ACHTZEHN

 

Die Nachricht, dass Tiama das Schloss für sich beansprucht hatte, verbreitete sich schnell, und wie in jeder Gemeinschaft, die sich mit einer solchen Bedrohung konfrontiert sah, schossen überall Versammlungen aus dem Boden, in denen besprochen wurde, was zu tun war. In Dutzenden von spontanen Treffen wurde lebhaft diskutiert, wurden Ängste mitgeteilt und Schlachtpläne debattiert. Die Debatten bestanden in wenig mehr als einem gegenseitigen Anbrüllen. Die Versammlungen produzierten kaum mehr als stille Furcht und einen gar nicht so stillen Schrecken. Böse Vorahnungen füllten das Schloss von der Spitze des höchsten Turms bis in die Tiefen seiner schwärzesten Katakomben. Und sogar bis hin in die schattige Ecke von Nessys Zimmer. Sir Thedeus hatte sich auf ihrer Pritsche niedergelassen und kämpfte darum, Ordnung in das Chaos von Dutzenden brüllender Stimmen zu bekommen.

»Wir sind verloren!«, rief eine Wolke.

»Verloren«, stimmte eine Spinne an der Wand zu.

»Oh, es ist schrecklich!«, heulte eine Ratte. »Ich habe euch doch gesagt, dass das passieren werde!«

»Beruhigt euch, Leute!«, versuchte Sir Thedeus sie zu übertönen.

Eine Flickenpuppe mit blauen Haaren aus Garn schnappte nach Luft und fiel in Ohnmacht.

»Ist alles in Ordnung mit ihr?«, fragte der Krötenprinz.

»Wen interessiert das? Wir werden sowieso alle in Nacktschnecken verwandelt!«, gab die Ratte zurück.

Nichtsdestoweniger hüpfte der Kröterich an ihre Seite. »Geht es dir gut?«

Die Puppe wischte sich die Knopfaugen. »Es ist nur alles viel zu viel für mich. Ich bin schließlich nicht dafür gemacht, ein Leben wie dieses zu führen.«

»Ich stelle fest, Ihr seid ohne Zweifel eine Dame von feiner Herkunft«, stimmte der Kröterich zu. Und dann rülpste er so laut, dass die ganze Versammlung zusammenzuckte. Alle Diskussionen verstummten.

Der Krötenprinz verzog das Gesicht. »Entschuldigt bitte. Mein Magen macht mir in letzter Zeit Probleme.«

»Du wirst schon sehen, wie es deinem Magen geht, wenn du erst einmal eine Nacktschnecke bist!«, kreischte die Ratte.

Wieder erhob sich Geschrei und Gezeter.

»Ich habe gehört, die Zauberin plane, uns alle an ihre Zombiearmee zu verfüttern«, »rief die Wolke.

»Ich wusste gar nicht, dass sie eine Zombiearmee hat«, sagte ein Schatten, der an der Wand flimmerte.

»Sie haben immer Zombiearmeen.«

»Was für ein Haufen Blödsinn«, sagte die Ratte. »Sie wird uns nicht an Zombies verfüttern. Sie wird uns in Nacktschnecken verwandeln. Denkt an meine Worte!«

»Ich habe gehört, sie würde uns an einen Drachen verfüttern«, sagte der Schatten.

»Mir hat jemand erzählt, es sei ein Seeungeheuer«, sagte die Maus.

»Das letzte Gerücht, das ich aufgeschnappt habe, sprach von einem Titanen, den sie in ihrem Keller hält, und dass sie uns alle in einen riesigen Topf werfen und Suppe aus uns kochen will - für ihn.«

»Ich habe von einer Riesen-Nacktschnecke gehört«, sagte die Ratte.

»Du bist ja ziemlich besessen von dieser Nacktschneckensache, alter Junge«, sagte die Spinne.

Die Ratte starrte sie finster an.

Während alle anderen spekulierten, was ihr schreckliches Schicksal wohl sein würde (wobei es vor allem darum ging, von welcher Art von Monster sie gefressen werden würden und wie die Mahlzeit zubereitet werden sollte), saß Sir Thedeus auf dem Bett und hatte sein Streben nach Ordnung aufgegeben.

»Es nützt nichts, Echo. Kein einziger von diesen Schwachköpfen wird uns irgendeine Hilfe sein.«

Echo antwortete nicht sofort, und einen Augenblick lang dachte er schon, sie wäre gegangen.

»Wir müssen doch etwas tun können«, sagte sie schließlich. »Was ist mit diesem magischen Schwert? Es hat doch einen Höllenhund getötet, oder nicht?«

»Aye, aber der Hund war nur ‘n Tier. Ich seh mich nicht in den paar Minuten, die mir das Schwert lässt, Tiama umbringen. Und wir müssten einen ganzen Tag warten, bis es sich wieder aufgeladen hat, bevor wir es überhaupt versuchen können.«

»Wenn man ohne magische Schwerter zu benutzen einen Zauberer umbringen will, ist das Überraschungsmoment ganz entscheidend«, sagte das Monster unter dem Bett. »Die meisten Zauberer sind schließlich trotzdem sterblich. Wenn man ihnen ein Messer in den Rücken sticht, sterben sie wie alle anderen auch.«

»Ich glaub aber nicht, dass man diese Hexe überraschen kann«, sagte Sir Thedeus. »Und ich bin mir auch überhaupt nicht sicher, dass sie sterblich ist. Selbst wenn sie’s wäre: Wie sollen wir was umbringen, das wir nicht mal berühren können?«

»Ihr könntet etwas nach ihr werfen. Einen großen, spitzen Stein zum Beispiel.«

»Kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert.«

Das Monster zuckte die Achseln und rempelte die Pritsche dabei an. »Es ist aber einen Versuch wert, oder nicht? Falls es sie wirklich umbringt, wird sie natürlich aus dem Grab auferstehen. Zauberer haben diese lästige Angewohnheit. Aber wir könnten damit ein bisschen Zeit gewinnen, bis uns etwas Besseres einfällt.«

»Keiner von uns wäre in der Lage, einen schweren Stein so weit zu werfen«, wandte Echo ein.

Sir Thedeus maß seine dünnen Arme und blickte finster drein. Aber zumindest besaß er überhaupt Arme, was die arme Echo nicht von sich sagen konnte.

»Ihr könntet ihn auf eine Tür legen«, schlug das Monster vor. »Dann öffnet sie sie, und mit etwas Glück schlägt er ihr den Schädel ein. Das müsste sie mindestens für einen oder zwei Tage außer Gefecht setzen.«

»Auf eine Tür legen?« Sir Thedeus rümpfte die Nase. »Man kann eine mächtige Hexe nicht mit einem Dummejungenstreich umbringen. Dann können wir ja auch gleich warten, bis sie schläft, und ihre Hand in eine Schüssel warmes Wasser hängen. Oder ihr Bett kürzer machen.«

Das Monster unter dem Bett kroch tiefer in die Dunkelheit. »Ich sammle ja nur Ideen. Von dir höre ich schließlich auch nichts Besseres.«

Sir Thedeus seufzte. So ungern er es auch zugab: Der Plan war der beste, den er bisher gehört hatte.

»Ich glaube nicht, dass mir Nessy jemals wieder vorlesen wird«, jammerte das Monster.

»Wenn wir sie nur von Tiama weglocken könnten«, sagte Echo. »Nessy denkt sich immer all die Pläne aus. Sie wüsste jetzt, was zu tun ist.«

»Aye, sie ist ein schlaues Mädchen, aber wir können uns auch nicht ewig auf sie verlassen.« Sir Thedeus warf der keifenden Versammlung einen finsteren Blick zu. »Wir wollen Helden sein, und nicht ein Einziger von uns hat eine vernünftige Strategie parat. Verdammt nutzlos, wir alle miteinander.«

»Du hast der Felsbrockenidee keine echte, faire Chance gegeben«, sagte das Monster.

»Und ich bin sowieso keine Heldin«, fügte Echo hinzu. »Ich bin Dichterin.«

Sir Thedeus marschierte von einem Ende der Pritsche zum anderen. »Tja, ich schätze, dann kannst du nichts machen außer … nutzlos sein, Mädchen.«

Echo schnappte: »Wenn ich einen Körper hätte, und zwar gleichgültig, was für einen, dann könnte ich sogar sehr nützlich sein!«

»Aye, du könntest ein oder zwei Sonette raushauen, dass die Hexe mit Sicherheit vor Angst schlottern wird. Ich hab noch keine Hexe gesehen, die sich gegen einen Paarreim und eine bemühte Metapher wehren konnte.«

»Nur weil du frustriert bist, hast du noch lange nicht das Recht, auch beleidigend zu werden«, sagte das Monster.

Sir Thedeus knurrte wütend, hielt seine Wut aber im Zaum. Er war nicht böse auf Echo. Ihr Fluch schränkte sie mehr ein als die meisten von ihnen. In Wirklichkeit war er sogar ziemlich angewidert von sich selbst. Als Mensch hatte er sich jeder Herausforderung mit kriegerischem Mut, Schlagkraft und Können gestellt. Als Flughund blieb ihm nur der Mut. Er wusste nicht, wie er ein Problem lösen sollte, das er nicht einfach so lange niederstechen konnte, bis es starb.

»Echo, ich entschuldige mich, wenn ich dich beleidigt hab.«

»Mach dir keine Gedanken. Schließlich ist es für uns alle schwer. Aber meine Metaphern sind nicht bemüht. Außer vielleicht in dem einen Gedicht, wo ich die Liebe mit einem Känguru verglichen habe. Da war ich gerade in meiner Beuteltierperiode. Furchtbares Zeug war das.«

Sir Thedeus breitete die Flügel aus und machte sich fertig, um loszufliegen.

»Wo willst du hin?«, fragte Echo.

»Einen großen, spitzen Stein finden. Kommst du mit, Mädel?« Er flog davon.

»Warte auf mich!« Sie schwebte unsichtbar hinter ihm her.

»Viel Glück«, sagte das Monster unter dem Bett.

Der Rest der Versammlung fuhr mit seiner lebhaften Diskussion fort, und das Monster war versucht, aufzustehen und sich einen ruhigeren Ort zu suchen. Aber es hatte es so bequem unter Nessys Bett… hatte sich dort so gemütlich eingerichtet. Und es wollte nicht, dass sie Schwierigkeiten hatte, ihn zu finden, wenn sie zurückkam, was es hoffte. Es schloss seine drei grauen Augen und zog sich tief in die Dunkelheit zurück, bis das Gezänk der anderen kaum noch mehr als ein entferntes Störgeräusch war. Es tastete nach seinen Büchern und liebkoste ihre Einbände. So viele davon waren noch ungelesen. Es umklammerte ein dickes, das es gerade erst gefunden hatte und von dem es sicher war, dass es wunderbar unterhaltsam sein würde, auch wenn es den Einband noch nicht gesehen hatte.

Währenddessen tobte neben der Pritsche im Fackelschein die Debatte. Nur der Krötenprinz und die Flickenpuppe beteiligten sich nicht daran, sondern hatten sich aus der Gruppe davongestohlen, um sich zu unterhalten.

»Fühlt Ihr Euch besser?«, fragte er.

»Ja, danke.« Scheu wandte sie den Blick ab - und es war sehr schwierig, scheu zu wirken, wenn man Augen aus Knöpfen besaß. »Und wie geht es Euch, Sir? Macht Euer Magen Euch immer noch Probleme?«

Der Kröterich runzelte die Stirn. »Es ist unangemessen, solche Dinge zu diskutieren, M’lady.«

»Unsinn. Es ist eindeutig, dass Ihr ein Mann von Stand seid, und Euer Unwohlsein ist auch mein Unwohlsein.«

»Dann bin ich zweifellos der glücklichste Krötenprinz in diesem und jedem anderen fluchbelegten Schloss.«

Die Puppe strahlte. Ihr gestickter Mund verzog sich zu einem Lächeln, so breit es in Anwesenheit einer neuen Bekanntschaft angemessen schien. »Ihr seid ein Prinz?«

Stolz blies der Kröterich die Brust auf. »Erstgeborener Sohn und Thronerbe von Neria By The Sea. Und Ihr, M’lady?«

Sie knickste. »Die Prinzessin von Ario Of The Shire.«

»Die Prinzessin von Ario?« Er hopste zweimal vor Freude, dann fing er sich wieder. »Das ist ja eine wunderbare Nachricht. Ich wurde geschickt, um Euch zu retten, meine Prinzessin.« Er hob seine Schwimmhäute. »Leider ist nicht alles so gelaufen wie geplant. Dennoch habe ich die Hoffnung niemals aufgegeben. Liebe findet immer einen Weg. Aber warum haltet Ihr Euch nicht im Porträt-Saal auf, mit den anderen königlichen Herrschaften?«

»Margle sagte, es sei nicht genug Platz für noch ein Porträt. Also hat er mich zu einer Flickenpuppe gemacht, das fand er wohl irgendwie ironisch, nehme ich an.« Sie fingerte an ihren Garnhaaren herum und wischte sich die Fusseln von ihrem grünen Kleid. »Ich muss furchtbar aussehen. O je, oje.«

Er hüpfte vor und nahm ihre Hand. »Ganz im Gegenteil, Eure innere Schönheit strahlt durch jede Hülle, und mag sich diese noch so bemühen, sie gefangen zu halten.«

Sie giggelte.

»Ich bin derjenige, der beschämt sein sollte«, quakte er.

»Nein, lieber Herr, Ihr seid sicherlich die bestaussehende Krötengestalt, von der gerettet zu werden eine Flickenpuppe von einer Prinzessin je die Ehre hatte.«

Er sah ihr tief in die Knopfaugen. »Da wir gerade davon reden: Ich habe immer gehört, dass ein. Kuss wahrer Liebe Flüche brechen könne.«

»Das habe ich auch gehört.«

Keinem von beiden kam in den Sinn, dass sie sich gerade erst kennengelernt hatten und dass wahre Liebe vielleicht etwas zu viel erwartet war. Denn der Prinz und die Prinzessin waren auf sehr traditionelle Weise erzogen worden und kannten die königliche Etikette der Liebe auf den ersten Blick, die recht deutlich lehrte, wen sie zu lieben hatten - und wie sehr.

»Aber ist es denn schicklich, dass wir uns so früh küssen?«, fragte die Puppe.

»Wenn es unschicklich ist, dann sei es eben so. Ich habe zu lange gesucht, um nicht die Belohnung zu beanspruchen, die mir zusteht. Mit Eurer Erlaubnis, natürlich.«

»Gewährt, mein Prinz.«

Er spitzte seinen breiten Mund und beugte sich vor. Aber bevor sich ihre Lippen treffen konnten, ächzte sein Magen, und er rülpste lang, laut und geruchsintensiv.

»O je.« Er schlug sich die Schwimmhäute vor den Mund.

»Schon gut, ich habe keine Nase.«

Er lächelte. »Ihr seid wahrhaftig eine nachsichtige Seele.« Er zog sich zusammen und stieß noch einmal auf, und diesmal spie er ein bisschen Feuer aus.

»Seid Ihr sicher, dass Ihr Euch wohlfühlt, mein Prinz?«

»Es ist nichts weiter«, ächzte er tapfer. »Nur eine kleine Magenverstimmung. Das wird schon wieder. Das wird…«

Seine Kehle blähte sich auf. Sein Körper verkrampfte. Und geräuschvoll erbrach er ein wenig Galle und ein kleines Glühwürmchen. Das Geräusch war so laut und quälend widerwärtig, dass alle anderen Diskussionen verstummten.

Das Glühwürmchen schüttelte sich die Galle von den Flügeln. Sein Schwanz glühte hellrot auf. Es sah sich im Raum um.

»Hallo, was haben wir denn hier?« In seinen Augen blitzte dämonischer Schalk auf. »Ich beanspruche dieses Schloss und alle fluchbelegten Seelen darin.«

Die Ratte kicherte böse. »Du kommst zu spät. Es wurde schon von jemand anderem beansprucht.«

»Sie wird uns einer Zombielegion verfüttern«, sagte der Schatten.

»Horde«, korrigierte ein Papagei.

Die Dämonin stieg in die Luft. Ihre Flügel schlugen lauter, als eine Antilopenherde in wilder Flucht sein konnte. »Das werden wir noch sehen.«

Der Krötenprinz verkrampfte sich und erbrach sich noch einmal. Nur beließ er es diesmal nicht bei einem Glühwürmchen. Jetzt spuckte er nämlich einen riesigen Schwarm davon aus. Hunderte und Aberhunderte ergossen sich aus seinem Mund. Sie erfüllten die Kammer mit Feuer und kaltem, grausamem Gelächter. Die Kreaturen im Raum stürmten schreiend in alle Richtungen davon, und die Dämonin jagte ihnen nach und hinterließ einen größtenteils leeren Raum. Nur der Kröterich, die Flickenpuppe und das Monster unter dem Bett blieben zurück.

»Ich hasse Dämonen«, sagte das Monster.

»Ihr seid geblieben«, sagte der Krötenprinz. Zu schwach für alles andere, lächelte er.

»Ich werde immer an Eurer Seite bleiben, mein tapferer Prinz.«

»Was den Kuss angeht, meine Prinzessin« - er stieß schmerzhaft auf - »vielleicht wäre es das Beste, wenn wir ihn noch eine Weile aufschieben.«

Mit oder ohne Nase - die Puppe stimmte von Herzen zu.

 

* * *

 

Der Demontierte Dan heulte vor Lachen. Er tat das recht regelmäßig, denn obwohl er sehr verrückt war, war er außerdem auch ein lustiger Kerl. Erstere Eigenschaft hielt allerdings Besucher fern, und Dan musste sich seinen Zeitvertreib selbst suchen. Das war nicht immer leicht für einen Schädel, aber er hatte schon immer hauptsächlich in seiner eigenen Gedankenwelt gelebt. Er lachte aus Gründen, die nur er kannte, über kleine Witze, die nur er hörte und die selbst er nicht immer ganz verstand. Diesen Witz verstand er jedoch sehr gut.

»Es ist Zeit, nicht wahr? Oho, großartig, großartig.«

Mister Bones hatte sich schon lange an Dans Geschwätz gewöhnt, an seine seltsamen kleinen Monologe. Doch diese Plaudereien waren nicht immer so einseitig, wie es schien. Denn Wahnsinn und Magie waren merkwürdige Bettgenossen, und nicht jede Stimme, die der Demontierte Dan hörte, war ein Produkt seines Irrsinns.

Das Schloss redete nämlich unentwegt. Nur Dan besaß genug Wahrnehmungsfähigkeit und war ausreichend geistesgestört, um sein Dröhnen und Ächzen, sein Knarren und Stöhnen zu enträtseln. Selbst für ihn ergab das, was das Schloss sagte, nicht immer Sinn. Hauptsächlich, weil es ein sehr großes Ding mit einer sehr großen Seele und einem sehr komplizierten Geist war. Normalerweise schnappte Dan nur Teile davon auf, die auf dem Weg zu kompletten Gedanken durch die Küche polterten. Es war wie ein Ding in den Schatten, das man nicht sehen konnte - bis auf ein kleines bisschen Farbe hier und da, die sich ins Licht verirrte und ein Puzzle von der Größe eines Ozeans mit nur einer Handvoll Teile zusammenzufügen versuchte. Aber gelegentlich schaffte es das Schloss, seinen kolossalen, polternden Willen zu konzentrieren. Und wenn seine vielen Stimmen und sein Hunger als ein vereintes Verlangen losredeten, verstand Dan.

Er heulte ein weiteres Mal auf. Als er noch gelebt hatte, hatte er oft geheult, bis sein Hals wund gewesen war und ihm die Tränen aus den Augen schossen. Nun hatte er keinen Hals und keine Augen mehr, also musste er sich vorsehen, sonst heulte er nämlich tagelang ohne Pause. Und selbst Dan hätte das ein klein wenig eigentümlich gefunden.

Er richtete seine leeren Augenhöhlen auf das Skelett, das am Tisch saß. »Alter Mister Bones«, flüsterte er. »Mister Bones, Mister Bones, Mister Bones. Kannst du es hören? Kannst du hören, was der alte Dan hört? Natürlich hörst du es. Du bist ein Teil des alten Dan, das bist du. Das kannst du nicht leugnen, was?«

Das Skelett gab sich die größte Mühe, den plappernden Schädel zu ignorieren.

»Hör zu, Mister Bones. Hör gut hin.«

Die Küche klapperte. Töpfe und Pfannen schlugen gegeneinander. Die Fessel um Mister Bones’ Knöchel vibrierte vor unheilvoller Energie. Er stand auf.

»Ja, ja, ja«, gluckste Dan. »Der alte Margle, er war am Ende doch nicht so verrückt. Er hat den alten Dan aus gutem Grund hierhergeholt, siehst du? Du und ich, Mister Bones, wir haben eine Aufgabe zu erfüllen. Nicht die Aufgabe, die Margle vorgesehen hat - er ist nicht mehr unser Meister. Jedenfalls nicht, solange er nicht zurückkommt. Und wenn sich das Schloss durchsetzt, wird er niemals zurückkommen. Die Magie in diesen Wänden hat Besseres vor als langweilige Rache. Heute Nacht können du und ich, Mister Bones, die ganze Welt erdrosseln. Natürlich nicht nur wir. Wir sind eher ein Fingerknöchel an einer riesigen Hand, die sich um die Kehle der Welt legt. Aber es ist trotzdem eine Ehre, dabei sein zu dürfen.« Seine Stimme wurde rau und bedrohlich. »Dabei zu sein und das Todesröcheln der ganzen Schöpfung zu hören.«

Das Skelett setzte sich wieder.

»Oh, du hast deine eigenen Vorstellungen. Das macht die ach so gute Nessy. Sie hat dich verseucht, dich mit ihrer Nettigkeit und Freundlichkeit angesteckt. Macht aber nichts. Sie konnte doch nicht alles auslöschen. Es ist immer noch da drin. Ich fühle es. Wir fühlen es.«

Das Schloss stöhnte zustimmend. Mister Bones’ Kette drehte und wand sich wie eine Schlange. Erneut stand er auf.

»Das ist gut. Oh, der alte Dan wusste doch, dass du mich nicht enttäuschen würdest. Also komm, sonst verpassen wir noch den ganzen Spaß.«

Mister Bones bewegte sich zwar langsam, aber unaufhaltsam auf den Schädel zu. Jeder Schritt war leichter als der vorherige. Seine Haltung änderte sich. Er wurde zu einer schleichenden, zupackenden Kreatur, einem gekrümmten, verschlagenen Monster. Ehrfürchtig hob er den Demontierten Dan von seinem Gewürzregal und senkte den Schädel auf seinen Hals.

Er zögerte. Nur einen Augenblick lang.

»Lass das, Mister Bones. Zu spät, um jetzt noch umzukehren.«

Die Fußfessel peitschte zustimmend. Mister Bones schob den Schädel an die richtige Stelle.

»Das ist besser. Oh, so viel besser.« Dan streckte sich. Er sah auf seine Finger aus weißen Knochen hinab, öffnete und schloss sie. Dann schlug er das Gewürzregal von der Wand. Es zerbrach und verschüttete bunte Körner über den Boden. »Oh, wie lange ich darauf gewartet habe!«

Das Schloss ächzte ungeduldig. Die Fessel um Dans Knöchel sprang auf.

»Keine Sorge. Der alte Dan ist schon unterwegs. Er weiß, was er zu tun hat.« Er warf den Kopf zurück und heulte noch einmal. Und diesmal hörte er nicht wieder auf.