KAPITEL 29

Navarra und Coucy standen auf der Burgmauer und sahen, wie Karles Bote in Richtung Compiègne davonritt.

»Der Mann hat eine Streitmacht aufgestellt«, sagte Charles. Der König von Navarra wirkte bedrückt und besorgt – durchaus nicht so feurig wie sonst. »Eine Armee. Und wenn man nach diesem Leutnant urteilt, den er geschickt hat, dann ist es ein loyaler Haufen. Eine Armee aus Männern von einiger Intelligenz. Dieser da war kein Tölpel. Und wahrscheinlich gibt es noch mehr wie ihn.«

»Er deutete an, daß es Tausende sind«, fügte der Baron de Coucy nüchtern hinzu. »Wie mag er das geschafft haben?«

»Vielleicht hat er einen geheimen Verbündeten.«

»Wenn er einen bedeutenden Bundesgenossen hätte, hätte man davon erfahren«, wandte Coucy ein.

»Dann sind diese Tausende, wie er gesagt hat, tatsächlich alle Bauern.«

»In dem Fall habt Ihr nichts zu fürchten, Sire!«

Navarra drehte das Gesicht aus dem Wind. »Er beschreibt sie als berittene Truppen mit Schwertern, Bogenschützen, Speerwerfern und Fußsoldaten, genau wie wir unsere.«

Coucy meinte: »Er übertreibt. Was er sagt, kann nur stimmen, wenn er es geschafft hat, sie umzukrempeln; jedoch gibt es im Augenblick wohl kaum Zauberer, die einer solchen Aufgabe gewachsen sind.« Der Baron versuchte zu lachen, aber es klang nicht überzeugend. »Und Schwerter – woher nehmen sie das Material, von den Waffenschmieden ganz zu schweigen? Aber vielleicht ist er mit einem Alchimisten im Bunde, der alle notwendigen Materialien herstellen kann. Zweifellos verwandelt so einer Steine in Metall.«

»Verhöhnt diesen Mann nicht«, warnte Navarra. »Das wäre höchst unklug. Aber Ihr habt recht – er übertreibt sicher. Wichtig ist jetzt, herauszufinden, inwieweit … und mit welchem Ziel.«

»Man kann nicht wissen, was in den Köpfen dieser Bauern vorgeht«, meinte Coucy.

»Gar, um uns zu beeindrucken? Das wäre kaum zu seinem Vorteil. Er gilt als unser Verbündeter. Wenn die ersten Berichte über die Zahl der Truppen des Dauphins stimmen, dann werden wir ihn brauchen, Karle weiß das.«

»Und bis wir sicher wissen, mit wieviel Mann der Dauphin anrückt, dürfen wir ihn nicht kränken, indem wir über seine Bauern die Nase rümpfen. Er hat sie auf einen ernsthaften Angriff vorbereitet; aber er kann nicht vorhaben, Euch mit seinen Bauern anzugreifen, wenn die Schlacht gegen den Dauphin erst geschlagen ist?«

»Doch. Bei den Zahlen, die er nennt«, entgegnete Navarra hellsichtig, »könnte ihm das gelingen, falls wir beim Kampf gegen den Dauphin sehr dezimiert werden. Und da wir den Angriff leiten, werden wir mit Sicherheit die schlimmsten Verluste haben.«

Er verließ die Burgmauer und kehrte über das steinerne Dach wieder in den Raum zurück, in dem er Karles Leutnant empfangen hatte. »Schlau ist er, dieser roi des Jacques! Aber wir sind es auch.«

Auf seinen Ruf hin erschien sein Page. »Reitet heute nachmittag nach Compiègne und überbringt Karle eine Botschaft. Sagt ihm, daß wir ihn dort in drei Tagen in der Morgendämmerung treffen und unsere Truppen zum Angriff vereinigen. Wir werden unsere Soldaten hinter seinen zu einer Phalanx aufstellen. Da er eine so überragende Streitmacht gesammelt hat, ist es nur recht und billig, daß ihm die Ehre gebührt, dem Dauphin als erster gegenüberzutreten.«

Die Botschaft führte unter Karles Leutnants beinahe sofort zum Streit; die Meinungsverschiedenheiten drehten sich darum, wie sie auf Navarras Nachricht reagieren sollten. Alle waren sich einig, daß eine Antwort erforderlich war; aber darüber, wie diese Antwort lauten sollte, verständigten sie sich nicht. Nach etwa einer Stunde hitziger Debatten erwog Karle deshalb alles, was er gehört hatte, und traf eine Entscheidung.

Er ging um den Tisch herum, zeigte auf einzelne Männer und nannte sie beim Namen. »Ihr alle werdet morgen früh Navarra und seine Marionette Coucy aufsuchen. Reitet auf den besten Pferden, die wir haben, tragt die prächtigsten Schwerter, über die wir verfügen, und legt die besten Rüstungen aus unserer Sammlung an. Nehmt jede Standarte mit, die Ihr finden könnt. Präsentiert Euch als Krieger! Sagt ihm, daß ich nach reiflicher Überlegung zu folgendem Schluß gekommen bin. Die nützlichste Strategie besteht darin, daß sich seine und unsere Truppen mischen zu der ersten Attacke. Sagt ihm ferner, wahrscheinlich wird diese den Dauphin so verwirren, daß er nicht weiß, was er tun soll. Sagt, wir wüßten beide, daß der Dauphin ein willensstarker Mann ist. In dem Dilemma, vor das wir ihn stellen, wird ihm die Entschlossenheit fehlen, sofort den entscheidenden Gegenschlag zu führen. Und das gereicht uns zum Vorteil.«

Dann fügte er leiser hinzu: »Sagt ihm nicht, daß wir uns nach dem gemeinsamen Angriff auf den Dauphin, wenn unsere Leute noch unter seine gemischt sind und der Blutdurst noch wach ist, seine Männer vorknöpfen. Wir werden sie abschlachten. Womit sie nicht rechnen! Schließlich sind wir nur Bauern. Würden Bauern so kühn sein, die Streitmacht eines Königs anzugreifen?«

Lauter Jubel und Begeisterungsrufe erfüllten das Langhaus. Kate, die am Herd Flachsbandagen kochte, hörte und sah all das, und ein Schauder der Angst überrann sie.

Sie fand Alejandro am Rand der Wiese, wo er langsam entlangging und sich um die Vielzahl der kleinen Verletzungen kümmerte, die beim Kriegsspiel entstanden waren: die Blasen und Splitter und wehen Knöchel, die unversorgt die Kampfkraft der betroffenen Soldaten beeinträchtigen würden. Sie hatten einen stattlichen Vorrat an Stiefeln gesammelt, die sie unterwegs Leichen ausgezogen oder von Witwen bekommen hatten. Allerdings paßten sie ihren Trägern nicht so gut, wie sie sollten, und Alejandro wußte, daß die Füße von Guillaume Karles Truppen sich durchaus als Achillesferse erweisen konnten – als der verwundbare Punkt, der zu ihrer Niederlage führte. Also achtete er besonders auf das Gehwerk und sorgte dafür, daß niemand mit offenen Stellen in die Schlacht zog.

»Ah, Kate«, begrüßte er sie schon von ferne.

Sie ging zu ihm, schritt leichtfüßig über die Wiese, mit einer Hand ihre Röcke raffend, um dem Schlamm auszuweichen, die andere voll mit den vertrauten grauweißen Binden, deren Herstellung ihre Aufgabe gewesen war, seit sie sich in dem Langhaus niedergelassen hatten. »Ich habe mehr Verbände gebracht, Père. Diese sind gerade fertig geworden.«

»Du wirkst Wunder, Kind. Wie sollte dieser Krieg ohne dich gewonnen werden?«

Lächelnd reichte sie ihm das Bündel. »Ich bin kein Kind mehr, Père, sondern eine verheiratete Frau. Mir scheint, ich muß Euch das dauernd wieder ins Gedächtnis rufen.«

Sie arbeiteten Seite an Seite, und trotz der Härte ihrer Aufgabe und der Schrecken, die gewiß vor ihnen lagen, empfand Alejandro Canches in solchen Momenten größere Zufriedenheit als seit vielen Jahren. Seine Tochter war bei ihm, glücklich einem braven Mann angetraut, und er selbst leistete gute Arbeit mit den Händen und mit dem Kopf. All das befriedigte ihn sehr.

Als der Vorrat der Verbände erschöpft war, bat Kate ihn:

»Kommt mit mir, Père. Ich möchte gern mit Euch allein sein.«

Das waren die süßesten Worte, die er den ganzen Tag gehört hatte. »Es wird mir ein Vergnügen sein, Madame Karle!«

Sie lachte leise, als sie durch den Wald hinter dem Lager schlenderten. »Es ist so schön, endlich einen Namen zu haben. Ich habe nie recht gewußt, wie ich mich nennen sollte. War ich eine Plantagenet, Hernandez oder Canches? Jetzt heiße ich Karle. Es ist gut, sich laut und ohne Angst vorstellen zu dürfen.«

Er legte einen Arm um ihre Schulter. »Bist du glücklich, Tochter … du wirst erfreut zur Kenntnis nehmen, daß ich dich nicht Kind genannt habe.«

»Ich bin glücklicher, als ich es je für möglich hielt, Père.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und strich eine blonde Haarsträhne wieder zurück unter ihre Haube. »Aber ich glaube, ich werde bald ein noch größeres Glück kennenlernen.«

Unvermittelt blieb er stehen.

»Meine Regel hat ausgesetzt, Père.«

»Aber deine Ehe besteht doch erst seit …«

Rasch legte sie ihm eine Hand auf die Lippen. »Laßt uns nicht von der Dauer meiner Ehe sprechen! Die längste Zeit wird ohnehin erst kommen. Um mehr brauchen wir uns im Augenblick nicht zu kümmern.«

Er nahm sie bei den Schultern und sah ihr in die Augen. »Du bist dir deiner Sache also sicher?«

»Ganz sicher noch nicht, aber ich denke schon.«

»Ich weiß nicht, ob ich Gott verfluchen oder Ihm danken soll.«

»Um meinetwillen müßt Ihr Ihm danken. Und um des Vaters dieses Kindes willen müßt Ihr das Schicksal verfluchen, weil Er ihn gerade jetzt in den Kampf schickt.«

»Weiß Karle es?«

Sie senkte den Kopf ein wenig und schüttelte ihn. »Ich fürchte, dieses Wissen würde ihn von der Aufgabe ablenken, die vor ihm liegt … seine Entschlossenheit schwächen. Und obwohl ich dem Himmel die Hälfte meines Lebens dafür böte, daß Guillaume auf diese Schlacht verzichtet und mit mir an einen sicheren Ort eilt, ist er zu sehr Mann, um sich darauf einzulassen. Deswegen habe ich ihm nichts gesagt.«

Alejandro nahm Kate in die Arme und küßte sie. Er wiegte sie vor und zurück, teilte ihre Freude mit ihr. Ich werde grandpère, dachte er. Und das Kind wird einen Namen haben. Er wünschte sich schmerzlich, er hätte das seinem eigenen Vater erzählen können.

Als die sechs Leutnants am nächsten Morgen aufbrachen, glichen sie in ihrer geborgten Aufmachung den tapfersten Rittern. In Rüstungen gehüllt, die Kriegsbeute waren, auf geliehenen Pferden und mit blanken Waffen, die sie noch vor einem Monat kaum hätten heben können, ritten sie den Hügel zum Château de Coucy hinauf und überbrachten Charles dem Bösen ihre stolze Botschaft.

Navarra ließ sie eine Weile im Burghof warten, während er sich mit seinen Unterführern besprach, hauptsächlich dem Baron de Coucy selbst, der kaum mehr als ein Junge war, aber schon den Ruf feuriger Tatkraft genoß; diese benötigte er auch, um ein so großes Gebiet zu beherrschen wie das, das er erst kürzlich geerbt hatte. Im Vergleich zu ihrem Lager beim Langhaus war das Château de Coucy eine massive Festung und fast luxuriös ausgestattet. Überall wehten bunte Flaggen und kündeten von Reichtum und Einfluß seines Besitzers. Das schwere eiserne Fallgatter könnte allerdings bei Versagen des Flaschenzugs auch von einem Pferdegespann hochgezogen werden. Es trennte den Rest der Welt vom Burghof, der mit flachen Steinen gepflastert und frei von dem Schlamm war, in dem rings um das Langhaus die Knöchel von Pferden und Männern versanken. Die Soldaten, die sich hier übten, hatten trockene Füße und volle Bäuche, und die Macht der Mächtigsten stand hinter ihnen. Die wartenden Leutnants spürten den Unterschied schmerzlich.

Navarras Antwort wurde ihnen überreicht. Sie war ein verächtliches Nein und wurde von einer Bitte, ja mehr einem Befehl begleitet, nämlich, Guillaume Karle möge persönlich vor Navarra und Coucy erscheinen, um die Bedingungen ihres Bündnisses auszuhandeln, und zwar am folgenden Morgen. Andernfalls sei das Bündnis beendet. Die Leutnants sagten nichts dazu, denn keiner wollte für Karle sprechen, ohne ihn vorher selbst gehört zu haben. Als sie unter dem hochgezogenen Fallgatter hindurchritten und zum Schlamm der Straßen und Felder zurückkehrten, wußten sie, daß ihr Schicksal von Karles Antwort abhing.

Sie hatten ihr Bett auf dem Heuboden über dem Waffenlager aufgeschlagen, denn sonst gab es außer dem tiefen Wald keinen Ort, der ihnen die Intimität bot, nach der sie hungerten. Und Guillaume Karle wollte sich nicht so weit von seinem Befehlszentrum entfernen, da in den letzten verbleibenden Stunden noch vieles vorzubereiten war. Und obwohl der Geruch nach Öl und Leder und frisch geschmiedetem Metall, der zu ihr aufstieg, Kate beinahe Übelkeit verursachte, ließ sie keine Beeinträchtigung des Glücks zu, in den Armen ihres herrlichen Gemahls zu liegen.

In dieser Nacht liebten sie sich mit tränenreicher Zärtlichkeit und vollendeter Freude, denn beide kannten die unausgesprochene Wahrheit: Es konnten durchaus ihre letzten gemeinsamen Stunden sein. Manche Augenblicke waren sie wild wie Löwen und umklammerten sich fast gewaltsam, dann wieder lagen sie still da und bewegten sich kaum, zufrieden, einfach nur vereint zu sein. Sie flüsterten einander süße Versprechungen zu und teilten sich ihre Hoffnungen mit, wie sie sich in der Welt einrichten würden, wenn der Wahnsinn des Krieges erst vorbei war.

Als der Hahn krähte, fand Alejandro sie friedlich schlafend. Sanft rüttelte er mit einer Hand an Karles Schulter und flüsterte:

»Karle, es ist Zeit!«

Er hatte beschlossen, Navarra aufzusuchen. »Obwohl der Gedanke daran mir Brechreiz verursacht«, hatte er Kate und Alejandro am Abend zuvor gestanden, »nicht aus Furcht, sondern aus Ekel vor den Dingen, die er auf dem Gewissen hat. Ich weiß nicht, wie ich mit einem solchen Mann sprechen soll, ohne daß mich der Wunsch überkommt, mich auf ihn zu stürzen und ihm die Kehle aufzuschlitzen.«

Kate hatte gefragt: »Wie können wir sicher sein, daß er sich nicht auf dich stürzt und dir die Kehle aufschlitzt, bevor du überhaupt den Mund öffnest?«

»Gar nicht.«

»Dann bleib hier«, hatte sie gefleht.

»Ich muß gehen – als Führer unserer Armee. Navarra ist der Führer jener anderen. Zwischen uns sind Dinge zu regeln. Selbst solcher Abschaum wie Navarra weiß, daß er sich dessen Truppen zum Feind macht, wenn man den Anführer seiner Verbündeten abschlachtet. Wir haben genügend Soldaten, um ihm den Sieg über den Dauphin zu garantieren. Er sollte es sich nicht mit uns verderben.«

»Vielleicht noch nicht«, hatte Alejandro eingewandt.

Worauf Karle geantwortet hatte: »Oder auch niemals. Aber wenn ich nicht gehe, blamieren wir uns vor ihm. Er wird uns durch Lächerlichkeit umbringen. Und wir sind zu weit gediehen, um das zuzulassen.«

Alle Leutnants wurden in das Lager hinausbeordert, und sie begannen, Karle auf seine Begegnung mit Navarra vorzubereiten. Sie zogen ihm seine Bauernlumpen aus, wuschen, kämmten und parfümierten ihn; dann legten sie ihm die feinen Kleider an, die Alejandro getragen hatte, als er de Chauliac entflohen war. Aus den Rüstungen, die bäuerliche Rebellen in Meaux den von ihnen getöteten Adeligen abgenommen hatten, wählten sie die besten Stücke aus. Sie schnallten ihm eine metallene Brustplatte und in Schuppen gearbeitete Beinschützer um; während Kate die Riemen um die Waden ihres Mannes festzog und die Falten seines Hemdes zurechtzupfte, dachte Alejandro bei sich, welche Ironie es war, daß sie, für diese Art Tätigkeit geboren, sie nach so vielen Umwegen nun endlich ausübte.

»Ich habe keinen Helm«, sagte er, als sie fertig waren.

»Das macht nichts«, zerstreute Kate seine Bedenken. »Keiner wird dich für etwas Geringeres als einen Prinzen halten.«

Er lächelte und sagte: »Da eine Prinzessin es sagt, ist es sicher wahr.«

»Ich werde dir immer die Wahrheit sagen, mein Gatte!« Geschwind küßte sie ihn auf die Wange. Er drückte seine Lippen auf ihre Stirn und schwor ihr flüsternd ewige Liebe. Alejandro wandte sich ab, damit sie seinen Kummer nicht sahen.

Karle verließ das Langhaus und bestieg das Pferd, das für ihn gebracht worden war, ein großer, kräftiger schwarzer Hengst mit lebhaftem Gang und feurigen Augen. Auch das Tier hatte man geschmückt: Rote und blaue Stoffstreifen waren in seine Mähne geflochten; Rücken und Flanken bedeckte eine cremefarbene Decke mit Bogenkanten, bestickt mit einer goldenen Lilie in einer tiefblauen Raute. Karle wirkte nicht wie der roi des Jacques, sondern eher wie ein Prinz, und bei seinem Erscheinen jubelten seine Leutnants: »Vive Karle! Vivent les Jacques!«

Zu Pferde sitzend, hielt Karle eine leidenschaftliche Rede an jene, die er zu seinen Unterführern ernannt hatte. Sie war weit entfernt von jenen Aufrufen an Straßenecken, mit denen er früher in Dörfern und Marktflecken aufgetreten war. Doch sie hatten den Grundstein für das Werk gelegt, das jetzt in Compiègne zu voller Blüte gelangen sollte. »Wir sind eine Schlacht von der Verwirklichung unserer Träume entfernt«, erhob er seine Stimme. »Eine einzige Schlacht. Und die wird morgen stattfinden. Wir werden uns mit den Kräften von Charles von Navarra vereinigen und gegen den Dauphin kämpfen, wir aus unseren Interessen, Navarra aus seinen. Und obwohl wir vorübergehend Verbündete sind, wird unser Bündnis enden, wenn die Schlacht gewonnen ist. Ich werde Navarra unsere Forderungen präsentieren, uns selbst zu regieren. Und wenn er diesen Forderungen nicht entspricht, dann werden wir für sie kämpfen, notfalls bis zum letzten Mann.«

Nach diesem Schlußsatz herrschte düsteres Schweigen. Karle schaute seine Leute an und sagte: »Mit Gottes Hilfe wird es dazu nicht kommen.«

»Mit Gottes Hilfe«, murmelten alle.

Er führte das Pferd dahin, wo Kate neben Alejandro stand, und reichte ihr die Hand. In strahlender Anbetung ergriff sie seine Hand, und Alejandro hob sie hoch, so daß sie im Sattel vor ihrem Gatten landete. Er schlang einen Arm um ihre Taille und ritt hinaus auf die Wiese. Seine Leutnants folgten ihm auf den Fersen. Sie umrundeten das Übungsfeld unter Jubel und Hochrufen der buntgescheckten Armee, die dort versammelt war, winkten und lächelten; alle, die sie sahen, rissen die Arme hoch und schwangen die Fäuste, Schwerter, Knüppel, Speere oder andere primitive Waffen, die gerade zur Hand waren. Danach ritten Karle und Kate zum Langhaus zurück, und Karle gab seine letzten Anweisungen.

»Wenn ich heute abend nicht wieder da bin, dann zieht morgen früh in der Formation aus, die wir vereinbart haben. Denn wenn ich nicht heil zurückkomme, werdet ihr wissen, daß wir gegen Navarra kämpfen müssen, nicht gegen den Dauphin. Tut alles, was nötig ist, um ihn aus der Deckung zu locken, und wenn seine Truppen exponiert sind, greift an!«

Kate erhielt noch einen Kuß, dann setzte er sie neben Alejandro ab. Er beugte sich nieder und sagte: »Einmal habt Ihr Eure Tochter in meine Obhut gegeben, damit ich sie vor allem Leid bewahre. Ich habe mich der Aufgabe würdig erwiesen. Jetzt bitte ich Euch, Arzt, sorgt dafür, daß meiner Frau nichts zustößt.«

Alejandro erwiderte seinen Blick und nickte. Karle wendete sein Pferd und ritt davon.

Von seinem Ausguck auf der Mauer des Châteaux aus beobachtete Charles von Navarra, wie die winzige Staubwolke auf der Straße nach Westen allmählich größer wurde. Er hatte recht ungeduldig auf diesen Reiter gewartet, und er brannte vor Neugier auf den Bericht des Mannes. Wenn Guillaume Karle seiner Aufforderung Folge leistete, würde er vor Mittag eintreffen. Navarra schätzte nach dem Stand der Sonne, daß es bald so weit wäre. Er war versucht, ihm einen Stallknecht mit einem frischeren Pferd entgegenzuschicken, entschied sich dann aber dagegen.

Alles zu seiner Zeit, sagte er sich. Die Einzelteile setzten sich nach und nach zu einem Ganzen zusammen. Geduld war vonnöten.

Wie er das Warten haßte! Was würde sein Spion ihm wohl berichten? Er starrte auf die Staubwolke, als könne sein Wille sie zwingen, sich schneller zu bewegen; aber sie behielt ihr gleichmäßiges Tempo bei, ein Tempo, das am Boden schnell wirkte, aber aus luftiger Höhe, wie der Himmel es sehen mochte, eher dem Tempo einer Schnecke glich. Würden die Truppen des Dauphins, wie man munkelte, seinen eigenen an Zahl weit unterlegen sein? Dann hätte er das Bündnis mit Karle nicht nötig. Oder hatten die Anhänger des Dauphins so viele Kräfte gesammelt, daß man sie ernst nehmen mußte?

Der Reiter würde es wissen. Er brauchte nur zu warten.