ELF
Nessy zog sich früh zurück. Den Höllenhund in die Falle zu locken hatte seinen Tribut gefordert. Sie war immer stolz auf ihre Ausdauer gewesen, und mehrere Male in ihrer beruflichen Laufbahn hatte sie tagelang ohne Pause gearbeitet, wenn die Situation es erforderte. Aber der Levitationszauber hatte sie doch ausgelaugt. Magie war keine zarte Kunst. Subtil, vielleicht, aber auch fordernd und zehrend. Und Nessy war bewusst, dass sich um das Schloss zu kümmern auch bedeutete, sich um sich selbst zu kümmern. Erschöpft zu arbeiten, das führte zu Schlamperei und Fehlern, und jetzt war nicht die Zeit für Fehler. Nicht, wenn innerhalb der Schlossmauern so viel vor sich ging. Es war besser, sich ein bisschen auszuruhen und sich frischen Blickes mit den Dingen zu befassen. Es gab immer noch viel zu tun, aber das musste mindestens bis zum Morgen warten. Und wenn in diesen flüchtigen Stunden die Katastrophe hereinbrach, dann konnte sich Nessy sowieso nicht vorstellen, dass sie damit fertigwerden würde. Also schleppte sie sich in ihre Ecke im Flur, rollte sich auf ihrer Pritsche zusammen und schloss mit letzter Kraft die Augen.
»Lesen wir heute Abend nicht?«, fragte das Monster unter ihrem Bett.
Sie hielt die Augen geschlossen. »Tut mir leid. Vielleicht morgen.«
»Das sind schon zwei Nächte hintereinander!«
»Ich hatte sehr viel zu tun«, murmelte sie leise. Sie war beinahe schon eingedöst, als das Monster erneut das Wort ergriff.
»Es gibt jemand anderen, oder?«
Sie hatte weder die Energie noch das Interesse, zu fragen, was er damit meine. Sie gähnte nur und dachte darüber nach, sich die Ohren mit ihrem Kissen zuzuhalten und sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber Margle hatte ihr niemals ein Kissen und auch keine Decke gegeben. Doch selbst wenn sie solchen Luxus besessen hätte, wäre es unverzeihlich unhöflich gewesen, und so müde war sie noch nicht.
»Du hast noch ein anderes Monster, oder? Das ist es. Du hast jemanden gefunden, den du lieber magst.«
Es wertete ihr ausbleibendes Leugnen als Schuldeingeständnis. Mit seinen drei Augen starrte es finster zu ihr hinauf. »Es ist das Monster in der Truhe. Es ist das ganze Gold, das er besitzt, stimmt’s? Du weißt aber schon, dass das nicht echt ist. Und es ist verflucht. Wenn du auch nur eine Münze ausgibst, bekommst du die Fäule. All deine Gliedmaßen werden abfallen. Sogar dein Schwanz. Und dann der Gestank. Oh, der Gestank ist furchtbar. Ehe du dich versiehst, ziehst du Fliegen an und bist voller Maden. Überall Maden. Sind dir schon mal Maden die Nase hochgekrochen? Das ist schrecklich unangenehm. Das würdest du nicht wollen.«
»Nein«, gab sie ihm recht. »Das würde ich nicht wollen.«
Das Monster unter ihrem Bett schwieg gerade so lange, dass sie glaubte, das Thema sei nun beendet.
»Es ist doch nicht das Monster unter den Holzdielen, oder?«, wollte es wissen. »Die kenne ich nur zu gut. Sie verspricht dir, dir drei Wünsche zu erfüllen, wenn du sie befreist. Aber glaube ihr bloß nicht. Sie würde dich nur auffressen, sobald sie frei ist.«
Nessy wälzte sich herum.
»Es ist nicht das in den Katakomben, oder? Das immer so herumschleicht.«
»Es gibt kein anderes Monster«, sagte sie.
Das Monster unter ihrem Bett zog sich tiefer in die Dunkelheit zurück, bis seine schimmernden Augen kaum noch sichtbar waren. »Wer’s glaubt, wird selig …« Es murrte laut genug weiter, sodass man es zwar hören, aber nicht verstehen konnte. Doch inzwischen war sie schon tief und fest eingeschlafen.
Das Schloss dagegen schlief nicht. Nicht in dieser Nacht. Stattdessen ächzte und knarrte es, rumpelte und bebte. All die finsteren Kreaturen darin, all die Monster, Schrecken und dunklen Zauberinnen innerhalb seiner Wände waren nichts gegen die heimtückische Seele des Schlosses selbst. Doch das Schloss war nicht nur böse. Es hatte, wenn auch eher durch Zufall, einen gewissen Grad an Zuneigung, einen Funken Fürsorge und Mitgefühl für seine Bewohner entwickelt. Diese Eigenschaften, selbst wenn sie noch so geringfügig waren, kämpften gegen die stärkere Verdorbenheit des Schlosses an. Die Zuneigung knabberte am metaphorischen kleinen Zeh des Schlosses, während das Mitgefühl hinter seinem bildlichen Ohr wie verrückt juckte. Keines von beiden fügte ihm mehr als Ärger zu, und das machte das Schloss noch gefährlicher. In der zweiten Nacht ohne seinen Meister lockerten sich die Fesseln, die es im Zaum hielten, ein ganz klein wenig.
Und in diesem hauptsächlich bösen, nur ein wenig guten und extrem verärgerten Schloss begannen nun einige Dinge zu geschehen.
***
Der Demontierte Dan schlief nicht. Das war nichts Neues. Das hatte er ja nie getan, auch nicht, als er noch lebte. Als Junge hatte er die ganze Nacht aufrecht gesessen. Er hatte auf seinem Stuhl gesessen und zum Mond hinaufgestarrt. Nur gestarrt. Wenn Wolken am Himmel waren, starrte er eben dorthin, wo der Mond gewesen wäre. Und er hatte vor sich hingelächelt. Sein Vater hatte mehr als einmal angemerkt, dass man Dan ins Bett bringen sollte. Dass, selbst wenn er nicht schlief, all dieses Zum-Mond-Starren nur Probleme verursachen konnte.
»Was ist so schlimm daran?«, widersprach seine Mutter. »Vielleicht wird er später einmal ein Gelehrter der Himmel. Vielleicht entdeckt er sogar einen neuen Planeten und benennt ihn nach mir. Wäre das nicht schön?«
Immer noch lächelnd hatte Dan seinen Kopf gedreht und genickt, als habe er zugehört, bevor er seine Aufmerksamkeit dann aber wieder auf den Mond richtete.
»Vom Mond ist noch nie was Gutes gekommen«, sagte sein Vater jede Nacht. »Er wird den Jungen nur verrückt machen.«
Aber Dan hatte es besser gewusst. Er war sicher, dass er schon in verrücktem Zustand geboren war. Und wenn nicht das, dann war er ein irrsinniges Wunderkind gewesen, das herausragenden Schwachsinn entwickelt hatte, noch bevor es laufen konnte. So oder so: Dan hatte seinen Wahnsinn akzeptiert. So sehr akzeptiert, dass er ziemlich überrascht war, als der Rest der Welt es nicht tat. Er hatte erwartet, dass sie verstünden, dass dies seine Aufgabe war, seine Berufung. Und ihn für ein paar Erdrosselungen hier und da, ein Dutzend unschöne Akte mit Vieh und ein paar hübsche Feuer hinzurichten - das war genauso logisch, wie einen Bäcker zu töten, weil er buk, oder einen Schuster fürs Schustern oder einen Anwalt für seine anwaltliche Arbeit. Na ja, ein Anwalt verdiente es möglicherweise schon, dafür umgelegt zu werden, sinnierte Dan mit seinem verstörenden, unbeirrbaren Grinsen.
Er erinnerte sich immer noch an seine Exekution und an den Blick seiner Eltern, bevor die Axt ihn geköpft hatte. Sie hatten es einfach nicht verstanden. Er bedauerte sie. Aber er hatte sich nie selbst bedauert. Auch wenn er manchmal, in diesen langen Zeitspannen, da er nur auf seinem Gewürzregal liegen, zur Decke hinaufblicken und so tun konnte, als sei es ein Himmel mit einem großen, blauen Mond, darüber nachdachte, ob der Traum seiner Mutter am Ende wirklich so töricht gewesen war.
»Das hätte dir gefallen, was, du langweiliger Mister Bones«, flüsterte er dem Skelett zu, das schweigend in der Ecke döste. Merkwürdig, dass Mister Bones schlief, wo doch der Demontierte Dan das nie getan hatte.
Er erspähte etwas Neues in der Küche, und es lenkte seine Aufmerksamkeit von den imaginären Himmeln und seinem ganz besonderen imaginären Planeten, den er nach seiner Mutter Elsa getauft hatte, ab. Wenngleich dies nicht ihr Name gewesen war, aber er mochte den Klang des Namens trotzdem. Er wackelte auf seinem Kiefer herum und schaukelte seinen Schädel auf diese Art ganz langsam ein kleines bisschen nach rechts.
»Na, aber hallo, hallo auch!«
Die Tür Am Ende Des Flurs knarrte.
»Nett, dich hier zu sehen«, sagte Dan. »Aber du bist besser still. Es sei denn, du willst den alten Mister Bones aufwecken. Er hat keine Ohren, aber selbst er verschläft nicht alles.«
Die Tür ächzte leise. Der Ring ihres Griffs streckte sich in Richtung Dan.
»Oh, wenn ich dich nur öffnen könnte, du große, alte Tür.«
Die Tür bebte und stöhnte.
»Ich bin mir sicher, dann hätten wir viel Spaß«, stimmte Dan ihr zu. »Also, was ist denn da hinter dir, wenn ich fragen darf?«
Knarz.
»Na, komm schon. Mir kannst du Geheimnisse anvertrauen. Das sagt jeder. Oder das würden sie sagen, wenn sie all die Geheimnisse kennen würden, die der alte Dan bewahrt.«
Knarz?
»O nein. Ich kann sie dir nicht verraten. Kein einziges.« Mit einem zufriedenen Grinsen wiegte er sich auf seinem Regalbrett. »Zumindest nicht kostenlos. Aber wenn du dich von einem deiner eigenen Geheimnisse trennst, könnte sich der alte Dan vielleicht überreden lassen, sich von einem der seinen zu trennen.«
Die Tür dachte über das Angebot nach.
»Es ist ein gutes, wirklich. Ein pikantes Geheimnis aus dem Inneren des Schlosses selbst.«
Die Tür schwenkte ihre Pergamentrunen, und Nebelwölkchen flatterten unter ihr hervor.
Ächz ächz ächz. Poch poch.
Dan runzelte die Stirn. »Das war’s? Soll das alles sein?«
Die Tür ächzte ein Knurren.
»Nichts für ungut, nichts für ungut. Ich hatte nur etwas - ach, ich weiß auch nicht - etwas Dramatischeres erwartet.«
Die Tür klopfte kurz angebunden.
»Nun sei doch nicht so. Du bist doch ein bösartiges Portal. Das bezweifelt ja keiner. Aber der alte Dan mag seine Boshaftigkeiten großartig und mit Getöse. Du bist ein bisschen zu subtil für meinen Geschmack. Aber jedem das Seine.«
Knarz knarz quietsch?
»Ach ja. Jetzt mein Geheimnis, was? Es ist ein gutes.« Er flüsterte: »Margle kommt zurück.« Quietsch schauder.
»Was meinst du damit, du wusstest das schon? Er wurde am Stück verschluckt, bei lebendigem Leib aufgefressen, wie du weißt.«
Die Tür rumpelte.
»Ja, natürlich weiß ich, dass das für einen mächtigen Zauberer noch nie ein Problem war. Aber das Schloss will ihn nicht zurück.«
Knarz.
»Du auch nicht, was? Was hat der gute alte Margle dir denn getan?«
Die Tür lehnte sich nachdenklich zurück. Sie rumpelte leise.
»Aber wozu soll es gut sein, eine Tür des Bösen zu haben, wenn man nicht vorhat, sie zu öffnen?«
Rums.
»Oh. Na gut, dann haben wir nicht mehr viel Zeit, was? Wenn wir unseren Spaß haben wollen, bevor der langweilige alte Zauberer alles ruiniert.« Er beugte sich vor. »Kannst du nicht jemand anderen finden, der dich öffnet?«
Knarz knarz. Quietsch. Ächz ächz quietsch, antwortete die Tür.
»Nessy? Tja, das wird wohl nie passieren. Nessy ist viel zu tugendhaft. Ein süßes kleines Wesen. Süß und lecker.«
Ächz. Schauder. Ächz schauder rums.
Der Demontierte Dan lachte. »Oh, das gefällt mir. Hab aber keine Ahnung, ob das funktionieren wird. Nessy ist nicht so leichtgläubig, wie du vielleicht glaubst.«
Rums! Rums! Rums!
»Ganz ruhig!« Der Schädel spähte zu Mister Bones hinab, besorgt, dass die Aufregung der Tür das Skelett wecken könnte. Aber die Toten waren nicht so leicht zu wecken.
»Ich habe ja nicht gesagt, dass es nicht funktionieren wird. Ich sagte nur, es könnte sein, dass es nicht funktioniert.«
Die Tür ließ die Scharniere hängen.
Quiiieetsch.
»Gib jetzt nicht auf. Wenn sie es nicht tut, hast du immer noch den guten alten Dan an deiner Seite. Wir werden einen Weg finden, unseren Spaß zu haben. Auf die eine oder andere Art.«
Die Tür Am Ende Des Flurs pochte ein boshaftes Glucksen, während der Demontierte Dan wie irre kicherte.
* * *
Die Dämonin im Violetten Zimmer hatte die Angewohnheit, mit sich selbst zu sprechen. Das war ganz einfach, denn Margle hatte sie in einen Schwarm Glühwürmchen verwandelt. Es gab eine Menge Ichs, mit denen sie reden konnte. Alle teilten sich einen Geist, aber die Dämonin war noch nie der schweigsame Typ gewesen. Und tausend winzige Münder machten es nur leichter, sich dieser Schwäche hinzugeben. Das Flattern ihrer Flügel erfüllte den Violetten Raum, aber nur ein Insekt leuchtete, ein einzelnes Glühwürmchen, das auf einem Kohleklumpen saß.
»Vorsicht«, sagte sie. »Vorsicht.«
»Brenn nicht zu schnell«, sagte eine andere aus ihrer Vielzahl. »Fach es langsam an.«
Der Klumpen glühte sanft orangefarben. Die Dämonin inhalierte auch die kleinste Rauchfahne, saugte jede einzelne Flammenzunge auf. Ihr feuriger Schwanz wurde größer und größer, während die Kohle allmählich brannte. Nichts durfte verschwendet werden.
»Es funktioniert.«
»Es wird funktionieren.«
»Es muss funktionieren.«
Die restlichen Glühwürmchen versammelten sich im Licht. Ihre Augen funkelten erwartungsvoll.
»Es war töricht von Nessy, mir das zu geben.«
»Nein. Nessy ist nicht töricht. Solch eine reizende Kreatur, exquisit in ihrer Offenheit. Ich muss zugeben, ich habe sie recht lieb gewonnen.«
Der halbe Schwarm kicherte.
»Unglücklicherweise werde ich sie aber töten müssen. Vielleicht bringe ich vorher noch ihre Seele in Sicherheit. Wäre das nicht wundervoll?«
»Leider nein«, widersprach ein Insekt mit leiser, trauriger Stimme. »So ein schönes Juwel würde seine Pracht in meinen Händen verlieren. Es ist so bedauerlich, etwas zu begehren, das in meinem Besitz Vernichtung fände.«
»Es ist sogar noch bedauerlicher, dass ich es trotz dieser Tatsache begehre.«
Die Kohle zerfiel zu Asche. Das leuchtende Glühwürmchen glühte tief, tief rot.
»Funktioniert es?«, fragten mehrere aus dem Schwarm.
»Es funktioniert, ja. Ich fühle es.« Sie schwebte hoch in die Luft. »Nessy hat nicht verstanden, was sie mir da geschenkt hat. Margle hat mich zu lange von der Flamme ferngehalten, von meinem geliebten Feuer. Doch jetzt ist das Gleichgewicht gekippt, und ich bin endlich stärker als dieser verdammte Zauber, der mich an diesen Raum bindet.«
»Ganz knapp«, ermahnte sie sich selbst.
»Ja, aber es reicht. Es muss reichen.«
»Aber das Risiko. Wage ich es? Selbst meine Unsterblichkeit hat ihre Grenzen.«
Sie schauderte. Der Tod war eine höchst unheilsame Aussicht für Dämonen. Sterben bedeutete, in die Unterwelt zurückzukehren. Und dort zu bleiben. Für immer. Selten konnten Dämonen ihrem Gefängnis entkommen. Aber da gab es doch immer diese Hoffnung. Außer wenn sie starben. Dann mussten sie sich der Ewigkeit überlassen. Und die Gruben der Verdammten waren nicht die Art von Ort, wo man lange bleiben wollte. Nicht einmal eine uralte Dämonenherrscherin wollte das.
Wilde Entschlossenheit glomm in ihren tausend Augen. »Wage ich es, das Risiko nicht einzugehen?«
»Nein. Wenn Margle erst einmal von seinem ungünstigen Tod zurückkehrt, habe ich meine Chance verspielt. Heute Nacht werde ich diesen Raum verlassen - auf die eine oder andere Art.« Sie flitzte zur Tür.
Die anderen Glühwürmchen leuchteten in sanftem Weiß, ein Meer von glitzernden Sternen hinter der strahlend roten Anführerin. Sie loderten blendend hell auf, und einer nach dem anderen verstärkten sie mit ihrer Hitze die des Anführerinsekts. Langsam und vorsichtig, über einen Zeitraum von einer oder zwei Stunden hinweg, versammelte sich alle Macht der Dämonin in dem einzigen verbleibenden Glühwürmchen. Der Rest wurde zu Tausenden von winzigen Aschehäufchen auf dem Boden.
Die immens große Flamme der Dämonin loderte mit rasender Wut. Das Feuer heulte und ließ den Violetten Raum erzittern. Sie konzentrierte sich, zog es um ihre winzige Gestalt herum zu einer wogenden, tosenden Kugel zusammen. Grinsend warf sie sich gegen die Tür. Es gab eine Explosion, als Magie auf Magie prallte. Auf physischer Ebene wurde eigentlich sehr wenig Kraft freigesetzt. Dafür erschütterten die metaphysischen Schockwellen das Schloss aber auf übernatürlicher Ebene, und hätte Margle nicht weise Vorkehrungen getroffen und sein astrales Fundament verstärkt, wäre das Schloss sicherlich eingestürzt. So aber bemerkte es kaum jemand. Nur ein paar Geister, die sich in der Nähe befanden (und mysteriöse, betäubende Kopfschmerzen entwickelten), ein Schädel auf einem Gewürzregal, der irre gackerte, ein Höllenhund, der in einem aufgewickelten Teppich gefangen war, eine Schnake, die niemand hörte, und eine einzelne schwarze Magierin.
Die Tür des Violetten Raums fiel aus ihren Angeln. Zu ausgelaugt, um zu fliegen, krabbelte die Dämonin aus ihrem Gefängnis und sog die frische Luft ein. Auch wenn sie eigentlich gar nicht so frisch war - um genau zu sein sogar ein bisschen abgestanden -, aber nichts hatte je so süß gerochen.
Sie kicherte. »Jetzt nur ein bisschen ausruhen, und dann bin ich bereit, diesen verdammten Zauberer ein für alle Male zu vernichten. Und sein geliebtes Schloss gleich dazu. Und dann werde ich etwas gegen diese armselige sterbliche Welt tun.«
Sie schwieg in der Erwartung, dass sie etwas dazu sagen würde, aber es gab keine anderen Ichs mehr, die sprechen konnten. Sie faltete die Flügel zu einem Achselzucken.
»Alles zu seiner Zeit.«
Weil sie ihre Kräfte sammeln musste, krabbelte sie in eine sichere, dunkle Mauerspalte und fand sich Auge in Auge mit einem großen, gefleckten, braunen Kröterich wieder.
»Hallo«, sagte der Kröterich. »Du bist nicht zufällig eine Prinzessin, oder?«
Die Dämonin blinzelte in die schwarzen Augen der Amphibie. »Nein.«
»Zu schade. Ich selbst bin nämlich ein Prinz, mit dieser abscheulichen Gestalt geschlagen. Und auch wenn ich nicht sicher sagen kann, dass es funktionieren wird, habe ich doch gehört, der Kuss einer Prinzessin könne solch einen Fluch aufheben. Ich weiß nämlich, dass es irgendwo in diesem Schloss mindestens eine Prinzessin in einer ähnlich fluchbelegten Gestalt gibt. Und mit einem einzigen Kuss könnten wir uns beide einen großen Gefallen tun. Uns vielleicht sogar verlieben und, na ja … wer weiß, was sonst noch?« Er lächelte. »Märchenunsinn, natürlich, aber man wird ja noch träumen dürfen.«
Die Dämonin, die ihre eigene Stimme zwar sehr liebte, die Stimmen von anderen aber äußerst wenig, starrte den Kröterich wütend an.
»Bist du sicher, dass du keine Prinzessin bist?«, fragte er wieder. »Es läge eine wunderbar dramatisehe Ironie in der Kombination aus Krötenprinz und Glühwürmchenprinzessin.«
»Ich bin aber keine Prinzessin.« Ihre Stimme dröhnte. »Ich bin eine Königin. Königin der Hölle, Herrin der kreischenden Leere, Herrscherin der glühenden Flammen und …«
Die Zunge des Kröterichs schoss hervor, hauptsächlich aus Instinkt, und er verschluckte das dämonische Insekt, bevor ihm wirklich bewusst wurde, was er da tat.
»Oh, Mist. Jetzt hatte ich gar keine Gelegenheit, sie zu fragen, ob sie von irgendwelchen Prinzessinnen weiß.«
Stirnrunzelnd rülpste er einen kleinen Funken. »Würzig.«
Er hüpfte davon und machte sich auf die Suche nach anderen herumflatternden Leckerbissen.
Gnick, der Gnom, polierte wie immer bis tief in die Nacht hinein. Dabei wusste er, dass er seine Aufgabe niemals würde vollenden können. Diese Hoffnung hatte er schon lange aufgegeben. Aber er machte weiter, genötigt durch alte Silbergnomsitte. Wenn es spät genug und er sicher war, dass niemand hersah, tat er allerdings, als schlafe er; etwas, was echtem Schlaf näher gekommen wäre, gestand er sich nicht zu.
Oben auf der Drachenrüstung hielt er im Polieren ihrer Hörner inne, um die besagte, beinahe unverzeihliche Sünde seiner Rasse zu begehen. Und während seine Augen in simuliertem Schlummer geschlossen waren, hörte er ein Rascheln in der Waffenkammer.
»Ich bin wach! Ich bin wach!« Energisch rieb er die Hörner weiter. »Ich habe nicht geschlafen. Ich habe nur meine Augen ausgeruht. Ich habe das Recht, von Zeit zu Zeit meine Augen auszuruhen! Ich darf das!«
Keine Antwort. Gnick blickte sich in der Waffenkammer um und sah niemanden. Natürlich war nicht jeder im Schloss auf den ersten Blick sichtbar.
»Ist da jemand?«
Stille füllte die Waffenkammer. Aber etwas fehlte. Er spürte es, und da er all seine Zeit in der Waffenkammer verbrachte, musste er es wissen. Er dachte an den Höllenhund, der durch das Schloss streifte. Aber Gnick war ja nicht untot und deshalb vollkommen sicher. Dennoch regte sich in ihm definitiv eine kribbelnde Vorahnung, die ihm die buschigen Augenbrauen sträubte und seinen Bart zucken ließ.
Noch mehr Geraschel. Diesmal war es lauter und klang entfernt nach Metall auf Metall.
»Wer auch immer da draußen ist, du zeigst dich jetzt besser. Wenn du glaubst, Margle hätte ein Händchen für Flüche, dann hast du noch keine Verwünschung des Gnomenvolkes erlebt. Ich verwandle deine Finger in Gold, deine Augen in Perlen, deine Zunge in Kupfer. Versuch mal, dich an jemanden anzuschleichen, wenn du Platinzehen hast!«
Diese Drohung schien den Eindringling tatsächlich vertrieben zu haben. Nur Stille herrschte in der Waffenkammer. Aber seine Augenbrauen kribbelten weiter, sein Bart zuckte immer noch. Er schrieb das seiner wilden Phantasie zu, lehnte sich an die Hörner der Drachenrüstung und schloss die Augen.
Das Getöse von klapperndem Metall erfüllte die Kammer.
»Ich bin wach! Ich bin wach!«
Der Plattenpanzer des sagenhaften Blauen Paladins trat von seinem Sockel. Ein stachelbewehrter Rückenschild für Trolle brach aus seiner Vitrine aus und griff sich eine Hellebarde und ein Schild. Ein Anzug aus Granit und Kalkstein für Felsenungeheuer trampelte vorbei. Ein Dutzend winzige Lederrüstungen für Feen schwirrten hoch in der Luft. Überall um ihn herum wurden die Rüstungen mit plötzlichem Leben erfüllt. Da die Waffenkammer Gnicks Verantwortung unterstand, war er vollkommen verärgert.
»Was soll dieser Unsinn?«, fauchte er.
Die Rüstungen hoben ihre Köpfe in seine Richtung, um ihn aus Augen anzustarren, die sie gar nicht besaßen.
»Geht zurück auf eure Plätze! Sofort! Augenblicklich!«
Die Rüstungen schüttelten sich und klapperten in schweigendem Gelächter. Eine schlug einer anderen mit einem widerhallenden Dröhnen mit dem Panzerhandschuh auf den Rücken.
Gnick sah sich mit wütendem Blick um. »Ich poliere euch tagein, tagaus, und das ist nun also der Respekt, den ich dafür bekomme.«
Die Hülle des Blauen Paladins winkte ihren Kameraden zu, und pflichtbewusst marschierten sie aus der Kammer.
»Ein kleiner trüber Fleck, und ihr seid wieder da! Ihr werdet alle wiederkommen!«
Unerwartet regte sich die Drachenrüstung. Der Gnom verlor das Gleichgewicht, kullerte über ihren Rücken und Schwanz und landete hart auf dem Steinboden. Auch wenn er unsterblich war, konnte er sich trotzdem verletzen, und es fühlte sich an, als habe er sich den Arm gebrochen.
Die Rüstung des Drachenzars hob ihren Helm, als wolle sie ein mächtiges Gebrüll ausstoßen. Sie schlug mit dem eisernen Schwanz und schloss sich ihren kleineren Cousins auf deren unerhörten Spaziergang an. Sie bückte sich, als sie die Kammer verließ, aber ihre Stahlflügel streiften den Torbogen und rissen große Brocken aus dem Stein. Dann verschwand sie um die Ecke.
Seinen verletzten Arm umklammernd, ging Gnick ihnen nach.
Aber sie waren schon fort, verschwunden in einer Sackgasse. Sogar die Drachenrüstung war auf irgendeine Art spurlos verschwunden.
Gnick wusste nicht, was er davon halten sollte. Margles Schloss galt als ein Refugium der unendlichen Möglichkeiten, aber dies war mehr als ein merkwürdiger Vorfall. Dies war die vollständige Unordnung in seiner Waffenkammer! Er blickte auf all die leeren Sockel und zerbrochenen Vitrinen.
Und er lächelte. Jetzt hatte er sehr viel weniger zu polieren.
»Nehmt nächstes Mal ein paar Schwerter mehr mit«, schlug er der Wand vor, durch die sie verschwunden waren.
* * *
Fortune war nicht immer ein guter Jäger gewesen. Er hatte einige Zeit gebraucht, um sich an seinen Katzenkörper zu gewöhnen, um die List und Heimlichkeit zu finden, die in seiner anmutigen schwarzen Gestalt steckten. Viele Monate lang hatte er sich darauf verlassen, dass sich Nessy um ihn kümmerte. Es war zwar ihr Job, aber Fortune war nie der Typ gewesen, der sich auf andere verließ. Sein ganzes Leben lang hatte er nur zwei Personen vertraut: sich selbst und seinem Glück. Dass er jetzt eine Katze war, zeigte ihm, dass selbst Letzteres ein Fehler gewesen war.
Auch wenn er sich da gar nicht so sicher war. Denn als er zu Margle gekommen war, um ihm seine Wette vorzuschlagen, hatte er gehofft, sich zur Ruhe setzen zu können. Hätte Fortune gewonnen, hätte er großen Wohlstand besessen. Aber er kannte sich. Am Ende hätte er alles verspielt. Vielleicht in einem Jahr. Vielleicht in zehn Jahren. Es auszugeben hätte auf jeden Fall Spaß gemacht, aber das Ende wäre immer dasselbe gewesen. Jetzt, als Katze, genoss er das einfache Leben des Schlafens und Herumstreunens. Und Margles Schloss war immer interessant. Also hatte ihm sein Glück in gewisser Weise geschenkt, was er ursprünglich gewollt hatte. Zwar nicht ganz genau, aber so ziemlich.
Jetzt, da er so geschickt darin war, genoss er die Jagd. Ein oder zwei Stunden geduldig warten. Auf ein Loch in der Wand starren. Das Kratzen von winzigen Krallen hören. Dann die kleine Nase und die rosa Knopfaugen vorsichtig herausragen sehen. Das war der knifflige Teil. Er durfte sich noch nicht bewegen. Er musste erst den richtigen Zeitpunkt abwarten. Reglos stand er da, bis auf seinen Schwanz, der selbstständig hin und her peitschte. Er verengte die Augen und stellte sich vor, er sei unsichtbar. Die Maus trat aus ihrem schützenden Unterschlupf. Sie war weißbraun. Fortune leckte sich die Lippen. Nichts schmeckte so gut wie eine weißbraune Maus.
Seine Hinterbeine spannten sich in Vorbereitung auf den Sprung.
»Achtung! Achtung!«, schrie eine große eingetopfte Sonnenblume. Die Maus schoss in die Wand zurück. Fortune sprang und verfehlte sie.
Er legte die Ohren an. »Warum tust du das?«
Rose, die Sonnenblume, hob die Blätter. »Du kannst nicht erwarten, dass ich danebensitze und das Gemetzel mit ansehe, oder?«
»Das ist Natur!« Er peitschte mit dem Schwanz.
»Leicht gesagt, wenn man eine Katze ist.«
Fortune stolzierte vor der Mauerritze hin und her und spähte gelegentlich hinein. »Und wie soll ich mir dann etwas zu essen besorgen?«
»Ich kann nicht erkennen, warum dein Recht auf Existenz über dem der Maus stehen sollte.«
»Die Großen fressen die Kleinen. So ist das Leben.«
»Und manchmal entkommen die Kleinen den Großen«, entgegnete sie. »Auch so ist das Leben.«
»Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, aber: hervorragendes Argument.« Fortune lächelte. »Ich sollte dich allerdings warnen. Es bringt Unglück, eine schwarze Katze hungern zu lassen.«
Er legte sich neben sie, als wolle er ein sorgloses Nickerchen machen, behielt das Mauseloch jedoch schlau im Auge. Er konnte warten. Durch eines der wenigen Fenster des Schlosses deutete sich die Morgendämmerung an. Dieses Fenster war zwar klein und besaß Eisenstäbe, aber es ließ am Tag trotzdem genug Sonnenlicht herein, um die Blume am Leben zu erhalten.
»Ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass die Mäuse, die du frisst, genauso gut verfluchte Leute wie du selbst sein könnten?«, fragte Rose.
»Natürlich. Ich gehe davon aus, dass die Chancen dafür ungefähr hundert zu eins stehen. In Wirklichkeit ist es also nicht sehr wahrscheinlich, dass ich mehr als einen gewöhnlichen Nager verschlinge.«
»Und was, wenn es diese hundertste Maus ist, die in deinem Magen landet?«
»Ein guter Spieler spielt seine Chancen aus, wenn sie zu seinen Gunsten stehen.« Er schloss die Augen so weit, dass man meinen konnte, er schliefe. Doch sein Blick blieb auf den Zufluchtsort der Maus gerichtet. »Und Katzen müssen fressen. Es ist ja nicht so, als wäre ich grausam. Ich schubse das arme Ding nicht herum und spiele damit. Ich breche ihm nur das Genick und schlinge es hinunter.«
Rose drehte sich auf ihrem Stiel und schüttelte ihre Knospe. »Meine Güte, was sind wir gnädig.«
Am einen Ende des Flurs erhob sich großes Gepolter. Fortune bedeckte seine Augen mit den Pfoten. »Was ist denn jetzt wieder los?« Er ärgerte sich, denn der Lärm verjagte mit Sicherheit sein Abendessen. Hätte er nicht gewusst, dass am nächsten Morgen eine Schüssel Milch auf ihn wartete, wäre er äußerst empört gewesen.
»Da kommt was.« Rose drehte ihre Blütenblätter in die Richtung, aus der der Lärm zu hören war, und beugte sich auf ihrem Stiel vor. »Ganz schön laut, was?«
Fortune stellte die Ohren auf. Das Gepolter vibrierte in den Steinen. Es kroch seine Pfoten hinauf und ließ sein Fell zittern. Er versteckte sich in der Dunkelheit hinter ihrem Blumentopf und stellte sich wieder vor, unsichtbar zu sein.
Ein grauer Nebel waberte auf sie zu. Seine Bewegung war so langsam und schwerfällig, als müsse er sich durch die Luft graben. Sein Poltern ähnelte Felsbrocken, die von Blitzen gespalten wurden. Der Dunst driftete scheppernd zum Fenster, und Stein materialisierte vor der kleinen Öffnung zur Außenwelt.
»Hey, das brauch ich!«, schrie Rose. »Ich bekomm auch so schon kaum genug Licht!«
Der Nebel griff herab und wirbelte um die Sonnenblume herum. Fortune wich zurück, die Nackenhaare gesträubt.
»Was tust du?«, wollte sie wissen. »Hilf mir!«
Er hatte keine Ahnung, was er tun konnte, um den Nebel aufzuhalten. Als Katze hatte er ja nicht viele Möglichkeiten. Ein tiefes Knurren kroch aus Fortunes Kehle. Statt den Nebel abzuschrecken, spornte er ihn an, indem er nach ihm schlug. Dann drehte er sich um und stürmte davon, in der Hoffnung, ihn vielleicht wegzulocken. Der Nebel jagte ihn ja nicht. Seine eisige Berührung streifte seinen Schwanz und machte ihn taub, aber er hängte ihn rasch ab. Allerdings nicht so schnell, wie er erwartet hatte, weil er ein unerklärliches zusätzliches Gewicht mitschleppen musste. Er hielt in der Dunkelheit aus, die Ohren gespitzt, mit zuckenden Barthaaren. Bald erstarb das Poltern in der Ferne.
Fortune starrte zornig auf seine Schwanzspitze. Das letzte Stück war ein Granitklumpen. Stirnrunzelnd ging er zurück, um nach Rose zu sehen. Die einst so hochgewachsene und zarte Sonnenblume war jetzt zu einem Steinblock geworden. Wenig erinnerte noch an ihre frühere Gestalt. Er entdeckte zwar ein paar Ausbuchtungen hier und da, die ihn an Blätter denken ließen. Neben ihr lagen Felsbrocken verstreut, Ziegel in seltsamen Formen. Sie bildeten eine Spur den Flur entlang.
Er peitschte mit dem Schwanz. Oder versuchte es zumindest. Der Steinbrocken machte ein wirkungsvolles Peitschen unmöglich. Er schabte ungraziös über den Steinboden.
»Nessy«, dachte er laut. »Sie wird wissen, was zu tun ist.«
Er machte sich auf den Weg, seinen Steinschwanz hinter sich herschleppend.