezeigt. Er zeigte aber große Überraschung. Er hat vielleicht geschauspielert, aber ich glaube nicht, daß ihm danach zumute war. Entweder das, oder er verdient einen Oscar.«

Es war eine lange Rede für einen so kleinen Mann vor so hohen Tieren, und alles schwieg eine Weile. Harcourt-Smith durchbohrte Preston mit wütenden Blicken. Sir Nigel musterte Preston interessiert. Kraft seines Amtes hatte er Kenntnis von dem Vorfall in Londonderry, bei dem Preston als Undercoveragent der Army aufgeflogen war. Er hatte auch Harcourt-Smiths Blicke bemerkt und sich gefragt, warum der stellvertretende Generaldirektor von »Fünf« Preston anscheinend nicht mochte. Er selber hatte einen guten Eindruck von ihm.

»Was meinen Sie, Nigel?« fragte Anthony Plumb. Der nickte.

»Auch ich habe erlebt, wie Verräter völlig zusammengebrochen sind, als es ihnen an den Kragen ging. Vassall, Prime, beide Schwächlinge und Versager, die sofort ausgepackt haben, als das Haus über ihnen zusammenstürzte. Wenn es also Peters nicht ist, dann bleibt anscheinend nur George Berenson.«

»Das geht nun schon einen Monat«, klagte Sir Patrick Strickland. »Wir müssen den Schuldigen auf die eine oder andere Art festnageln.«

»Der Schuldige könnte immer noch ein Mitarbeiter oder eine Sekretärin eines dieser beiden Männer sein«, betonte Sir Percy Jones, »nicht wahr, Mr. Preston?«

»Durchaus, Sir«, sagte Preston.

»Dann müssen wir George Berenson entweder eine Sicherheitsbescheinigung geben oder beweisen, daß er unser Mann ist«, sagte Sir Patrick Strickland leicht gereizt. »Selbst wenn er sauber ist, bleibt uns immer noch Peters. Und wenn der nicht ausspuckt, sind wir wieder am Ausgangspunkt.«

»Darf ich einen Vorschlag machen?« fragte Preston ruhig. Allgemeine Überraschung. Niemand hatte ihn darum gebeten.

Doch Sir Anthony Plumb war ein höflicher Mann.

»Bitte«, sagte er.

»Die zehn von dem anonymen Absender zurückgeschickten Dokumente paßten alle in ein Muster«, sagte Preston. Die Männer rund um den Tisch nickten.

»Sieben davon«, fuhr Preston fort, »enthielten Material über die Flottenaufstellungen Großbritanniens und der NATO im Nord- und Südatlantik. Das scheint ein Gebiet der NATO- Planung zu sein, das für unseren Mann oder seine Auftraggeber von besonderem Interesse ist. Wäre es möglich, über Mr. Berensons Schreibtisch ein Dokument von so unwiderstehlichem Gusto passieren zu lassen, daß er, vorausgesetzt, er ist das Karnickel, äußerst versucht sein würde, eine Kopie davon zu machen, um sie weiterzugeben?«

»Ihn herauskitzeln, meinen Sie?« sinnierte Sir Bernard Hemmings.

»Was meinen Sie dazu, Nigel?«

»Nicht unübel. Könnte klappen. Wäre das machbar, was meinen Sie, Perry?«

Sir Perry Jones schürzte die Lippen.

»Hundertprozentig«, sagte er. »Bei meinem letzten Aufenthalt in Amerika war von einer Sache die Rede, über die ich bis jetzt noch nichts habe verlauten lassen, nämlich von der Notwendigkeit, eines Tages unsere Auftank- und Verproviantierungseinrichtungen auf Ascension so auszubauen, daß auch unsere Atom-U-Boote versorgt werden können. Die Amerikaner haben sich sehr interessiert gezeigt und finanzielle Beteiligung angeboten für das Recht, die Anlagen eventuell mitzubenutzen. Das würde unseren U-Booten den Weg nach Faslane und uns die endlosen Demonstrationen dort oben ersparen, und die Yankees müßten nicht immer nach Norfolk in Virginia zurück.

Ich könnte einen sehr vertraulichen Bericht anfertigen, worin diese Sache als nahezu definitiv geschildert wird, und das Schriftstück über vier oder fünf Schreibtische gehen lassen, einschließlich desjenigen von Berenson.«

»Würde Berenson ein derartiges Papier normalerweise zu sehen bekommen?« fragte Sir Patrick Strickland.

»Zwangsläufig«, sagte Jones. »Als stellvertretender Chef des Beschaffungsamtes. Seine Abteilung ist für die atomare Seite dieser Angelegenheit zuständig. Er würde es ebenso wie drei oder vier andere bekommen. Einige Kopien würden für die allernächsten Mitarbeiter gemacht werden. Dann nach dem Rücklauf in den Reißwolf. Originale persönlich wieder an mich.«

Alle waren sich einig. Das Ascension-Papier sollte am Donnerstag auf George Berensons Schreibtisch landen.

Als sie das Cabinet Office verließen, wandte sich Sir Nigel Irvine an Sir Bernard Hemmings und bat ihn, mit ihm zum Mittagessen zu gehen.

»Ein guter Mann, dieser Preston«, meinte Irvine, »gefällt mir schon rein äußerlich. Ist er loyal Ihnen gegenüber?«

»Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln«, sagte Sir Bernard verwundert.

Ah, darum, dachte »C«.

Diesen Sonntag, den 22. Februar, verbrachte die britische Premierministerin auf ihrem offiziellen Landsitz Chequers in der Grafschaft Buckinghamshire. Unter strengen Geheimhaltungsmaßnahmen bat sie drei ihrer engsten Berater im Kabinett sowie den Parteivorsitzenden, ihr einen Privatbesuch abzustatten.

Was Mrs. Thatcher zu sagen hatte, versetzte alle in tiefe Nachdenklichkeit. Im Juni würden vier Jahre ihres zweiten Regierungsmandats vergangen sein. Sie war entschlossen, noch einen dritten Wahlsieg zu erringen. Die Wirtschaftsprognosen wiesen darauf hin, daß im Herbst eine Talfahrt bevorstehe, begleitet von einer Welle von Lohnforderungen. Es konnte zu Streiks kommen. Die Premierministerin wollte keine Wiederholung jenes »Winters des Mißvergnügens« von 1978, als eine Welle von Arbeitsniederlegungen die Glaubwürdigkeit der Labour-Regierung erschütterte und zu ihrem Fall im Mai 1979 führte.

Dazu kam noch, daß das sozialdemokratisch-liberale Bündnis bei Meinungsumfragen nicht mehr als zwanzig Prozent erreichte, während die Labour Party mit ihrem neuen Anstrich der Einheit und Mäßigung auf siebenunddreißig Prozent der Wählerschaft kam, nur sechs Punkte hinter den Konservativen. Und der Abstand verringerte sich immer mehr. Kurz und gut, die Premierministerin wollte eine Überraschungswahl im Juni, jedoch ohne die schädigenden Spekulationen, die ihrer Entscheidung 1983 vorangegangen waren und sie beschleunigt hatten. Eine Erklärung wie ein Blitz aus heiterem Himmel und eine dreiwöchige Wahlschlacht, das hatte sie sich in den Kopf gesetzt, und zwar nicht 1988 oder eventuell im Herbst 1987, sondern noch in diesem Sommer.

Sie vergatterte ihre Kollegen zu strengstem Stillschweigen; das Datum, das ihr vorschwebte, war der 18. Juni, der vorletzte Donnerstag in diesem Monat.

Am Montag hatte Sir Nigel Irvine seinen Treff mit Andrejew. Die Begegnung fand unter äußerster Geheimhaltung in der Hampstead Heath statt. Irvines Leute waren über die ganze Heide gestaffelt, um zu kontrollieren, ob Andrejew nicht von den Abwehrknilchen der sowjetischen Botschaft beschattet wurde. Doch der russische Diplomat war »sauber«. Seine englischen Beschatter waren abgezogen worden.

Nigel Irvine betreute Andrejew als »Direktorenfall«. Direktorenfälle sind selten, denn so hochstehende Männer wie die Chefs einer Dienststelle, ganz gleich welcher, »führen« normalerweise keine Agenten. Sie tun es nur dann, wenn der Agent außergewöhnlich wichtig ist. Oder wenn die Anwerbung stattfand, bevor der Agentenführer Direktor seiner Dienststelle wurde, und der Agent sich weigert, von irgend jemand anderem betreut zu werden. Und genau so lagen die Dinge bei Andrejew.

Im Februar 1972 war Sir Nigel Irvine, damals schlicht Mr. Irvine, Resident in Tokio gewesen. Die japanischen Antiterrorleute hatten in jenem Monat beschlossen, das Hauptquartier der fanatischen ultralinken Roten-Armee-Fraktion auszuheben, das sich in einer Villa auf den schneebedeckten Hängen des Orakine befand, in einem Ort namens Asamaso. Verrichtet wurde die Arbeit von der Landespolizei, allerdings unter dem Kommando des gefürchteten Antiterrorchefs Sassa, eines Freundes von Irvine.

Aufgrund der Erfahrungen, die Englands Eliteeinheiten der SAS gesammelt hatten, konnte Irvine Herrn Sassa einige nützliche Ratschläge geben und eine Anzahl japanischer Leben retten. Wegen der strikten Neutralität seines Landes war Herr Sassa nicht in der Lage, Irvine seine Dankbarkeit in handfester Form zu beweisen.

Doch einen Monat später wechselte der brillante und subtile Japaner auf einer Cocktailparty des diplomatischen Corps mit Irvine einen Blick und nickte in Richtung auf einen russischen Diplomaten am anderen Ende des Raums. Dann lächelte er und ging. Irvine schlenderte zu dem Russen hinüber und erfuhr, daß er Andrejew hieß und erst vor kurzem in Tokio angekommen war.

Irvine ließ den Mann beschatten und entdeckte, daß der Russe so töricht gewesen war, sich auf ein heimliches Verhältnis mit einer jungen Japanerin einzulassen, eine Freveltat, die ihm seine Leute nicht verzeihen würden. Natürlich wußten die Japaner bereits davon, denn jeder Sowjetdiplomat in Tokio wird unauffällig beschattet, wann immer er die Botschaft verläßt.

Irvine stellte eine Gimpelfalle auf, verschaffte sich die nötigen Fotos und Bandaufnahmen und brach in Hauruckmanier in das Liebesnest ein. Der Russe fiel beinahe in Ohnmacht, da er glaubte, es handele sich um jemanden von seinen eigenen Leuten. Als er die Hosen anzog, war er bereit, Irvine gegenüber auszupacken. Er war ein kapitaler Fang. Vom KGB-Direktorat der Illegalen, genauer gesagt, ein N-Mann.

Das Erste Hauptdirektorat des KGB, das für alle Überseeaktivitäten zuständig ist, zerfällt in Direktorate, Sonderabteilungen und Normalabteilungen. Gewöhnliche KGB- Agenten mit Diplomatenstatus kommen von einer der »territorialen« Abteilungen - die Siebente Abteilung ist auf Japan spezialisiert. Auf Auslandsposten gelten diese Diplomaten als PR-Leute. Ihre Aufgabe besteht im Sammeln von Feld- Wald-und-Wiesen-Informationen, im Herstellen von nützlichen Kontakten, im Lesen von technischen Fachzeitschriften usw. Den innersten und geheimsten Kern des Ersten Hauptdirektorats bildet das Direktorat Illegale, auch Direktorat S genannt, das keine territorialen Grenzen kennt. Die Leute von »Illegale« drillen und führen die »illegalen« Agenten, die keinerlei diplomatische Immunität genießen, sondern als Maulwürfe im Untergrund arbeiten mit gefälschten Papieren und in geheimer Mission. Die »Illegalen« operieren außerhalb der Botschaft.

Trotzdem sitzt in jeder KGB-Rezidentura einer jeden Sowjetbotschaft ein Mann vom Direktorat S, auf Überseeposten unter der Bezeichnung N-Mann bekannt. Diese Leute befassen sich nur mit Sonderaufträgen, führen oft einheimische Spione oder leisten technische Hilfestellung für Maulwürfe aus dem Sowjetblock.

Andrejew war vom Direktorat S. Merkwürdigerweise war er kein Japanexperte wie alle seine Kollegen von der Siebenten Abteilung. Er war Fachmann für Englisch und nach Tokio beordert worden, um den Kontakt mit einem Obergefreiten der US Air Force zu pflegen, der von Talentsuchern in San Diego angeheuert und inzwischen zum japanisch-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Taschikawa versetzt worden war. Da Andrejew nicht hoffen durfte, bei seinen Vorgesetzten in Moskau Verständnis zu finden, erklärte er sich bereit, für Irvine zu arbeiten.

Diese trauliche Vereinbarung kam zu einem jähen Ende, als der amerikanische Obergefreite die Nerven verlor und sich auf höchst unschöne Weise in der Latrine der Verpflegungsstelle mit seinem Dienstrevolver ins Jenseits beförderte. Andrejew wurde eiligst nach Moskau zurückexpediert. Irvine überlegte damals, ob er den Mann nicht auf der Stelle »verbrennen« sollte, unterließ es aber.

Und dann tauchte Andrejew in London auf. Ein Stoß neuer Fotos war sechs Monate zuvor über Sir Nigel Irvines Schreibtisch gewandert, und siehe da, da war er wieder. Der vom Direktorat S zur PR-Arbeit zurückversetzte Andrejew war als Zweiter Sekretär der Sowjet-Botschaft akkreditiert. Sir Nigel nahm ihn wieder an die Leine. Andrejew blieb nichts anderes übrig, als seine Bereitschaft zur Mitarbeit zu erklären. Da er sich jedoch weigerte, von irgend jemand anderem geführt zu werden, mußte Sir Nigel ihn als Direktorenfall übernehmen.

In bezug auf die undichte Stelle im britischen Verteidigungsministerium hatte Andrejew wenig zu bieten. Er wußte nichts davon. Wenn ein derartiges Leck existierte, dann wurde der Ministerialbeamte entweder direkt von irgendeinem illegalen, in England ansässigen sowjetischen Agenten betreut, der einen direkten Draht nach Moskau hatte, oder aber er wurde von einem der drei N-Männer in der Botschaft geführt. Aber diese Leute würden über einen derart wichtigen Fall nicht beim Kaffee in der Kantine diskutieren. Er persönlich habe nichts davon gehört, werde aber Augen und Ohren offenhalten. Dabei ließen es die beiden Männer bewenden und trennten sich.

Das von Sir Peregrine Jones am Montagmorgen verfaßte Ascension-Papier wurde am Dienstag verteilt. Es ging an vier Leute. Bertie Capstick hatte sich bereit erklärt, jede Nacht ins Ministerium zu kommen, um die Anzahl der rechtens gemachten Fotokopien zu überprüfen. Preston hatte seine Observanten beauftragt, ihm auf der Stelle zu melden, wenn George Berenson sich auch nur hinter dem Ohr kratzte. Die Leute von der Postüberwachung instruierte er im gleichen Sinne, und das Telefonabhörteam wurde in höchste Alarmstufe versetzt. Dann hieß es, abwarten und Tee trinken.