Bauernopfer

Von Mastställen, Schlachthöfen und dem Tod auf der Weide

Auf jeden Fall lautet die entscheidende Frage nicht, ob Fleisch ohne Leiden produziert werden könnte, sondern ob das Fleisch, das wir kaufen, ohne Leiden produziert wurde.

Peter Singer, australischer Philosoph und Ethiker, in Praktische Ethik

Übler Gestank schlägt mir entgegen, als ich den Container öffne. Die Tiere leben ja noch, denke ich beim ersten Blick auf die Puten, die hier drin gelandet sind – als Ausschuss aus der Mast. Die einzigen Tiere, die sich da bewegen, sind allerdings nur Maden in ziemlich großer Zahl. Den Kadavergeruch schleppe ich mit ins Auto. Der schnittige neue BMW des Tierschützers scheint so gar nicht zu unserem Vorhaben zu passen. Wir wollen hier im Landkreis Cloppenburg, dem »Herzen« der industriellen Tierhaltung, Mastställen einen Besuch abstatten. »Ist nur geliehen, aber es gibt Situationen, in denen ein schnelles Auto vorteilhaft ist«, sagt Jan Peifer, der seit vielen Jahren als investigativer Journalist in Tierhaltungsbetrieben filmt. Immer mal wieder fragt er freundlich an, ob er Ställe anschauen darf, aber die Mäster scheuen die Öffentlichkeit und gewähren keinen Einblick. Also filmt er weiterhin ohne Genehmigung. Da macht er sich nicht nur Freunde, doch nur selten kam es bei seinen Recherchen zu unangenehmen Begegnungen. »Ich bin ein Schisser«, meint Jan. Für mich schwer vorstellbar bei diesem Job. Neben der Tierquälerei ärgert ihn besonders die gezielte Verbrauchertäuschung der Fleischindustrie, die den Konsumenten glauben lässt, die Produkte seien natürlich und hochwertig. Daher dokumentiert er die Missstände in der Tierhaltung, die sich hinter den meist nach Bauernhofidyll klingenden Produktnamen von Würstchen, Aufschnitt & Co. verbergen.

Fleischland

Im Verborgenen liegen die Mastbetriebe für Schwein, Huhn, Pute (Truthuhn) und Ente hier im Landkreis jedenfalls kaum noch. Dazu sind es inzwischen viel zu viele. Die Landschaft ist voll von ihnen und von den – praktischerweise gleich danebenstehenden – Futtermittelfabriken und Schlachthöfen. Mit etwa 45 Prozent der Gesamtbestände ist Niedersachsen quasi die Geflügelhochburg Deutschlands, mehr als die Hälfte aller deutschen Masthühner wird dort gehalten. Die menschlichen Bewohner hier leben offenbar nicht schlecht von der Nutztierhaltung. Die Wohngebiete aus neuen Einfamilienhäusern künden von Wohlstand. Ein gutes Drittel aller Betriebe des Landkreises Cloppenburg und rund 40 Prozent der Beschäftigten hier gehören zum Ernährungsgewerbe. Die Gemeinden Essen (!) und Emstek im Kreis Cloppenburg zählen zu den Kommunen mit den höchsten Gewerbesteuereinnahmen Niedersachsens. Vechta, der steuerkräftigste Landkreis, liegt gleich daneben. Laut Eigenwerbung bilden die beiden Kreise Cloppenburg und Vechta den »Kulturraum des Oldenburger Münsterlandes«.

Wir steuern noch bei Tageslicht verschiedene Anlagen an, um sie vom Auto aus in Augenschein zu nehmen. Einige kennt Jan bereits, auch von innen. An einem Maststall prangt Werbung für eine Fast-Food-Kette. Der nächste Imbiss, an dem wir vorbeikommen, nennt sich »Fleischparadies«. In diesem nahezu unterirdischen Landstrich – wir befinden uns laut Navi einen Meter unter dem Meeresspiegel – scheint alles mit Fleisch zu tun zu haben. Mein Hirn wird in der Dämmerung schon ganz wuschig. Wirft da nicht gerade jemand totes Geflügel ins Feuer? Und ist das Hackepeter dort auf der Reklametafel? Nein, es sind nur rote Geranien. Vielleicht bin ich etwas nervös. Besser erst mal was essen. Pommes gibt es zum Glück überall.

Die Region produziert nicht nur Fleisch in Massen, auch erneuerbare Energien liegen hoch im Kurs. Die Felder mit Raps und Energiemais stehen mancherorts noch jetzt im Herbst, dazwischen Windräder, und neben den Mastanlagen blähen sich die Tanks von Biogasanlagen auf. Gülle und Mist zur Gärung gibt es hier zweifellos mehr als genug. Und nahezu jedes der mehrere Hundert Meter langen Dächer der Mastställe ist mit Solarzellen gepflastert. Das trübe Wetter scheint nicht ganzjährig vorzuherrschen. Uns kommt der Nebel heute gelegen, der Vollmond würde unser nächtliches Treiben eher erschweren. Jan ärgert sich, dass er sein Nachtsichtgerät vergessen hat. »Aber früher ging’s auch ohne«, tröstet er sich.

Das Navi lotst uns in die Nähe unseres ersten Besuchsobjekts. Ich fühle mich wie ein Ganove bei Aktenzeichen XY, als ich Handschuhe und Sturmhaube anziehe und wir ins Dunkel der Nacht tauchen. Putenmastanlagen sehen nachts von Weitem aus wie lange grüne Lichterketten. Durch die Kunststoffrollos der seitlichen Fenstergitter schimmert das Kunstlicht, das fast rund um die Uhr brennt, um die Futteraufnahme der Tiere anzuregen. Ein paar Dutzend Meter vor der Anlage hören wir ihr Gurren, es klingt wie ein Schwarm Gänse am Himmel. Die Masse an Truthühnern ist beklemmend, wenngleich ich nicht die ganze Länge des Stalls überblicken kann. Bis zu 20000 Vögel würden in dieser Art von Ställen leben, erzählt Jan. Drei Ställe stehen hier dicht beieinander.

Entenhausen

Ein Wassergraben trennt uns von der nächsten Station unserer Tour. Ich will weder nass werden noch kneifen, es hilft nur ein sehr beherzter Sprung. Die Anlage ist besetzt mit Pekingenten (»Einmal die 92, süß-sauer, mit Reis«). Süß sind die kleinen Entenküken, die neugierig durch den Torspalt linsen. In großen Gruppen kuscheln sie sich im Aufzuchtstall aneinander. Wie ein riesiger Schwarm Hornissen klingt das Schnattern der erwachsenen Tiere im benachbarten Maststall. Pekingenten sind viel größer als Stockenten. Das Gefieder dieser Tiere hier ist struppig und verdreckt. Enten hätten in der Mast etwas mehr Platz als andere Vögel, weil sie sich mehr bewegen müssten, um Fleisch anzusetzen, erklärt mir Jan. Aber auch sie wachsen zu schnell. Daher sehen sie so unproportioniert aus und bekommen Gleichgewichtsstörungen. Manche Enten liegen deswegen hilflos auf dem Rücken und kommen nicht mehr auf die Beine. Ich denke lieber nicht darüber nach, was mit ihnen passiert. Pro Ente verdient der Landwirt lediglich 22 Cent. Da kann er sich nicht mit einzelnen Tieren aufhalten.

Das Bayerische Landwirtschaftsministerium empfiehlt Neueinsteigern die Pekingentenmast. Investitionen seien vor allem dann lukrativ, wenn sich die Pekingente vom Saisonal- zum Ganzjahresgeflügel entwickeln würde. Ganzjahresgeflügel! Damit ein landwirtschaftlicher Familienbetrieb 50000 Euro im Jahr einnimmt, rechnet das Ministerium vor, muss er 34000 Entenmastplätze haben und eine Viertelmillion Tiere im Jahr verkaufen. 2011 schlüpften in Deutschland 22 Millionen Entenküken zum Gebrauch. Beim derzeitigen Pro-Kopf-Konsum in Deutschland von nur 1 Kilo Entenfleisch pro Jahr geht wohl noch was. Vom Schwein verdrückt der Durchschnittsdeutsche satte 40 Kilo. Die Mast sei zudem »wegen der Robustheit des Wassergeflügels« interessant, so das Ministerium. Bademöglichkeiten gibt es natürlich keine in diesen Anlagen. Die Enten gründeln daher in der Einstreu, sodass ihre Nasenlöcher dauerhaft verstopfen. Die Tiere können sich auch nicht reinigen. Manche haben schon keine Federn mehr auf dem Rücken, oder diese sind verklebt vom langen Liegen. Nach drei Wochen im Aufzuchtstall und weiteren vier Wochen im Maststall werden die Enten bei rund 3 Kilo Lebendgewicht »ausgestallt«. So sind bis zu 13 Durchgänge pro Jahr möglich.

Neben Pekingenten sind auch Warzenenten beliebt. Sie werden im Handel vorzugsweise unter dem Namen Flugenten oder Barbarie-Enten verkauft und »leben« ebenfalls in Intensivmast, dürfen also weder fliegen noch schwimmen. Aus Mangel an Beschäftigung und weil sie den Stress mit zu vielen Artgenossen besonders schlecht ertragen, neigen sie zum gegenseitigen Bepicken. Da sie schärfere Schnäbel als Pekingenten besitzen und das Federpicken den »Schlachtkörper« beeinträchtigen würde, werden bei den Jungtieren die schmerzempfindlichen Schnäbel gestutzt – und zwar ohne Betäubung. Da sie zudem Krallen an den Zehen haben, werden die Krallen im Akkord ratzfatz mit abgeschnitten, sodass häufig gleich der mittlere längere Zeh abgetrennt wird. Ansonsten hält man die Enten, um das gegenseitige Bepicken zu verhindern, auch gern im Dunkeln. Von diesen Haltungsbedingungen erfahre ich nicht durch vegane Tierbefreier, sondern durch den Verein PROVIEH, der sich für eine »artgemäße Nutztierhaltung« einsetzt.

Ein lautes Rasseln erschreckt mich. Aus einem Silo wird alle paar Minuten automatisch Futter zu den Tieren geleitet. Ad-libitum-Fütterung nennt sich das, also »All you can eat« für Enten, denn Fressen ist ihre einzige Aufgabe. Ach ja – und gefressen zu werden.

Dicke Luft

Zum nächsten Putenstall geht es zu Fuß quer über ein Feld, ausgerechnet jetzt kommt ein Auto in dieser gottverlassenen Gegend vorbei. Lieber nichts riskieren, also flach auf die Erde legen. Sie ist weich und glücklicherweise nicht frisch gedüngt. Die Luft im Stall ist staubig, der Gestank enorm. Um uns herum weichen Hunderte von Putern auf einem Belag von Streu, Federn und Kot zurück. Ihr Platz ist beschränkt, auch wenn sie noch nicht schlachtreif sind. Masthühner beiderlei Geschlechts hätten es nach 30 Tagen hinter sich, bei den Truthühnern hingegen lebten die männlichen Truthühner 20 Wochen, die Weibchen 14 Wochen unter diesen Bedingungen. Das sei schon übel, findet Jan. Der Mastplan im Stall verrät uns, dass die Männchen hier erst in der 13. Woche sind. Aus den etwa 50 Gramm leichten Küken wachsen bis zum Mastende Hähne mit einem Schlachtgewicht von über 20 Kilo heran. »Kurz vor der Schlachtung können sie sich gar nicht mehr bewegen, dann ist einfach kein Platz mehr da«, sagt Jan. In Deutschland werden fast ausschließlich Truthühner aus der schweren breitbrüstigen Zuchtlinie BIG 6 gehalten. Zuchtziel: maximale Ausschöpfung des genetischen Wachstumspotenzials. Die Fortpflanzung auf natürlichem Weg ist nicht mehr möglich, die Puten in den Zuchtbetrieben werden künstlich besamt. Ohnehin teilen sich weltweit nur drei Zuchtbetriebe mit ihren schnell wachsenden Zuchttieren den Markt auf. Auch in der Biohaltung, also der ökologischen Landwirtschaft, werden überwiegend schnell wachsende Hybride eingesetzt, das heißt gezielte Kreuzungen aus unterschiedlichen Elternrassen. Da eine Nachzucht bei Hybriden nicht möglich ist, stammen die Bioputen mehrheitlich ebenfalls aus den konventionellen Qualzuchten der marktbeherrschenden Zuchtbetriebe (mehr dazu im Kapitel »Vegetarier sind Mörder!?«).

Anspruch und Wirklichkeit: Ökologische Tierproduktion

Seit dem Jahr 2000 definiert die EG-Öko-Verordnung neben dem ökologischen Pflanzenbau auch die Standards für tierische Erzeugnisse, die mit »Bio« oder »Öko« und dem staatlichen bzw. europäischen Biosiegel gekennzeichnet sind. (Ökologisch und biologisch sind in diesem Zusammenhang gleichbedeutende Begriffe.) Die Rahmenbedingungen für die Aquakultur von Fischen und anderen Wassertieren sind seit 2009 ebenfalls Teil der Öko-Verordnung. Die Verordnung verlangt die Einhaltung von Tierschutzstandards, die strenger sind als in der konventionellen Landwirtschaft. Offiziell zugelassene Kontrollstellen prüfen einmal jährlich unangemeldet, ob Betriebe, die ökologisch produzieren, die Bestimmungen einhalten. Konventionelle Betriebe hingegen werden von den Amtsveterinären nur stichprobenartig überprüft. Es gibt einzelne konventionelle Markenfleischprogramme wie NEULAND, die für die Tierhaltung teilweise deutlich strengere Vorschriften haben als die der EG-Öko-Verordnung.

In der Biolandwirtschaft ist die Zahl der Tiere an die Größe der landwirtschaftlichen Flächen eines Betriebes gebunden. Es darf nicht mehr Dung aus der Tierproduktion anfallen, als zur Nährstoffversorgung für die Pflanzenproduktion ausgebracht wird. Rückstände von chemischen Pflanzenschutzmitteln und genetisch veränderten Organismen kommen in Bioprodukten nur durch Verunreinigungen zustande und daher nur in außerordentlich geringen Mengen vor. Ihr Einsatz ist nicht erlaubt. Es dürfen auch wesentlich weniger Antibiotika und chemische Medikamente verwendet werden. Die Ökobestimmungen sehen vor, dass die einzelnen Tiere mehr Platz sowie Zugang zum Freiland haben und sie zum Teil etwas länger leben. Deswegen nehmen etwa Hühnchenmäster nur Tiere, die langsamer wachsen als die hochgezüchteten Rassen. Hinsichtlich des Tierschutzes gehen die Bestimmungen der ökologischen Anbauverbände wie Naturland, Bioland und Demeter in einigen Punkten über die EG-Öko-Verordnung hinaus.

Die Bestimmungen sind das eine, leider sieht die Wirklichkeit häufig anders aus, schreibt das Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI) für Ökologischen Landbau. Das betrifft etwa die große Anzahl an Ausnahmegenehmigungen sowie den Einsatz von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln, der ähnlich häufig vorkommt wie in der konventionellen Landwirtschaft. Außerdem sieht das vTI in der Praxis »teilweise eine wenig tiergerechte Haltung trotz Einhaltung aller Öko-Standards«. Schmerzhafte Eingriffe wie Enthornung, Kastration oder Amputationen ohne Betäubung sind teilweise erlaubt, wenngleich in den meisten Richtlinien der ökologischen Anbauverbände nur in Ausnahmefällen. Die für die Intensivhaltung gezüchteten Tiere, die meist ebenso in Biobetrieben genutzt werden, zeigen häufig Fehlverhalten wie Kannibalismus und Federpicken. Die Lebensleistung und das Schlachtalter von Milchkühen und Legehennen aus ökologischer Haltung unterscheiden sich ebenfalls kaum von Lebensleistung und Schlachtalter in der konventionellen. Dazu kommt, dass die angestrebte Verwendung von 100 Prozent Biofutter bei einigen Tierarten zu gesundheitlichen Problemen etwa durch eine Proteinunterversorgung führen kann.

Die Knochen und Knorpel der Truthühnerbeine können mit dem schnellen Wachstum des übrigen Körpers nicht mithalten, daher sind im letzten Drittel der Mast die Gliedmaßen der Vögel häufig verformt. Durch Zucht wurde der Brustfleischanteil seit 1970 um ein Viertel auf 40 Prozent des Körpergewichts gesteigert, die Tiere können am Ende der Mast oft nicht einmal mehr richtig stehen. Inzwischen versucht man züchterisch, »den Schwerpunkt zu verlagern«. Fast alle Tiere haben krankhafte Veränderungen an den Füßen. Wir sehen einen Puter mit einer Brustblase. Durch das ständige Liegen im Kot kommt es am Brustmuskel zu Entzündungen mit Wassereinlagerung. Andere Vögel sind am Kopf oder Hals verletzt, obwohl auch hier allen Tieren die Schnabelspitzen gekürzt wurden. Dabei sind die Schnäbel eigentlich auch wichtige Tastorgane. Sie werden – wie zu erwarten war – genau wie bei anderem Geflügel ohne Betäubung gekürzt, was anhaltende Schmerzen verursacht. Laut Tierschutzgesetz ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen grundsätzlich verboten, und ein mit Schmerzen verbundener Eingriff hat unter Betäubung zu erfolgen. Doch es gibt zahlreiche Einschränkungen. Die zuständigen Behörden billigen daher regelmäßig die Amputation der empfindlichen Schnabelspitzen (man spricht beschönigend vom »Schnäbeln«). Die Halter müssen lediglich glaubhaft darlegen, »dass der Eingriff im Hinblick auf die vorgesehene Nutzung zum Schutz der Tiere unerlässlich ist«. Geschnäbelt werden standardmäßig auch Hühner, und selbst in der Biohaltung sind Amputationen per Ausnahmegenehmigung zulässig.

Nicht nur in der Krankenbucht, einem vom übrigen Stall nur halbherzig abgetrennten Bereich, liegen Puter reglos am Boden. Ein Tier ist offensichtlich tot, eines ist wohl schon länger nicht mehr auf die Beine gekommen, andere stupsen oder behacken es bereits. Schön sind diese Vögel nicht gerade, dennoch empfinde ich Sympathie für sie, wenn ich sehe, wie sie uns neugierig beäugen. Und ich schäme mich für meine Artgenossen, die ihnen das hier zumuten. In einem abgetrennten Raum steht ein offener Tank mit Trinkwasser, daneben liegen mehrere Säckchen mit Antibiotika, die hier wohl direkt hineingeschüttet werden. Klar, dass bei dieser Art der Massenhaltung keine Einzeltiere behandelt werden, sondern gleich der gesamte Bestand. Antibiotika dürfen zwar in Deutschland nicht mehr als Wachstumsförderer verabreicht werden, dieser Nebeneffekt der Medikation dürfte den Mästern aber weiterhin willkommen sein.

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Nicht alltäglich für mich, aber für die Puter: normales Gedränge in einer Putenmastanlage. (Quelle: Jan Peifer, www.tierschutzbilder.de)

Die letzte Anlage für heute beherbergt nochmals Puten. Wir können nur von außen reinschauen. Als ich die Lamellen einer Jalousie vor einem der großen senkrechten Lüftungsventilatoren hochklappe, bläst mir eine stinkende Staubwolke mitten ins Gesicht. Es brennt in Hals und Augen. Vor den Fenstern ist der Rasen wie von Schnee gepudert. Dann traue ich meinen Augen nicht. Schemenhaft nehme ich eine Pute im rotierenden Ventilator wahr. Jan bestätigt meinen Eindruck. Von der anderen Seite des Stalls aus sehen wir, dass sich an einigen Ventilatoren das innere Schutznetz gelöst hat.

Ich bin froh, kurz darauf im Hotel den Schlamm von den Schuhen und den Geruch vom Körper abduschen zu können. Die Bilder im Kopf bleiben.

Der Morgen danach

Bevor wir am nächsten Morgen Cloppenburg verlassen, machen wir noch Halt am Schlachthof. Direkt neben der Schlachterei gibt es den Truthahn-Shop, wohl eine Art »Factory-Outlet« oder Fabrikverkauf. Ich frage mich, ob auch so offensichtlich kranke Tiere, wie wir sie entdeckt haben, verarbeitet werden. Jan hat solche Tiere jedenfalls schon auf Transportern gesehen. Sie gelangen also anscheinend in die Schlachtung, und die Amtsveterinäre im Schlachthof haben viel zu wenig Zeit, um alle Tiere einzeln zu begutachten.

Den Autokennzeichen nach kommen viele Arbeiter des Schlachthofs aus Rumänien, Polen und Ungarn. Ein weiterer Schlachthof ist nebenan gerade im Bau. Alle paar Minuten kommt jetzt ein Lkw mit Schweinen an. Gestutzte Schwänze ragen aus den teilweise dreistöckigen Transportern. Das Ausladen können wir nicht beobachten, nur das Quieken tönt zu uns hinüber. Laut Hermann Focke, dem langjährigen Veterinäramtsleiter dieser Region, sterben auf dem Transport schon viele Schweine durch Überhitzung oder Stress. Beim Transport steht einem 100-Kilo-Schwein ein Platz von weniger als einem halben Quadratmeter (8 DIN-A4-Blätter) zur Verfügung. Nach Focke erreichen in Deutschland mehr als 400000 Schweine jedes Jahr den Schlachthof nur noch tot. Die in diesem Schlachthof lebend ankommenden Tiere werden zu Fleisch- und Wurstspezialitäten der Region verarbeitet. Die Fleischreklamen auf den Lkws wirken auf mich noch immer appetitlich.

Der plattgefahrene Rest eines Masthuhns liegt im Kreisverkehr – offenbar vom Laster gefallen. Der Verlust für den Landwirt beträgt 9 Cent. Kein Wunder, dass vor den Mastbetrieben Müllcontainer für den einkalkulierten Ausschuss stehen. Ich wage bei den nächstbesten »Bauernhöfen« nochmals einen Blick, zunächst in einen Edelstahlbehälter vor einer Schweinemastanlage. Nur der Ringelschwanz und ein bisschen Haut lassen mich in dem Gekröse erkennen, dass dies mal ein Ferkel gewesen ist. Die Puten im nächsten Container wirken dagegen noch ganz frisch. Jan hat tatsächlich schon erlebt und dokumentiert, dass noch lebende Tiere im Abfall lagen. Das ist verboten, und ein Mäster eines bekannten Geflügelkonzerns wurde daraufhin auch schon einmal angezeigt, mit dem Resultat, dass dessen Mülleimer jetzt abgeschlossen sind.

Am Bahnhof verabschiede ich mich von Jan. Im Bahnhofsrestaurant gibt es heute Nudeln mit Putenhackfleischsoße. Etwas zu essen hole ich mir woanders.

Tierfilme

Ein paar Wochen später treffe ich Jan wieder. Wir sitzen im Restaurant, und ich lasse mir von ihm auf seinem Laptop selbst gedrehte Aufnahmen aus der Tierhaltung in deutschen Landen zeigen. Dazu gibt es Gulasch und Spaghetti Bolognese, vegan. Die Leute um uns herum sehen zwar nicht, was wir sehen, müssen aber unsere Kommentare ertragen. Jan hat schon nahezu sämtliche Nutztierarten in Deutschland gefilmt. Doch noch nie durfte er offiziell in Ställen drehen. »Haben die was zu verbergen?«, fragt man sich da doch. »Gerade weil die niemanden reinlassen, bekommen meine Bilder Gewicht und gewinnen an Glaubwürdigkeit«, sagt Jan. »Im Grunde sehen die Ställe alle gleich aus«, fasst er seine Erfahrungen zusammen. »Praktisch alle Tiere in der Massentierhaltung werden aus meiner Sicht tierschutzwidrig und vor allem nicht artgerecht gehalten.« Die Probleme bestünden meist aufgrund der Enge. In der Mehrzahl der Fälle sei dies aber kein Missstand, der gesetzlich relevant wäre. »Die Behörden kann man informieren, wenn – so blöd das klingt – das Gebäude baufällig ist oder etwas runterzufallen droht. Oder wenn der halbe Stall voll toter Tiere liegt und man das Gefühl hat, da grassiert eine Seuche. Was die Tierhaltung angeht, gibt es kaum Möglichkeiten. Es gibt nur sehr wenige gesetzliche Vorgaben, und die, die es gibt, sind völlig unzureichend.« Leider seien zudem die Amtsveterinäre, die für die Ahndung von Missständen in der Tierhaltung zuständig sind, nicht zu gebrauchen, findet Jan. Und der Konsument denke sich, so schlimm wird’s schon nicht sein. Bei Fleisch, das man ganz normal beim Metzger, im Supermarkt, im Restaurant oder Imbiss kauft, müsse man jedoch davon ausgehen, dass es aus ganz herkömmlichen Produktionsbetrieben komme. Man rede sich das schön, glaubt Jan. »Die Leute sagen ja oft: ›Ich kenn doch den Metzger, ich kenn den, der das Restaurant betreibt.‹ ›Schön, dass du den kennst‹, sage ich dann, ›und mag auch sein, dass der immer alles schön sauber macht. Aber das hat ja nichts damit zu tun, wo das Fleisch herkommt und unter welchen Umständen es produziert wurde. Der hat ja keinen eigenen Stall.‹ Das finde ich so absurd, dass die Leute von irgendwelchen äußeren Gegebenheiten darauf schließen, dass auch alles gut ist, was es dort zu kaufen gibt.«

Er zeigt mir als erstes herzerweichende Aufnahmen von Mastkaninchen. Sie gehören zu den wenigen Nutztierarten, die noch in Käfigen gehalten werden, dabei haben Kaninchen sehr empfindliche Pfoten. Für die Tiere ist diese Haltung eine Katastrophe, die Verlustrate liegt zwischen 15 und 20 Prozent. In Deutschland leben 25 Millionen so auf engstem Raum, ganz legal. Ein Tier in Jans Film hat sich im Futternapf eingeklemmt, er musste es schließlich aus der misslichen Lage befreien. Seine Ohren waren zudem durch die Käfiggitter hindurch bereits von Artgenossen angenagt worden. Ob das notleidende Tier vom Mäster entdeckt worden wäre, ist zweifelhaft. Andere Kaninchen haben aufgrund der starken Ammoniakdämpfe Augenentzündungen. »Der Halter wurde zwar angezeigt«, berichtet Jan, »es ist aber nichts passiert. Es gibt kein Gesetz, das die Haltung in dieser Form verbietet.« Das deutsche Tierschutzgesetz fordert zwar von einem Halter, seine Tiere verhaltensgerecht unterzubringen. Eine entsprechende Verordnung, die dies näher definieren würde, gibt es für Kaninchen jedoch nicht.

Broiler, Brust und Braten

Mit rund 67,5 Millionen Tieren führen die Masthühnchen zum Zählungsstichtag des Statistischen Bundesamtes am 1. März 2010 die Liste der Tierproduktion in Deutschland an. Der Bioanteil liegt mit 1,1 Millionen Masthühnern dabei weit unter 2 Prozent, und auch bei den Masthühnchen handelt es sich, wie bei den Puten, meist um Hochleistungszüchtungen aus einer Handvoll weltweit agierender Zuchtbetriebe. Die jährliche Gesamtzahl an männlichen und weiblichen »Gebrauchs-Schlachtküken« lag 2011 sogar bei rund 646 Millionen. Sie wuchsen, über das Jahr auf etwa acht Mastdurchgänge je Betrieb verteilt, zu Hühnchen heran. Produzenten wie Wiesenhof und Gutfried sprechen lieber von Hähnchen, obwohl männliche wie weibliche Tiere gemästet werden. Ob damit der Eindruck erweckt werden soll, dass es sich um die Brüder der Legehennen handelt? Schon seit Anfang der 1960er-Jahre gibt es getrennte Zuchtprogramme für Masthühnchen alias Broiler bzw. Brathähnchen und für Legehennen. Die bei den Masthühnern durch Zucht gesteigerte Futterverwertung führt zu einer grotesk hohen Gewichtszunahme von bis zu 60 Gramm pro Tag. Das Brustfleisch macht zum Mastende hin ein Viertel ihres Gesamtgewichts aus, dann wiegen die Tiere zwischen 1,5 und 2,5 Kilo. Im Schlachtalter der Masthühner von etwa 34 Tagen wiegen Legehennen hingegen gerade einmal 400 Gramm. Sie erreichen das Schlachtgewicht der Broiler erst nach 120 Tagen – da sind die gemästeten Hühnerkinder schon rund 90 Tage tot. Natürlich hat das rasante Wachstum der Masthühner gravierende Folgen für sie: Ihr Federkleid kann nicht mit dem Wachstum des Körpers mithalten. Da braucht es gar kein Federpicken mehr, um halb nackig zu sein. Gliedmaßen- und Skelettschäden sowie schmerzhafte Gelenkentzündungen und Sohlenballenveränderungen verringern ihre Bewegungsfähigkeit, die durch den Platzmangel in der späteren Mastphase ohnehin schon stark eingeschränkt ist. Zwei Drittel aller Schlachttiere haben verletzte Fußballen, die somit äußerst anfällig für Keime sind. Da jedoch die Füße vor der Fleischbeschau im Schlachthaus abgetrennt werden, werden derartige Verletzungen bei der Hygienekontrolle nicht berücksichtigt. Selbst bei artgemäßer Haltung mit Auslauf können diese überzüchteten Hochleistungstiere die Bewegungsangebote kaum noch nutzen. Dass die Hühner auch tatsächlich leiden, wurde wissenschaftlich belegt: Anders als gesunde Hühner bevorzugen lahmende Hühner Futter, das Schmerzmittel enthält. Nun, wer hätte das gedacht?

Eine weitere unschöne Begleiterscheinung der auf rasantes Wachstum abzielenden Zucht besteht darin, dass Fruchtbarkeit und Legeleistung stark nachlassen. Die Masttiere selbst pflanzen sich zwar nicht fort, aber ihre Eltern, die sie nie zu Gesicht bekamen, sollen dafür umso fruchtbarer sein und sich mehren. Diese müssen dazu aber hungern, weil sie sonst verfetten und nicht die erforderliche Leistung bringen, das heißt für genug Nachwuchs bzw. Nachschub sorgen. Bei der bei Masthühnchen üblichen Sattfütterung würde die Hälfte der Zuchttiere aufgrund der rapiden Gewichtszunahme nicht bis zum Ende der regulären Haltungsperiode von 68 Wochen überleben. Normale Hühner, die nicht auf rasantes Wachstum gezüchtet wurden, können unter artgemäßen Bedingungen übrigens ein Alter von fünf bis sieben Jahren und mehr erreichen.

Hohe Dichte

Nahezu die Hälfte der Masthühnchen lebt in Betrieben mit Beständen über 100000 Tieren, über 99 Prozent in Betrieben mit über 10000 Tieren. 20 bis 26 Hühner »tummeln« sich zum Mastende hin auf einem Quadratmeter. Laut EU-Richtlinie sind je nach Mastdauer Besatzdichten von 33 bis 42 Kilo Tier je Quadratmeter vorgesehen. Selbst bei der Untergrenze entspricht das lediglich zwei Dritteln eines DIN-A4-Blattes pro Tier. »Quetschhaltung« nennt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) treffend das Platzangebot für Masthühnchen. Es ist somit weitaus geringer als das Platzangebot für Legehennen in den inzwischen verbotenen Legebatterien, in denen sich 17 Hennen einen Quadratmeter teilten. Kamerateams werden in Mastbetrieben daher üblicherweise nur zu Beginn der Mast zugelassen, wenn die »Hähnchen« noch klein sind und Platz haben. In der ökologischen Geflügelhaltung gibt es für die Anzahl der Tiere pro Stalleinheit Obergrenzen: Bei Masthühnern sind es 4800, bei Puten 2500 und bei Legehennen 3000 Tiere. Die Biohühnchendichte ist verschieden, je nach Bioverband und Stallsystem. Bei Bioland und Demeter ist die Besatzdichte auf 10 bis 16 Tiere pro Quadratmeter begrenzt. Und die meisten Hühner in der Biomast leben 80 Tage, also mehr als doppelt so lange wie ihre Artgenossen in herkömmlichen Mastbetrieben. Die Ställe entsprechen dabei denen in der konventionellen Haltung, aber es gibt erhöhte Sitzstangen und einen Außenklimabereich. Die 3 Prozent Freiland- und Biomasthühner haben darüber hinaus für ein Drittel ihrer Lebenszeit Anrecht auf »Grünauslauf« – theoretisch. Im Winter oder bei Schlechtwetterperioden muss das nämlich nicht eingehalten werden. So bleiben auch Biotiere unter Umständen ihr ganzes Leben im Stall. Zudem nutzen viele Hühner den Auslauf ins Freie nicht, wenn er schlecht strukturiert ist – beispielsweise keine Deckung vor Fressfeinden aus der Luft aufweist – oder sie den Freigang mangels erwachsener Vorbilder nicht erlernen.

Kollateralschäden

Nicht nur das ständige Liegen auf dem vollgekoteten Boden, auch die stark von Ammoniak belastete Luft reizt die Haut der Tiere. Flüssigkeit kann sich in Lunge und Bauchhöhle einlagern, die Leber verfettet, und die Immunabwehr ist geschwächt. Da verwundert es nicht, dass nahezu alle Masthühnchen im Laufe ihres kurzen Daseins mit Antibiotika behandelt werden, bisweilen mit vielen verschiedenen Präparaten. In der Hälfte der vom nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerium untersuchten Fälle wurden die Antibiotika nur ein bis zwei Tage verabreicht, obwohl bei einer medizinischen Behandlung drei bis sechs Tage nötig wären. Das deutet darauf hin, dass die Antibiotika verbotenerweise lediglich als Wachstumsbeschleuniger eingesetzt wurden. Solange die Arzneimittelverwendung bei Geflügel nicht zentral erfasst wird, dürfte sich daran kaum etwas ändern, denn von dem System profitieren viele: Die Medikamente ermöglichen Wirtschaftlichkeit trotz Qualzucht und Qualhaltungsbedingungen, die behandelten Tiere wachsen schneller heran, Tierarzt und Pharmaindustrie verdienen an den verkauften Präparaten, und die Verbraucher dürfen sich weiterhin über günstiges »Hähnchenfleisch« freuen. Fleischwirtschaft online berichtet, dass 2011 im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel der Erlös mit weißem Fleisch, also Geflügel, um 3 Prozent zugenommen hat.

Jans Filmaufnahmen hier vor mir trüben die »Idylle«. Eigentlich gibt es Vorschriften, die besagen, dass man tote Tiere aus dem Stall entfernen muss. Doch die Hühner-Verlustrate während der Mast liegt bei über 5 Prozent. Ausgehend von 40000 Tieren im Stall, kommen so 2000 tote Tiere pro Mastdurchgang zusammen, rund 60 am Tag. Bundesweit sind es über 30 Millionen im Jahr. Broiler werden lange vor der Geschlechtsreife geschlachtet, weil aufgrund des jugendlichen Alters die Folgen der Erkrankungen noch nicht voll durchschlagen und die Zahl der »Abgänge« vergleichsweise gering bleibt. Viele Tiere sterben dennoch an plötzlichem Herztod, andere verhungern oder verdursten, weil sie es nicht mehr schaffen, sich fortzubewegen. Ein Mäster in Jans Aufnahmen hat die toten Tiere einfach in eine Ecke geworfen und dort liegen lassen. Manche Tiere sind nicht mehr als solche zu erkennen, weil sie von den anderen plattgetrampelt wurden. Jan zeigt Aufnahmen aus einem Stall, der das für Tierfreunde nicht gerade empfehlenswerte QS-Prüfzeichen (Qualität und Sicherheit) tragen durfte, darin etliche tote Tiere, die nicht weggeschafft worden waren. Die Folge der Anzeige: Der Mäster musste wenige Hundert Euro Strafe zahlen.

Gänsefleisch ma da Schnabel uffmache

Rasantes Wachstum gibt es auch bei Gänsen, zumindest bei deren Lebern. Stopfleber (Foie gras) und die daraus hergestellte Gänseleberpastete ist eine in Frankreich als nationales Kulturerbe geadelte Delikatesse. Die Website ich-liebe-kaese.de rät, Foie gras als Vorspeise zu genießen, weil dann die Geschmacksknospen am aufnahmefähigsten seien, und sie niemals auf Brot zu schmieren, denn das wäre ein arger Fauxpas. Ob in Zukunft auch der Verzehr von geschnittener oder gebratener Foie gras als Fauxpas gilt, wenn die damit verbundene Tierquälerei nicht mehr akzeptiert wird? Zwar ist die Produktion von Stopfleber in den meisten europäischen Ländern verboten, nicht aber deren Verkauf. So kommen beinahe alle Stopflebern aus Frankreich, gefolgt von Ungarn und Bulgarien. Doch nicht allein die Lebern der zwangsgemästeten Tiere werden hierzulande verkauft, sondern auch der »Rest«. Nur ein kleiner Teil des in Deutschland angebotenen Gänsefleischs stammt auch von hier. Rund ein Viertel des Gänsefleischs und selbst ganze Tiere (ohne Innereien) dürften aus der Stopfleberproduktion stammen, erfahre ich von Jan. Das Fleisch ist praktisch ein Nebenprodukt der Fettleber. Anhand der Länder-Kürzel FR, HU und BG in dem auf Fleischerzeugnisse aufgedruckten Oval erkennt man zumindest, ob diese zuletzt in einem der drei Stopf-Länder verarbeitet oder verpackt wurden. Die ursprüngliche Herkunft des Produkts oder der Rohstoffe erfährt man leider nicht so leicht. Der Großteil der hierzulande angebotenen Stopfleberprodukte stammt übrigens nicht von Gänsen, sondern von Enten, weil die billiger zu halten sind.

Die Quälerei mit der Stopfleber beginnt schon früh. Nur die Lebern männlicher Küken wachsen schnell genug, daher werden die unwirtschaftlichen weiblichen Küken nicht aufgezogen, sondern gleich getötet. Die Masttiere leben oftmals in Drahtkäfigen und werden über mehrere Wochen hinweg mehrmals täglich mithilfe eines dicken Rohres und Druckluft mit enormen fetthaltigen Breimengen im wahrsten Sinne vollgestopft. Verletzungen an der Speiseröhre sind an der Tagesordnung, zudem drückt die schnell wachsende Leber zunehmend auf die Lunge und andere innere Organe. Viele Tiere sterben, bevor sie das Schlachthaus erreichen. Weitere Details über diese Delikatesse, bei denen einem wahrlich der Appetit vergeht, sind im Internet nachzulesen. Bei Kilopreisen von zum Teil weit über 100 Euro dürften den meisten der Verzicht und die Ächtung von Stopfleber gar nicht schwerfallen. Aber man sollte sich nicht zu früh in Sicherheit wiegen: Recherchen der Tierschutzorganisation »Vier Pfoten« haben ergeben, dass die Daunen ungarischer Stopfgänse, bisweilen sogar im brutalen Lebendrupf »geerntet«, in Daunenjacken und -schlafsäcken namhafter Outdoor-Hersteller landen. Na denn gute Nacht!

Keine Gutenachtgeschichte

Piggeldy wollte wissen, was Schweineproduktion ist. »Frederick«, fragte Piggeldy seinen großen Bruder, »Frederick, was ist Schweineproduktion?« »Nichts leichter als das«, antwortete Frederick. »Komm mit!« Piggeldy folgte Frederick.

Eine derartige Folge von »Piggeldy und Frederick« hat es beim Sandmännchen natürlich nie gegeben. Die Geschichte, wie die Wurst aufs Brot kommt, ist nicht wirklich etwas für Kinder und nicht wirklich erfreulich.

Auf der Website des Informationszentrums für die Landwirtschaft proplanta.de jubiliert man, dass im »Schweinejahr 2011« erstmals in der deutschen Geschichte mehr als 59 Millionen Schweine geschlachtet wurden – und das trotz des kurzzeitigen Einbruchs der Erzeugerpreise aufgrund des Dioxinskandals. Bei Schnitzelpreisen ab 5 Euro das Kilo dürfte der Verzicht auf Schweinefleisch schwerer fallen als der auf die teure Stopfleber. Beim Schwein darf es gerne noch etwas mehr sein. Schweinefleisch boomt sowohl in Deutschland als auch als Exportartikel. Mit über 5 Millionen Tonnen im Jahr ist Deutschland der größte Schweinefleisch-Produzent der EU und liegt weltweit auf Platz 3. Die Zahl der Betriebe nimmt zwar stark ab, die Tierbestände hingegen nehmen zu – und damit auch die Konzentration. Fast 90 Prozent aller deutschen Schweine lebten 2011 in Betrieben mit 500 und mehr Tieren, und immerhin fast 70 Prozent in Betrieben ab 1000 Tieren. In Mecklenburg-Vorpommern liegt der durchschnittliche Bestand an Schweinen bereits weit darüber. Für Regionen mit einer hohen Schweinedichte wie Vechta bedeutet das im Durchschnitt sogar über 3000 Schweine pro Betrieb, und mancherorts gibt es gar Bestände von mehreren Zehntausend.

Zucht-»Erfolge«

Schweine sind sehr neugierige und bewegungsfreudige Tiere mit einem ausgeprägten Sozialverhalten. Ihre Intelligenz ist mindestens vergleichbar mit der von Hunden. Außerdem sind sie, sofern sie die Möglichkeit dazu haben, sehr reinlich. Trotz der langjährigen Zucht und entgegen anderslautender Behauptungen von Vertretern der industriellen Tierhaltung haben Mastschweine weitgehend immer noch die gleichen Bedürfnisse wie in früheren Zeiten. Wenn man sie lässt, leben sie in Rotten und bauen sich Nester zum Schlafen und zum Gebären der Ferkel. Ihr Nahrungsspektrum ist bekanntermaßen groß, früher verwerteten sie Küchenabfälle oder fraßen auf abgeernteten Kartoffel- und Getreidefeldern. Das Deutsche Weideschwein, eine alte robuste Freilandrasse, ist allerdings schon seit 1975 ausgestorben. Fast alle Schweine in der heutigen Landwirtschaft sind Kreuzungen aus einer Handvoll überzüchteter Rassen, die schnell wachsen und mehr Rippen und daher auch mehr Koteletts haben. Das Herz dieser Tiere kann die Muskelmasse nicht mehr ausreichend versorgen, und ihr Skelett kann sie nicht mehr tragen. Eine Folge davon ist das hundeartige Sitzen von Mastschweinen – sie können sich einfach nicht mehr richtig auf den Beinen halten. Auch in der Biohaltung wird, wie bei anderen Nutztieren, bislang häufig auf konventionelle Züchtungen zurückgegriffen.

Haltungsschäden

Jan hat für mich wenig appetitliche Aufnahmen aus der Schweinehaltung dabei. Ein Schwein wackelt über einen kotverschmierten Spaltenboden, kaum in der Lage, sich auf den fleischigen Beinen zu halten. Die Hufe des Schweins verkanten sich mehrmals in den Spalten. Das passiert häufig und kann zu schmerzhaften und bleibenden Schäden an Hufen und Gliedmaßen führen. Laut einer Untersuchung von 2007 hält hinsichtlich der Spaltenweite kaum einer der Halter die aktuellen Vorschriften der Schweinehaltungsverordnung ein. Die Behörden tolerieren es. Legt man innerhalb der Schweinehaltungsverordnung einmal Verbesserungen für die Tiere fest, enthalten diese oft zusätzliche Formulierungen, die das Geforderte gleich wieder aufheben. Begründet wird so etwas dann mit einem Bestandsschutz für bereits schon länger genehmigte Haltungseinrichtungen, der technischen oder baulichen Unvereinbarkeit der Maßnahme mit der bestehenden Anlage oder gar mit dem Schutz der Tiere – wie etwa bei Amputationen und Ähnlichem, um gegenseitige Verletzungen zu verhindern.

Zwei Drittel aller Schweine leben auf Vollspaltenböden, ein weiteres Viertel lebt auf Teilspaltenböden. Kot und Urin werden darunter gesammelt. Das riecht natürlich nicht gut und ist eine Qual, gerade für Tiere wie Schweine, die einen noch stärker entwickelten Geruchssinn als Hunde haben. Ohne Einstreu leiden die Tiere erheblich an der mit Ammoniak belasteten Luft, die zu Lungenschäden führt. Häufig werden die Schweine von Husten geplagt. Die Lüftungskontrolle erfolgt oft automatisch. Fällt die Belüftung aus, kommt es bei den Tieren schnell zu Sauerstoffmangel und Ammoniakvergiftungen. Wird dabei kein Alarm ausgelöst oder dieser ignoriert, können so mal eben 1000 Schweine ersticken. Dies ist durchaus schon vorgekommen, zum Beispiel im Mai 2011 im Kreis Mansfeld-Südharz. Im thüringischen Alkersleben traf es im Juni 2011 gar über 3000 Ferkel.

In den Genuss von Böden mit Einstreu kommen nur 6 Prozent der Schweine, und in Freilandhaltung leben abgerundet 0 Prozent (dahinter verbergen sich gerade einmal 51500 Haltungsplätze von insgesamt über 29 Millionen). Selbst die Bioschweine leben beileibe nicht alle im Freiland. Laut des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat ein Biomastschwein wenigstens doppelt so viel Platz im Stall wie die konventionellen Leidensgenossen, das sind dann sage und schreibe anderthalb Quadratmeter. Zudem haben sie ein Anrecht auf eine Auslauffläche im Freien. Nur ist die oft winzig und erinnert eher an eine Art Außenklo.

Neben Atemwegsproblemen sind auch weitere Erkrankungen aufgrund von Züchtung und Haltung verbreitet. Jans Film zeigt Schweine mit großen blutroten Abszessen an den Beinen, die mich an Fruchtbonbons erinnern. Schweine, so erfahre ich später aus tierärztlicher Literatur, ertragen, ähnlich wie Rinder, selbst starke Schmerzen oft lautlos. »Manche Mäster legen kranke Schweine in den Zwischengang«, erzählt Jan, »wo sie keinen Zugang zu Wasser und Futter haben. Sie lassen sie dort sterben, weil das billiger ist, als sie vom Tierarzt totspritzen zu lassen.«

Keine Glücksschweine

Auf der laut Nutztierhaltungsverordnung vorgeschriebenen Fläche von drei viertel Quadratmeter pro Schwein können Mastschweine um 100 Kilo mit einer Länge von 1,2 Meter natürlich nicht zwischen Liege-, Kot- und Fressplatz trennen. Jan zeigt mir Aufnahmen, auf denen ein Schwein einem anderen ins Gesicht pinkelt, das aus Platzmangel nicht ausweichen kann. Die Enge ist durchaus beabsichtigt, weil die Tiere schneller zunehmen, wenn sie sich weniger bewegen. Sich gleichzeitig mit anderen Tieren abzulegen, ist auch nicht möglich. Zwar bevorzugen Schweine, gemeinsam zu fressen, doch statt des empfohlenen Verhältnisses von einem Fressplatz pro Tier kommen meist zehn oder mehr Tiere auf einen Fressplatz.

Nach der Nutztierhaltungsverordnung muss den Schweinen Beschäftigungsmaterial zur Verfügung stehen, das sie untersuchen und verändern können. Da auf Vollspaltenböden Stroh zum Spielen nicht geeignet ist, hängen in der Praxis meist nur Metallketten mit einem Stück Holz zum Draufherumnagen von der Decke. Das wird schnell langweilig. Das Minimum an Vorgaben der Nutztierhaltungsverordnung reicht daher keinesfalls aus. Aus Mangel an Beschäftigung, aufgrund eines gestörten Soziallebens und der massiven Einschränkung sonstiger Bedürfnisse sind Aggressionen und krankhafte Verhaltensweisen wie Stangenbeißen und Kannibalismus, also das Anknabbern von Artgenossen, weit verbreitet. Statt die Haltungsbedingungen zu ändern, bedient man sich anderer Methoden. Ein Präparat namens »Kani-Stopp« wirbt damit, dass es gegen das unerwünschte kannibalistische Verhalten helfen soll und somit »Leistungsdepressionen« aufgrund von Verletzungen vermeide. Wie bei den anderen Nutztieren wird auch bei Schweinen das, was nicht passt, passend gemacht. Damit die Tiere sich ihre Ringelschwänze nicht gegenseitig abfressen, kupiert man diese – meist ohne Betäubung. Das Tierschutzgesetz verbietet das Kupieren eigentlich, ermöglicht aber genügend Ausnahmen, die nahezu ausnahmslos genutzt werden. Im Schlachthaus erkennt man Bioschweine an den noch intakten Schwänzen. Alternativ oder zusätzlich zur Schwanzamputation schleift oder kneift man die Eckzähne ab oder hält die Tiere in überwiegend dunklen Ställen im künstlichen Dämmerlicht. Dabei sind Schweine tagaktive Tiere. Wie Versuche gezeigt haben, ziehen sie 17 Stunden am Tag eine Beleuchtung vor, wenn man ihnen die Wahl lässt.

Kastratenfleisch

Es erscheint unter den oben genannten Bedingungen fast tröstlich, dass die Lebensdauer von Mastschweinen inzwischen nur noch ein halbes Jahr beträgt. Zu diesem Zeitpunkt sind die meisten von ihnen gerade geschlechtsreif. Damit die männlichen Tiere keinen Ebergeruch entwickeln, der vom Verbraucher nicht gewünscht ist, kastriert man über 20 Millionen im Jahr – meist ebenfalls ohne Betäubung. Auch das wünscht der Verbraucher vermutlich nicht, ist aber bis zum Alter von acht Tagen laut Tierschutzgesetz erlaubt. Das Gesetz verlangt zwar, »alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Schmerzen oder Leiden der Tiere zu vermindern«, doch sogar eine anschließende Schmerzbehandlung bleibt häufig aus. Ein Kollege von Jan wurde Vegetarier, nachdem er bei einer betäubungslosen Ferkelkastration zugesehen hatte. Wer ihm nacheifern möchte, findet passendes Videomaterial im Internet. Die Bundestierärztekammer und andere Tierärzteverbände fordern eine schnellstmögliche Beendigung der betäubungslosen Kastration, auch wenn es ihrer Ansicht nach aufgrund der Größe der Bestände derzeit noch keine praxistaugliche Alternative gibt. Langfristig soll auf die Kastration ganz verzichtet werden. In den Niederlanden werden bereits 40 Prozent aller Eber nicht mehr kastriert, berichtet die Interessengemeinschaft der Schweinehalter. Die dortigen Supermärkte dürfen nämlich nur noch Fleisch von betäubt kastrierten Ferkeln verkaufen, das vermutlich teurer ist. Holländisches Kastratenfleisch wandert daher verstärkt in den Export. In Deutschland soll die betäubungslose Kastration 2017 verboten werden. In der ökologischen Tierhaltung ist sie bereits seit 2012 nicht mehr erlaubt.

Ökosäue

Bioschweine sind rar. Lediglich 150000 Schweine (ein gutes halbes Prozent der amtlichen Schweinezählung vom März 2011) werden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes »ökologisch bewirtschaftet«. Die niedrige Zahl erscheint mir umso erstaunlicher, weil ich häufig von Leuten höre, dass sie »nur noch Biofleisch« kaufen. Aber in meinem Umfeld essen ja auch alle »schon viel weniger Fleisch als früher«. Diesem Trend eifert die Mehrheit wohl noch nicht nach.

Überrascht bin ich, dass 2011 im gesamten Lebensmittelsektor der Umsatz mit Bioprodukten lediglich bei 3,7 Prozent lag. Der Bioumsatz in Deutschland ist zwar mit über 6,5 Milliarden Euro der größte in Europa, doch anteilig führt Dänemark mit gut 7, gefolgt von Österreich und der Schweiz mit etwa 6 Prozent am jeweiligen Lebensmittelumsatz.

Ob Biofleisch wirklich die bessere Wahl ist, will ich von Jan wissen. »Jahrelang habe ich empfohlen: wenn Fleisch, dann bitte bio«, sagt er. »Aber seit ich die Biorecherche gemacht habe, kann ich den Leuten, die aus Tierschutzgründen kein Fleisch aus Massentierhaltung essen wollen, weil sie der Meinung sind, dass die Tiere dort nicht artgerecht gehalten werden, auch Biofleisch nicht mehr mit ruhigem Gewissen empfehlen. Aus meiner Sicht geht es den Tieren in der Biohaltung nicht besser, weil es selbst hier in erster Linie meist nicht um das Wohl der Tiere, sondern um Wirtschaftlichkeit geht.«

Zucht und Ordnung

Die Zuchtsauen zur Ferkelerzeugung leben zu 83 Prozent in Betrieben mit 100 und mehr Tieren. Klar, dass auch die moderne Zuchtsau Höchstleistungen bringen muss, was bedeutet, dass sie in zwei bis drei Würfen pro Jahr insgesamt etwa 25 Ferkel in die Welt setzt. Mit Hormonspritzen sorgt man für synchrone Schwangerschaften und Abferkeltermine. Jan zeigt mir Videoaufnahmen von festgeketteten trächtigen Säuen, die in langen Reihen in sogenannten Abferkelungsbuchten stehen. Dort werden die Säue spätestens in der letzten Woche der Schwangerschaft bis zum Abstillen der Ferkel gehalten. Üblicherweise verbringen sie schon die ersten vier Wochen nach der künstlichen Besamung ebenso bewegungslos in den ähnlich engen Kastenständen, bisweilen sogar die ganze Tragzeit von fast vier Monaten. In der Abferkelungsbucht und im Kastenstand, auch Eiserne Jungfrau genannt, sind die Säue so weit fixiert, dass sie nur noch auf der Stelle stehen und fressen oder liegen können. Auch ohne Einstreu versuchen sie, ihr Nestbaubedürfnis auszuleben, was natürlich nicht gelingt und zu Frustrationen führt. Statt drei bis vier Monate lang dürfen ihre Ferkel nur drei bis vier Wochen saugen. Das frühe Abstillen verursacht emotionalen Stress und gesundheitliche Probleme bei den Jungtieren – dafür gibt es dann Impfungen und Medikamente. Die Fixierung der Mütter »dient dem Schutz der Ferkel«, denn es kommt immer wieder vor, dass Ferkel erdrückt werden. Die Ursachen dafür werden im Platzmangel oder in den Verhaltensstörungen der überzüchteten Tiere gesehen. Die massive Einschränkung der mütterlichen Bewegungsfreiheit verringert die Ferkelsterblichkeit nur in den ersten zwei Wochen, aber nicht im Ganzen, denn das Zuchtziel »möglichst viele Ferkel pro Sau und Jahr« führt oft zu schwachen, unterentwickelten Ferkeln. Die Fixierung der Mütter ist zudem aus Tierschutzgründen abzulehnen, wegen der Folgen für Säue und Ferkel: Da sich Mutter und Kinder nicht beschnuppern können, kann kein normaler Kontakt aufgebaut werden. In der ökologischen Haltung werden höchstens Problemsäue, die durch aggressives oder sonst wie gestörtes Verhalten auffallen, in einer Abferkelbucht fixiert – und auch nur für zwei Wochen. Unter den ökologischen Haltungsbedingungen kommt es nicht zu höheren Ferkelverlusten als in solchen mit »Ferkelschutzeinrichtungen«. Nach Ablauf einer zehnjährigen Übergangsfrist müssen Schweinezüchter ab 2013 trächtige Säue ab der fünften Woche nach der Besamung und bis eine Woche vor dem Abferkeln in Gruppen halten. Nach aktuellem Stand dürften bis dahin nicht alle Halter die dafür notwendigen Baumaßnahmen umsetzen können. Doch selbst wenn die Halter die neue Verordnung befolgen, verbringen die Säue immer noch knapp die Hälfte des Jahres fixiert in Kastenständen und Abferkelungsbuchten.

Weil die Zuchtsau bei diesen Anforderungen und Haltungsbedingungen schnell krank wird und ihre Fruchtbarkeit abnimmt, beträgt ihre Nutzungsdauer oft nicht einmal mehr zwei Jahre. Ihre Ferkel leben, sobald sie abgestillt sind, in kahlen Buchten ohne Streu und mit perforiertem Boden, wo sie Neugier, Bewegungsdrang und Spieltrieb nicht ausleben können. Kein Wunder, dass sie Verhaltensstörungen wie das Schwanzbeißen entwickeln. Mit 30 Kilo Lebendgewicht geht es dann ab in die Mastställe. Weil diese oft räumlich von den Aufzuchtbetrieben getrennt sind, werden schon die jungen Tiere über weite Strecken dem Transportstress ausgesetzt, lange bevor es auf den Weg zur Schlachtung geht.

»Das also ist Schweineproduktion«, sagte Frederick. Und Piggeldy ging mit Frederick nach Hause.

Bewertung von Öko-Siegeln

PROVIEH, der Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung, bewertet die Richtlinien des EU-Bio-Siegels, der ökologischen Anbauverbände, einiger Markenfleischprogramme und der Öko-Handelsmarken im Hinblick auf den Tierschutz. Zu den untersuchten Aspekten gehören Zucht, schmerzhafte Eingriffe, Fütterung, Krankheitsvorsorge, Verhaltensgerechtigkeit, Haltung, Transport und Schlachtung. Die Bewertung berücksichtigt nur die jeweiligen Richtlinien sowie ernsthafte Bestrebungen nach Verbesserung, aber nicht die bestehenden Ausnahmeregelungen oder die tatsächliche Situation in den Betrieben. Die höchste Punktzahl orientiert sich am »Klassenbesten«, sie bedeutet nicht, dass die Richtlinien aus Sicht von Tierschützern optimal sind.

Siegelbezeichnung oder

Öko-Handelsmarke

Einschätzung von PROVIEH

(0 bis max. 5 Punkte)

Staatliches Bio-Siegel / EU-Bio-Logo

3

Bio-Anbauverbände

Biokreis e. V.

4

Bioland e. V.

4

Biopark e. V.

3

Demeter e. V.

5

Gäa e. V.

4

Ecoland e. V.

3

Naturland e. V.

4

Markenfleischprogramme

NEULAND-Siegel

5

QS-Siegel

0

Thönes Natur-Verbund-Siegel

4

Öko-Handelsmarken

ALNATURA, BioBio, EDEKA Bio, REWE Bio, Biotrend, B!O, Bio Sonne, GutBio, Natürlich Bio, Naturkind, Gallica – Geflügel, bio, Neuform, Von Hier, BioGreno, real BIO, tegut…, enerBIO

Die Öko-Handelsmarken sind gleichwertig zum staatlichen Biosiegel, das sie tragen. Nur wenige Handelsmarken tragen ein zusätzliches Siegel der Anbauverbände (zum Beispiel Bioland, Naturland).

Mehr dazu unter www.provieh.de

Wo die Sau zur Wurst gemacht wird

»Manchmal ist mir der Appetit auf Fleisch vergangen, das muss ich schon sagen«, erzählt mir Professor Klaus Troeger, Tierarzt und Leiter des Instituts für Sicherheit und Qualität bei Fleisch des Max Rubner-Instituts, einer dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) unterstellten Forschungsanstalt. Er kennt die Verhältnisse in deutschen Schlachthöfen und sieht bei der Schlachtung die größten Tierschutz-Defizite der Fleischproduktion. Hier erlebt Troeger immer wieder Situationen, in denen Tieren starke Leiden und Schmerzen zugefügt werden, und dies sind keine Einzelfälle – es ist systembedingt.

Das geht schon los, wenn der Zutrieb der Tiere zur Betäubung nicht optimal verläuft und sie mit Elektrotreibern per Stromstoß zum Weitergehen gebracht werden. »Den größten Stress empfinden viele Tiere, wenn sie vereinzelt werden, vor allem das Schwein«, erklärt mir Troeger. »Das ist etwas, das dem Schwein absolut widerstrebt.« Er und sein Team haben das anhand der Adrenalinwerte messen können, die in solchen Situationen sehr stark ansteigen. Dass ein Schwein von der Gruppe getrennt wird, geschieht hauptsächlich bei der Elektrobetäubung und in alten CO2-Anlagen, in denen jedes Tier einzeln in ein dunkles Loch getrieben wird. Leider gibt es noch eine ganze Reihe solcher Anlagen. In der Gruppe stirbt es sich leichter. Genauer gesagt sterben die Tiere aber nicht im »CO2-Bad«, dort werden sie nur narkotisiert.

Böses Erwachen

Mittlerweile ist die Betäubung mit CO2 bei 90 Prozent der Schweine und zunehmend auch bei Masthühnern das Mittel der Wahl. Leider bleiben die Tiere nicht immer ausreichend lange bewusstlos. Manche Tiere erwachen wieder, bevor sie »gestochen« werden oder, noch schlimmer, falls der Stich in die Schlagader nicht richtig gelingt oder vergessen wird, auch erst danach. Das sei der Kardinalfehler in Schlachthäusern, so Troeger, dass nicht überprüft werde, ob die Tiere wirklich tot seien, bevor sie ins Brühbad kämen. Dort sollten eigentlich den bereits entbluteten toten Tieren die Borsten abgebrüht werden. Nur käme es immer wieder vor, dass Schweine auf dem Weg in den brühend heißen Dampf wieder das Bewusstsein erlangten. »Erkennbar ist dies bei der Fleischuntersuchung an einer Brühwasserlunge, das heißt, es war im Brühwasser noch mindestens ein Atemzug erfolgt«, erläutert die Seite schlachthof.transparent.org. Im Schlachthof nennt man die armen Schweine mit Wasser in der Lunge zynisch »Matrosen«.

Das Max Rubner-Institut hatte in deutschen Schlachthöfen bei Schweinen eine Fehlbetäubungs- bzw. Fehlentblutungsrate von 1 Prozent ermittelt. Bei Schlachtungen von 750 und mehr Tieren pro Stunde bleiben dem »Stecher« nur wenige Sekunden pro Schwein. Da kann schon mal ein Stich danebengehen, während am Band das Tier an einem Bein aufgehängt an seiner Schlachtlinie vorbeifährt. Oder der »Stecher« übersieht es gleich ganz. Selbst wenn das Tier beim Stechen noch vollständig betäubt ist, was auch nicht immer der Fall ist, kann es auf der sogenannten »Nachentblutestrecke« wieder erwachen. Bei rund 60 Millionen Schweineschlachtungen im Jahr wären dann mehr als eine halbe Million Tiere davon betroffen. Troeger kann nicht ausschließen, dass es auch bei Biotieren zu Fehlbetäubungen kommt. Zwar sind einige Schlachthöfe von Bioverbänden zertifiziert, aber ihm ist nicht bekannt, dass deren Kriterienkataloge von den gesetzlichen Vorgaben abweichen.

Allerdings, schränkt Troeger ein, habe sein Institut diese Fehlbetäubungs- und -entblutungsraten vornehmlich in mittelgroßen Betrieben festgestellt. Da seien die ganz großen Schlachthöfe im Vorteil, denn dort würden die Schweine so betäubt, dass sie überwiegend nicht mehr aufwachten. Selbst wenn einzelne bei der Entblutung übersehen würden, käme das Tier in der Brühung nicht mehr zu Bewusstsein. Da leide dann nur die Fleischqualität und nicht das Tier. In kleineren Schlachtbetrieben hingegen seien Schweine bislang oft nur 100 Sekunden in der CO2 -Anlage, so wie es der Gesetzgeber momentan als Minimum vorschreibe. Nach diesem kurzen »Gasbad« wachten Schweine allerdings auf jeden Fall wieder auf, wenn man nicht schnell genug sei. Daher müssten sie, so fordere es das Gesetz weiter, innerhalb von 20 Sekunden gestochen werden, nachdem sie aus der CO2-Anlage kommen. Nur schafften das viele Betriebe nicht. Doch auch dafür gebe es wie so oft Ausnahmeregelungen.

Das EU-Tierschutzrecht verlangt zwar heute bereits eine angst- und schmerzfreie Tötung, diese ist jedoch höchstens in einer tierärztlichen Praxis möglich. Im Schlachthof oder gar bei Keulungen oder bei großen Mengen von Versuchstieren kommen arbeitstechnische Hürden ins Spiel. Die Schlachtverordnung verlangt daher auch nur eine Vermeidung von Schmerzen, die nicht »unvermeidbar« sind …

Jahrelang hätten Troeger und seine Kollegen die Probleme in deutschen Schlachthöfen thematisiert und auch in den Betrieben immer wieder angesprochen – passiert sei kaum etwas. Doch als er es 2010 schaffte, das Thema in einem Politmagazin und den Tagesthemen zu platzieren, war die öffentliche Empörung einschließlich meiner eigenen groß. Auch die Schlachtindustrie selbst habe sich empört gezeigt. Es habe natürlich geheißen, das sei alles Quatsch und es gäbe keine Probleme. Aber die aufgebrachten Bürger hätten Protestbriefe bis hinauf zur Bundeskanzlerin geschrieben und Rechtsanwälte eingeschaltet. »Die Sache hat so viel Wellen geschlagen, dass der Protest bis heute nicht wieder eingeschlafen ist«, sagt Troeger. Inzwischen sei unter dem Druck der Öffentlichkeit auch die Industrie bestrebt, Lösungen zu finden, und es gebe einzelne Betriebe, die bereits kontrollierten, ob jedes Tier ausreichend entblutet sei. Aber noch sei so etwas die Ausnahme. Die im Schlachtbetrieb anwesenden Tierärzte könnten diese Kontrolle nicht leisten – das sei unmöglich bei der Anzahl der Aufgaben und der zu schlachtenden Tiere. »Da muss das System funktionieren, also die Schlachttechnik«, fordert daher Troeger. »Da müssen Vorrichtungen sein, die sicherstellen, dass die Tiere definitiv tot sind, wenn sie in die Brühung gehen, und daran wird inzwischen gearbeitet.« Ab 2013 müssen laut EU-Schlachtverordnung alle Betriebe der überwachenden Behörde immerhin entweder ein Kontrollsystem oder die irreversible Betäubung nachweisen. Ich vermute aber mal, dass es auch dann »Ausnahmen« geben wird.

Atemnot statt Schinkenrot

Doch selbst wenn der Tod der Schweine vor der weiteren Behandlung gewährleistet ist, bedeutet das nicht, dass die Tiere sanft entschlafen, wenn sie in einer Gondel grüppchenweise ins CO2-Bad hinabfahren. Die Schweine hätten nach dem ersten Atemzug im CO2 schlagartig das Gefühl von Atemnot, berichtet Troeger, denn das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, würde nicht durch Sauerstoffmangel ausgelöst, sondern durch einen Überschuss an CO2. Ich selbst erinnere mich an das entsetzliche Gefühl, als ich als Kind ein Luftballonventil eingeatmet hatte, das nur noch Luft aus meiner Lunge hinausließ, aber keine mehr hinein. »Es ist allgemeiner Konsens und Stand der Wissenschaft, dass etwa die ersten 15 bis 20 Sekunden von deutlichen Erstickungssymptomen gekennzeichnet sind«, sagt Troeger. Anhand der Stresshormonausschüttung habe man sogar messen können, dass die Tiere erheblich litten. »Das ist auch aufgrund des Verhaltens der Tiere klar zu sehen. Die recken den Kopf nach oben, sperren das Maul auf und versuchen nach oben aus der Gondel rauszukommen. Das ist diese Phase, die man heute mehr oder weniger zähneknirschend akzeptiert, weil wir momentan keine besseren Methoden haben.« Mutige finden im Internet entsprechende Aufnahmen, zum Beispiel in der Frontal21-Sendung des ZDF vom 6. April 2010, die das beschriebene Verhalten der Schweine dokumentiert.

Zwar hat Troeger schon vor Jahren Versuche mit dem Edelgas Argon gemacht, das die Schweine absolut reaktionslos umfallen ließ. Doch zeigten sich danach Einblutungen in der Schinkenmuskulatur, weswegen das Verfahren in der Praxis nicht akzeptabel gewesen ist. Manchmal bin ich wirklich perplex, was in der Fleischproduktion als akzeptabel gilt und was nicht.

Und dazu Pommes

Bei Hühnern scheint die CO2-Betäubung besser zu funktionieren. Auf einem Förderband fahren sie in einen Tunnel mit einem CO2-Sauerstoff-Gemisch. »Da reagieren die Hühner nicht so stark«, sagt Troeger, »fallen aber irgendwann trotzdem um.« Erst dann werden sie mit hochprozentigem CO2 »endbetäubt«. Beim Schwein würde diese zweiphasige Betäubung das Leiden nur verlängern, so Troeger. Filmaufnahmen zeigen, dass auch bei den Hühnern einzelne Tiere offenbar unter Atemnot leiden. Dennoch hält Troeger die CO2-Betäubung bei Masthühnern für besser als die sonst übliche Elektrobetäubung. Bei dieser hängt man die Tiere bei vollem Bewusstsein kopfüber an einem Förderband auf, von wo aus sie mit dem Kopf in ein Wasserbad getaucht werden, das unter Strom steht. Das Ausladen nach dem Transport, das Einhängen der Füße und die etwa 20-sekündige Fahrt über Kopf sind natürlich mit extremem Stress für die Tiere verbunden. Danach erfolgt meist die automatische Entblutung durch einen seitlichen Halsschnitt mit einem rotierenden Kreismesser. Dann geht es in die Weiterverarbeitung zu Grillhähnchen oder Chicken Nuggets. Wenn alles nach Plan verläuft. »Zumindest beim Geflügel ist vorgeschrieben, dass nach der automatischen Entblutung ein Mensch bereitsteht, der im Bedarfsfall nachschneidet, wenn das Tier nicht entblutet oder betäubt ist«, sagt Troeger. »Es ist zu hoffen, dass die Tiere nicht bei lebendigem Leib gebrüht und gerupft werden.«

Bei Rindern liegt die Fehlbetäubungsrate mit 5 bis 7 Prozent noch höher als bei Schweinen. Doch hätten die Rinder den kleinen »Vorteil«, dass die Entblutung kaum vergessen werden könne, weil die Rinderschlachtung in Deutschland selbst in Großbetrieben noch eine überschaubare Angelegenheit sei, findet Troeger. »Es mag schon sein, dass mal im Einzelfall die Tiere gestochen werden, ohne dass sie tief bewusstlos sind«, sagt er, »aber dass bei einem Tier die Entblutung vergessen wird, ist beim Rind schwer vorstellbar.« Bei Rindern erfolgt die »finale Betäubung« üblicherweise per Bolzenschuss ins Gehirn. Da das Gehirn aber ziemlich klein ist, ist die Wirkung nach dem ersten Schuss gelegentlich nicht so, wie sie sein sollte – nämlich dass das Tier gleich vollständig betäubt zu Boden geht. Dann muss nachgeschossen werden, bisweilen mehrmals. Man versucht die Situation zu verbessern, indem man den Kopf des Tieres vor dem Bolzenschuss fixiert. Doch sind die Tiere dann durch den Vorgang des Fixierens oft schon sehr stark gestresst und versuchen sich zu befreien. »Aber selbst bei guter Kopffixierung, das ist auch bekannt«, sagt Troeger, »müssen wir mit 1 Prozent an Tieren rechnen, die nachgeschossen werden müssen.«

Beim Rinderflüsterer

Blut und Tod hatte ich sehen wollen. Aus meiner Teilnahme an einer Rinderschlachtung wird nun aber nichts. Der Bauer Ernst Hermann Maier tötet zwar selbst, doch das macht er allein, für sich und für das Tier. Ich besuche ihn trotzdem. Er lebt mit rund 250 Rindern im schwäbischen Zollernalbkreis. Färsen, die geschlechtsreifen Kühe vor dem ersten Kalben, Bullen, Kühe und Kälber leben alle zusammen auf der Weide, das ganze Jahr draußen. Hier werden sie geboren, hier sterben sie auch, denn Maier schießt seine Tiere auf ihrer Weide ins Koma – nicht mittels eines Bolzenschussgeräts, sondern mit einem Gewehr. »Wir sind kein Gnadenhof, sondern ein gnädiger Hof«, sagt Maier in breitem Schwäbisch. Immerhin leben die Tiere hier zum Teil 15 Jahre und länger, ein unvorstellbares Alter in der regulären Rinderhaltung, in der sonst selbst bei Milchkühen nach knapp fünf Jahren Schluss ist. Solange sie gesund seien, ließen sich auch ältere Tiere noch vermarkten, weiß Maier, als Hackfleisch, Wurst und Rinderschinken. Die übliche industrielle Tierhaltung ist für ihn alles andere als artgemäß, die Tiere seien hochgradig verhaltensgestört. Ihre Bedürfnisse würden völlig ignoriert. Alt könnten die Tiere unter diesen Bedingungen kaum werden, aber sie würden im Kindes- oder Jugendalter, wie Maier findet, auch noch unnötigerweise aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen und dann unter Angst und Stress geschlachtet.

Rinderrealität

In Deutschland leben etwa 8 Millionen Mastrinder. Eine Intensivmast im Stall dauert zumeist anderthalb Jahre – und entsprechend kurz ist somit auch das Rinderleben. Der hohe Anteil an Kraftfutter verursacht bei den Tieren belastende Stoffwechselstörungen. Am Ende der Mast haben viele durch Trittverletzungen verursachte entzündete Schwanzspitzen, sofern diese nicht amputiert wurden. Für Mastbullen mit 600 Kilo sind 3 Quadratmeter Platz vorgesehen, obwohl Rinder Distanztiere sind und nicht gern dicht gedrängt stehen. Für die geschlechtsreifen konventionell gehaltenen Bullen gibt es wie auch für Milchkühe keine besonderen Haltungsvorschriften. Zwei Drittel von ihnen leben in Beständen von 100 und mehr Tieren. Knapp 5 Prozent der 12,5 Millionen deutschen Rinder einschließlich Milchkühen werden nach den Vorgaben des Ökolandbaus gehalten. Biorinder müssen immerhin regelmäßig Auslauf haben. Dennoch lebt nach Angaben des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft etwa ein Drittel der ökologisch gehaltenen Milchkühe in Anbindehaltung. In kleinen Biobetrieben wird sie auch künftig erlaubt bleiben, sofern die Tiere Sommerweidegang haben und im übrigen Jahr zweimal wöchentlich für eine Stunde rausdürfen. Gerade für die Kälber mit ihrem hohen Bewegungsdrang ist die Anbindehaltung eine Tortur.

Auch ein Viertel aller Mastrinder lebt noch in Anbindehaltung. Knapp drei Viertel der Mastrinder leben in sogenannten Laufställen, wo sie immerhin Bewegung bekommen, auch wenn der Platz oft eng bemessen ist. Die Mehrheit der Laufställe besitzt allerdings Spaltenböden, die häufig Gelenk- und Klauen-, also Hufverletzungen verursachen. Die Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung findet für die Laufställe den Ausdruck »Schleich«-Stall treffender, da die Rinder auf dem rutschigen, vollgekoteten Boden lediglich schleichen können. Besser sind Laufställe mit sogenanntem Festmist, wo Kot und Harn nicht durch Spalten ablaufen, sondern mit der Einstreu, idealerweise Stroh, einen trittfesten Belag bilden. Wenigstens ein gutes Drittel aller Mastrinder durfte nach Angaben der jüngsten Landwirtschaftszählung des Statistischen Bundesamtes im Sommerhalbjahr 2009 meist ganztags auf die Weide. Entgegen manch trügerischen Klischees liegt Bayern mit nur 13 Prozent beim Anteil der Weidegänger ganz hinten, weiß das Statistische Bundesamt. Aber selbst eine Weidehaltung sei per se noch längst keine freie Rinderhaltung, findet Landwirt Maier. Dazwischen könnten Welten liegen. So ließe man in der noch recht natürlichen Mutterkuhhaltung zur Erzeugung von Fleischrindern die Tiere in aller Regel auf die Weide, diese Haltungsform habe aber den Nachteil, dass man nach sieben bis neun Monaten die Jungtiere von den Muttertieren trenne, etwa um sie im Stall weiter zu mästen. Das traumatisiere Kälber und Mütter, erzählt Maier. »Die Tiere schreien dann in der Regel drei Tage und drei Nächte am Stück.«

Die Kuh, die lacht

Man erreiche nie eine artgemäße Haltung, wenn man lediglich die bestehenden Haltungsbedingungen verbessere, aber an den Zielsetzungen festhalte, möglichst viel oder möglichst gutes Fleisch, gute Milch oder was auch immer zu produzieren, glaubt Maier. Man könne den Nutztieren so höchstens das Leben erleichtern. Artgemäß könne eine Haltung nur sein, wenn sie sich kompromisslos nach den Bedürfnissen der Tiere richte. Dabei sei deren vollständige Befriedigung sogar vergleichsweise einfach. Maiers Philosophie: Zuerst das Interesse der Tiere, dann darf man nach der Wirtschaftlichkeit schauen und wie beides zusammengeht. Und dass es zusammengehen kann, hat er bewiesen.

Uria nennt er seine Tiere, benannt nach dem Auerochsen oder Ur, der Wildform unserer Hausrinder. Seine Fleckvieh-Herde wurde nicht nur immer größer, sondern hat sich auch stark verändert, seit sie so frei lebt. Die Hörner wachsen wieder mehr nach oben, wie beim Auerochsen. Sie seien selbstständig und stolz geworden, sagt Maier.

In der konventionellen Rinderhaltung werden den Tieren ohne Betäubung die Hornansätze ausgebrannt, obwohl das, wie man inzwischen weiß, Schmerzen verursacht. Hörner sind keine leblosen Anhänge, sondern gut durchblutete Knochenfortsätze, die von toter Hornsubstanz überzogen sind. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Kommunikation der Rinder untereinander. In der Biohaltung ist immerhin eine Betäubung Pflicht. Nur in Demeter-Betrieben müssen die Hörner dranbleiben. Mal wieder dient eine Verstümmelung dem »Schutz der Tiere« – sie sollen sich in den engen Ställen nicht verletzen. Die Uria werden nicht enthornt. Sie tragen noch nicht einmal Ohrmarken. »Eine Kuh mit Ohrmarken sieht doch scheiße aus«, sagt Maier. Die Marken liegen im Haus, die Tiere sind am Hals durch Mikrochips unter der Haut gekennzeichnet, auch wenn bei ihm keines mehr lebend die Weide verlässt. Es hat gedauert, bis Maier das durchsetzen konnte, doch der fast 70-Jährige hat schon ganz andere Kämpfe mit Behörden ausgefochten. Jetzt stehen wir an der Hauptweide. Er kennt alle Tiere einzeln, nur die Namen kann er sich nicht so gut merken wie seine Tochter, der die Rinder seit Langem gehören. Ein Tier läuft auf ihn zu, Barnie. Maier nähert sich ihm langsam, spricht leise mit ihm, es klingt fürsorglich. Man spürt Maiers Zuneigung. Er selbst sagt, dass er ein partnerschaftliches, freundschaftliches Verhältnis zu den Tieren habe. »Wir lassen die Tiere herkommen, wir streicheln die. Wir jagen die Tiere auch nicht fort, wir laufen um sie rum. Sie merken so unsere positive Einstellung ihnen gegenüber, eine gute, keine schlechte. Ich habe keine Angst vor den Tieren. Sie sind meine Freunde, das spüren die ganz genau.« Mit vielen Tieren verbinde ihn eine wirkliche Freundschaft, sagt er, so auch mit Barnie. »Da gibt es viele, auch unter den Bullen, aber nicht alle. Man kann nicht zu 250 Tieren eine persönliche Beziehung haben. Aber eine positive Einstellung hat man zu allen, und die auch zu mir. Wenn die betreuende Person als etwas Negatives empfunden wird, wird’s kritisch. Bei so einer Herde wie hier, in der es 40 erwachsene Bullen gibt, wird’s in so einem Fall richtig gefährlich. Dann ist es nicht mehr lustig.«

Achten und Schlachten

Plötzlich galoppiert eine Kuh mit einem aufreitenden Bullen direkt an uns vorbei, andere Bullen folgen. Kastriert wird hier kein Tier. Die Zahl der Schlachtungen richtet sich entsprechend nach den Geburten. Zwei Tiere pro Woche muss er »rausnehmen«. Bei den Bullen halten sie die besten Tiere, die sich oft fortpflanzen sollen, möglichst lange in der Herde. Auf die Machtbalance zwischen den erwachsenen Bullen müssen sie ebenfalls achten. Bei den weiblichen Tieren fällt die Auswahl schwerer. Entweder sind es jüngere Tiere ohne Kälber oder aber Kühe, die ein Kalb verloren haben oder nicht mehr trächtig werden. »Man muss aufpassen, dass man keine sozialen Strukturen zerstört. Wir schlachten nie eine Kuh, die noch ein Kalb hat, und nie ein Jungtier, solange die Mutter nicht wieder ein neues hat. Da achten wir ganz strikt drauf. Das haben wir auch erst lernen müssen.« Zu der Zeit, als er seine Tiere noch zum Schlachten abholen ließ, gab es die Kuh Anna, die nach der Geburt ihres dritten Kälbchens, Aline, nicht wieder trächtig wurde. Maier verkaufte Mutter Anna zum Schlachten. Er dachte sich: »Die Aline ist groß und braucht ihre Mutter nicht mehr. Ja von wegen.« Das bis dahin fröhliche und zutrauliche Kälbchen stand dabei, als Maier seine Mutter auf einen Hänger auflud und sie für immer verschwand. »Das war nachher so vergrämt und so verstört.« Jahrelang zeigte Aline Trauer und ließ sich nicht einmal berühren. Seither wird bei Maier keine Kuh mehr geschlachtet, deren Jungtiere noch nicht geschlechtsreif sind. Freundschaften auseinanderzureißen lässt sich allerdings nicht ganz vermeiden. »Man kann nicht alles, aber man kann schon viel machen, gerade bei der Mutter-Kind-Beziehung«, sagt Maier.

Der Rinderkiller

Die Schlachtung ist für Maier eine heilige Handlung, und wer ihm länger zugehört hat, glaubt ihm das sogar. Das Tier muss er für den Erhalt und das Weiterleben der übrigen Herde opfern. Denn im Winter müssen die Heurechnungen bezahlt werden, und es fehlt auch an Platz für noch mehr Tiere, schon jetzt sind es einige zu viel. Maier schießt nicht zum Spaß mit dem Gewehr auf die Tiere. »Das ist blutiger Ernst«, sagt er. »Ich muss mich überwinden, ein Tier zu töten. Das ist nicht so schön. Ich fühle dem Tier gegenüber, das ist das Problem. Aber das ist der Dienst, den ich dem Tier erweisen muss, der letzte. Und wir versuchen es hier so gut wie möglich zu machen. Wenn ein Tier schon getötet werden muss, möchte ich nicht, dass es vorher noch Qualen erleidet, dass es umeinandergekarrt wird. Das ist doch alles unnötig. Wenn ich es dann geschossen habe, fühle ich nicht mehr so arg viel. Okay, es ist immer noch mein Tier, und ich streichle es auch. Aber in dem Moment ist es weg, da ist die Seele des Tieres nicht mehr da. Ob man das jetzt Seele nennt oder nicht, ist wurschtegal. Aber Fakt ist, bis zum Schluss ist etwas da – und plötzlich ist es weg.«

Auf Tierschutzveranstaltungen ist Maier häufiger anzutreffen. Gelegentlich wird er dann als Mörder bezeichnet. »Das ist auch richtig«, gibt er ernsthaft zu. »Ich bin tatsächlich ein Mörder, weil vorsätzliches Töten Mord ist, oder? Ich bin ein professioneller Killer, wenn man so will. Ich muss jede Woche zwei Tiere vorsätzlich killen. Wir versuchen mit allem, was in unserer Macht steht, den Tieren gerecht zu werden. Aber wir kommen um diese Schlachtungen nicht herum. Schön wär’s, aber es geht nicht, leider.« Maier würde die Herde sogar weggeben, ohne einen Cent dafür zu nehmen, gäbe es jemanden, der seinen Tieren ein zumindest ebenso schönes Leben bieten und dabei auf Schlachtungen verzichten könnte. »Da hätte ich gar kein Problem damit.« Er kann auch verstehen, wenn Menschen Fleisch völlig ablehnen. »Kritisch wird es meiner Meinung nach dann, wenn man meint, dass man dadurch alle Probleme gelöst hätte. Aber das ist ganz bestimmt nicht der Fall. Natürlich ist der Fleischkonsum, wie er heute überwiegend praktiziert wird, der totale Wahnsinn, also dieses massenhafte Fressen von Fleisch. Wenn ich auf einer Tagung bin, da sehe ich junge Frauen, die sich schon morgens mit Wurst vollstopfen. Das ist doch bescheuert. Was braucht man zum Frühstück schon Wurst? Man kann das natürlich machen, aber es ist eigentlich unmöglich.«

Der Rinderrebell

Als er in den 1960er-Jahren den elterlichen Betrieb übernahm, hatte Maier acht Milchkühe und deren Kälber. Er wurde aber nie Vollzeitlandwirt. Er baute zuerst einen Vertrieb für Landmaschinen auf, später errichtete er nebenher Stahlhallen. Als der Staat wegen des Milchüberschusses Prämien an die Bauern zahlte, die auf Mutterkuhhaltung, also Fleischproduktion, umstellten, wollte Maier das auch. Nur musste er seine Tiere erst schlachten lassen, um an die Prämie zu kommen. »Mein Verhältnis zu den Tieren war zwar gut, aber überschattet von der verdammten Rennerei nach dem Geld, dem Umsatz, den Firmeninteressen. Ich war ein bisschen eine Krämerseele geworden durch das ewige Verkaufen«, gibt er zu. »Ich habe mich verleiten lassen, meine Kühe abzuschlachten. Sie wurden abgeholt von einem Viehhändler und zum Schlachthof transportiert, dann gab es diese Prämie. Ich habe mich nachher für diesen Schritt zu Tode geschämt. So was würde ich nie mehr tun.« Aus den verbliebenen Kälbern wurde nach und nach eine Herde von rund 30 Tieren. Dass er sie irgendwann gar nicht mehr von der Weide holte, war eine Notmaßnahme, weil die Arbeit nicht mehr zu schaffen war. »Wir haben dann die Viehschutzhütte ein bisschen zugenagelt, sodass es nicht mehr ganz so durchgepfiffen hat und die Tiere einfach draußen gelassen. Da haben welche im Dorf gesagt: ›Jetzt haut’s ihm voll den Zünder raus, wie kann man nur, diese armen Tiere.‹ Den Tieren ging es aber gut. Die sind ja in der Lage, im Winterklima ohne Weiteres draußen zu leben. Wenn die im Sommer über draußen waren, sind die abgehärtet, und es macht ihnen gar nichts aus.«

In der EU-Hygieneverordnung steht: »Es dürfen nur lebende Tiere in die Schlachtstätte verbracht und geschlachtet werden.« Maier erfüllt diese Auflage mit der »Mobilen Schlachtbox«, die er selbst gebaut hat. Die Box ist Teil seiner Schlachtstätte mit einem zweiteiligen Schlachtsystem. So kann das Tier vor Ort betäubt werden, in gewohnter Umgebung und ohne unruhig zu werden, und wird dann lebend in die Schlachtstätte gebracht. Während das Rind ruht oder schläft, schießt Maier ihm mit Schalldämpfer auf dem Gewehr einen »finalen Betäubungsschuss« ins Gehirn, von dem es nicht wieder erwacht. Dann bringt er die an einem Traktor befestigte Schlachtbox heran, lädt das Tier ein, lässt es entbluten und sterben. Währenddessen kann er das Tier in der Box zum anderen, fest stehenden Teil der Schlachtanlage auf seinem Hof bringen. Dort wird es weiter zerlegt. »Dem toten Tier ist es egal, wie man es behandelt, nur dem lebenden nicht«, sagt Maier. Gerade die Biokunden wollten ja keine Quälerei, weder beim Transport noch im Schlachthof. »Wenigstens bei der Schlachtung müsste man sehr schnell was ändern, vor allem im Biosektor. Die sitzen da auf einer Bombe, denn es ist nicht in Ordnung, so wie das heute noch überwiegend abläuft. Die Betäubung der Tiere muss vor dem Transport erfolgen.«

Er selbst hat das nicht immer so gesehen. »Wir haben einen Metzger im Dorf gehabt, der hat damals noch geschlachtet. In der Nachbarschaft war ein kleines Schlachthaus, da hat man die Tiere hingebracht, das war eigentlich so noch ganz gut. Dann hat er seinen Schlachthof dichtgemacht, und man musste sie im Anhänger ein paar Kilometer nach Balingen fahren und dort schlachten lassen. Die Tiere hatten zuvor auch schon unter Stress gestanden, aber nicht über einen so langen Zeitraum. Ich bin da öfters dabeigestanden. Wenn man ein Tier verladen hatte, stand das da, war nassgeschwitzt, und die Tränen liefen ihm runter. Das war alles nicht schön, und du konntest nichts machen. Das ging so lange, bis 1986 der Bulle Axel dran war. Wir waren drei Leute, wir hatten ihn schon fest, und der Viehanhänger war da. Aber wir haben ihn nicht reinbekommen. Der hat getobt wie ein Verrückter. Wenn er nicht mehr konnte, weil er zu erschöpft war, dann hat er die Füße abgespreizt wie ein Sägebock und richtig geschrien. Das war grausam. Ich hab dann zu dem Metzgermeister gesagt, das könnten wir nicht mehr verantworten. Daraufhin fuhr der mit seinem Auto nach Balingen in den Schlachthof und erkundigte sich, ob wir den Bullen nicht vor Ort mit dem Bolzenschuss-Apparat betäuben dürften. Das ist dann auch passiert, und ich habe mich gefragt, warum nicht gleich so? Danach habe ich nie mehr ein Tier lebend transportiert. Nie mehr. Ich habe nicht gewusst, dass ich tote Tiere gar nicht zum Schlachthof transportieren darf. Bei den nächsten Schlachtungen hat man die Tiere angebunden und mit dem Bolzenschuss-Apparat betäubt. Einige konnte man aber nicht anbinden, und so ein Apparat eignet sich nicht besonders für frei laufende Tiere. Irgendwann hatte ich einen Bullen nur angeschossen, also nicht richtig betäubt. In Schlachthöfen passiert ja alles Mögliche, aber mir ist es halt auch passiert. Der hat mich dann nicht mehr an den Kopf gelassen, natürlich, der war ein bisschen verletzt und scheu. Da bin ich zu unserem damaligen Revierförster gefahren und habe gefragt, ob er nicht das Tier schießen würde. Der tat mir den Gefallen. Warum nicht gleich so? Warum mit dem blöden Bolzenschuss-Apparat rumfummeln, wenn es Gewehre gibt? Dass der das nicht durfte, auf diese Idee wäre ich gar nicht gekommen. Ich habe gedacht, das machen wir jetzt immer so. Für einen Jäger ist es natürlich was ganz Tolles, wenn er mal so einen richtigen Bullen schießen kann und nicht bloß so ein armseliges Reh auf 50 Meter vom Hochsitz aus. Ich hatte daher keine Probleme, Jäger zu finden, die mir die Tiere schießen wollten. Die sind praktisch fast Schlange gestanden, waren aber auch ein Unruhefaktor für die Herde. Die Tiere haben diese fremden Personen oft misstrauisch beäugt. Ich habe dann gedacht, ich müsste das selber tun, das wär optimal.«

So ist es auch gekommen, doch zunächst gab es eine Anzeige, da ein Jäger einen Bullen nicht gleich beim ersten Schuss betäubt hatte. Bald darauf kam das Verbot, selbst vor Ort zu schlachten, und ein endlos langer Krieg mit den Behörden und Gerichten begann. Maier blieb stur.

»Diese Schlachterei macht mir eh keinen Spaß, ich würde die Tiere eigentlich viel lieber leben lassen. Und wenn ich jetzt nicht so schlachten darf, wie ich will, dann schlachte ich eben gar nicht mehr, so lange, bis ich die Genehmigung habe, dachte ich damals. Dass es über 13 Jahre dauern würde, hätte ich natürlich nicht erwartet. Die Tiere haben sich vermehrt. Wir hatten noch Fleisch in der Gefriertruhe. Als das zu Ende ging, sind wir Vegetarier geworden. Ich hab geschafft wie ein Blöder, um meine Heurechnungen zu bezahlen, die Tiere sind immer zahlreicher geworden, wir konnten nicht verkaufen oder nur einen Bruchteil von dem, was wir hätten sollen. Immer wieder mal eine ›Notschlachtung‹. Der Schlachthoftierarzt hat uns unterstützt.« Die offizielle Genehmigung für Maier, Tiere auf der Weide selbst mit einem Gewehr betäuben zu dürfen, kam im Jahr 2000 vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

Milchsklaven

Die Scham vor den eigenen Gefühlen erschwere in der Landwirtschaft den Tierschutz, glaubt Maier. Tierhalter machten einen anstrengenden Job in einem Umfeld von anderen Bauern, Metzgern, Viehhändlern und Veterinären, in dem es ihnen schwerfalle, sich Gefühle für ihre Tiere einzugestehen. Wenn er aber mit den Leuten spreche, erfahre er, dass viele oft verbogen worden seien und ihre Not mit Zwängen hätten, die sie so gar nicht wollten. Auch seien Landwirte seiner Erfahrung nach im alten Denken gefangen, wie Landwirtschaft zu laufen habe; nur das erscheine ihnen normal. »Aber das ist nicht normal.« Maier weiß, dass es anders geht. Doch er sieht auch Grenzen bei der artgemäßen Rinderhaltung. »Man muss ehrlich sein: Eine Milchviehhaltung kann niemals eine artgemäße Haltung sein. Es ist eine Sklavenhaltung. Es gibt sehr wohl milde Formen dieser Sklaverei, und es gibt Leute, die es gut machen und ihre Tiere lieben. Die nehmen den Kühen die Kälber gleich nach der Geburt weg. Dann ist der Trennungsschmerz am geringsten. Biobetriebe haben oftmals in ihren Richtlinien stehen, dass man die Kälber eine gewisse Zeit saugen lassen soll oder muss. Doch das halte ich für ganz verkehrt, denn wenn man ihnen nachher das Kalb wegnimmt, ist es noch schlimmer. Ich trinke Milch in meinem Kaffee, und ich weiß ganz genau, diese Kuh wurde nicht artgemäß gehalten, sonst hätte man sie nicht gemolken, sondern das Kälbchen hätte gesaugt. Die Kuh ist nicht erschaffen worden, um Milch für die Menschen zu geben. Der Mensch ist auf die Idee gekommen, und ich finde das nicht so verwerflich. Ich finde es nur absolut verwerflich, wenn in der Hochleistungs-Milchviehhaltung diese Tiere, sobald sie ausgepowert sind und nicht mehr trächtig werden, weggeworfen werden wie ein Stück Dreck. Dass man irgendeinen Viehhändler anruft und sie, wenn es ganz blöd läuft, womöglich noch im Libanon landen. Aber auch sonst ist es schon schlimm genug. Eine Milchkuh hat wenigstens verdient, dass man sie an Ort und Stelle betäubt und tötet. Alles andere ist verwerflich und nicht zu verantworten. Das predige ich vor allem meinen Biokollegen.«

Die Art und Weise, wie Fleisch in Deutschland produziert wird, ist für meine Ansprüche absolut unbefriedigend. Die Züchter, Mäster und Schlachtbetriebe achten bei ihrer Arbeit keineswegs darauf, dass die Tiere so wenig leiden wie möglich, egal ob legal oder illegal, denn Tierschutzgesetz und Kontrollbehörden lassen ohnehin viel zu viele Ausnahmen zu. Um das Wohl der Tiere geht es meist nur dann, wenn es sich rechnet. Aber selbst, wenn so »ideale« Bedingungen wie bei Herrn Maier herrschen, reicht mir das nicht als Rechtfertigung für den kulinarisch motivierten Tod der Tiere. Dafür habe ich wohl schon zu lange die Gedanken über Tierrechte im Kopf, die mich eines Nachts plötzlich heimgesucht hatten. Es ist Zeit, meine Bedenken noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.