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»Okay, Leute, aufgepasst. Dies ist das Briefing zur Operation FURNISS, Dienstag, 1. Dezember.«
Ein bisschen wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, dachte Kelly. Jeden Morgen und jeden Abend versammelte sich dieselbe Gruppe im selben Raum. Viele im Team sahen müde aus, aber Nicks Energie schien unerschöpflich. Genau zwei Wochen war es her, seit Tania Becketts Leiche gefunden worden war, und seitdem war er jeden Morgen der Erste im Büro und jeden Abend der Letzte, der ging. Zwei Wochen, in denen die Operation FURNISS drei Morde, sechs sexuelle Übergriffe und mehr als ein Dutzend Meldungen von Stalking, versuchten Übergriffen und verdächtigen Zwischenfällen gesammelt hatte, die alle mit findtheone.com in Verbindung gebracht wurden.
»Diejenigen, die an der Maidstone-Vergewaltigung gearbeitet haben – gut gemacht. Tillman ist ein widerlicher Zeitgenosse, und dank eurer Bemühungen ist er von der Straße.« Nick sah zu Kelly. »Was haben wir Neues über seine Online-Aktivitäten?«
»Die vom Cyber Crime sagen, dass er nicht mal versucht hat, seine Spuren zu verwischen«, antwortete Kelly und blickte in die Notizen, die sie sich vorhin bei ihrem Gespräch mit Andrew Robinson gemacht hatte. »Er hat die Beschreibung seines Opfers heruntergeladen und per E-Mail an sich selbst geschickt. Vermutlich, um sie auf seinem Telefon zu haben, wo wir sie fanden.«
»Hat er noch andere Profile gekauft?«
»Nein, aber er hat sich ziemlich viele angesehen. Dem Arbeitsspeicher nach hatte er die Profile von circa fünfzehn Frauen aufgerufen, aber vor Kathryn Whitworth keines gekauft.«
»Zu teuer?«
»Ich glaube nicht, dass das ein Problem für ihn wäre. Er hatte sich im September als Silber-Mitglied registriert und die Mitgliedschaft – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – mit der Firmenkreditkarte bezahlt.«
»Wie nett.«
»Wir fanden ein Begrüßungsschreiben in seinen gelöschten Daten – identisch mit dem, das wir erhielten, nachdem wir einen Account unter Pseudonym eingerichtet hatten, aber mit einem anderen Passwort. Anscheinend werden die Sicherheitseinstellungen der Website sporadisch geändert. Wie Harris uns erzählt hat, ist die Telefonnummer in der Anzeige der Code für das aktuelle Passwort.«
»Wie Sie ja schon selbst herausbekommen hatten«, sagte Nick.
»Tillman ist faul«, dachte Kelly laut nach. »Er fährt mit dem Wagen zur Arbeit, sprich: Er müsste bei den meisten der Frauen, die auf der Website gelistet sind, lästige Anstrengungen auf sich nehmen. Ich denke, dass er auf eine bequemere Gelegenheit gelauert hat. Das allein könnte ihm eventuell schon einen Kick verschafft haben. Als er dann sah, dass Kathryn Whitworths Profil nach Maidstone führte, wo er eine Tagung hatte, hat er sich das ausgesucht.«
»Jagen Sie sein Kennzeichen durch die automatische Kennzeichensuche. Mal sehen, ob sein Wagen in den Tagen vor der Vergewaltigung schon in der Nähe von Maidstone gefilmt wurde.«
Kelly notierte sich AKS und unterstrich es, während Nick weitermachte.
»Bei der Überprüfung von Tillmans Computer wurde eine verschlüsselte Datenbank auf der Festplatte gefunden, die einhundertsiebenundsechzig einschlägige Bilder enthielt, von denen der Großteil unter Paragraf 63 fällt – Besitz von extremer Pornografie. So bald läuft der Mann nicht wieder frei herum.«
Eigentlich wollte Kelly selbst Kathryn Whitworth anrufen und ihr erzählen, dass sie Tillman wegen Vergewaltigung anklagten und er auch wegen Besitzes von Pornografie dran wäre. Aber Lucinda hatte sie zurückgehalten.
»Überlass das den Leuten in Kent; sie haben einen persönlichen Bezug zu ihr.«
»Aber die wissen nichts über den Fall«, hatte Kelly widersprochen. »Und ich könnte ihre Fragen beantworten, sie beruhigen.«
Lucinda war unerbittlich geblieben. »Kelly, hör auf, jedermanns Job machen zu wollen. Die Abteilung in Kent informiert das Opfer; du hast hier zu tun.«
Auch wenn sich die MIT-Detectives häufiger scherzhaft über die Kosten für Zivilmitarbeiter beklagten, wurde Lucinda wegen ihrer Fähigkeiten und ihrer Erfahrung bei allen Detectives sehr geschätzt, und dasselbe galt für Kelly. Sie musste darauf vertrauen, dass diejenigen, die Kathryn auf den aktuellen Stand brachten, es mitfühlend und verständnisvoll taten. Kathryn stand ein langer Prozess bevor, und der würde gewiss nicht leicht für sie werden.
Nick war nach wie vor beim Briefing. »Ihr wisst vielleicht schon, dass Kelly und ich gestern Luke Harris festgenommen haben, einen anderen User der Website. Harris behauptete anfangs, dass Zoe Walkers Profil das einzige wäre, das er heruntergeladen hatte, änderte seine Geschichte aber in der Untersuchungshaft.«
Vor lauter Panik, weil er wegen versuchten Mordes verhaftet worden war, hatte Luke Harris eine Kehrtwende vollzogen. Er gab ihnen die Passwörter für alle seine Accounts und gestand, noch vier weitere Profile von Frauen auf findtheone.com gekauft zu haben. Bei allen hatte er die »Retter«-Nummer als Eisbrecher eingesetzt und die Frauen damit aus der Sicherheit der Menge gelockt, vermeintlich um sich zu vergewissern, dass es ihnen gut ging. Die Taktik war von begrenztem Erfolg gekrönt. Eine Frau war aus Dankbarkeit mit ihm einen Kaffee trinken gegangen und hinterher auch noch zum Abendessen, aber das war es auch schon.
»Harris bleibt dabei, dass er nichts verbrochen hat«, berichtete Nick dem Team. »Er behauptet, dass er keiner der Frauen etwas tun wollte, und sein Ziel nie ein anderes gewesen sei als eine nette Beziehung.«
»Da hätte er doch auch ›uniform.com‹ nehmen können, wie wir alle«, rief jemand. Nick wartete, bis das Lachen verklungen war.
»Andere Dating-Websites stinken nach Verzweiflung, wie Harris meinte«, sagte Nick. »Luke Harris zieht vor, was er ›den Kitzel der Jagd‹ nennt. Ich nehme an, dass er diese Option künftig nicht mehr ganz so prickelnd finden wird.«
Kellys Telefon klingelte. Sie sah aufs Display und rechnete damit, Lexis Namen zu lesen, doch es war Cathy Tanning. »Eine Zeugin«, sagte sie zu Nick und hielt ihr Telefon in die Höhe. »Entschuldigung.« Sie nahm den Anruf an, verließ den Besprechungsraum und ging zu ihrem Schreibtisch.
»Hi, Cathy, alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut, danke. Ich rufe nur an, um Ihnen zu sagen, dass ich nicht mehr in Epping bin.«
»Ziehen Sie um? Das kommt recht plötzlich.«
»Nicht direkt. Ich spiele schon seit langem mit dem Gedanken, aus London wegzuziehen. Und dann ergab sich diese Gelegenheit in Romford, also bin ich nicht sehr weg weit. Ich habe mich in dem alten Haus einfach nicht mehr wohlgefühlt, nicht mal nachdem ich alle Schlösser ausgewechselt hatte.«
»Und wann ziehen Sie da hin?«
»Ich bin schon dort. Eigentlich hätte ich einen Monat Kündigungsfrist gehabt, aber der Vermieter will renovieren und die Miete erhöhen, deshalb ließ er mich früher aus dem Vertrag.«
»Das freut mich für Sie.«
»Aber ich rufe noch aus einem anderen Grund an«, sagte Cathy und zögerte. »Ich möchte meine Anzeige zurückziehen.«
»Hat Ihnen jemand Druck gemacht? Haben Sie durch den Artikel in der Metro Schwierigkeiten bekommen? Denn falls Sie bedroht werden …«
»Nein, das ist es nicht. Ich will es nur hinter mir lassen.« Sie seufzte. »Es ist mir sehr unangenehm, denn Sie haben sich so bemüht herauszufinden, wer meine Schlüssel geklaut hat, und Sie waren großartig, als ich Ihnen erzählte, dass jemand bei mir im Haus gewesen ist.«
»Wir sind kurz davor, die Person hinter der Website zu finden«, unterbrach Kelly sie. »Wenn wir diejenigen anklagen, brauchen wir Ihre Aussage.«
»Sie haben doch sicher noch andere Zeugen, oder? Andere Verbrechen? Diese armen jungen Frauen, die umgebracht wurden – das sind doch die wichtigen Verbrechen, nicht meines.«
»Jeder dieser Fälle ist wichtig, Cathy. Wir würden nicht ermitteln, wenn wir davon nicht überzeugt wären.«
»Ich danke Ihnen für alles. Wenn ich glauben würde, dass mein Fall den Ausschlag gibt, würde ich auch aussagen, ehrlich. Aber das tut er nicht, stimmt’s?«
Kelly antwortete nicht.
»Eine Freundin von mir hat letztes Jahr in einem Fall ausgesagt«, fuhr Cathy fort. »Sie wurde monatelang von der Familie des Täters bedrängt. Die Sorte Stress brauche ich echt nicht. Ich habe die Chance auf einen Neuanfang in einem schönen Haus, zu dem niemand außer mir die Schlüssel hat. Was mir passiert ist, war unheimlich, aber ich wurde nicht verletzt. Und ich will es einfach nur vergessen.«
»Darf ich Ihnen wenigstens Bescheid geben, wenn wir jemanden anklagen? Falls Sie es sich anders überlegen.«
Es trat eine längere Pause ein.
»Ja, meinetwegen. Aber ich werde meine Meinung nicht ändern, Kelly. Ich weiß, wie wichtig es ist, jemanden hinter Gitter zu bringen, doch meine Gefühle müssen auch etwas zählen, oder nicht?«
Es ging immer um die Opfer, dachte Kelly verärgert über den versteckten Vorwurf. Bisher hatte sie Cathy für eine der verlässlicheren Zeuginnen gehalten. Entsprechend enttäuscht war sie jetzt, widerlegt zu werden. Sie war drauf und dran zu erklären, dass eine Aussageverweigerung als Missachtung des Gerichts ausgelegt werden könnte. Doch sie bremste sich. Konnte das Streben nach Gerechtigkeit jemals rechtfertigen, Opfer wie Angeklagte zu behandeln? Unwillkürlich kam ihr Lexi in den Sinn. Sie holte tief Luft, ehe sie sprach.
»Die Gefühle der Opfer sind das Einzige, was zählt. Danke, dass Sie mir Bescheid gegeben haben, Cathy.« Sie beendete das Gespräch, lehnte sich an die Wand neben dem Schreibtisch und schloss für einen Moment die Augen; zum Besprechungsraum wollte sie erst zurück, wenn sie sicher war, ihre Gefühle unter Kontrolle zu haben. Doch das Briefing endete vorher, und in dem großen Büroraum setzte wieder hektische Betriebsamkeit ein.
Kelly ging hinüber zu dem Schreibtisch, an dem Andrew Robinson neben Nick saß, und zog sich einen Stuhl heran.
»Folgen wir immer noch dem Geld?«, fragte sie in Anspielung auf das, was der Cyber Crime DC letztes Mal gesagt hatte.
»Und ob! Ich habe die Kreditkartenzahlungen vom DI, Gordon Tillman und Luke Harris zurückverfolgt, die alle auf ein PayPal-Konto liefen – also so.« Andrew nahm ein leeres Blatt aus dem Drucker und schrieb drei Namen hin – RAMPELLO, TILLMAN, HARRIS. »Das Geld wandert von diesen drei Quellen« – er zeichnete Pfeile von jedem Namen aus – »hierher« – Andrew zog einen Kasten um den Namen »PayPal« – »und dann weiter nach hier.« Noch ein Pfeil, noch ein Kasten, aber diesmal um die Bezeichnung eines Bankkontos.
»Und dieses Konto gehört unserem Täter, richtig?«, fragte Nick.
»Volltreffer.«
»Kommen wir an die Daten ran?«
»Die haben wir.« Andrew bemerkte Kellys hoffnungsvollen Gesichtsausdruck. »Es ist ein Studentenkonto auf den Namen Mai Suo Li. Ich habe Kopien der Ausweisdokumente, die zur Kontoeinrichtung vorgelegt wurden, und die sind alle koscher. Die Passkontrolle bestätigt, dass Mai Suo Li am zehnten Juli diesen Jahres Großbritannien verlassen hat und nach China gereist ist. Von dort ist er bisher nicht zurückgekommen.«
»Kann er die Website von China aus betreiben?«
»Möglich wär’s, aber ich kann Ihnen gleich sagen, dass wir bei den chinesischen Behörden keine Hilfe bekommen werden.«
Kelly bekam Kopfschmerzen.
»Immerhin weiß ich, dass Ihr Täter ein Samsung-Gerät benutzt, um das Geld von PayPal auf das Bankkonto zu überweisen. Ich kann nicht sagen, ob es ein Telefon, ein Tablet oder ein Laptop ist, aber man darf wohl davon ausgehen, dass es irgendein tragbares Gerät ist.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Kelly.
»Jedes Mal, wenn ein Telefon eingeschaltet wird, schickt es ein Signal, um nach einem WLAN oder Bluetooth zu suchen. Wäre es ein Heimcomputer, könnte man ihn immer an derselben Stelle orten. Aber diese Ergebnisse legen nahe, dass er sich Mühe gibt, seinen Aufenthaltsort zu verschleiern.« Andrew reichte Nick ein Blatt Papier, und Nick bewegte seinen Stuhl etwas näher zu Kelly, sodass sie mitlesen konnte. »Wäre das WLAN die ganze Zeit eingeschaltet, würde man wohl noch Hunderte anderer Standorte erkennen, aber wie Sie sehen können, sind da nur wenige und in großen Zeitabständen. Man kann also davon ausgehen, dass das Gerät nur zu einem bestimmten Zweck eingeschaltet wird, und der dürfte ziemlich sicher sein, das Geld von PayPal auf das Konto zu überweisen. Ich würde tippen, dass es sich um ein Prepaid-Telefon handelt, nicht sein normales.«
Auf dem Blatt waren diverse Orte aufgelistet, und der oberste war unterstrichen.
Espress Oh!
»Was ist das?«
»Ein Coffee-Shop beim Leicester Square, und unser Mann scheint ihn bevorzugt für alle Aktivitäten auf seinem Telefon zu nutzen. Letzten Monat hat er deren WLAN dreimal benutzt, um Geld von PayPal auf sein Konto zu schieben. Datum und Zeitangaben stehen unten.«
»Klasse Arbeit«, sagte Nick.
»Jetzt ist wohl wieder gute altmodische Polizeiarbeit gefragt, fürchte ich.« Andrew wirkte zufrieden mit sich, und das vollkommen zu Recht. Kelly und der DI bewegten sich auf sichererem Boden. Ein Coffee-Shop an einem belebten Ort wie dem Leicester Square musste Sicherheitskameras haben, vielleicht sogar aufmerksame Mitarbeiter, die sich an einen bestimmten Kunden an einem bestimmten Tag erinnerten. Wenn sie einige anständige Kameraaufnahmen bekämen, könnten sie bei einem Fall wie diesem eine landesweite Suche beantragen.
»Sir!«, wurde vom anderen Ende des großen Raums gerufen. »Es ist eine Streife unterwegs nach Crystal Palace. Zoe Walkers Alarm wurde aktiviert.«
Nick griff bereits nach seinem Jackett. Er sah Kelly an. »Fahren wir.«