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Ich bin noch auf dem Weg von der Bahn nach Hause, als Simon von seiner Schwester aus anruft. Er musste in der U-Bahn gewesen sein, als ich ihn angerufen habe, sagt er. Er hat eben erst meine Nachricht gehört.
»Ich bin nicht allzu spät zu Hause. Ange muss morgen früh raus, also verschwinde ich nach dem Essen.«
»Wie war dein Tag?« Die Worte sind dieselben wie jeden Abend, aber meine Stimme klingt angestrengt, und Simon zögert. Genügt das schon, damit er gesteht, was auch immer er vor mir verbirgt?
Tut es nicht.
»Nicht schlecht.«
Ich höre mir seine Lügen an, die Beschwerde über den Typen am Schreibtisch neben seinem, der mit offenem Mund kaut und den halben Tag mit seiner Freundin telefoniert. Gerne würde ich ihn zur Rede stellen, aber ich weiß nicht, wie. Und vor allem kann ich selbst noch nicht glauben, dass es stimmt.
Natürlich arbeitet Simon beim Telegraph. Ich habe seinen Schreibtisch gesehen – zumindest Bilder von ihm. Kurz nachdem wir zusammenkamen, hat er mir welche geschickt.
Du fehlst mir. Was machst du gerade? Ich möchte es mir vorstellen können.
Bin bei Sainsbury’s, hatte ich geantwortet. Ich schickte ihm ein Foto von der Tiefkühlabteilung und lachte laut im Supermarkt.
Es wurde zu einem Spiel, abgekürzt mit WMDG?, woraufhin wir fotografierten, was sich gerade vor uns befand: ein voller U-Bahn-Wagen, ein Sandwich zum Mittag, die Innenseite meines Schirms, wenn ich im Regen zur Arbeit ging. Die Fotos, die wir uns zuschickten, waren ein Blick in unser jeweiliges Leben, in die Tage und Nächte zwischen unseren gemeinsamen Abenden.
Ich habe seinen Schreibtisch gesehen, wiederhole ich in Gedanken. Ich habe ein riesiges Büro mit Computermonitoren und den Meldungen von Sky News gesehen. Ich habe Stapel von Zeitungen gesehen.
Du hast einen Schreibtisch gesehen, sagt eine Stimme in meinem Kopf. Der könnte jedem gehört haben.
Ich verdränge diesen Gedanken. Was unterstelle ich denn? Dass Simon mir Fotos von einem Büro geschickt hat, in dem er nicht mal arbeitet? Dass er Fotos von einer Redaktion aus dem Internet runtergeladen hat? Das ist lächerlich. Es wird eine völlig harmlose Erklärung geben. Ein fehlender Eintrag in der Liste für die Zentrale, eine unfähige Telefonistin. Simon würde mich nicht belügen.
Oder?
Ich überquere die Straße, um bei Melissas Café vorbeizusehen. Justins Schicht endet gleich, und ich sehe die beiden über Papieren an einem Tisch sitzen. Melissa ist vorgebeugt, sodass ihr Kopf beinahe Justins berührt. Sie blicken beide hoch, als ich die Tür öffne, und Melissa springt auf, um mich zur Begrüßung auf die Wange zu küssen.
»Du kommst genau richtig! Wir streiten uns gerade über die Weihnachtskarte. Truthahn-Baguettes mit Cranberry oder mit Salbei und Zwiebel? Pack die Speisekarten weg, Justin. Wir machen morgen weiter.«
»Cranberry und Salbei und Zwiebel. Hi, Schatz.«
Justin rafft die Papiere zu einem Stapel zusammen. »Ich habe auch gesagt beides.«
»Klar, weil es nicht dein Gewinn ist, den du hier verjubelst«, sagt Melissa. »Salbei und Zwiebel oder Cranberry-Sauce. Nicht beides.«
»Ich dachte, wir können zusammen nach Hause gehen«, sage ich zu Justin, »aber du hast offensichtlich noch zu tun.«
»Nein, geht ihr nur«, sagt Melissa. »Ich schließe ab.« Ich beobachte, wie mein Sohn seine Schürze abnimmt und sie hinter den Tresen hängt, bereit für morgen.
Auf dem Heimweg hake ich mich bei Justin ein. Ich habe ein hohles Gefühl im Bauch, als ich mich an die so sicher klingende Telefonistin beim Telegraph erinnere.
Hier arbeitet kein Simon Thornton.
»Hat Simon jemals mit dir über seinen Job geredet?«, frage ich bemüht beiläufig, doch Justin sieht mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er sich mit Biscuit über Philosophie unterhalten würde. Die Feindseligkeit zwischen Simon und Justin ist ein totgeschwiegenes Problem, das ich bisher in der Hoffnung ignoriert habe, es würde eines Tages von allein verschwinden.
»Nur, wenn er mir mal wieder erklärt, dass ich ohne Qualifikation nie einen Job wie seinen bekomme. Sehr nett.«
»Sicher will er dich nur motivieren, mehr aus dir zu machen.«
»Tja, meinetwegen kann er sich sein Motivieren in den …«
»Justin!«
»Er hat kein Recht, mir Vorträge zu halten. Er ist nicht mein Dad.«
»Stimmt, das ist er nicht.« Ich stecke den Schlüssel ins Schloss. »Aber kannst du nicht trotzdem versuchen, mit ihm auszukommen? Um meinetwillen?«
Er starrt mich an, und ich erkenne einen Hauch von Reue unter all der Verbitterung. »Nein. Du glaubst, dass du ihn kennst, Mum, aber das tust du nicht. Nicht richtig.«
Mein Telefon klingelt, als ich Kartoffeln schäle. Ich will schon die Mailbox rangehen lassen, da sehe ich den Namen auf dem Display. PC Kelly Swift. Rasch trockne ich meine Hände und greife nach dem Telefon, ehe die Mailbox anspringt. »Hallo?«
»Haben Sie kurz Zeit?« PC Swift klingt unsicher. »Es gibt etwas, das ich Ihnen erzählen muss. Inoffiziell.«
Lange nachdem sie aufgelegt hat, stehe ich immer noch mit dem Telefon in der Hand mitten in der Küche. Katie kommt herein, öffnet den Kühlschrank und schließt ihn wieder, wobei sie ununterbrochen auf ihr Handy sieht und mit dem Daumen über das Display wischt. Sie war schon vorher mit dem Ding verwachsen, doch seit sie Isaac kennt, legt sie es kaum noch hin. Ihre Augen leuchten, als eine Textnachricht eingeht.
Ich höre die Treppe knarren, als Justin nach unten kommt, und fälle eine Entscheidung. Das hier muss ich mir allein anschauen, ohne dass mir die Kinder über die Schulter sehen. Ohne dass Katie Panik bekommt oder Justin droht, den Verantwortlichen zusammenzuschlagen.
»Wir haben keine Milch mehr«, sage ich, schnappe mir meine Tasche und ziehe den Mantel über. »Ich gehe welche holen.«
»Im Kühlschrank ist noch Milch«, ruft Katie, aber ich knalle bereits die Haustür hinter mir zu.
Ich gehe schnell und halte den Mantel fest vor der Brust verschlossen. Weiter unten ist ein Café, nicht Melissas, sondern ein etwas schäbiger kleiner Laden, in den es mich noch nie gezogen hat. Aber ich weiß, dass sie lange geöffnet haben, und ich muss irgendwo sein, wo mich keiner kennt.
Ich bestelle einen Kaffee. Er ist bitter, sodass ich einen Zuckerwürfel hineingebe und so lange rühre, bis er vollständig aufgelöst ist. Ich lege mein iPad vor mir auf den Tisch, hole tief Luft und wappne mich für … für was?
Bei dem Passwort – ALLEINE BIST DU NIE – läuft es mir kalt über den Rücken. Vor aller Augen versteckt, genau wie die Anzeigen; für jedermann sichtbar zwischen Jobangeboten und zu verkaufendem Hausrat. Die Seite lädt ewig, und als sie endlich da ist, hat sich kaum etwas verändert. Der Hintergrund ist nach wie vor schwarz, aber der weiße Kasten, der nach dem Passwort verlangte, ist durch einen neuen ersetzt worden.
Login oder neues Konto anlegen.
»Legen Sie kein Konto an«, hatte PC Swift gesagt, nachdem sie mir erzählte, was sie entdeckt hatten. »Ich sage es Ihnen nur, weil ich finde, dass Sie ein Recht haben, es zu erfahren.« Sie hatte eine Pause gemacht. »Denn wenn ich oder jemand aus meiner Familie betroffen wäre, würde ich es wissen wollen. Bitte, vertrauen Sie uns.«
Ich tippe »neues Konto anlegen« an und gebe meinen Namen ein, bevor mein Verstand schaltet und ich ganz schnell die Korrekturtaste drücke, bis er wieder verschwunden ist. Nachdenklich blicke ich auf und sehe den Café-Besitzer, dessen schmutzige Schürze sich über den dicken Bauch spannt. Auf seiner linken Brust ist der Name Lenny eingestickt.
Lenny Smith, tippe ich und lege ein Passwort fest.
Wählen Sie eine Mitgliedschaft.
Bronze-Mitgliedschaft, £250: Zugriff auf Bilddateien. Profil-Downloads ab £100.
Silber-Mitgliedschaft, £500: Zugriff auf Bilddateien. Ein Gratis-Download pro Monat.
Gold-Mitgliedschaft, £1000: Zugriff auf Bilddateien. Unbegrenzte Gratis-Downloads.
Mir wird übel. Ich nehme einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee. Ist es das, was ich wert bin? Ist es das, was Tania Beckett wert war? Laura Keen? Cathy Tanning? Ich starre auf den Bildschirm. Meine Kreditkarte ist ausgereizt, und der Monat ist fast um, sodass ich mir nicht mal die Bronze-Mitgliedschaft leisten kann. Vor wenigen Tagen noch hätte ich Simon um Hilfe gebeten. Aber jetzt, nach dem seltsamen Gespräch mit der Telefonistin beim Telegraph, will ich das nicht mehr.
Es gibt nur einen Menschen, an den ich mich wenden kann. Ich greife nach meinem Telefon.
»Kannst du mir ein bisschen Geld leihen?«, frage ich, sobald Matt sich meldet.
»Hat dich dein toller Freund tatsächlich ausgeblutet? Zahlen die Zeitungen heutzutage derart schlecht?«
Wenn er wüsste! Ich schließe die Augen. »Matt, bitte, ich würde nicht fragen, wenn es nicht wichtig wäre.«
»Wie viel?«
»Einen Tausender.«
Er stößt einen leisen Pfiff aus. »Zo, so viel Kohle habe ich nicht rumliegen. Wofür brauchst du die?«
»Kann ich vielleicht deine Kreditkarte angeben? Ich gebe es dir auch zurück, Matt, jeden Penny, mit Zinsen.«
»Steckst du in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Matt, bitte.«
»Ich schick dir die Daten.«
»Danke.« Ich bin so erleichtert, dass es fast wie ein Schluchzen klingt.
»Schon gut.« Er stockt. »Du weißt doch, dass ich alles für dich tun würde, Zo.« Ich will ihm abermals danken, als ich merke, dass er aufgelegt hat. Seine Textnachricht kommt eine Minute später. Ich tippe seine Kreditkartendaten in das falsche Mitgliedsprofil ein, das ich für Lenny Smith erstellt habe.
Und das war es. Matts Kreditkarte ist mit tausend Pfund in den Miesen, und ich bin jetzt Mitglied bei findtheone.com, der etwas anderen Dating-Website.
Obwohl mich PC Swift darauf vorbereitet hatte, ist schwer auszuhalten, was ich hier sehe. Reihenweise Fotos, alle von Frauen, und unter jedem stehen ein oder zwei Wörter.
Central
Line
Piccadilly
Jubilee/Bakerloo
Kälte kriecht mir den Nacken hinauf.
Ich sehe die Fotos auf der Suche nach meinem durch, klicke »mehr laden« an, um eine zweite, dann eine dritte Seite aufzurufen. Und da bin ich. Dasselbe Foto wie in der Gazette, das Bild von meiner Facebook-Seite, aufgenommen auf der Hochzeit meiner Cousine.
Zum Download klicken.
Ich zögere nicht.
Erschienen: Freitag, 13. November
Weiß.
Ende dreißig.
Blondes Haar, gewöhnlich hochgebunden.
Ich lese es zweimal: eine Auflistung jeder Bahn, die ich nehme; die Zusammenfassung meines Aussehens; der Mantel, den ich jetzt gerade trage. So absurd es ist, ärgert mich kurz, dass meine Kleidergröße mit 38–40 angegeben ist, denn tatsächlich trage ich nur in Jeans Größe 40.
Lenny wischt die Tische um mich herum ab und stapelt geräuschvoll die Stühle aufeinander, um mir zu bedeuten, dass ich gerne gehen darf. Ich versuche aufzustehen, aber meine Beine wollen nicht. Mir wird klar, dass ich heute Morgen nicht zufällig Luke Friedland getroffen habe, ebenso wenig, wie er zufällig neben mir stand, als ich in Richtung der Gleise fiel.
Luke Friedland hatte sich meinen Arbeitsweg heruntergeladen, um mich zu verfolgen.
Wer sonst noch?
Simon kommt nach Hause, als ich schon ins Bett gehe. Er freut sich so, mich zu sehen, dass ich verwirrt bin. Wie kann mich ein Mann belügen, der mich so sehr liebt?
»Wie geht es Ange?« Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht bei seiner Schwester war. Wenn er mich belogen hat, was seinen Arbeitsplatz angeht, was stimmt noch alles nicht? Justins Worte hallen mir durch den Kopf, und ich sehe Simon mit neuer Wachsamkeit an.
»Super. Sie lässt dich grüßen.«
»Und wie war’s bei der Arbeit?«, frage ich. Er zieht seine Hose aus und lässt sie zusammen mit seinem Hemd auf dem Boden liegen, ehe er ins Bett steigt. Sag es mir, denke ich. Erzähl es mir jetzt, und alles ist okay. Erzähl mir, dass du nie beim Telegraph warst; dass du ein kleiner Reporter bei irgendeinem regionalen Klatschblatt bist oder überhaupt kein Journalist; dass du dir das ausgedacht hast, um mich zu beeindrucken, und in Wahrheit bei McDonald’s arbeitest. Sag mir einfach die Wahrheit!
Doch das tut er nicht. Er streichelt meinen Bauch, lässt seine Daumen an meinen Hüften kreisen. »Ziemlich gut. Diese Story über Parlamentarierspesen kam gleich morgens durch, also war ganz schön was los.«
Er bringt mich aus dem Konzept. Die Story hatte ich mittags gesehen, als ich Graham ein Sandwich besorgte. In meinen Schläfen setzt ein Pochen ein. Ich muss die Wahrheit wissen.
»Ich habe heute beim Telegraph angerufen.«
Sämtliche Farbe weicht aus Simons Gesicht.
»Du bist nicht an dein Handy gegangen, und mir ist auf dem Rückweg von der Arbeit etwas passiert. Ich hatte Angst und wollte mir dir reden.«
»Was ist passiert? Geht es dir gut?«
Ich ignoriere seine Sorge. »Die Telefonistin hatte noch nie von dir gehört.« Ich schiebe seine Hände weg. Es entsteht eine Pause, in der ich das Klicken höre, mit dem sich die Zentralheizung abschaltet.
»Ich wollte es dir erzählen.«
»Mir was erzählen? Dass du mich belogen hast? Dass du dir einen Job ausgedacht hast, von dem du glaubtest, er würde mich beeindrucken?«
»Nein! Ich habe mir das nicht ausgedacht. Mein Gott, Zoe, was denkst du von mir?«
»Willst du darauf wirklich eine Antwort?« Kein Wunder, dass er sich so vehement geweigert hat, als ich ihn bat, Katie ein Praktikum bei der Zeitung zu besorgen, denke ich. Und ebenso klar ist jetzt, warum er keine Story über die Anzeigen schreiben wollte.
»Ich habe beim Telegraph gearbeitet. Und dann haben sie …« Er beendet den Satz nicht, rollt sich von mir weg und blickt zur Zimmerdecke. »Sie haben mich entlassen.« Ich bin unschlüssig, ob die Scham in seinem Unterton dem Jobverlust gilt oder der Lüge.
»Warum? Du warst doch – wie lange? – über zwanzig Jahre da.«
Simon lacht zynisch. »Genau. Die Alten raus, die Neuen rein. Eine jüngere Belegschaft ist billiger. All diese Kinder, die keine Ahnung haben, was ein Konjunktiv ist, aber bloggen und twittern können und im Handumdrehen Sachen auf die Website laden.« Sein Tonfall ist verbittert, aber es schwingt keinerlei Kampfgeist in seinen Worten mit, als sei die Schlacht längst verloren.
»Wann war das?«
»Anfang August.«
Für einen Moment ringe ich um Worte. »Du bist vor vier Monaten entlassen worden und hast nichts gesagt? Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?« Ich steige aus dem Bett, gehe zur Tür, bleibe stehen und drehe mich wieder um. Auch wenn ich nicht bleiben will, muss ich mehr erfahren.
»Ich bin herumgelaufen, habe in Cafés gesessen, geschrieben, gelesen.« Wieder nimmt seine Stimme den verbitterten Tonfall an. »Nach Jobs gesucht, Vorstellungsgespräche gehabt, mir angehört, dass ich zu alt bin, und überlegt, wie ich es dir sagen soll.« Er sieht mich nicht an, sondern richtet den Blick weiter an die Decke. Tiefe Furchen graben sich in seine Stirn. Er wirkt gebrochen.
Ich stehe da und beobachte ihn. Nach und nach legt sich meine Wut.
»Was ist mit Geld?«
»Sie haben mir eine Abfindung gegeben. Ich habe gehofft, dass ich ziemlich schnell etwas finde, und dachte, ich erzähle es dir, wenn ich alles geregelt habe. Aber es tat sich nichts, und als das Geld zur Neige ging, musste ich Kreditkarten benutzen.« Als er mich endlich ansieht, sehe ich mit Schrecken, dass ihm die Tränen kommen. »Es tut mir so leid, Zoe. Ich wollte dich nie belügen. Ich dachte, dass ich es schnell wieder hinbekomme und dich mit einem neuen Job überraschen kann. Damit ich mich weiter so um dich kümmern kann, wie du es verdienst.«
Ich setze mich zu ihm. »Schhh, es ist okay«, sage ich, als wäre er eines meiner Kinder. »Das wird schon wieder.«
Ich muss Simon versprechen, Katie und Justin nichts zu sagen.
»Dein Sohn hält mich sowieso schon für einen Schmarotzer. Er braucht nicht noch mehr Gründe, mich zu hassen.«
»Das hatten wir doch bereits«, sage ich. »Justin ist auf mich wütend, nicht auf dich. Er gibt mir die Schuld an der Scheidung, weil er aus Peckham wegziehen musste, weg von seinen Freunden.«
»Dann sag ihm die Wahrheit. Warum sollst du die Schuld für etwas übernehmen, das du nicht getan hast? Es ist zehn Jahre her, Zoe. Warum beschützt du Matt immer noch?«
»Ich beschütze nicht Matt, sondern die Kinder. Sie lieben ihren Vater, und sie müssen nicht wissen, dass Matt mich betrogen hat.«
»Das ist unfair dir gegenüber.«
»Wir haben uns darauf geeinigt.« Es war eine Übereinkunft, mit der wir beide zu Lügnern wurden. Ich stimmte zu, den Kindern nichts von Matts Fremdgehen zu erzählen, und er versprach so zu tun, als würde er mich nicht mehr lieben; als hätten wir uns in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. Manchmal frage ich mich, wem von uns beiden es schwerer fällt, sich an die Absprache zu halten.
Simon lässt es gut sein. Er weiß, dass er diese Diskussion nicht gewinnen kann. »Ich möchte wieder auf eigenen Beinen stehen, bevor wir es ihnen sagen. Bitte.«
Wir kommen überein, Justin und Katie zu erzählen, dass Simon ganz von zu Hause aus arbeitet, damit er nicht mehr jeden Tag bis nach fünf draußen herumirren muss, unzählige Tassen Kaffee trinken, die er nicht will, und auch noch in Cafés, die er sich nicht mehr leisten kann. Als er mir erzählt, dass er von Kreditkarten lebt, wird mir schlecht.
»Warum hast du mir weiter Geschenke gekauft? Mich zum Essen eingeladen? Das hätte ich nie zugelassen, wenn ich gewusst hätte, dass du es dir nicht erlauben kannst.«
»Hätte ich damit aufgehört, wäre es aufgefallen, und du hättest dich gefragt, was los ist, wärst vielleicht von selbst drauf gekommen. Und du hättest weniger von mir gehalten.«
»Ich hätte selbst bezahlen können.«
»Wie hätte ich mich dabei wohl gefühlt? Was für ein Mann lässt seine Frau im Restaurant bezahlen?«
»Ach, sei nicht albern! Wir haben nicht mehr 1950.« Ich lache, aber dann erkenne ich, wie ernst es ihm ist. »Es ist okay, versprochen.«
Ich hoffe sehr, dass ich recht habe.