SECHS

 

Nessy verbrachte die nächsten Stunden damit, in der Bibliothek jeden einzelnen Band über Metazoologie, Dämonologie und Nekromantie zu durchsuchen. Sie fand nichts weiter über Höllenhunde. Nichts darüber, wie man sie beschwor. Nichts darüber, wie man sie ins Jenseits beförderte. Nicht einmal eine einzige Beschreibung der Bestie.

Sie fragte sich, wie die Kreatur ins Schloss gefunden haben konnte. Sie glaubte nicht, dass es Zufall war. Alles andere war schließlich auch aus einem bestimmten Grund hier. Und Margles Schloss war vor zufälligem Betreten durch unnatürliche Kräfte geschützt. Eine Kreatur aus der Unterwelt konnte schließlich nicht so einfach hereinschlüpfen. Der Höllenhund konnte also nur von innen gekommen sein.

Hatte ihn Margle aus der Unterwelt beschworen, mit einer Magie, die so schwarz und geheim war, dass sich nicht einmal in seinen geschätztesten Büchern ein Hinweis darauf fand? Natürlich musste er durch das Zutun des Zauberers hier sein. Aber wie war er losgekommen?

Vielleicht hatte Margle gar nichts damit zu tun. Vielleicht war es alles der Wille des Schlosses. Der Demontierte Dan hatte gesagt, es besäße ein Eigenleben. Das hatte sie bereits gewusst. Aber jetzt, da sein Meister tot war, war es da wirklich zu einem bösen Ort geworden, der sie alle verschlingen wollte? Sie weigerte sich, das zu glauben. Noch. Statt sich also auf Dinge zu konzentrieren, die sie nicht verstand, wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Höllenhund und seiner Entfernung aus dem Schloss zu.

Yazpib den Prächtigen zu befragen erwies sich als fruchtlos. »Es tut mir leid, aber ich habe wenig Erfahrung mit Dämonologie. Zu gefährlich. Viel, viel zu gefährlich.« Die Flüssigkeit in seinem Glas erbleichte beim bloßen Gedanken daran. »Es wundert mich nicht, dass mein Bruder Erfahrung damit hatte. Er war so hinterhältig und verschlagen wie jeder Dämon.«

Also gab es für Nessy nur noch einen Ort, an den sie sich wenden konnte: den Violetten Raum.

Es war aber ausdrücklich verboten, diesen Raum zu betreten. Sie hatte auch nie den Wunsch verspürt, denn dort lebte ein Dämon. Falls Dämonen wirklich lebten. Und nicht nur irgendein Dämon, sondern der mächtige Herrscher einer der tiefsten und dunkelsten Höllen, durch Margles mächtigste Magie an den Raum gebunden.

Nessy hegte dem Violetten Raum gegenüber eine gesunde Vorsicht. Aber sie fürchtete ihn nicht wie Die Tür Am Ende Des Flurs. Oft kam sie daran vorbei, und er verhielt sich nicht im Mindesten seltsam. Hätte sie nicht gewusst, dass sich ein Dämon hinter der Tür befand, so hätte sie auch nicht groß darüber nachgedacht. Doch obwohl sie es wusste, hatte sie es immer lediglich als einen Ort betrachtet, den sie nicht betreten durfte.

Es war die Gewohnheit, keine Angst, die sie vor der Tür des Violetten Raumes innehalten ließ. Margle war zwar tot, doch sie verspürte einen Drang, ihm dennoch zu gehorchen.

»Hast du es dir anders überlegt?«, fragte Yazpib. »Das ist gut. Denn du solltest da wirklich nicht reingehen.«

Nessy legte die Hände gegen die Tür. Sie spürte nichts von der Gefahr, die sie von Der Tür Am Ende Des Flurs ausgehen gespürt hatte, und das überraschte sie keineswegs. Würde ein guter Dämon seine Dunkelheit nicht verbergen? Es machte die Verführung sehr viel leichter.

Sir Thedeus, der sich an ihre Schulter klammerte, flüsterte: »Wenn düs dir überlegst, Mädel, würde keiner schlecht von dir denken.«

»Hol die Kette.«

Der Flughund flatterte zu dem Wagen, schnappte sich einen langen, dolchartigen Zahn an einer Kette und ließ sie um ihren Hals gleiten.

»Bist du sicher, dass sie das schützen wird, Zauberer?«

»Ein Zahn vom Körper des Dämons selbst müsste ihn davon abhalten, sie körperlich zu verletzen.« Er runzelte die Stirn mit dümpelnden Augen. »Aber bei Dämonen sind es nicht die körperlichen Bedrohungen, um die man sich Sorgen machen muss. Man hat Glück, wenn sie einen töten.«

Nessy hielt den Reißzahn mit beiden kleinen Händen. Er war so lang wie ihre Schnauze. Aber sie war fest entschlossen. Und griff nach der Türklinke.

Yazpib brodelte. »Warte. Wenn du schon darauf bestehst, das zu tun, dann lass mich dir wenigstens ein paar Ratschläge geben.«

»Ich dachte, du wüsstest nichts über Dämonen.«

»Ich verstehe schon ein bisschen was davon. Nur ein bisschen.« Er sammelte seine Gedanken. »Ich erinnere mich hauptsächlich daran, dass Dämonen nie etwas umsonst tun. Falls er dir also tatsächlich hilft, und ich wäre überrascht, wenn er es täte … aber falls er es tut, dann wird er auch irgendeine Art von Bezahlung von dir verlangen. Und was auch immer er verlangt, gib es ihm nicht. Denn es wird zwar vollkommen harmlos erscheinen, aber das wird es nicht sein.«

»Aber du hast mir doch gerade gesagt, er würde mir nicht helfen, wenn ich ihm nicht etwas gebe«, wandte Nessy ein.

»Ja, aber egal, was er als Erstes verlangt, gib es ihm nicht.«

»Okay, dann gebe ich ihm das Zweite.«

Yazpib lachte trocken auf. »Oh, ich weiß jetzt schon, dass das keine gute Idee ist. Du kannst ihm seine zweite Forderung nicht erfüllen. Denn die wird sogar noch harmloser erscheinen, aber sie wird tatsächlich noch gefährlicher sein.«

»Dann macht sie also, was er als Drittes will?«, fragte Sir Thedeus.

»Bist du verrückt? Das Dritte wird zwar weniger tückisch sein als das Zweite, aber noch schlimmer als das Erste.«

»Dann soll sie also machen, was er als Viertes verlangt?«

»Natürlich nicht! Nicht, wenn ihr ihr Leben und ihre unsterbliche Seele etwas bedeuten.«

»Was soll sie denn dann tun?« Sir Thedeus’ Stimme wurde piepsig vor Ärger.

»Sie soll gar nicht erst da reingehen.« Seine Augen wirbelten nervös um sein Gehirn herum. »Du musst wissen, Nessy, dass mein Bruder grausam und hinterhältig war. Aber du bist so praktisch veranlagt, zuverlässig und direkt. Bewundernswerte Charakterzüge, außer wenn man einen Tausch mit einem Dämonenherrscher eingehen muss. Aber ich kann auch erkennen, dass du stur bist, wenn du einmal eine Entscheidung getroffen hast. Also sei bitte vorsichtig.«

»Ja, Mädel. Wie sollen wir denn sonst ohne dich unsere Flüche brechen?«

»Ist das alles, worum es dir geht? Dieses tapfere Wesen ist dabei, sich in Gefahr zu bringen, und du denkst nur an deinen Fluch.«

Sie fingen an, sich zu zanken, aber Nessy hörte nicht zu. Sie streichelte das Horn des Nurgax’, befahl ihm, hierzubleiben und betrat den Violetten Raum. Klickend schloss sich die Tür hinter ihr. Das Nurgax jaulte leise.

»Viel Glück, Nessy, Mädel.«

Yazpib schoss mit solcher Wucht einen angewiderten Blick auf Sir Thedeus ab, dass die Augen fast aus seinem Glas sprangen und auf den Boden rollten. »Ja. Viel Glück, wahrhaftig.«

 

* * *

 

Der Violette Raum war gar nicht violett. Er war pechschwarz. Nessy fürchtete die Dunkelheit aber nicht. Sie besaß die Gabe, auch blind herumlaufen zu können. Wenn man sie in eine unbeleuchtete Kammer voller Gefahren und mit nur einem Ausgang steckte, hätte sie in den meisten Fällen den Weg nach draußen und in die Sicherheit gefunden. Manchmal schloss sie die Augen und rannte so schnell sie konnte durch das Schloss. Nur, um in Übung zu bleiben, sollte sie jemals zu ihrem Volk zurückkehren.

Das Zimmer war zwar warm, aber nicht unangenehm warm. Mit dem absoluten Vertrauen, dass ihre Instinkte sie zurückgehalten hätten, wenn sich ein bodenloser Abgrund vor ihr befände, machte sie einen Schritt nach vorn.

Dann sprach sie sehr leise: »Hallo?«

Es kam keine Antwort.

Sie machte noch einen Schritt und rief ein wenig lauter: »Hallo. Ist hier jemand?« Eine ganz und gar dumme Frage. Natürlich war hier jemand. Oder etwas.

»Hallo!« Ihre Stimme wurde als Echo zurückgeworfen.

Und dann erschien, entweder weit entfernt oder sehr nahe, ein stecknadelkopfgroßer rotgelber Lichtpunkt. Eine tiefe, dröhnende Stimme erfüllte den Raum und klingelte in ihren Ohren.

»Du bist nicht Margle!«

»Margle ist tot.« Sie biss sich auf die Zunge. Vielleicht war es nicht sehr weise gewesen, das herausschlüpfen zu lassen. Aber sie war eine furchtbar schlechte Lügnerin. Sie würde nachdenken müssen, bevor sie sprach. Immer eine gute Taktik, wenn man es mit Dämonen zu tun hatte.

Das Licht loderte auf, bot aber immer noch wenig Erleuchtung. Sie fragte sich, ob es ein Auge war. Ein einzelnes, finster blickendes Auge in einem hässlichen Gesicht, dessen bloßer Anblick sie in den Wahnsinn treiben konnte.

»Tot, sagst du!«

»Ja.« Jetzt nützte es auch nichts mehr zu lügen. Die Stimme des Dämons klang jetzt nur noch unausstehlich laut. »Wie ist er gestorben? Nein, lass mich raten.« Das leuchtende Auge wechselte blitzend die Farbe im ganzen Spektrum. »Gefressen, nicht wahr? Gefressen von einem Nurgax. Hab ich recht?«

Sie nickte, und selbst in der verzehrenden Dunkelheit konnte es der Dämon sehen.

»Woher…«

»Woher ich das weiß?« Die Stimme wurde sanft, freundlich und feminin. »Ich weiß sehr viele Dinge, Nessy. Sehr, sehr viele Dinge.«

Nessy war nicht überrascht, dass die Dämonin ihren Namen kannte. Das schien ihr eine besonders dämonische Kenntnis zu sein.

»Dann musst du auch wissen, warum ich hier bin.«

Die Dämonin lachte leicht. »O nein, Liebes. Wenn jemand kommt, um mich um Hilfe zu bitten, weiß ich nur, was er braucht, wenn er mich darum bittet. Seltsam, ja, aber so sind nun mal die Regeln. Und wir müssen alle nach den Regeln spielen.«

Das Licht kam näher, schien heller. Dennoch konnte Nessy keine weiteren Einzelheiten der Kreatur erkennen.

»Du trägst meinen Zahn. Hast du Angst vor mir, Nessy?«

Sie dachte nach, bevor sie antwortete, aber eine Lüge war überflüssig. Die Dämonin kannte die Antwort sicherlich. »Ja.«

Die Dämonin kicherte mit einem Anflug von süßlicher Gehässigkeit. »Sehr weise. Und ich sehe, dass du von einer bemerkenswerten Weisheit besessen bist, zusammen mit einer großzügigen Portion Mitgefühl, gewürzt mit einem kräftigen Schlag Pragmatismus. Eine seltene Delikatesse. Deine Seele auszumessen lässt mich einen Appetit wiederentdecken, den ich - in diesen Raum gesperrt - schon lange vergessen hatte.« Sie sog hörbar die Luft ein und leckte sich die Lippen. »Oh, was für ein Leckerbissen du bist. Ich könnte dich in meinen Mund stecken, in die Wange schieben und dich ungefähr tausend Jahre lang genießen.«

Ihre Stimme verhallte verträumt.

»Leider hast du meinen Zahn. Und meine Kiefer sind auch nicht mehr, was sie einmal waren.« Das Auge stieg hoch in die Luft und senkte sich dann tief herab, um sich auf Nessys Nase niederzulassen. Die Dämonin war nichts weiter als ein winziges, leuchtendes Glühwürmchen. Das Insekt wirkte unscheinbar, außer dass sein Schwanz eine schimmernde Feuerzunge war. Der Flammenschweif war zwar heiß, verbrannte sie aber nicht.

Der Atem der Dämonin schien warm und süß und spülte über Nessy hinweg, als gehörte er zu einer wesentlich größeren Kreatur. Die Süße war der Gestank verfaulenden Fleisches.

»Du hast keine Ahnung, was für ein Vergnügen dies für mich ist. Viel zu lange musste ich diesen lächerlichen Zauberer ertragen. Und seine Seele - als Kennerin kann ich dir sagen: Sie ist kein schöner Anblick. Ebenso hässlich und verachtenswert wie alle anderen, die mir je begegnet sind. Vergeudeter, elender Tand, nichts als das ist sie.«

»Sie ist?«

Das Glühwürmchen flitzte auf Nessys Kopf. »Ich glaube, wir wissen beide, dass er nicht tot ist. Nicht richtig. So liederlich und widerwärtig er auch sein mag, aber Margle ist ein grandioser Zauberer. Ich allein bin der Beweis für seine Macht. Weißt du, wie lange ich schon an dieses Zimmer gebunden bin, wie lange ich schon in dieser violetten Zelle herumflattern muss?«

Also war der Violette Raum wirklich violett. Auch wenn man wohl die Augen eines Dämons brauchte, um es in dieser Dunkelheit sehen zu können.

»Nein.«

»Ich auch nicht. Die Zeit und ihr Vergehen bedeutet mir nichts, weil ich immer war und immer sein werde. Aber das ist kein Segen. Jede Stunde hier drin ist für jemanden wie mich wie ein Jahr. Jede Minute eine Ewigkeit in sich.« Das Glühwürmchen kletterte Nessys Hals hinab und setzte sich auf ihre Schulter. »Zahllose Ewigkeiten der Einsamkeit, in denen ich darauf warte, dass Margle zu Besuch kommt und etwas von mir verlangt, Ewigkeiten, in denen ich ihm zuhören muss, wie er redet und redet und redet. Ach, Dämon, ich will das. Ach, Dämon, teile mir deine Geheimnisse mit. Vergiss nie, Dämon, dass ich dich vernichten kann. Vergiss nie, ich kenne deinen wahren Namen. Als ob er mich gelassen hätte.« Sie flüsterte in Nessys Ohr. »Als ob ich könnte.«

Die Flamme des Glühwürmchens loderte zu einem langen, weißen Schwanz auf. Es flog in flüchtigen Mustern durch die Luft, sein Schweif malte in lebendigen Leuchtspuren ein vergängliches Gemälde in die Schwärze. Von Margles langem, schmalem und höhnischem Gesicht. Die Dämonin heulte und schickte damit ein Zittern durch sämtliche Haare an Nessys pelzigem Körper. Margles Bild verzog sich zu einem gequälten Schrei, bevor es sich auflöste. Das einzige Licht war jetzt wieder der zarte Schwanz des Glühwürmchens, der in einem warmen und sanften Blau glühte.

»Aber genug von mir. Auch wenn ich es zu schätzen weiß, dass du mir dein Ohr leihst. Eines Tages werde ich meine Rache bekommen, aber nicht heute. Heute sprechen wir über dich. Darüber, was du willst. Darüber, wie ich dir helfen werde.« Das Feuer nahm eine kalte, purpurrote Färbung an. »Und wie du mir helfen wirst.«

Nessy schluckte ihr Unbehagen hinunter. Sie hatte keine Zweifel, dass die Dämonin sie noch als Insekt ganz leicht töten konnte. Sie umklammerte ganz fest den Zahn, der sie beschützte.

»Was willst du?«, fragte Nessy.

»O nein. So funktioniert das nicht. Zuerst musst du deine Bitte vorbringen. Dann nenne ich dir den Preis. Dann verhandeln wir, bis wir eine Vereinbarung finden, die uns beiden angemessen erscheint. Und wenn das nicht möglich ist, verzehre ich ganz einfach deine Seele.«

Nessy wich zurück.

Das Glühwürmchen kicherte. »Ich scherze, Nessy.

Du kannst jederzeit gehen, kannst mich jederzeit zurücklassen und den Violetten Raum nie wieder betreten. Warum sollte ich dir etwas tun und mich damit selbst meiner Einsamkeit überlassen? Wie könnte ich dich verletzen, so ein süßes, entzückendes, leckeres Mädchen? Der Vorteil liegt ganz auf deiner Seite, wie man deutlich sehen kann.«

»Du versuchst, mich hereinzulegen.« Nessy wusste nicht, warum sie das sagte. Sie merkte nur, dass sie die Neigung hatte, das zu sagen, was sie dachte.

»Ich versuche nicht, dich hereinzulegen. Noch nicht. Ich werde es tun, wenn der Handel in einer Sackgasse steckt. Das wissen wir beide, und ich werde dich nicht beleidigen, indem ich es leugne. Aber der Handel muss trotzdem abgeschlossen werden, und das wird er nicht, bis du mir sagst, was du brauchst.« Der Dämon flog nahe an Nessys Augen heran, und obwohl es schwierig war, im Gesichtsausdruck eines Käfers zu lesen, meinte Nessy, ein gefährliches Lächeln auf dessen Mundwerkzeugen zu sehen. »Dann können wir mit den Betrügereien anfangen.«

Nessy machte einen Schritt rückwärts. »Im Schloss gibt es einen Höllenhund.«

Das Glühwürmchen flitzte herum. »Der Höllenhund ist frei, losgelassen, um alle unangemessen verstorbenen Dinge zu verschlingen, die herumstreunen.«

»Du wusstest es also?«

»Ich weiß viele Dinge. Hatten wir das nicht schon mal? Geheimnisse sind meine Berufung, genau wie das Schloss zu hüten deine ist. Ich habe den Höllenhund hergebracht. Auf Margles Befehl hin und obwohl ich ihm davon abgeraten hatte. Sie sind sehr schwer im Zaum zu halten.«

»Kannst du ihn auch wieder zurückschicken?«

»Wenn es doch nur so einfach wäre, Nessy. Wäre es doch nur so einfach! Aber ich habe nur Kontrolle über die Bestie, wenn sie sich in meiner Gegenwart befindet. Wenn du sie zu mir bringen könntest, könnte ich sie zurück verbannen - dorthin, woher sie gekommen ist. Wenn ich aus meinem eigenen Gefängnis befreit wäre, könnte ich sie für dich aufspüren und wegschicken. Aber keines von beidem scheint mir möglich zu sein.«

»Nein.«

Das Glühwürmchen leuchtete in einem unschuldigen Weiß. »O nein. Natürlich nicht. Selbst wenn du die richtige Magie kennen würdest, um meinen Bann zu brechen, was offensichtlich nicht der Fall ist, wärst du eine Närrin, wenn du mich freiließest. Und du bist natürlich keine Närrin. Was willst du also dann von mir? Informationen, nehme ich an. Eines meiner Geheimnisse, die mir so lieb und teuer sind.«

»Wie kann ich den Höllenhund aufhalten?«

»Ich muss zugeben, ich bin ein wenig überrascht, dass du dir überhaupt die Mühe machen willst. Er bedeutet doch keine Gefahr für dich, solange du ihn in Ruhe lässt. Wärst du bereit, dein Leben für diese halblebendigen Kreaturen aufs Spiel zu setzen, die nun wirklich nicht in diese Welt gehören?« Die Dämonin flitzte hoch in die Luft, bis sie nur noch ein gelbes Pünktchen war. »Antworte nicht. Ich sehe es ganz klar in deiner Seele. Sie bedeuten dir tatsächlich etwas. Das berührt mich. Wirklich. Und wenn irgendein Dämon auch nur ein Gramm Nächstenliebe besäße, wäre ich versucht, dir die Frage umsonst zu beantworten. Leider bin ich dieser Gnade beraubt. Aber ich werde dir helfen. Und was die Bezahlung angeht …« Sie hielt inne, als wäre sie abgelenkt worden, und schwebte langsam tiefer herab. »Alles, worum ich dich bitte, ist ein einfacher Klumpen Kohle.«

»Einverstanden.« Nessy dachte nicht einmal darüber nach.

»Was?« Das Glühwürmchen landete zu Nessys Füßen. »Meine erste Bitte? Mein liebes Mädchen, ich weiß nicht, ob sich jemals einer die Zeit genommen hat, dir die Feinheiten der dämonischen Verhandlungen beizubringen, aber du darfst einem Dämon nie das Erste geben, worum er bittet.«

»Ich weiß ja. Aber ich weiß auch, dass du sehr viel gerissener und manipulativer bist, als ich es je für mich selbst hoffen könnte. Zu versuchen, dich zu überlisten, wäre nur Zeitverschwendung für uns beide. Was auch immer du verlangst, es wird mir sicherlich später Probleme bereiten. Aber damit werde ich mich befassen, wenn es so weit ist.«

 

Die Dämonin lachte lange und herzlich. »Oh, wie wunderbar! Wie köstlich! Du bist eine sagenhafte Rarität. Zwei Arten von Idioten gehen Tauschhandel mit Dämonen ein. Einmal verzweifelte Narren, die glauben, sie hätten nichts zu verlieren, und dann arrogante Schwachköpfe, die glauben, sie könnten uns irgendwie in unserem Spiel schlagen. Wie reizend, jemanden zu treffen, der keines von beidem ist. Dann bekommst du meine Geheimnisse eben für Kohle.« Sie stieg in die Luft und glühte in grellrotem Feuer. Ihre Stimme dröhnte. »Der Handel ist abgeschlossen.«

»Soll ich die Kohle holen gehen?«

Die Stimme und das Leuchten der Dämonin wurden hell und sanft. »Ich vertraue dir, Nessy, und sich das Vertrauen eines Dämons zu verdienen ist eine einzigartige Leistung. Was die Methoden betrifft, den Höllenhund zu stoppen - da gibt es mehrere. Aber ich werde dir nur diejenigen verraten, die anzuwenden du auch eine Chance hast. Wenn er dem reinsten Sonnenlicht ausgesetzt wird, stirbt er.«

»Es gibt wenig Sonnenlicht in diesem Schloss.«

»Das kann ich nicht wissen, denn dieser verwünschte Raum ist ja alles, was ich davon zu sehen bekomme. Wenn du den Hund dazu bringen kannst, etwas zu sich zu nehmen, das noch lebt, wäre es ein höchst bösartiges Gift.«

»Wie soll ich das anstellen?«

Das Glühwürmchen tanzte auf und ab. »Das wirst du selbst herausfinden müssen. Und schließlich kann eine geweihte Waffe, die für die Kunst des Dämonentötens gedacht ist, die Bestie vernichten. Und ich glaube, genau so eine Waffe gibt es in Margles Waffenschrank, nicht wahr?«

Nessy wusste genau, wovon die Dämonin sprach. Es war das Prunkstück der so beeindruckenden, verzauberten Schwertsammlung ihres Meisters. »Aber das kann ich nicht benutzen. Selbst Margle konnte das nicht benutzen.«

»Oh, ich glaube schon, dass du das kannst. Ich glaube, du bist cleverer, als du selbst glaubst. Und ich glaube, du kannst dir einen Weg ausdenken, wenn du dich konzentrierst.«

»Bist du sicher?«

»Sicher? Nein, sicher bin ich nicht. Aber ich weiß Dinge, Nessy. Und ich bitte dich nur, mir zu vertrauen - so wie ich dir vertraue.«

Nessy ging rückwärts, sie wollte der Dämonin nicht den Rücken zuwenden. »Danke. Ich bringe dir die Kohle sofort.«

Die Tür öffnete sich und warf einen schmalen Streifen Licht herein. Nessy schlüpfte hinaus und schloss die Tür hinter sich. Das Glühwürmchen schwebte schweigend eine oder zwei Minuten iii der Luft, vielleicht auch eine Stunde oder drei. Manchmal war das so schwer zu sagen.

Die Tür ging wieder auf, doch Nessy setzte keinen Fuß hinein. Sie warf einen Klumpen Kohle über die Schwelle.

»Danke, Nessy.«

»Gern geschehen, Dämon.«

»Und denk daran, sei vorsichtig mit dem Höllenhund. Es würde mir wirklich leidtun, wenn dir etwas passierte.«

Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken.

Das Glühwürmchen schwebte über der Kohle. »Was für ein liebenswertes Geschöpf. Ich könnte sie wirklich mögen.«

Ein zweites Licht leuchtete neben ihr auf. »Binde dich nicht zu sehr an sie. Wenn die Zeit kommt, wird sie sehr wahrscheinlich versuchen, sich mir in den Weg zu stellen.«

Ein drittes Insekt leuchtete auf. »Wirklich schade. Hätte ich ein Herz, dann würde es jetzt schwer werden.«

»Was für ein Glück für mich«, sagte ein viertes, »dass ich keines habe.«

Eines nach dem anderen verscheuchten tausend Glühwürmchen die Dunkelheit. Das Flügelschlagen des Schwarms schwoll zu einem Tosen an.

Geschlossen löschten die Glühwürmchen ihre Lichter. Ihr Grollen verklang. Der Violette Raum war wieder dunkel. Und in dieser Dunkelheit kicherte leise ein Dämon.