KAPITEL 27

Das aufgegebene Langhaus aus Stein mit dem Strohdach war ein schlichter Bau und von seinen früheren Bewohnern vermutlich längst vergessen. Es lag ziemlich entfernt von der Straße und verbarg sich daher den ersten Blicken; aber für praktische Zwecke eignete es sich. Das Dach war heil, sah wetterfest aus, und auch sonst war alles vorhanden, was sie für das Hauptquartier eines in Vorbereitung befindlichen Aufstands brauchten. Im Inneren des Hauses gab es keine verwesenden Leichen, in der näheren Umgebung keine frischen Gräber; so nahmen Karle und Alejandro an, daß die früheren Bewohner entweder schlechte Ernten hatten und fortgegangen waren, oder daß ein zorniger Adelsherr sie von seinem Grund und Boden vertrieb. Es gab genug Platz für die drei Reisenden und ihre zwei Pferde; die Steinmauern waren solide und würden keine Pfeile durchlassen, falls die Revolution bis zu ihnen vordränge.

In der Nähe floß ein Bach, dessen Wasser für die Pferde klar genug war, und die früheren Bewohner hatten Zisternen hinterlassen, in denen sich der Regen sammeln würde. Wenn es nicht regnete, konnten sie das Wasser aus dem Bach in diese Zisternen leiten, und zum Kochen und Trinken verwenden. Nicht weit entfernt gab es eine Wiese für die Pferde zum Grasen und sich bewegen und wo die Bauern, die sie sammeln wollten, vielleicht doch irgendwie von einfachen Landleuten in tüchtige Krieger für die Sache der Freiheit verwandelt werden konnten. Kleinwild gab es nicht reichlicher als in anderen Gegenden, aber genug, um sie nicht verhungern zu lassen.

Kate und Alejandro waren geübt darin, sich in einer neuen Heimstatt einzurichten, denn sie hatten das auf ihrer zehnjährigen Wanderung oft getan und waren darauf eingestellt. Karle erfüllte, was man ihm auftrug, denn ihm zuliebe hatten sie diese Unterkunft gewählt und richteten sich nun häuslich ein. Sosehr er sich auch Mühe gab, Alejandro konnte seine Tochter nicht überreden, Guillaume Karle aufzugeben – obwohl sie mit Sicherheit in Gefahr geraten würden, wenn sie bei ihm blieben. Aber Kate ließ nicht mit sich handeln.

Wie gewohnt, sorgten sie zuerst für Sauberkeit und beseitigten allen Schmutz, den ihre Vorgänger hinterlassen hatten. Der Vater schnitt für die Tochter einen geraden Ast, sie selbst sammelte etwas Stroh, mit einem Lederriemen banden sie das Stroh an den Ast und verfertigten so einen einfachen Besen. Unverzüglich nahm Kate ihn an sich, denn Fegen war natürlich Frauenarbeit, während Männer sich um die Dinge kümmerten, die größere Körperkräfte erforderten.

Außerdem, hatte sie ihm viele Male gesagt, könnt Ihr es einfach nicht so gut wie eine Frau.

Alejandro ließ seine eigenen Aufgaben einen Moment ruhen und sah zu, wie sie den Lehmboden kehrte und ihn von Ungeziefer befreite; als um sie herum Staub aufwirbelte, verlor er sich in seinen Erinnerungen und sah …

das kleine Kind, das tapfer den Besen schwang, der in Mutter Sarahs Hütte zurückgeblieben war, den Spinnweben zu Leibe rückte und dann, als es mit dem feinen, aber schädlichen Gespinst fertig war, mit seinen schmutzigen Händchen die eigenen Tränen wegzuwischen versuchte … ein kleines Mädchen, das Stroh aufschüttete und Arme voll Brennholz hereintrug … das eilig seine Pflichten erfüllte, während er bebte und zitterte und schließlich, von der Pest gefällt, auf das Strohlager sank – ob er sich davon wieder erheben würde oder nicht, hing gänzlich von dem Kind und der Stärke seines jungen Willens ab.

Sie hatte damals getan, was nötig war, und sie tat es heute. Irgendwie gelang es Guillaume Karle, sich in ihren geübten Rhythmus einzufügen, als sei er immer da gewesen, und schließlich Alejandros Aufgaben zu übernehmen wie ein junger Kämpfer mit samtigem Geweih, der den alternden Platzhirsch verdrängte. Kate verbannte den Schmutz, den Staub und die Spinnweben aus der Hütte, und der junge Christ trug das Feuerholz herein, das ihre Nächte erhellen, ihr Essen wärmen und ihr Wasser kochen würde. Nachdem Karle mit dem Sammeln von Reisig fertig war, schnitt er große Mengen frisches Gras für ihre Betten und trug es in riesigen Ballen in das Lagerhaus. In einer Ecke stapelte er es zu einem großen Haufen.

Als er ihn hoch genug fand, sagte er: »Wohin soll es gelegt werden?«

Alle hielten inne in dem, was sie gerade taten. Kate und Karle sahen Alejandro an, und Alejandro schaute zwischen ihnen hin und her. Die unausgesprochene Frage hing in der Luft und wartete auf Antwort, während im Westen glühend die Sonne unterging.

Endlich raffte Kate sich auf: »Père, ich muß ein Wort mit Euch sprechen.« Sie sah Karle kurz an, dieser nickte und ging hinaus ins Freie.

Als sie allein waren, legte die Tochter sanft eine Hand auf den Arm ihres Vaters. »Er ist ein guter Mann, Père. Ihr konntet nicht wissen, was für einen geeigneten Beschützer Ihr gewählt habt.«

Alejandro streichelte ihr Haar und lächelte ein wenig traurig.

»Ich glaube, nicht ich habe gewählt, Tochter, sondern eher die Vorsehung.«

»Dann versteht Ihr hoffentlich, daß ich diesen Mann vor Gott zu meinem Ehemann nehmen will.«

»Will er dich denn auch zur Frau?«

»Das müßt Ihr ihn selbst fragen.«

Er wollte seine Hand nicht von ihrem Haar nehmen; es fühlte sich sauber, kühl und wunderbar vertraut an – wie immer, seit er ihr beigebracht hatte, es zu bürsten.

»Muß ich?« fragte er leise.

»Aye, Père. Ihr müßt!«

Da wurde ihm eine unangenehme Wahrheit klar. Vor ihm stand eine voll ausgewachsene Frau und nicht das Kind, das er aus England mitgenommen hatte. Der Gedanke bedrückte und verwirrte ihn, aber er begriff, was er zu tun hatte.

Er nahm seine Hand weg. »Karle«, erhob er seine Stimme.

Der Gerufene erschien in der Tür. Er blickte rasch zu Kate, die kurz lächelte und dann die Augen niederschlug.

Die beiden Männer sahen einander einen Moment schweigend an. Dann sagte Alejandro: »Meine Tochter sagt, daß Ihr mit mir sprechen möchtet.«

Als de Chauliac sich in dem leeren Raum umschaute, ließ nichts als ein sauber gefalteter Stapel höfischer Kleidung erkennen, daß hier vor kurzem ein Mensch gewohnt hatte. Er hinterläßt nirgends Spuren, zumindest keine sichtbaren. Keine Überbleibsel, kein Topf mit körperlichen Ausscheidungen, der hätte geleert werden müssen. Er war mit wenig gekommen und nur mit einem ordentlichen Anzug gegangen: Nichts von ihm war geblieben als der eine Gegenstand, den ihm der Wachmann bei seiner Flucht hatte entreißen können, sowie sein kleines Vermögen in Gold.

Aber das war verständlich; während seiner Wanderjahre hatte er die Gewohnheiten eines Vagabunden angenommen. Und das war klug von ihm, dachte de Chauliac, denn ein Jude wußte niemals, wann er gezwungen sein würde, einen Ort zu verlassen. Er tat gut daran, immer darauf vorbereitet zu sein.

Doch hatte er auch seinen Geist mitnehmen müssen? Hätte er nicht wenigstens eine schwache Spur des wunderbar wißbegierigen Charakters hinterlassen können, der so unwiderstehlich und verführerisch war? De Chauliac hatte die Handschrift, und darin waren freilich Spuren des Mannes zurückgeblieben. Doch jetzt konnte er sie nur noch mit Flamel teilen. Und Flamel würde nicht erfreut sein über die unvollendete Übersetzung.

Eine Stunde zu Pferde nördlich von Compiègne fanden sie einen Priester, einen alten, betrunkenen und übelriechenden Ordensbruder, der sich kaum an die Worte der Zeremonie erinnerte, die er vornehmen sollte. Kate trug einen Kranz spätsommerlicher Blumen in ihrem goldenen Haar, und Karle hatte seine Kleidung für diesen Anlaß sauber ausgebürstet und seine bernsteinfarbenen Locken mit einer Schnur zurückgebunden, die von Alejandro stammte. Ehrfürchtig standen sie vor dem zerlumpten Kirchenmann und versprachen, einander treu zu sein, bis daß der Tod sie scheide.

Dann kehrten sie in ihr neues Zuhause zurück, und Alejandro kam seiner Pflicht nach, die Strohlager neu zu ordnen. Ein unglücklicher Fasan, den sie auf dem Rückweg von der kleinen Kirche erlegt hatten, diente als Hochzeitsmahl, und dazu aßen sie Äpfel von einem Baum auf der anderen Seite der Wiese.

Als die Sonne sich zum Untergehen anschickte, sagte Alejandro:

»Wenn wir in Spanien wären und Eure Hochzeit richtig feiern würden, dann würdet Ihr jetzt die Brautgeschenke Eurer Freunde und Verwandten erhalten. Ihr bekämt von all Euren Großeltern ein Federbett, von Euren Eltern Kerzen und von Euren Nachbarn Stoff und Rührbesen und Wachs. Lauter nützliche Dinge, große und kleine, für den Beginn eines gemeinsamen Lebens!« Er seufzte.

»Aber ich bin der einzige Anverwandte und Gratulant, und ich kann Euch nichts von diesen notwendigen Gegenständen beschaffen. Deswegen werde ich Euch geben, was ich habe.«

Er zog den Ring mit dem Smaragd und der Perle vom Finger, den die Gräfin Elizabeth ihm geschenkt hatte, und reichte ihn Kate.

»Steck ihn an deinen Ringfinger, damit du stolz deinen Ehestand anzeigst. Du bist jetzt seine Gattin und wirst ihm eine gute Ehefrau sein, das weiß ich.«

Sie nahm den Ring und gab ihn Karle, der ihn ihr an den Finger steckte. Strahlend streckte sie die Arme aus und umarmte Alejandro. Dieser wandte sich an Karle und sagte: »Ich besitze nichts, das Ihr in Händen halten könntet, Karle; aber Ihr bekommt etwas von mir, das nur sehr wenigen Männern zuteil wurde, etwas, von dem ich hoffe, daß Ihr es in Euer Herz aufnehmt. Ich widme Euch meinen uneingeschränkten Respekt. Wir sind jetzt eine Familie. Ihr seid ein Mann von Ehre, und ich denke, meine Tochter hat eine gute Wahl getroffen.«

Dann konnte er nicht weitersprechen, weil er sonst am Freudentag seiner Kate Tränen vergossen hätte. Er wünschte ihnen schlicht gute Nacht und ließ sie im Hauptraum des Langhauses allein. Er ging in den Stall, und als er die Leiter zum Heuboden erklomm, fand er, es sei doch nicht so schmerzlich, eine Tochter wie Kate zu verlieren, wenn man dabei einen Sohn wie Karle gewann.

Nachdem er Marcels letzte Nachricht gelesen und festgestellt hatte, daß sie seinen eigenen Ansichten nicht zuwiderlief, las Charles von Navarra sie dem Baron de Coucy laut vor.

»Heute ist Karle abgereist, wieder begleitet von diesem geheimnisvollen Mädchen. Sie scheint großen Einfluß auf sein Denken zu haben.« Navarra blickte von dem Blatt auf und lächelte de Coucy an. »Das ist der Lauf der Welt, daß wir uns den Frauen unterwerfen. Hoffen wir, daß ihr Einfluß ihn eher zurückhält als entfesselt.«

Er wandte sich wieder dem Brief zu. »Sie haben die Absicht, nach Norden in die Gegend von Compiègne zu reiten und mit dem Sammeln einer Armee zu beginnen, obwohl ich dieses Wort nur im weitesten Sinne gebrauche. Wie viele Männer er zusammenbringen wird, vermochte er nicht zu schätzen, sowenig wie ich – aber es könnte eine beträchtliche Zahl werden. Diese Unglücklichen haben kaum anderes zu tun, und wenn man ihnen Nahrung und Waffen in Aussicht stellt, glaube ich, daß viele kommen werden.«

Coucy unterbrach ihn. »Wie kann man solche Dinge versprechen? Karle hat nicht die Mittel, sie zu erwerben.«

»Manche von ihnen haben eigene Waffen. Aber es können nicht allzu viele sein.«

»Und was ist mit Pferden?«

»Die, die sie nicht aufgegessen haben, sind mager und wertlos.«

Coucy schnaubte verächtlich, und Navarra las weiter: »Zwar mögen viele Faktoren gegen ihn sprechen, doch ich habe diesen Guillaume Karle kennengelernt. Er besitzt das, was den Jacques seit Beginn ihrer Rebellion gefehlt hat: die Fähigkeit, sie zu führen. Seine Intelligenz macht ihn zu einer mitreißenden Person, dessen Herz für den Sieg über jene brennt, die er für die gottlosen Unterdrücker seiner Landsleute hält. Er hat das allergefährlichste Motiv, das zu tun, was er tut: den Glauben an die moralische Pflicht seines Handelns. Macht Euch keine Illusionen, viele werden ihm folgen. Einige werden aus Überzeugung handeln wie er; andere werden mitgehen, weil sie außer ihrer elenden Haut nichts mehr zu verlieren haben. Wieder andere werden mitmachen, weil sie eine Belohnung erwarten: Sie wollen die Vermögen und Ländereien der Adeligen stehlen, die sie niedermetzeln.«

Coucy sagte: »Auf dem Schlachtfeld wird es keine Rolle spielen, welche Gründe sie haben. Wenn sie einmal dort sind, werden sie kämpfen.«

Navarra legte das Pergament nieder. »Vielleicht sollten wir mit Karle zu reden versuchen, bevor wir uns gegen den Dauphin verbünden. Wir müssen uns vielleicht doch eingehender verständigen.«

Coucy kicherte. »Eingehender verständigen darüber, ob er seinen Kopf behalten wird?«

»Unter anderem«, deutete Navarra an. Er gab das Pergament einem Pagen und nickte in Richtung des Feuers.

Schon nach wenigen Tagen Aufenthalt war das Langhaus zu einer brauchbaren Wohnstätte geworden und begann, sich wie ein Zuhause anzufühlen. Die junge Frau, die nun das Bett mit ihrem galanten Ehemann teilte, strahlte vor Glück, wenn auch der Gedanke an das, was vor ihnen lag, nie fern war. Der Mann, der sie zur Frau genommen hatte, paradierte stolz wie ein Löwe einher und machte sich so nützlich, wie es bei der Tüchtigkeit seiner Braut eben möglich war.

Der frischgebackene Schwiegervater hütete seine Zunge, wenn es angebracht war, und ließ ihr freien Lauf, wenn er nicht anders konnte. Doch alles in allem kamen sie miteinander aus. Mit harter Arbeit und Geschick war es ihnen gelungen, ein paar rohe Bänke und einen Tisch aus Bohlen zu zimmern; und obwohl das frisch geschlagene Holz noch grün und feucht war und Karles unerfahrene Hände erkennen ließ, brach die Bank nicht zusammen, wenn Alejandro sich setzte, und der Tisch wackelte kaum. Er konnte in relativem Frieden essen und denken, was er als Segen betrachtete.

Wenn sie bei der Abendmahlzeit zusammensaßen, gewöhnten sie sich an, ihre Vorbereitungen Revue passieren zu lassen und beim Licht einer Fackel die Liste der Dinge, die sie brauchen würden, so oft durchzulesen und zu überarbeiten, daß sie sie schließlich alle drei auswendig konnten. Werkzeuge, Waffen, Öl und Fett jeder Art, Leder, einfachste Rüstungen, vor allem solche, die man den in der letzten Schlacht erschlagenen Adeligen abgenommen hatte. Pferde, zusätzliches Schuhwerk, Korn, getrocknete Bohnen, alles, was man tragen konnte und was ihre Aussichten auf einen Sieg verbesserte.

»Wir müssen unsere Rekruten bitten, von diesen Dingen mitzubringen, was sie können«, begann Karle, »und sie überreden, alles zusammenzulegen.«

»Ein Mann mit zwei Taschen voller Bohnen wird sie nicht für die allgemeine Sache hergeben«, gab Kate zu bedenken.

»Aber er rückt vielleicht eine heraus«, sagte Karle, »und das wird eine Hilfe sein. Wir müssen auch die Mithilfe von Männern mit besonderen Fertigkeiten suchen: Pferdeknechte, Zimmerleute, Schmiede …«

»Wenn solche Handwerker nicht schon von Navarra zum Dienst gepreßt wurden.«

»Wir werden sie finden«, Karle war unverzagt, »das versichere ich dir. Sie sind da draußen. Und sie warten nur auf die Gelegenheit, in den Kampf zu ziehen.«

Seine Vorhersage traf zu: Sie warteten. Als sich Karles Ankunft in der Region herumsprach, kamen Männer aus allen Himmelsrichtungen, und das Langhaus wurde zum Mittelpunkt einer kleinen Stadt aus angehenden Kriegern. Karle nahm seinen natürlichen Platz als ihr Anführer ein, als Roides-Jacques, wie Navarra so schlau vorhergesagt hatte. Und er, der einst nichts als Zahlen gekannt hatte, tat das, als sei er dafür geboren. Seine Fähigkeiten, einen Krieg zu organisieren und die versammelten Unzufriedenen zur Mitwirkung anzufeuern, schienen grenzenlos.

Zimmerleute wurden angewiesen, vorerst Bogen anzufertigen; denjenigen, die sonst nichts zu tun hatten, brachte man bei, die Rinde von einem langen, geraden Ast zu schälen und die Stellen zu glätten, wo man kleinere Äste abgeschnitten hatte, dann einen geschärften Stein auf die Spitze zu stecken und das andere Ende mit Federn zu versehen, um den Pfeil auszubalancieren. Abgerissene Zweige mit Blättern wurden für die Dächer der Hütten verwendet, die an den Wiesenrändern entstanden. Auf Alejandros Beharren wurden Latrinen gegraben und ein gewisses Maß an Sauberkeit aufrechterhalten.

Wenn man Vögel gefangen hatte, die als Nahrung dienten, nützten ihre Federn der Pfeilherstellung. Man sah alle Arten von Därmen kleiner Waldtiere zum Trocknen aufgehängt, die dann zu Sehnen für die Bogen verarbeitet wurden. Man schabte die Felle, trocknete sie zu schützenden Schulterpolstern für diejenigen, die zu Bogenschützen ausgebildet wurden. Holzfäller trugen ihre Äxte tief in die Wälder und kamen mit Ladungen langer, gerader Schößlinge zurück, jungen Bäumen, deren biegsame Stämme man in Speere verwandelte.

Schmiede schärften die Steine, die als Pfeilspitzen benötigt wurden, und wenn Metall verfügbar war, so verarbeiteten sie es im Schweiße ihres Angesichts auf geschickte Weise zu scharfen Speerspitzen. Schließlich mußte Alejandro seine Pferde aus dem Stall des Langhauses nehmen, um Raum für das wachsende Lager grober, aber brauchbarer Waffen zu schaffen, die vor dem Wetter geschützt werden mußten – bis die Schlacht begann. Er band jedem Pferd einen Streifen Tuch um eine Fessel, um es als sein Eigentum zu kennzeichnen, und schickte alle auf die Weide zu den anderen mageren Gäulen, die einige der angehenden Krieger mitgebracht hatten. Dort konnten sie grasen und wurden von geübten Stallknechten, die nicht länger dem Adel dienen wollten, gepflegt und vorbereitet.

An der Decke des Langhauses hingen Kräuter und Gewürze sowie Blätter mit heilender Wirkung. Tag und Nacht kochten Töpfe mit Tränken, die zur Behandlung von Verwundeten gebraucht würden. Einige der Freiwilligen brachten ihre Frauen und Kinder mit, und die, die man nicht nach Hause schicken konnte, erhielten Anweisung, Fasern zu sammeln und zu spinnen, so daß Fäden entstanden; daraus sollten sie, wenn Zeit war, Verbände weben. Baumwolle war freilich nicht zu bekommen, also mußte wilder Flachs herhalten; die Bandagen, die man daraus machte, waren steif und kratzig, doch man konnte sie mit Wasser oder Öl geschmeidig machen.

In einem verschlossenen Behälter am Herd, nie so nahe, daß er hätte Feuer fangen können, aber immer nahe genug, um warm zu bleiben, lag die Hand des Pestkindes, die Kate und Karle ausgegraben hatten, bevor sie nach Paris kamen. Kate prüfte sie gelegentlich, wenn niemand zusah, und beobachtete mit schaudernder Faszination, wie sie immer mehr austrocknete. Das Fleisch schrumpfte zusammen und trocknete zuerst zu Leder, dann zu etwas wie Lehm und schließlich zu gräulichem, fettigem Pulver. Jedesmal, wenn sie den Behälter öffnete, bekreuzigte sich Kate gegen irgendeinen unbekannten Dämon, der sich vielleicht zornig daraus erheben könnte. Und jedesmal sollte Alejandro hineinschauen, um zu beurteilen, wann der Inhalt reif war. Er nickte dann grimmig und schüttelte das Ganze, um zu sehen, wieviel mehr Fleisch von Tag zu Tag verfiel. Endlich, als nur noch Pulver und sehnige Knochen übrig waren, nahm Alejandro die Knochen heraus, trug sie in den Wald, hob ein Loch aus und begrub sie unter einem Steinhaufen.

Als endlich alle Waffen fertig, die Pferde etwas kräftiger und gepflegter und alle verfügbaren Vorräte gesammelt waren, begann die Ausbildung. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ritt Karle Tag für Tag auf seinem Pferd über das Gelände und sah zu, wie seine Leutnants, nach Geschicklichkeit und Tapferkeit ausgewählt, die ungeschliffenen Rekruten in den Kriegskünsten unterwiesen. Bauern stießen, parierten und rollten sich weg, standen wieder auf, Schossen Pfeile auf Zielscheiben und schleuderten aus großer Entfernung Speere auf Krähen. Sie formierten sich und marschierten vorwärts, die hölzernen Schwerter tapfer gen Himmel gereckt, unterteilten sich dann in kleinere Truppen, fielen zurück, versammelten sich zu neuen Angriffen. Sie stießen vor und zogen sich zurück, stießen dann ein wenig weiter vor und zogen sich kürzer zurück, gingen erneut zur Attacke. So wurden sie zu einer Armee.

Die Leutnants trafen sich bei Nacht im Langhaus und wurden von den Frauen mit mageren Eintöpfen und Suppen versorgt, während sie darüber diskutierten, was noch zu üben war. Es ging jetzt um einfachere Lektionen, denn die Arbeit war gründlich und erschöpfend gewesen. Sie durften die Waffe von jemandem, der gefallen war, nie achtlos liegen lassen. Eine liegende Waffe war eine freie Waffe. Aber es war keine Schande, sich zurückzuziehen, wenn man dadurch Vorteile für einen späteren Angriff gewinnen konnte. Sie mußten so oft wie möglich Wasser trinken, denn das Kriegshandwerk ließ einen Mann schnell austrocknen. Diese und andere Weisheiten waren die letzten, die man der Grande Armee des Jacques noch mitgeben konnte. Dieses Heer hatte mit einem Mann begonnen, war auf Hunderte angewachsen und umfaßte zuletzt Tausende.

»Und jetzt ist es Zeit für eine Botschaft«, verkündete Guillaume Karle bei einem ihrer Nachtessen. »Wir müssen Charles von Navarra mitteilen, daß wir bereit sind.«