Lucifer...

>Wer ist da? Wer will etwas von Lucifer?«

Plötzlich ein Lachen, laut in seinem Kopf. »Hallo, Bruder.«

Er seufzte. »Seth. Und zu denken, dass ich dich niedergestochen habe.« Der ölige Sohn der Nacht, mit seinen fast immer perfekten Manieren.

»Und zu denken, dass ich dich zu Brei geschlagen habe.«

»Ich schätze, wir sind quitt. Planst du immer noch, das Universum in einem Meer von Blut und Tod zu ertränken?«

tatsächlich wollte ich etwas subtiler vorgehen. Ein See höchstens.«

>Ah, die feine Zurückhaltung meiner weltenwandelnden Brüder. Irgendjemandes Blut im Besonderen dafür im Blick?«

>Deins natürlich. Dürften so um die zweieinhalb Liter sein, schätze ich.«

>Mehr als bei dir, wie der Zustand meines Dolches bezeugt. Und warum hältst du nach mir Ausschau, Bruder?« >Wollte nur sehen, ob du schon tot bist.< >Tja, Pech gehabt! Ich lebe, bin guter Dinge und freue mich auf Runde zwei! Also, warum kommst du nicht her, und wir regeln das wie Unsterbliche? Wenn nicht, dann hör auf mit dem Quatsch, Seth. Denn ich werde zu dir kommen. Ich werde dich vernichten.< >Ebenso, Bruder, ebenso.<

>Du hast es immer noch nicht kapiert, was? Ich bin der Träger des Lichts. Wenn es zum Schlimmsten kommt, werde ich alles, was ich zu packen kriege, gegen dich einsetzen, und ich hoffe, es zerbrutzelt dir den Verstand. Ich werde alles an Angst, Hass, Zorn, Groll, Bitterkeit und Eifersucht im Universum nehmen, was ich finden kann, und es wie eine Bombe direkt in das Zentrum deines verdrehten kleinen Gehirns schleudern.«

>Und ich kontrolliere deine ehemalige Höllenarmee und die Pandora-Geister. Wie stehen die Chancen jetzt, Träger des Lichts? Kleiner Lucifer? Du wirst es nie wagen, das Licht in einem solchen Ausmaß einzusetzen. Du hast viel zu viel Angst davor.«

Einen Augenblick lang spürte Sam hinter Seths Stimme etwas anderes. Als er einen Vorstoß wagte, prallte sein Geist gegen etwas Kaltes und Hartes, und er hörte Seth lachen.

»Ist das das Beste, was du kannst, Sohn der Magie? Ich hatte mehr von dir erwartet!« Seths Gegenschlag kam, umflammte Sams Sinne wie Feuer. Sam schloss die Augen dagegen, kroch

die Flammenspur von Seths Magie entlang, um seines Bruders Geist zu finden, und schlug zurück mit Keilen aus Eis, die gegen das Feuer hämmerten, so hart es ging.

>Du Bastard!<, schrie er. »Du warst es! Du hast sie umgebracht!«

Er spürte, wie Seth zurückwich. »Freiheit, Bruder! Freiheit von Zeit, Freiheit von Tod, Freiheit von Tyrannei!« »Du hast Freya getötet, meine Freya!« »Sie war nie dein!« Licht brandete gegen Sams Augen. Instinktiv hob er seinen mentalen Schild, um den Zauber abzuwehren, und hieb erneut auf Seth ein. Auf die Stelle, wo Seth gewesen war. Der Kontakt war abgerissen. Seth war fort. Sam ließ sich langsam auf Adams zerschlissenes Sofa nieder und stöhnte. Probleme...

Hatte er es geschafft, Seth rechtzeitig abzuwehren? »Sichten« war ein Zauber, der dazu diente, physische Objekte zu lokalisieren und Informationen zu erlangen - war es ihm gelungen, Seth rechtzeitig in die Flucht zu schlagen, bevor sein Bruder seinen Standort herausgefunden hatte? Und selbst wenn, so standen Seth andere Mittel zur Verfügung, um ihn zu finden, nicht wahr?

Seth hatte die Pandora-Geister...

Es klopfte an der Tür. Sam stand auf; er schwankte leicht, als das Blut aus seinem Kopf wich und nach unten sackte. »Adamaras?«

Die Tür ging auf, und Adam steckte den Kopf herein. »Ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung ist.«

Sam öffnete den Mund, um zu antworten, und zögerte. Da war etwas... wie .,. Singen? Sehr weit entfernt? Er starrte Adam mit langsam wachsendem Schrecken an. »Ach, du liebe Zeit«, murmelte er.

»Was ist los? Sam, was ist passiert?«

Er sah den Ausdruck der Besorgnis in Adams Gesicht. »Sie sind hier«, antwortete Sam mit einem leichten Achselzucken. »Ich hätte nicht bleiben sollen.«

»Wer ist hier?«

Er lächelte matt. »Alle.«

An diesem Punkt, im Einklang mit dem universalen Gesetz, dass alles, was schief gehen kann, irgendwann einmal schief geht, zersplitterte das Fenster. Ein bisschen effekthascherisch, dachte Sam; Killer sollten von Rechtswegen einfach an die Tür klopfen und den Erstbesten umbringen, der aufmacht. Durch das Fenster hereinzukommen war ein unnötiger Aufwand, insbesondere, da das Zimmer im ersten Stock lag.

»Scheiße!«, hörte er Adam ausrufen - und wirbelte rechtzeitig herum, um einen der Meuchler des Himmels, einen Feuertänzer, ganz in Rot, mit gezücktem Drachenbeindolch auf sich zukommen zu sehen. »Adam, mach dass du rauskommst!«, schrie Sam, doch dieser gab keine Antwort. Sam wich zurück bis zum Kleiderschrank und schaute sich nach Adam um - und sah ihn stocksteif dastehen, mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht

Die Musik in Sams Ohren dröhnte triumphierend, der Gesang der Pandora-Geister, ein Lied von ... Hass? War es Hass, den Seth ausgesandt hatte? Aber warum unternahm Adam dann nichts?

Keine Zeit für Spekulationen. Ein Feuertänzer stieß mit der Waffe nach Sam. Sam packte den Kerl - sofern man einen Feuertänzer »Kerl« nennen kann - am Handgelenk und riss ihn nach unten gegen sein aufgerichtetes Knie. Feuertänzer und Knie kollidierten, und der Feuertänzer sackte in sich zusammen. Ein Aufblitzen von Metall, als Sam seinen kleinen silbernen Dolch zückte, der, obwohl er nicht interessanter aussah als ein spitzer Bleistift, den Glanz von etwas hatte, das zum

Töten gedacht war. Sam blickte sich um. Drei Feuertänzer -einer zusammengekrümmt auf dem Boden und, nach seinem Stöhnen zu urteilen, wohl kaum zum Kämpfen imstande - und Adam. Der reglos dastand und ins Leere lächelte.

Die beiden anderen Feuertänzer beschlossen, es mit einem Fernangriff zu versuchen. Sie hoben die Hände, Feuer züngelte aus ihren Fingern. Sam errichtete einen Schutzschirm, als die Flammen auf ihn zuschossen, durch den Raum fauchten und um ihn herumwirbelten. Sie trafen den Kleiderschrank hinter ihm und schwärzten das imprägnierte Holz. Am Kopfende des Bettes entzündeten sich die Kissen und brannten mit kleiner Flamme weiter. Sam wartete, bis das Feuer vor seinen Augen erloschen war, und schlug zurück. Das Prinzip, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, war, sonst zwar richtig, doch wenn man es mit Feuertänzern zu tun hatte, konnte man damit eine böse Überraschung erleben. Feuer vermochte sie kurzzeitig außer Gefecht zu setzen, aber töten würde es sie mit Sicherheit nicht.

Darum war das Licht, das Sam in seinen Händen ballte, hellblau, von Silber durchzogen, und es schimmerte und zischte leise. Er sah die Feuertänzer zurückweichen und grinste. »Damit hättet ihr rechnen müssen«, meinte er und warf das Kaltfeuer. Es traf die Feuertänzer, spritzte beim Aufprall in alle Richtungen. Frost kroch ihre roten Gewänder entlang, überzog sie mit Weiß. Bei gewöhnlichen Wesen - gewöhnlichen Unsterblichen - hätte es wenig mehr als steife Gliedmaßen und drastische Unannehmlichkeiten hervorgerufen. Bei Feuertänzern war die Reaktion ganz anders. Sie schrien. Im Augenblick der größten Ablenkung sprang Sam vor, wirbelte herum und stach seinen Dolch einem der Feuertänzer tief in die Schulter. Er hörte etwas, das unangenehm dem Knirschen ähnelte, wenn man auf Glasscherben tritt, und riss seine Klinge heraus, der ein Schwall orangerotes Blut folgte.

Schmerz explodierte in seinem Rücken, und er taumelte und wäre fast auf das Bett gefallen, wo das Feuer sich inzwischen ausgebreitet hatte und den Raum mit ätzendem Qualm erfüllte. Er hustete, mit tränenden Augen, und warf sich zur Seite. Die zersplitterten Überreste des Schemels, den Adam schwang, krachten auf das Bett neben ihm. Adams Gesicht war von Hass verzerrt. Das war es, was die Pandora-Geister einem antaten: Sie verzehrten den Geist, setzten an dessen Stelle nur ein einziges Gefühl. Sam war der Einzige, dem sie nichts anhaben konnten, denn durch das Licht, das ihn von innen erfüllte, mussten sie durch die Bruchstücke zu vieler anderer Geister hindurch, um ihn zu erreichen.

Selbst seine engsten Verbündeten konnten jedoch davon betroffen sein. Wie Adamarus. »Adam!«, schrie er, obwohl er wusste, dass es zwecklos war, mit ihm zu argumentieren.

Einer der eisverkrusteten Feuertänzer war ans Fenster gekrochen. Seine Kleidung war blutgetränkt. Sam sah zu, wie der Feuertänzer sich über die Brüstung hievte und hinauskippte. Ein Sturz würde einem Feuertänzer nicht wirklich schaden. Nicht annähernd so sehr wie die Magie, die Sam aufbringen konnte. Ein weiterer Feuertänzer hatte es bis zur Tür geschafft und versuchte, sich zur Treppe zu schleppen. Der dritte ... Der dritte...

Sam warf sich zu Boden. Was ein Glück für ihn war, da so die Klinge des Feuertänzers statt seiner Kehle nur die Luft durchschnitt Ein Dolch aus Drachenbein, eine der wenigen Waffen, die einen Weltenwandler wie Sam toten konnten. Er stützte sich mit dem Rücken an der Wand ab und hob die Hände, als Adam das letzte Bein des Schemels gegen seinen Kopf schwang. Die Luft wellte sich und fing das Stuhlbein dort auf, wo Adam es hielt, der bewegungslos verharrte. Sam entwand es Adams Griff und warf es in eine Ecke des Zimmers. Der dritte Feuertänzer stieß einen Schrei aus, der nichts

Menschliches an sich hatte, und warf sich mit flammenden Händen auf Sam, um ihn am Hals zu packen. Sam trat mit beiden Beinen aus, traf den Feuertänzer in die Brust. Hitze kroch seine Unterschenkel entlang, und seine Füße rutschten aus, als sie wieder in Kontakt mit dem Boden kamen. Die Sohlen seiner Schuhe waren halb geschmolzen. Er stieß den Feuertänzer zurück, der taumelte und auf das nun lichterloh brennende Bett fiel. Ein Schrei, kaum hörbar über dem Prasseln des Feuers und dem Summen der Pandora-Geister.

Adam grinste, als er auf ihn zukam. »Adam!«, schrie Sam. Der Rauch ließ ihn husten. »Sei nicht dumm!«

Adam zog seine Hände zurück. Seine Fingernägel wuchsen zu Krallen. Sam handelte instinktiv, drehte seine Hände in einem engen, schnellen Kreis umeinander. Adams Füße wurden nach oben gerissen, während sein Körper zugleich von einer unsichtbaren Kraft zur Seite geschleudert wurde. Eine Sekunde lang drehte er sich in der Luft um sich selbst, dann krachte er hart gegen die gegenüberliegende Wand, neben das zersplitterte Fenster.

Sam richtete sich auf und streckte die Hände aus. Auf dem brennenden Bett erhoben sich die bereits gepackten Taschen, die selbst schon rauchten, und flogen zu ihm. Er trat die Flammen aus, die sie zu versengen drohten, und warf die Taschen durch die Tür. Dann stolperte er zu Adam hinüber, mit tränenden Augen, das Jackett zum Schutz vor Mund und Nase gehalten. Adams Puls war schwach, aber noch spürbar. Inzwischen hatte das Feuer auch die Vorhänge erfasst. Sam packte Adam bei den Handgelenken und schleifte ihn aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Er war froh, dass sein Freund inzwischen wieder seine menschliche Gestalt angenommen hatte. Mit einem Tritt stieß Sam die Haustür auf und zerrte den Elfen hinaus auf die Straße.

Eine kleine Gruppe von Sterblichen hatte sich bereits versammelt und gaffte in einer Weise, die Sam ausgesprochen wenig hilfreich vorkam, auf das Feuer, das jetzt aus den zerbrochenen Fenstern nach außen züngelte.

Als sie ihn sahen, rußbeschmutzt und abgerissen, war das Schweigen fast hörbar. Natürlich, dachte Sam. Ein Pandora-Geist konnte weit mehr als eine Person gleichzeitig heimsuchen. Aber je mehr Leute er befiel, desto dünner und schwacher wurden seine Kräfte. Vielleicht, wenn er sich beeilte ...

Er packte seine Taschen und war schon halb die Straße hinunter, bevor jemand hinter ihm schrie: »Haltet ihn!« Aber da war er bereits nicht mehr einzuholen. Sollte sich doch die ganze Welt gegen ihn erheben! Er war es gewohnt, allein zu sein. Sollten sie doch seine Verbündeten umdrehen, sollten sie selbst Sterbliche gegen ihn wenden. Er war der Bastardsohn der Zeit. Sein ganzes Leben hatte er sich auf diesen Moment vorbereitet.

Er brauchte keine Rücksicht mehr zu nehmen. Er arbeitete, am besten allein. Und jetzt, das wusste er, gab es ernsthafte Arbeit zu tun.