Wir können auch anders
Von Mängeln, Milch und Veganismus
Unsere Nahrungsmittel sollen Heil-, unsere Heilmittel Nahrungsmittel sein.
Hippokrates, altgriechischer Arzt (um 460 bis um 377 v. Chr.)
»Wir nehmen einfach nicht mehr ab.« Ganz offen spricht das Paar, das man neudeutsch als Best Ager bezeichnen würde, über seine Motivation, an den veganen Schnupperwochen teilzunehmen. Die beiden Sonnenstudio-Besitzer und -Nutzer haben im Radio vom Angebot der Schnupperwochen des Tierrechtsbündnisses Berlin-Vegan gehört und sich von Brandenburg aus in die Räumlichkeiten einer Berliner Bildungseinrichtung aufgemacht. Hier und an anderen Orten lernen gut 20 Menschen im Alter von unter 20 bis über 70 an zwei Wochenenden veganes Leben und Essen kennen und, hurra, sogar ganz erstaunlich leckeren Käse ohne Kuh. Den gibt es im Begrüßungspaket. Björn Moschinski, der vegane Koch, mit dem wir veganes Gulasch und weitere Gerichte zubereiten werden, muss die Erwartungen des Paares dämpfen – er selbst habe erst einmal zugenommen, als er Veganer wurde. Das halte ich jedoch für die Ausnahme, sowohl aus meiner eigenen Erfahrung heraus als auch durch Berichte anderer Veganer. Statistische Untersuchungen legen ebenfalls nahe, dass es kaum Veganer mit Übergewicht gibt. Obwohl ich mich mit dem Essen überhaupt nicht zurückhalte, habe ich schon mehrere Kilo abgenommen, denn auch die Gelegenheiten haben abgenommen, in denen man mal eben zwischendurch ungesundes Zeug essen könnte. Mir fällt es außerdem viel leichter, das Süßwarenangebot zu ignorieren, seit ich alles, bei dem Vollmilch, Butterreinfett, Süßmolken- und Eipulver sowie Milchzucker als Inhaltsstoffe auf dem Etikett stehen, von meinem Speiseplan gestrichen habe. Während der Schnupperwochen lernen wir bei einer Einkaufstour, dass Milchsäure in Produkten tierischen wie pflanzlichen Ursprungs sein kann und der Hinweis »Kann Spuren von Milch und Ei enthalten« nur der Absicherung gegen etwaige Klagen von Allergikern dient. Die mit diesem Zusatz gekennzeichneten Produkte können durchaus vegan sein. Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass es nahezu alles Süße auch in veganer Form gibt: Eis, Gummibärchen, Kekse, Schokolade, Nuss-Nugat-Creme, Kuchen und Torten, einiges sogar in ganz normalen Geschäften. Wer möchte, kann also wohl doch dick bleiben oder werden, auch wenn er sich vegan ernährt. Ansonsten ist die oft geringere Energiedichte pflanzlicher Lebensmittel gerade bei Übergewicht vorteilhaft. Natürlich ernähre ich mich nicht vegan, um abzunehmen, aber es ist für mich ein höchst willkommener Nebeneffekt. Bei allen guten Gründen, keine tierischen Lebensmittel mehr zu essen, will ich mich weiterhin vor allem gesund ernähren. Schon allein, um etwaige Vorurteile vom kränkelnden Veganer nicht zu bedienen. In der Tat esse ich mittlerweile vermutlich deutlich gesünder als zu den noch nicht allzu lang zurückliegenden Zeiten, in denen ich reichlich Butter, salz- und fettreichen Käse sowie Eier, gerührt oder gekocht, verdrückte. Dennoch möchte ich mich nun noch genauer mit den Vor-, Nach- und Vorurteilen einer »pflanzenbasierten« Ernährung beschäftigen.
Bei den veganen Schnupperwochen: Kochen ohne Knochen
Gesunde GeNüsse
Damit es mir mit dem veganen Essen nicht fade wird, liegt es nahe, alle möglichen Lebensmittel auszuprobieren, die ich vorher höchstens sporadisch gegessen habe. Nüsse etwa waren etwas, das ich nur vom Nikolausteller kannte, also deutlich saisonal begrenzt. Dabei sollte eine Handvoll, etwa 30 bis 60 Gramm, jeden Tag auf dem Speiseplan stehen, bei jedem. Außer bei denen mit Nussallergie … Nüsse sind eines der wirksamsten Lebensmittel, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Und obwohl sie sehr fettreich sind, machen rohe oder geröstete Nüsse offenbar nicht dick, möglicherweise gerade weil sie wenig ungünstige gesättigte und viele günstige ungesättigte Fettsäuren enthalten. Aus diesem Grund sind laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) pflanzliche Fette und Öle häufig günstiger als tierische Fette und senken zudem das Risiko für Erkrankungen des Herzens und des Gefäßsystems. Die vermehrte Bildung des ungünstigen LDL-Cholesterins kann zwar auch genetisch bedingt sein, vor allem sind aber tierische Lebensmittel dafür verantwortlich. Nicht so sehr durch den direkten Anteil an Cholesterin in den Lebensmitteln, sondern durch den Anteil an gesättigten Fettsäuren. Die sind aber nur noch in deutlich geringen Mengen Teil meines Essens. Seit meinem Abschied von der Butter und einer kurzen Margarinephase nehme ich Fett inzwischen außer in Form von Nüssen hauptsächlich durch Raps-, Lein- und Olivenöl zu mir, die ernährungsphysiologisch besonders günstig sind. Und statt Fisch, Käse und Ei esse ich noch mehr Vollkorn, Gemüse und Obst. Klingt nahezu schrecklich gesund und ist es auch, befindet die DGE, denn ein erhöhter Verzehr von Vollkornprodukten, Ballaststoffen, Gemüse und Obst verringert das Risiko für viele chronische Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einige Arten von Krebs. Ein weiterer Vorteil meiner gesundheitsorientierten Lebensmittelauswahl: Ich habe öfters Heißhunger auf Gesundes wie Äpfel, Nüsse oder Gemüse. Hätte ich nicht gedacht. Hingegen schaffen es die allermeisten Deutschen, nämlich 85 Prozent, nicht, auf die empfohlene Menge von 400 Gramm Gemüse am Tag zu kommen. Entsprechend schlecht ist die Versorgung der Durchschnittsgemischtköstler mit Folsäure, die vorwiegend in Pflanzenkost enthalten ist. Sie gehört zu den Vitaminen, von denen in der Bevölkerung deutlich zu wenig aufgenommen wird. Über 80 Prozent der Menschen erreichen hier nicht die empfohlene Menge. Dabei ist die Folsäure wichtig, weil sie nicht nur das gefäßschädigende Homocystein verringert, sondern auch das Risiko für Darm- und Brustkrebs. Genügend Folsäure aufzunehmen ist vor allem in der Schwangerschaft von Bedeutung, um Schädigungen am Embryo zu vermeiden. Bei vollwertiger veganer Ernährung sollte eine überdurchschnittlich gute Versorgung mit Folsäure kein Problem sein, weil sie vor allem in Gemüse, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten steckt. Mit einer abwechslungsreichen pflanzlichen Ernährung können sogar Schwangere die Empfehlung von 400 Mikrogramm pro Tag erreichen.
Auch beim Vitamin C bleibt ein Drittel aller Deutschen unter den Empfehlungen. Als Obst- und Gemüseesser ist man hier ebenfalls auf der sicheren Seite. Zudem nimmt man neben dem Vitamin C reichlich weitere Antioxidantien auf, sowie Ballast- und sekundäre Pflanzenstoffe – die mit dem großen »Krankheitspräventionspotenzial«. Dagegen ist ebendieses bei tierischen Lebensmitteln gering. Viele tierische Lebensmittel schaden in den bei der Durchschnittsbevölkerung üblichen Verzehrmengen sogar. Nur Fisch (der fette Seefisch) senkt laut DGE das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Rotes Fleisch und Fleischwaren steigern wie geschildert dieses Risiko, ebenso wie das Risiko für etliche weitere Erkrankungen wie Darmkrebs und Diabetes. Auch Eier erhöhen, zumindest bei täglichem Verzehr, das Risiko für Herzkrankheiten und Diabetes. Mehr als drei Eier pro Woche sollten es – einschließlich der verarbeiteten in Kuchen und Keksen – nicht sein, rät die DGE.
»Die Milch macht’s« – Was eigentlich?
Milch enthält alle für den Menschen wesentlichen Aminosäuren in geeigneten Anteilen sowie die Vitamine B2 und B12 und natürlich das für die Knochengesundheit wichtige Kalzium. Das war’s dann aber auch schon so ziemlich mit den Vorteilen. Zwei Drittel der Fettsäuren in der Milch sind gesättigt. Mehrfach ungesättigt sind weniger als 4 Prozent. Auch vonseiten der DGE gibt es über Milch ernährungsphysiologisch nicht nur Positives zu berichten. So scheint sie, wohl dank des Kalziums, zwar das Risiko für Darmkrebs zu verringern, möglicherweise aber das für Prostatakrebs zu erhöhen. Eine mögliche Risikoerhöhung für diese bei Männern am häufigsten vorkommende Krebsart (statistisch gesehen erkrankt jeder achte Mann in Deutschland daran) durch den Verzehr von Milch und Milchprodukten kann auch der World Cancer Research Fund (WCRF) in seinem Krebsbericht nicht ausschließen. Zumindest wertet dessen wissenschaftlich differenzierte Sicht den Zusammenhang zwischen einer Ernährungsweise mit viel Kalzium und Prostatakrebs als wahrscheinlich. Und die Hauptquellen für Kalzium sind hierzulande wiederum Milch und Milchprodukte. Offenbar wirkt sich eine hohe Kalziumaufnahme günstig auf den Darm, aber ungünstig auf die Prostata aus.
Verbreitete Intoleranz
Milch ist keineswegs ein Nahrungsmittel mit jahrhundertealter Tradition. Erst ab dem späten 19. Jahrhundert nahm der Konsum von Kuhmilch in westlichen Ländern stark zu und stieg im 20. Jahrhundert immer weiter an, als die Haltbarmachung durch Pasteurisation, die Lieferung an die Haustür und die Ansicht, Milch sei für Kinder gesund, populär und das Stillen unpopulär wurden. Bis dahin war Milch lediglich ein Ersatz für Muttermilch gewesen. Erwachsene nahmen Milch früher, wenn überhaupt, nur in geringen Mengen zu sich. Weltweit vertragen die meisten Menschen Milch schlecht oder höchstens in geringen Dosen und in fermentierter Form wie Joghurt. Die meisten Menschen sind als Erwachsene nämlich »laktoseintolerant«, das heißt, nicht in der Lage, Milchzucker (Laktose) zu verdauen, weil ihnen das dafür nötige Enzym weitgehend fehlt. (Unter Übelkeit, Schmerzen, Durchfall oder Blähungen leiden aber nicht alle Laktoseintoleranten gleichermaßen und auch nicht unbedingt schon nach einem Glas Milch.) Laktoseintoleranz beim Menschen ist also die Norm, nur in Mittel- und Nordeuropa sowie in den USA und Australien stellt sie eine genetische Besonderheit dar, von der zwischen 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Die Fähigkeit, Laktose über das Kleinkindalter hinaus zu verdauen, muss in Nordeuropa einen enormen Fortpflanzungsvorteil gebracht haben, denn diese vererbbare Fähigkeit hat sich nach Ansicht von Paläogenetikern in nur 8000 Jahren ausgebreitet. In Zeiträumen der Evolution gedacht, ist das richtig rasant. Möglicherweise konnten damit Versorgungsengpässe besser überbrückt werden.
Unter den heutigen Lebensbedingungen in den Industrieländern stelle eine vegetarische Ernährung mit einem geringen Anteil an Milchprodukten – rein ernährungsphysiologisch betrachtet – das Ideal dar, findet Markus Keller, Ernährungswissenschaftler und Autor des erfolgreichen Fachbuches Vegetarische Ernährung. Denn die Versorgung mit einigen Nährstoffen ließe sich durch eine vegetarische Ernährung zumindest einfacher sicherstellen, als wenn man weder Milch noch Eier esse. Eine Notwendigkeit für eine Ernährung mit Milch und Eiern sieht er aber keineswegs. Wenn man einigen simplen Regeln folge und abwechslungsreich die Vielfalt an Gemüse, Obst, Getreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen nutze, habe die vegane Ernährung gegenüber anderen Ernährungsweisen durchaus Vorteile. So schnitten Veganer bei einigen gesundheitsrelevanten Merkmalen wie Körpergewicht, Blutdruck und Diabetesrisiko sogar noch besser ab als die sogenannten Ovo-Lacto-Vegetarier, die Eier und Milchprodukte essen.
Tot sind am Ende alle
Ein bisschen gestritten wird noch darum, wer wie viel länger lebt als die Durchschnittsesser: die Selten-Fleisch-Esser, die weniger als einmal wöchentlich Fleisch essen, die Fischesser, die zwar Fisch, aber kein Fleisch essen, die Ovo-Lacto-Vegetarier oder die Veganer. Je nach Studie lebten die Vegetarier genauso lang wie oder etwas länger als die teilnehmenden Fleischesser, wobei bei den meisten Studien die teilnehmenden Fleischesser extrem wenig Fleisch aßen. Beide Gruppen hatten ein deutlich verringertes Sterberisiko gegenüber der Durchschnittsbevölkerung. Langfristig gesehen liegt bei Vegetariern wie Fleischessern das Sterberisiko natürlich bei 100 Prozent, doch innerhalb der Untersuchungszeiträume der Studien – von einigen Jahren bis Jahrzehnten – lassen sich bezüglich der Lebenserwartung schon erhebliche Unterschiede zum Durchschnittsesser ausmachen. Bisweilen betrug das Sterberisiko von Vegetariern und Selten-Fleisch-Essern im Untersuchungszeitraum nur die Hälfte verglichen mit durchschnittlichen Essern, das heißt, dass innerhalb des Beobachtungszeitraums von den vegetarischen oder extrem wenig Fleisch essenden Studienteilnehmern nur halb so viele gestorben sind wie in der Durchschnittsbevölkerung. Entscheidend für die Lebenserwartung scheint also weniger zu sein, ob man sehr wenig oder gar kein Fleisch isst, sondern ob gesunde pflanzliche Lebensmittel einen Großteil der Ernährung ausmachen. Eindeutig geht aus etlichen Studien jedenfalls hervor, dass die Lebenserwartung mit steigendem Fleischkonsum sinkt.
Die Todesrate aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist offenbar bei Vegetariern niedriger, selbst wenn man bei der statistischen Auswertung berücksichtigt, dass Vegetarier meist gesünder leben, etwa weil sie seltener rauchen und sich mehr bewegen. Die geringere Konzentration an Cholesterin im Blut ist dafür eine plausible Ursache. Vermutlich dürften Vegetarier auch länger bei guter Gesundheit sein, denn sie leiden deutlich seltener an chronischen Krankheiten. Veganer schneiden bei der Zahl der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen etwas schlechter ab als Vegetarier, ihre Zahl liegt dabei aber immer noch deutlich niedriger als die der Selten-Fleisch-Esser und wesentlich niedriger als die der Durchschnittsfleischesser. Die wahrscheinliche Ursache für den gesundheitlichen Nachteil der veganen Ernährung liegt in der bisweilen schlechteren Versorgung mit dem Vitamin B12.
B12 – Begründete Sorgen
Die Achillesferse des Veganers ist die Versorgung mit dem Vitamin B12. Es wird zwar von Darmbakterien auch ohne Zufuhr von außen im menschlichen Körper gebildet, jedoch sitzen diese Bakterien nur im Dickdarm. Dort nutzt es dem Menschen aber nichts, denn dafür müsste das B12 über den Dünndarm ins Blut aufgenommen werden, und der Dünndarm befindet sich ja vor dem Dickdarm. Heutzutage finden sich die für den Menschen nutzbaren Formen des unentbehrlichen Vitamins hierzulande nur noch in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch und Milch. Auch dort stammt es letztlich von Mikroorganismen, die etwa im Boden, auf Pflanzen, im Wasser und in Gedärmen leben. Da in den Industrieländern der Anteil an Wildkräutern in der Ernährung inzwischen gering ist und auch das Gemüse meist vollständig von Erde gereinigt wird, reicht die mitgegessene Anzahl an Mikroben nicht mehr zur B12-Versorgung aus. Unter hiesigen Hygienestandards ist das Trinkwasser ebenfalls unzureichend mit Mikroorganismen »verkeimt«, was ich aus anderen Gründen ganz vernünftig finde. Die großen Menschenaffen erhalten ihr B12 vor allem über Insekten sowie über ungereinigte Pflanzen, Kot und Erde. Sollen sie ruhig so machen, ist aber nichts für mich.
Mit einem Mangel an B12 ist nicht zu spaßen. Der Körper benötigt es für die Zellteilung, besonders zur Bildung der roten Blutkörperchen, Mund- und Rachenschleimhäute sowie des Nervensystems. Während der Schwangerschaft kann ein Vitamin-B12-Mangel zu Fehlbildungen an der Wirbelsäule des Embryos sowie zu anderen Komplikationen führen. Bei einigen Kindern, deren Mütter während des Stillens unter einem B12-Mangel gelitten hatten, wurden Wachstums- und Entwicklungsstörungen beobachtet. Ein Teil dieser Störungen kann auch durch einen Mangel am Vitamin Folsäure hervorgerufen werden. Folsäure nehmen die meisten Veganer jedoch reichlich zu sich. Eine hohe Zufuhr an Folsäure kann allerdings B12-Mangelerscheinungen überdecken. So bleibt ein B12-Mangel möglicherweise verborgen, bis es zu irreversiblen Schäden kommt. Normalerweise hält ein gefüllter B12-Speicher in Leber und Muskulatur bei Erwachsenen etwa drei bis fünf Jahre. Je mehr sich der Speicher leert, desto langsamer verläuft die Leerung. Ist jedoch zu wenig aktives B12 vorhanden, kann sich das schädigende Homocystein ansammeln. Hohe Homocystein-Werte sind ein Risikofaktor für Arteriosklerose, können daher die Gefahr für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöhen und zu Geburtsschäden, Depressionen und Demenz führen.
Nicht nur Veganer, die sich unzureichend mit B12 versorgen, sind vom Risiko eines B12-Mangels oder erhöhter Homocysteinwerte betroffen. Auch Allesesser, insbesondere ältere Menschen, können das B12 oft nur unzureichend aufnehmen, etwa weil die Magenschleimhaut durch eine Gastritis geschädigt ist oder der Magen zu wenig Säure produziert – da kann man noch so viel Fleisch und Milch zu sich nehmen. Entweder wird dann das B12 im Magen nicht mehr gelöst, oder es ist nicht mehr genug des sogenannten Intrinsic Factors vorhanden, des Proteins, das für die Aufnahme nötig ist. Die DGE gibt an, dass in Deutschland der B12-Mangel der in der Allgemeinbevölkerung am häufigsten zu therapierende Vitaminmangel ist. Wer sich in einer Apotheke umschaut, wird sehen, dass es etliche B12-Präparate gibt. Diese Nahrungsergänzungsmittel stammen nicht von gentechnisch veränderten Mikroorganismen und sind anders als Algen, Sauerkraut oder Bierhefe meist sichere Quellen zur Versorgung mit B12. Algen hingegen liefern zum Teil nur B12-ähnliche Stoffe (sogenannte Analoga) und können die Aufnahme und Nutzung des echten B12 sogar erschweren.
Blick ins Blut
In Anbetracht des ernst zu nehmenden Themas habe ich zu Beginn meiner veganen Ernährung erst einmal einen ausführlichen Bluttest machen lassen. Meine Cholesterin- und Blutfettwerte waren sensationell gut. Leider traf das jedoch nicht auf meinen B12-Wert im Blutserum zu. Zwar lag der noch immer über dem unteren Laborgrenzwert, »der stammt aber aus den 50ern«, wie meine Hausärztin kommentierte. Mit einem Wert unter 250 Pikogramm je Milliliter lag ich bereits um 30 Prozent unter der in der »Deutschen Vegan Studie« erwähnten Grenze, die einen Mangel kennzeichnet. Okay, B12-Bomben wie Kalbsleber habe ich schon in meinen omnivoren, also allesessenden Zeiten verschmäht, aber selbst der von mir in den letzten Jahren reichlich gegessene Hering hat offensichtlich nichts genutzt, wobei Fettfisch eigentlich noch weitaus mehr B12 enthält als Fleisch und Käse. Immerhin war das herzgefährdende Homocystein als Folge einer B12-Unterversorgung bei mir noch nicht erhöht.
Inzwischen weiß ich, dass eine Messung des Vitamins B12 im Blutserum einen Mangel sogar eher unter- als überschätzt. Denn die Messung gibt nicht zuverlässig darüber Auskunft, ob dem Körper auch genug des tatsächlich erforderlichen aktiven B12, des Holo-Transcobalamins II, zur Verfügung steht, das nur einen Bruchteil des B12 im Körper ausmacht. Liegt im Blutserum das Vitamin B12 unterhalb des Grenzwertes, deutet das bereits auf einen gravierenden Mangel hin. Viel früher (und mit etwa 15 Euro ziemlich günstig) lässt sich ein Mangel durch den Test des Holo-Transcobalamins II, kurz Holo-TC-Test, erkennen. Dass ich wie viele andere offenbar auch Schwierigkeiten habe, B12 über den Dünndarm aufzunehmen, zeigte sich erst ein paar Monate später. Täglich hatte ich brav die bei Veganern beliebten VEG1-Kautabletten als Ergänzungsmittel gefuttert. Sie enthalten mit 10 Mikrogramm pro Tablette reichlich B12. Doch genutzt hat’s bei mir nichts. Der Laborbefund spricht von einem verdeckten Vitamin-B12-Mangel, denn ich zeige ja wenigstens noch keine Symptome.
Was nun? Die von meiner Hausärztin bevorzugten Vitaminspritzen will ich noch immer nicht. Praktischerweise gibt es beim Vegetarierbund gerade eine B12-Zahnpasta in der Testphase. Drei Monate putze ich hochmotiviert mindestens zweimal täglich die Zähne mit der neuen Zahncreme. Als die Tube leer ist, gönne ich mir den nächsten Bluttest: Mein Holo-TC-Wert liegt jetzt im grünen Bereich und hat sich fast verdoppelt. Nach weiteren fünf Monaten Zähneputzens liegt mein Wert nahezu 100 Prozent über dem Grenzwert.
Auf Nummer sicher: Sinnvolle Tests für Vegetarier, Veganer & Co. Wer sichergehen will, dass seine Nährstoffversorgung optimal ist, kann sich an den folgenden Test-Empfehlungen orientieren. Die Intervalle gelten, solange die Werte im Normbereich liegen. Falls ein Test einen Mangel anzeigt, sollte abhängig vom Nährstoff nach einer gewissen Behandlungsdauer erneut getestet werden, ob zum Beispiel eine verbesserte Ernährung oder die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln Wirkung zeigt. Alle Werte werden durch Bluttests ermittelt, sofern nicht anders angegeben. |
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Nährstoff |
Für wen empfohlen? |
Wie oft soll getestet werden? |
Wie heißen die Tests?/Was wird untersucht? |
Vitamin B12 |
besonders für Veganer und ältere Menschen |
1 x pro Jahr |
Holo-Transcobalamin (Holo-TC; ca. 15 Euro); am besten in Kombination mit Serum-Vitamin B12 (ca. 15 Euro) und Homocystein (ca. 35 Euro) |
Vitamin D |
für jeden, unabhängig vom Ernährungsstil; besonders für Veganer und dunkelhäutige Menschen |
im Herbst, Winter und Frühjahr |
25-OH-Vitamin-D3 (Calcidiol; ca. 30 Euro) |
Eisen |
für Frauen im gebärfähigen Alter, für Schwangere, Stillende; für Kinder, Jugendliche; besonders für Veganerinnen |
1 x pro Jahr; während der Schwangerschaft und Stillzeit eventuell öfter |
Hämoglobin (ca. 5 Euro), Ferritin (ca. 15 Euro) |
Jod |
für jeden, unabhängig vom Ernährungsstil |
1 x pro Jahr |
Jodausscheidung im Urin (ca. 50 Euro) |
Vitamin B2 |
für Veganer sinnvoll |
1 x pro Jahr |
Aktivität der EGR (Erythrozyten-Glutathion-Reduktase; ca. 7 Euro) |
Zink |
für Vegetarier und Veganer |
1 x pro Jahr |
Zink im Serum (ca. 5 Euro) |
DHA (Docosahexaensäure) |
eventuell für schwangere Vegetarierinnen und Veganerinnen |
einmalig; bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sollte öfter der Erfolg kontrolliert werden |
DHA im Plasma (ca. 25 Euro) |
Vitamin B6 |
nur bei Interesse, aber für Veganer durchaus empfehlenswert |
1 x pro Jahr |
Vitamin B6 (ca. 35 Euro) |
Folsäure |
für Frauen mit Kinderwunsch sinnvoll; für Veggies nur bei Interesse, es zeigt klar an, ob sie genug Gemüse essen |
1 x pro Jahr |
Folsäure im Serum (ca. 15 Euro) |
Selen |
nur bei Interesse |
1 x pro Jahr |
Selen im Serum (ca. 25 Euro) |
Quelle: Dr. oec. troph. Markus H. Keller, Institut für alternative und nachhaltige Ernährung |
Vitamin D wie Dorade
Das andere kritische »Veganer-Vitamin« ist das D, allerdings müssen hier nicht nur die Veganer aufpassen, sondern alle, auch die Viel-Fleisch-Esser. Nach Auswertung der Nationalen Verzehrsstudie II erreichen acht von zehn Männern und neun von zehn Frauen die empfohlene tägliche Vitamin-D-Zufuhr nicht. Die DGE hat bislang vor allem für Schwangerschaft und Stillzeit sowie für Kinder im ersten Lebensjahr eine Nahrungsergänzung empfohlen. Da allerdings vor allem im Winter die meisten über das Sonnenlicht oder die Nahrung nicht genug davon aufnehmen, hat die DGE kürzlich die von ihr empfohlene Aufnahmemenge vervierfacht. Ein längst überfälliger Schritt, wie viele finden.
In erster Linie ist Vitamin D für die Knochengesundheit wichtig, weil es die Kalziumaufnahme aus der Nahrung stark beeinflusst und Knochen bildende Zellen anregt. Zudem ist es wichtig für das Immunsystem und die Bauchspeicheldrüse, und es kann möglicherweise bis zu einem gewissen Teil auch vor manchen Krebsarten, Bluthochdruck, multipler Sklerose, Diabetes Typ I und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen schützen. Leider ist auch Vitamin D in bedeutenderen Mengen mal wieder nur in Seefisch vorhanden, der ja wiederum nicht in den für eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung nötigen Mengen gegessen wird. Pilze, die Sonnenlicht abbekommen haben, enthalten ebenfalls Vitamin D, man kann sie dafür sogar künstlich mit UV-Licht bestrahlen. Aber niemand isst davon solche Mengen, dass sie den Vitamin-D-Bedarf ausreichend decken könnten. Das Solarium-Paar von den veganen Schnupperwochen bekommt vermutlich auch im Winter genug Vitamin D, denn der Mensch kann es, ähnlich wie Pilze, durch Sonnenlicht in der Haut bilden. Von Oktober bis März reicht die natürliche Sonneneinstrahlung in unseren Breiten selbst bei sonnigem Wetter nicht, weil die UV-B-Strahlen des flacher einfallenden Sonnenlichts zu stark von der Atmosphäre gefiltert werden. Im Frühjahr und Sommer genügt es, den nackten Oberkörper einige Minuten in die Sonne zu halten, um auf die empfohlene Tagesdosis zu kommen. Die Tatsache, dass dunkelhäutige Menschen auch im Sommer in unseren Breitengraden weniger Vitamin D bilden, ist möglicherweise der Grund, warum bei der Besiedlung der nördlichen Breiten Menschen mit hellerer Haut Vorteile hatten. Selbst wenn man im Sommer reichlich Sonne getankt hat, reichen die Vitamin-D-Speicher nicht unbedingt über den ganzen Winter. Daher sollten alle Menschen hierzulande Vitamin D als Nahrungsergänzung zu sich nehmen, rät Ernährungswissenschaftler Keller.
Veganer sind bei diesem Vitamin noch schlechter dran als die Durchschnittsdeutschen oder auch Vegetarier, die über Milch und Eier gewisse Mengen des Vitamins aufnehmen. Die üblicherweise im Dunkeln gezogenen Champignons reichen als vegane Quelle leider nicht aus, und wie oben bereits erwähnt, käme man auch mit den Mengen gar nicht nach. Selbst bei angereicherten Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungen kommen die ganz konsequenten Veganer in Schwierigkeiten, denn das wirksame Vitamin D3 stammt oft aus tierischen Quellen wie Wollwachs von Schafen. Die Wirksamkeit des pflanzlichen Vitamins D2 im menschlichen Körper wird von manchen Wissenschaftlern als deutlich geringer eingeschätzt. Inzwischen gibt es allerdings auch Vitamin D3 aus Flechten, die als Mischwesen aus Pilz und Pflanze eindeutig vegan sind.
Jod – in Salz und Brot
Bei Jod denke ich sofort an die Uraltreklame für Wellensittichfutter und an besorgte Menschen, die sich damit vor Wundinfektionen und Strahlenschäden schützen wollen. Dabei spielt das Element Jod tatsächlich eine wichtige Rolle für die Gesundheit, jedoch ist die Bevölkerung in Deutschland auch hier im Allgemeinen unterversorgt und erreicht nicht die empfohlenen Mengen. Folgen eines Jodmangels können unter anderem Fehlfunktionen der Schilddrüse sein. Trotz der noch immer nicht optimalen Versorgung hätte die Situation in Europa aber keine so gravierenden Folgen wie in Entwicklungsländern, sagt Markus Keller. Der dort vorkommende chronische Jodmangel kann beispielsweise in der Schwangerschaft zu schweren Entwicklungsstörungen und einer beeinträchtigten Gehirnentwicklung bei Kindern führen. Man vermutet allerdings, dass der hierzulande auftretende leichte Jodmangel die Lern- und Konzentrationsfähigkeit von Kindern beeinträchtigen kann. Seefische sind, wenn man sie denn isst, eine gute, aber nicht ausreichende Quelle für Jod. Bei jodhaltigen Böden gelangt das Element auch ins Gemüse, doch in Deutschland haben die Folgen der Eiszeit einen Großteil des Jods aus dem Boden gewaschen. Wer zumindest Pflanzen aus unterschiedlichen Regionen isst, erhöht die Chance, dass einige davon Jod enthalten. Das ist natürlich keine verlässliche Quelle. Weil das Tierfutter in Deutschland mit Jod angereichert und die Ställe ebenfalls damit gereinigt werden dürfen, konsumiert ein Vegetarier über Milch und Milchprodukte ähnliche Jodmengen wie der Allesesser. Über jodierte Speisesalze und verarbeitete Lebensmittel sowie Brot kommt auch der Veganer an Jod, doch aufgrund seiner tendenziell noch größeren Unterversorgung empfiehlt sich für ihn der gelegentliche Verzehr von Algen mit mäßigem Jodgehalt. Vor dem Verzehr von Algen mit zu hohem Jodgehalt – ab 20 Milligramm je Kilogramm – warnt das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) hingegen, denn zu viel Jod ist auch nicht gut. Da die Menschen, auch die Veganer, sehr unterschiedliche Mengen Salz zu sich nehmen, kann jodiertes Speisesalz in manchen Fällen eher unvorteilhaft sein, je nachdem, wie viel Jod jemand bereits durch andere Lebensmittel aufnimmt. Ob Veganer, Vegetarier oder Fleischesser – beim Jod gilt es also immer nach der individuellen Situation abzuwägen.
Eisen – ein Frauenproblem
Eine der nahezu klassischen Fragen an Vegetarier oder Veganer lautet: »Wo bekommst du denn dein Eisen her?« Von zu niedrigen Eisenspeichern sind vorwiegend Frauen im gebärfähigen Alter betroffen, weil sie durch die Menstruation, durch Schwangerschaft und Geburt weit mehr Eisen verlieren als Männer. Fleischesserinnen trifft es aber ebenso wie Vegetarierinnen und Veganerinnen, denn die Ernährung spielt dabei eine viel geringere Rolle als die Stärke der monatlichen Blutungen. Dennoch hat schon manche Vegetarierin einen Eisenmangel zum Anlass genommen, wieder mit dem Fleischessen anzufangen. Ein schwerer Mangel tritt bei Erwachsenen in Deutschland selten auf. Häufiger kommt es hingegen zu einem verdeckten Mangel mit unspezifischen Symptomen wie Erschöpfung und Kopfschmerzen. Auch während einer Schwangerschaft, einer längeren Krankheit oder bei größeren Blutverlusten kann ein Eisenmangel von Nachteil sein.
Eisen als Nahrungsergänzungsmittel ist dennoch nur für einen kleinen Teil der Frauen sinnvoll und sollte nur dann genommen werden, wenn tatsächlich ein Eisenmangel vorliegt. Alle Frauen im gebärfähigen Alter sollten aber unabhängig von ihrer Ernährungsweise ihren Eisenstatus testen lassen. Dazu wird das Serum-Ferritin im Blut gemessen, ein Eisen speicherndes Protein, das ein aussagekräftiges Maß für den gesamten Eisenspeicher des Organismus darstellt. Das Ferritin zeigt schon früh an, ob es an Eisen mangelt. Die Messung des Serum-Eisens hingegen zeigt einen Mangel erst, wenn der Speicher und eventuell auch die betroffene Frau schon erschöpft sind. Der Serum-Eisen-Wert allein ist daher kein verlässliches Kennzeichen, er kann sogar bei leeren Speichern erhöht sein. Bei Männern ist ein Eisenmangel ziemlich selten. Bei ihnen reicht es aus, wenn sie das Serum-Ferritin alle paar Jahre einmal testen lassen.
Das tierische Häm-Eisen aus Fleisch wird zwar besser aufgenommen und anders als das pflanzliche Nicht-Häm-Eisen sogar dann, wenn die Eisenspeicher voll sind. Dies ist aber nicht unbedingt vorteilhaft, weil hohe Eisenspeicher mit Diabetes, Herzerkrankungen und Dickdarmkrebs in Verbindung gebracht werden. Besonders eisenhaltige pflanzliche Lebensmittel sind Produkte aus Vollkorngetreide, Amarant, Quinoa und Hirse, grüne Gemüse, Hülsenfrüchte, auch »Sojafleisch«, Nüsse, Samen und Trockenfrüchte wie Rosinen sowie Zuckerrübensirup. Um die Eisenaufnahme aus diesen Lebensmitteln zu verbessern, nimmt man dazu am besten Vitamin C in Form von rohem oder gegartem Gemüse, Obst oder Fruchtsäften zu sich. Vitamin C verringert zugleich den eisenaufnahmehemmenden Effekt, den Kaffee, Tannine in schwarzem und grünem Tee sowie Phytate verursachen, die wiederum in eisenreichem Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten vorkommen. Kalzium gilt ebenfalls als aufnahmehemmend, aber hier gibt Ernährungsexperte Keller Entwarnung: »Mit der Nahrung nimmt man so große Kalziummengen gar nicht auf, als dass sie die Eisenaufnahme hemmen könnten.«
Mehr Milch = mehr Kalzium – eine Milchmädchenrechnung
Die herkömmliche Sorge ums Kalzium und damit um die Knochengesundheit gilt meist nur Veganern oder anderen Milchverweigerern, denn Milch ist in westlichen Industrieländern ja die Kalziumquelle schlechthin. Tatsächlich erreicht jedoch auch etwa die Hälfte der allesessenden und -trinkenden Deutschen nicht die von der DGE empfohlene Menge an Kalzium. Zudem ist das Risiko, an Osteoporose zu erkranken, nur bei solchen Veganern erhöht, die unterdurchschnittlich wenig Kalzium aufnehmen.
Gerade in der Kindheit und Jugend ist für den Aufbau einer hohen Knochenmineraldichte eine ausreichende Kalziumaufnahme wichtig. Da im Erwachsenenalter die Knochenmineraldichte wieder abnimmt, ist es eigentlich auch für Erwachsene wichtig, genügend Kalzium aufzunehmen, um den Abbau gering zu halten. Zu viel Kalzium wiederum ist aber auch nicht gesund. Abgesehen davon, dass eine sehr kalziumreiche Ernährung das Risiko für manche Krebsarten erhöht, verringert der reichliche Verzehr von Milchprodukten offenbar nicht das Risiko von Knochenbrüchen. Gerade in Ländern mit hohem Milchkonsum gibt es viele Fälle von Osteoporose. Milch allein kann also nicht die Lösung für eine vernünftige Kalziumversorgung sein. Die Ansicht, dass sie als Kalziumquelle unabdingbar sei, ist längst überholt, man kann sie durch andere Lebensmittel ausreichend ersetzen. Das sieht man an Ländern, in denen kaum oder keine Milch konsumiert wird, oder auch hierzulande bei den Menschen, die keinerlei Milchzucker vertragen oder allergisch auf Milchprotein reagieren. Mit Kalzium angereicherte Sojamilch enthält genauso viel Kalzium wie Kuhmilch. Weitere Quellen sind insbesondere Sesam, sehr lecker als Tahin-Paste, kalziumreiches Mineralwasser (ab 150 Milligramm je Liter), Nüsse, Mandeln und Mohn, grüne Gemüse wie Brokkoli, Rucola und Fenchel, Getreide sowie Tofu, besonders, wenn dieser mit dem Gerinnungsmittel Kalziumsulfat hergestellt wurde. Die pflanzlichen Hemmstoffe, die eine Kalziumaufnahme verringern, machen sich in der Praxis nur bei einer sehr kalziumarmen Ernährung bemerkbar.
Der Körper verliert ständig Kalzium über Schweiß, Kot und Urin. Diese Verluste müssen über die Nahrung ausgeglichen werden, sonst entzieht der Körper vor allem bei Älteren den Knochen das für die Konzentration im Blut benötigte Kalzium. Eine kalziumreiche Ernährung allein reicht aber eben nicht aus, denn Kalzium ist der Nährstoff, dessen Bilanz am stärksten von anderen Faktoren beeinflusst wird. Der für die Aufnahme wichtigste Faktor ist Vitamin D. Man braucht es nicht nur, um Kalzium über den Darm aufzunehmen, sondern auch um es in den Knochen einzulagern. In den nördlicheren Breiten wird die Kalziumaufnahme durch die ungenügende Vitamin-D-Versorgung daher erschwert. Möglicherweise kann dieser Zusammenhang auch das verstärkte Auftreten von Osteoporose in diesen Ländern mit erklären.
Gewinn und Verluste
Für eine positive Kalziumbilanz im Körper ist die Ausscheidung von Kalzium noch entscheidender als die Aufnahme. Die komplexen biochemischen Abläufe des Kalziumhaushaltes erspare ich dem Leser hier. Von Bedeutung ist jedenfalls, dass die westliche Ernährungsweise mit viel (Natrium-)Salz und eine durch zu wenig Gemüse verringerte Aufnahme von Kalium (nicht Kalzium!) zu verstärktem Kalziumverlust führt. Gegen den Kalzium- und Knochenschwund helfen daher die Erhöhung der Kaliummenge, also mehr Gemüse, und weniger Natriumsalz im Essen genauso gut wie eine Erhöhung der Kalziummenge. Ein verbesserter Kalium-Natrium-Haushalt ist zudem vorteilhaft für den Blutdruck. Eine weitere Ursache für einen hohen Kalziumverlust sind zu viele tierische Proteine im Essen. Tierische Lebensmittel, die viele Proteine, aber nur wenig Kalzium enthalten – wie Fleisch, Fisch und Eier –, führen daher insgesamt zu einem deutlichen Kalziumverlust. Bei manchen Lebensmitteln gleichen sich die Kalziumaufnahme und der Verlust aus. Kuhmilch hingegen führt – auf Basis einer solchen Gewinn-und-Verlust-Rechnung – insgesamt zu einer Aufnahme von nur etwa 8 Prozent des in ihr enthaltenen Kalziums. Da Proteine aus Pflanzen üblicherweise auch mit mehr Kalium (nicht Kalzium!) verbunden sind, wirken sie sich auf die Kalziumbilanz positiver aus als tierische Proteine. Vor allem aber hilft körperliche Aktivität gegen Kalziumverlust und Knochenabbau. So viel Kalzium im Essen ist also gar nicht nötig, wenn man die anderen Faktoren wie genügend Vitamin D und Kalium sowie weniger Natriumsalz und tierische Proteine berücksichtigt.
B2 – Theoretische Bedenken
Das Vitamin B2 mit dem schönen Namen Riboflavin ist in vielen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. Es spielt beim Energie- und beim Fettsäurenstoffwechsel sowie in der Embryonalentwicklung eine Rolle. Da Milch und Milchprodukte in Deutschland mit einem Anteil von einem Viertel am stärksten zur B2-Versorgung beitragen, können Veganer theoretisch schlechter versorgt sein. Wer als Veganer auf Nummer sicher gehen will, kann seinen Riboflavin-Status testen lassen und die Zufuhr gegebenenfalls mit geeigneten pflanzlichen Lebensmitteln wie Mandeln, Pilzen, Sojafleisch und Hülsenfrüchten erhöhen.
Spurenelement Zink
Zink wird im Körper zwar nur in Spuren benötigt, dafür aber für etliche Funktionen. Die Symptome eines ernährungsbedingten schweren Zinkmangels tauchen in Industrieländern gar nicht auf, dennoch gilt Zink als »potenziell kritischer Nährstoff bei vegetarischer Ernährung«. Andererseits haben Studien gezeigt, dass der Zinkstatus bei erwachsenen Allesessern, Vegetariern und Veganern in den meisten Fällen ausreichend ist. Wie bei Eisen und Kalzium beeinträchtigen manche pflanzlichen Inhaltsstoffe auch hier die Aufnahme. Dazu gehören die Tannine in Kaffee und Tee sowie Phytate in Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten, die im Ganzen betrachtet neben Nüssen trotzdem gute Zinkquellen darstellen. Bei einem erhöhten Bedarf, zum Beispiel bei Kindern, Jugendlichen, Schwangeren, Stillenden und Älteren, ist es unabhängig von der Ernährungsweise ratsam, auf eine ausreichende Zinkzufuhr zu achten. Seinen Zinkstatus kann man sehr günstig messen lassen.
Von Alpha und Omega
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) will, dass wir mehr Fisch essen. Es geht ihr neben Vitamin D und Jod besonders um bestimmte Omega-3-Fettsäuren, die Eicosapentaensäure, kurz EPA, und die Docosahexaensäure, DHA. Letztere spielte in der Gehirnevolution des Menschen eine Rolle. Omega-3-Fettsäuren verringern die Risiken, die wir durch unseren Konsum an Fleisch erhöhen. Eine optimierte Zufuhr hemmt Entzündungen, ist gut für Blutdruck und Blutgefäße, verbessert die Fließeigenschaften des Bluts, verringert erhöhte Cholesterin- und Blutfettwerte sowie das herzschädigende Homocystein. Somit senken die wunderbaren Fette das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die DGE spricht daher folgende Empfehlung aus: »Menschen aller Altersklassen sollten täglich circa 0,5 Prozent ihrer Gesamtenergie in Form von Omega-3-Fettsäuren aufnehmen.« Rechnet man das einmal um, kommt man bei Kindern ab sieben Jahren und Erwachsenen abhängig vom Energiebedarf auf Tagesmengen zwischen 1 bis 1,7 Gramm Omega-3-Fettsäuren. Kleinere Kinder brauchen entsprechend etwas weniger. Für die besonders erwünschten Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA empfiehlt die DGE eine tägliche Aufnahme von zusammen 0,25 Gramm. EPA und DHA gelten bei Kindern als besonders wichtig für die Entwicklung von Gehirn und Sehvermögen. Eine ideale Quelle dafür ist Muttermilch – oder eben Fisch.
Nicht alle Fische sind gleichermaßen reich an EPA und DHA, es sind eigentlich nur die fetteren Seefische. Die asiatischen Süßwasserzuchtfische Pangasius und Tilapia enthalten nach Angaben des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums weniger als 0,1 Gramm dieser Fettsäuren je 100 Gramm Fischfilet. Alaska-Seelachs, der Fischstäbchenfisch schlechthin, enthält ebenfalls lediglich zwischen 0,1 und 0,4 Gramm EPA und DHA. Für die tägliche 0,25-Gramm-Dosis EPA und DHA müsste man demnach – bei 20 Gramm Fischeinwaage eines Fischstäbchens – pro Woche bis zu 90 Fischstäbchen essen. Makrelen sind mit 2,3 Gramm EPA und DHA da deutlich gehaltvoller, nur eben nicht sonderlich beliebt. Atlantischer Zuchtlachs und Hering enthalten 1 bis 2 Gramm der wertvollen Fettsäuren. Mit rund 100 Gramm Hering pro Woche käme man rechnerisch ebenfalls auf die empfohlene Menge an EPA und DHA. Fischölkapseln, die diese Fettsäuren konzentriert enthalten, sollen laut DGE nur nach ärztlicher Anordnung eingenommen werden. Eine zu hohe Aufnahme könne schädlich sein, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Von Omega-3-Fettsäuren kriegen Allesesser, Vegetarier und Veganer insgesamt etwa gleich viel ab. Die für den Körper essenzielle (also lebensnotwendige, aber vom Körper nicht selbst herstellbare) Omega-3-Fettsäure, die Alpha-Linolensäure (ALA), kommt reichlich in pflanzlichen Ölen und Nüssen vor. Ein Mangel an ALA ist selten, und das ist auch gut so, denn Omega-3-Fettsäuren haben, wie bereits erwähnt, viele gute Eigenschaften. Niedrige Spiegel von Omega-3-Fettsäuren werden zudem mit entzündungsbedingten Erkrankungen sowie verschiedenen neurologischen Störungen in Verbindung gebracht. Aus der Linolensäure kann der Körper die funktionell noch aktiveren Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA herstellen, die vor allem in der Schwangerschaft und beim Stillen von großer Bedeutung für das Kind sind. Muttermilch enthält viel EPA und DHA, weil die Umwandlung aus der Linolensäure bei Schwangeren und Stillenden besonders gut funktioniert. Generell ist diese Umwandlung jedoch nur begrenzt möglich, daher kann eine zusätzliche Zufuhr an EPA und DHA direkt aus der Nahrung vorteilhaft sein. Da diese Fettsäuren aber fast ausschließlich in tierischen Lebensmitteln, vor allem im fetten Seefisch, vorkommen, nehmen Menschen, die weder Fisch noch Fleisch essen, zumindest an EPA nur geringe Mengen auf. Die Zufuhr an DHA hängt vom Eiverzehr ab. Veganer sind mit beiden Fettsäuren natürlich schlechter versorgt. »Die Frage ist aber, ob das überhaupt eine Rolle spielt«, sagt Markus Keller, »da besteht noch Forschungsbedarf.« Das Risiko von Veganern für Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte durch die geringere Versorgung mit EPA und DHA erhöht sein. Bei ihnen ist aber das allgemeine Risiko für Krankheiten deutlich geringer als bei Fleischessern, denn sie nehmen gar keine tierischen Fette und nur etwa halb so viel gesättigte Fettsäuren auf. So besteht etwa für Fleischesser ein viel höheres Thrombose- und Arteriosklerose-Risiko als für Vegetarier und Veganer. Veganer schmälern daher höchstens ein bisschen den gesundheitlichen Vorteil, den sie aufgrund ihrer Ernährung haben.
EPA, DHA, ALA, LA, AA
Dass der Nutzen der langkettigen Fettsäuren EPA und DHA offenbar von dem persönlichen Risikoprofil für Herz- und Gefäßerkrankungen abhängt, ergab eine systematische Überprüfung von Studien über Fischverzehr und die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren: Menschen mit einem hohen Risiko für Erkrankungen der Herzkranzgefäße profitieren von einem erhöhten Fettfischkonsum. Wer nur ein geringes Risiko hat, profitiert nicht davon. Dennoch schadet es Veganern und Vegetariern nicht, die körpereigene Bildung von EPA und DHA aus der Linolensäure (ALA) zu verbessern. Einige Experten empfehlen daher, dass Vegetarier und Veganer doppelt so viel Linolensäure aufnehmen sollten wie Allesesser. Mehr Linolensäure fördert vor allem die Umwandlung von EPA in DHA. Die Umwandlung aus der Linolensäure hingegen wird besonders durch eine geringere Aufnahme des Gegenspielers der Linolensäure verbessert: der Linolsäure (LA), einer essenziellen Omega-6-Fettsäure. Sie ist nicht nur vom Namen her leicht mit der Linolensäure (ALA) zu verwechseln, sondern konkurriert auch im Körper um die gleichen Enzyme. Die Enzyme, die sonst für die Umwandlung von ALA in EPA genutzt werden, benötigt LA, um Arachidonsäure (AA) zu bilden – und zu viel Arachidonsäure im Körper ist nicht gesund.
Da Veganer Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren oft in einem ungünstigen Verhältnis aufnehmen, ist es für sie sinnvoll, statt der Omega-6-reichen Öle wie Sonnenblumen- oder Distelöl als Standardöl lieber Rapsöl zu verwenden, das einen höheren Omega-3-Anteil hat. Von Vorteil ist auch, weniger verarbeitete Lebensmittel zu essen, da diese tendenziell mehr Omega-6-Fettsäuren enthalten. Letzteres hat gleichzeitig den Vorteil, dass man weniger der schädlichen Transfette zu sich nimmt. Für die Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren ist ½ bis 1 Teelöffel Leinöl oder eine Handvoll Walnüsse am Tag ausreichend. Leinöl sollte man allerdings kühl lagern und zügig verbrauchen, weil es an der Luft schädliche Oxidationsprodukte bildet. Idealerweise sollte man Omega-3- und Omega-6-Fette im Mengenverhältnis von etwa 1:3 bis 1:5 aufnehmen.
Pflanzliche Quellen für Omega-3-Fettsäuren Alpha-Linolensäure (ALA): Besonders viel davon enthalten geschrotete Leinsamen und Leinöl, Walnüsse und Walnussöl, Hanfsamen, Hanfmehl und Hanföl, Rapsöl, Weizenkeimöl und Chia-Samen (als Lebensmittelzutat in der EU zugelassen). In Sojabohnen und Sojaöl sowie in geringen Mengen auch in Sojaprodukten stecken ebenfalls Omega-3-Fettsäuren, gleichzeitig aber auch eine Menge Omega-6-Fettsäuren, sodass die Fettsäurezusammensetzung dieser Produkte weniger vorteilhaft ist. In sehr geringen Mengen kommt ALA in Mohn und grünem Gemüse wie Grünkohl, Rosenkohl, Spinat, Feldsalat und Portulak vor. Eicosapentaensäure (EPA) und / oder Docosahexaensäure (DHA): Diese Säuren sind nur in Algenöl bzw. Algenölkapseln enthalten. Bei besonderem Bedarf können die Kapseln nach Rücksprache mit dem Arzt genommen werden. |
Algen statt Aal
Die besonders wichtigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA im Fisch stammen letztlich aus Algen. Die Fettsäuren reichern sich in der Nahrungskette in den größeren und fetteren Fischen an. Bei Zuchtfischen fehlen diese natürlichen Quellen für EPA und DHA oft, weshalb sie von den Betreibern der Aquakulturen manchmal über Fischöl dem Futter zugesetzt werden – nicht gerade der effizienteste Weg. Menschen brauchen den Umweg über den Fisch nicht, um an EPA und DHA zu kommen. Sie können die Fettsäuren etwa über den Verzehr von Leinöl selbst herstellen oder die Algen direkt konsumieren. Gerade bei Schwangeren kann es sich anbieten, EPA und DHA aus Algenöl zu sich zu nehmen – ausgerechnet Schwangeren und Stillenden rät das Bundesumweltministerium nämlich, auf fetten Seefisch und Erzeugnisse daraus lieber zu verzichten: Im Fett der Fische reichern sich nicht nur Omega-3-Fettsäuren an, sondern es finden sich auch vermehrt Umweltgifte wie Quecksilber, PCB und Dioxine darin.
Leichte Kost mit Schwermetallen
Nach Ansicht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ist die Quecksilberbelastung der europäischen Bevölkerung durch den Fischkonsum hoch. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat die Aufnahme von Quecksilber sowie weiterer Umweltgifte oder – korrekter ausgedrückt – Umweltkontaminanten anhand der Daten der Nationalen Verzehrsstudie II detailliert untersucht. Zu den stärker mit Quecksilber belasteten Fischen gehören Haifisch, Buttermakrele, Aal, Steinbeißer, Schwertfisch, Heilbutt, Hecht, Seeteufel und Thunfisch. Fisch trägt deutlich mehr als alle anderen Lebensmittel zur Quecksilberbelastung bei – je nach Ernährungsgewohnheiten sind es zwischen 30 und 60 Prozent. Das im Fisch überwiegend vorkommende Methylquecksilber ist für den Organismus zudem gefährlicher als etwa elementares Quecksilber aus anderen Lebensmitteln. Dennoch kam es außer bei Hai- und Schwertfischen bislang selten zur Überschreitung der Höchstwerte.
Allerdings warnt das BfR auch vor Fischen mit niedrigerer Konzentration, etwa Forellen, wenn diese besonders häufig verzehrt werden. Sie tragen oft mehr zur Gesamtaufnahme von Quecksilber bei als selten verzehrte Fische mit hoher Belastung. Thunfisch erfüllt beide »Kriterien«, er wird recht häufig konsumiert und weist oftmals eine höhere Belastung auf. Bei Vegetariern ist die Gesamtquecksilberbelastung geringfügig niedriger als bei der Durchschnittsbevölkerung. Da sie ja laut Definition gar keinen Fisch essen, sind sie vor allem dem Methylquecksilber deutlich weniger stark ausgesetzt – theoretisch. Nach den Ergebnissen der Nationalen Verzehrsstudie II liegen Vegetarier beim Fischkonsum hingegen lediglich um 40 Prozent unter den Werten der Gesamtbevölkerung. Ich selbst war früher ja auch eher so ein halbherziger Vegetarier, ich hielt mich sogar ziemlich genau an die Empfehlungen der DGE und habe zweimal pro Woche Fisch gegessen.
Bezüglich Dioxinen und PCB (polychlorierten Biphenylen) in Lebensmitteln ist die Datenlage unsicherer. Bei den Dioxinen trägt Fisch nach Milchprodukten und Fleisch den größten Anteil zur aufgenommenen Menge bei. Dorschleber – wer isst denn so was? – und Aal sind besonders oft stark belastet, werden allerdings selten gegessen. Milchprodukte und Fleisch tragen daher trotz ihrer geringeren Verunreinigung mehr bzw. fast gleich viel zur Dioxinbelastung des Menschen bei. Vegetarier sind insgesamt auch hierbei weniger belastet.
Zur Gesamtaufnahme von PCB trägt Fisch je nach Ernährungsgewohnheiten mit 30 bis 60 Prozent bei – die gleiche Größenordnung wie bei Quecksilber. Aal, weil fett, und Zander (neben Dorschartigen, Hecht, Wels und Dornhai alias Schillerlocken), weil räuberisch und langlebig, sind am stärksten belastet. Durch die Kombination aus Belastung und Verzehrmenge trägt Fisch gefolgt von Milchprodukten und Fleisch am meisten zum Kontakt der Deutschen mit PCB bei. Anders als bei Quecksilber überschreiten bereits »Durchschnittsverzehrer« die tolerierbare tägliche oder wöchentliche Menge an Dioxinen und PCB – und zwar deutlich –, Vielverzehrer zum Teil um mehr als das Doppelte.
Heavy Metal
Das Bundesinstitut für Risikobewertung fand hinsichtlich der Aufnahme von Umweltgiften auch für Vegetarier und Veganer weniger erfreuliche Ergebnisse: Das Schwermetall Blei etwa gelangt vor allem über Getränke sowie Gemüse in den Körper und Kadmium über Gemüse und Getreide. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Menschen, die wie viele Vegetarier besonders viel Gemüse und Getreide essen, am stärksten mit Blei und Kadmium belastet sind. In Innereien, Muscheln, Krebsen und Tintenfischen finden sich zwar weitaus größere Mengen Kadmium, aber Gemüse und Getreide wird – auch von Allesessern – weitaus mehr gegessen. Das Schwermetall gelangt vor allem durch Industrieprozesse, aber auch über Kunstdünger auf die Felder, weswegen biologisch produzierte Getreide und Gemüse, die ohne Kunstdünger und kadmiumhaltigen Klärschlamm wachsen, weniger belastet sind. Markus Keller rät Vegetariern und Veganern zudem, die Zufuhr von Eisen, Kalzium und Zink zu optimieren, denn wenn es an diesen Nährstoffen mangle, nehme der Darm mehr Kadmium auf. Die Experten sind sich aber einig, dass trotz etwaiger Nachteile durch die vermehrte Aufnahme von Schwermetallen die gesundheitlichen Vorteile einer Ernährung mit viel Vollkorn und Gemüse überwiegen.
Unbegründete Sorgen – Proteine
Neben Eisen gehören auch die Proteine zu den klassischen Sorgenkindern, wenn es um eine ausreichende Versorgung bei Vegetariern und vor allem Veganern geht. Proteine, oder auch Eiweiße, wie sie im Eiweiß, aber noch mehr im Eigelb vorkommen, sind sehr komplexe Riesenmoleküle aus Aminosäuren, die in den Zellen von Lebewesen vielfältige Funktionen erfüllen. Proteine gehören neben Fetten und Kohlenhydraten zu den Hauptnährstoffen. Sie liefern vor allem das Material zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung von Körpersubstanz. Die Ängste, dass Veggies nicht genug Protein bekommen, rühren daher, dass Fleisch und Fisch, Eier und Milchprodukte in Industrieländern längst zu den Hauptquellen für Protein geworden sind. »Veganer sind die Einzigen, die in Menge und Relation die Hauptnährstoffe den Empfehlungen entsprechend aufnehmen«, sagt Markus Keller. »Omnivore nehmen mehr als anderthalbmal so viel Protein zu sich wie empfohlen.« Auch Claus Leitzmann, der gemeinsam mit Markus Keller das Buch Vegetarische Ernährung verfasst hat und seit Jahrzehnten über vegetarische Ernährung forscht, sieht hierbei klare Vorteile für die pflanzliche Ernährung. Veganer könnten sich bei der Eiweißversorgung sicher fühlen, sagt Leitzmann. Sofern die Lebensmittelauswahl nicht völlig einseitig sei, liefere eine rein pflanzliche Kost ausreichend Eiweiß. Die hierzulande übliche »Eiweißmast« mit tierischen Proteinen ist aus Leitzmanns Sicht gerade für den »bewegungsarmen Wohlstandsbürger« eher ungünstig.
Dennoch empfiehlt die DGE weiterhin unbeirrt, wöchentlich eine Portion fettarmen Seefisch zu essen, neben dem Jodgehalt vor allem deshalb, weil er eine energiearme Eiweißquelle ist. »Das ist immer dieses Eiweiß-Argument«, schimpft Markus Keller. »Es ist völlig unnötig, in Deutschland irgendein Lebensmittel aufgrund seines hohen Eiweißgehaltes zu empfehlen. Das kann man im Sudan, aber man muss das nicht bei uns tun.« In Ländern, in denen ausreichend Kalorien aufgenommen würden, würde auch genug Protein aufgenommen. Leicht verdauliches pflanzliches Protein aus Hülsenfrüchten, Sojaprodukten, Getreide, dem Weizenprotein Seitan, Nüssen und Samen sei als fettarme Quelle genauso geeignet. »Global gesehen ist die wichtigste Proteinquelle Getreide und nicht Fleisch, Fisch und Käse«, sagt Keller, »aber auch nicht die Tofuwurst und der Weizengyros.« Er esse diese Produkte bisweilen zwar selbst gern, sie schnitten ernährungsphysiologisch gesehen aber nicht alle gut ab, weil manche viel Salz und viel Fett enthielten.
Unnötiges Soja-Bashing
Keller ist der Ansicht, dass trotz etlicher Vorurteile die Sorgen um negative gesundheitliche Auswirkungen des Sojakonsums eher unbegründet seien: »Sojaprodukte im weitgehend natürlichen Zustand wie Tofu und Sojamilch haben in Asien eine lange Tradition und werden dort deutlich mehr konsumiert als hierzulande, und es gibt einige Hinweise auf positive Wirkungen.« So zeigten Bevölkerungsstudien aus Japan, dass Frauen mit einem hohen Sojaverzehr ein niedrigeres Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall haben. Die in Soja enthaltenen Phytoöstrogene seien jedoch isoliert in Tablettenform fragwürdig. Als inzwischen begeisterter Konsument von Tofu sowie Milch, Sahne, Joghurt und »Fleisch« aus Soja bin ich froh zu hören, dass es kein Problem darstellt, täglich Soja zu essen.
Und was ist mit den Aminosäuren?
Proteine sind aus Aminosäuren zusammengesetzt. Mindestens 9 Aminosäuren sind für den Proteinaufbau des Menschen unentbehrlich. Die weiteren 11, die er benötigt, können im Körper meist ausreichend aus den anderen Aminosäuren hergestellt werden. Kritiker einer pflanzenbasierten Ernährung geben oft zu bedenken, dass die unterschiedlichen Aminosäuren beim Essen speziell kombiniert werden müssten, damit der Mensch daraus die benötigten Proteine aufbauen kann. »Die Aufwertung der Aminosäuren durch geschickte Kombination ist fast rein akademisch«, erklärt dazu Markus Keller. »Sie spielt hierzulande praktisch keine Rolle, anders als in Entwicklungsländern, wo oft nur wenige Proteinquellen zur Verfügung stehen.« Eine abwechslungsreiche Mischung aus verschiedenen Getreidearten, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen sei aber vorteilhaft. Gerade Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Linsen oder Sojaprodukte solle man als Veganer auf jeden Fall in den Speiseplan einbauen.
Markus Keller empfiehlt allen Veganern, aber auch Vegetariern, die eigene Nährstoffversorgung immer mal wieder untersuchen zu lassen. »Wenn man bei einzelnen Nährstoffen nicht im optimalen Bereich liegt, sollte man das über die Ernährung ändern, denn dafür ist sie da«, sagt Keller. Nur wenn das nicht möglich sei, solle man auf angereicherte Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen.
Expertenstreit
Die DGE hat der vegetarischen Ernährung noch bis vor einigen Jahren ablehnend gegenübergestanden. Sie hat aber inzwischen erkannt, dass diese viele Vorteile bietet, und empfiehlt sie inzwischen sogar bei Kindern. Wörtlich heißt es dazu auf ihrer Website: »Entscheiden Eltern oder Kinder sich für eine ausgewogene und abwechslungsreiche ovo-lacto-vegetarische Ernährung – ohne Fleisch und Fisch, aber mit Eiern und Milchprodukten –, so kann diese als Dauerkost empfohlen werden.« Ernährungswissenschaftler Keller ist sich sicher, dass die DGE irgendwann auch ihre Meinung zur veganen Ernährung ändern wird. Die mit 72000 Mitgliedern weltgrößte Ernährungsorganisation, die Academy of Nutrition and Dietetic, vormals unter dem Namen American Dietetic Association (ADA) bekannt, steht der veganen Ernährung schon länger viel positiver gegenüber. In dem oft zitierten Positionspapier zur vegetarischen Ernährung aus dem Jahr 2009 heißt es: »Die Amerikanische Gesellschaft der Ernährungswissenschaftler (ADA) vertritt die Position, dass angemessen geplante vegetarische Kostformen, einschließlich streng vegetarischer oder veganer Kostformen, gesundheitsförderlich und dem Nährstoffbedarf angemessen sind sowie einen gesundheitlichen Nutzen zur Vorbeugung und Behandlung bestimmter Erkrankungen haben. Gut geplante vegetarische Ernährungsweisen sind für alle Abschnitte des Lebenszyklus geeignet, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit, Säuglingsalter, Kindheit und Erwachsenenalter sowie für Sportler.« (Übers. d. Autors)
So wertvoll wie ein kleines Steak?
Die Position der ADA klingt gut, aber was heißt »gut geplant« bei der Ernährung von Kindern? Als Vater will ich nicht auf Kosten der Gesundheit meiner Tochter »anständig essen«. Fischstäbchen bekommt sie zwar noch im Kindergarten, ansonsten ist das Essen dort aber vegetarisch. Das war meiner Frau und mir bei der Anmeldung damals jedoch nicht einmal wichtig gewesen. Wir waren eigentlich davon ausgegangen, dass unsere Tochter dann »wenigstens« dort Fleisch bekommt. Heute sind wir froh, dass es nicht so ist, denn inzwischen will ich meine Tochter erst gar nicht an den Geschmack von Fleisch und Wurst gewöhnen. Zu Hause besteht praktisch fast alles, was es zu essen gibt, aus Pflanzen. Um sicherzugehen, dass diese Ernährung meiner Tochter oder anderen Kindern nicht schadet, spreche ich mit Katharina Petter. Die Ernährungswissenschaftlerin beschäftigt sich besonders mit veganer Kinderernährung. Sie weist mich zunächst darauf hin, dass vegetarische Kinder generell gesünder lebten, weil sie sich durch den Fleischverzicht weniger fett ernährten als viele allesessende Kinder und daher auch viel seltener Übergewicht hätten. Allein unter gesundheitlichen Aspekten ist aus ihrer Sicht aber nichts gegen gelegentlichen Fleisch- oder Fischkonsum einzuwenden. Man könne aber selbst kleinen Kindern stattdessen pflanzliche Proteine wie etwa Sojafleisch geben. Früher hätte man dazu erst bei Kindern über einem Jahr geraten, weil die Proteine im Soja wie alle Proteine Allergien auslösen können. Inzwischen rät Petter, den Zeitpunkt davon abhängig zu machen, wie allergiegefährdet ein Kind ist, das heißt zum Beispiel davon, ob etwa beide Eltern unter Allergien leiden.
Ein weiterer Vorteil einer fleischlosen Ernährung ist die Tatsache, dass die so aufwachsenden Kinder meist viel mehr Obst und Gemüse essen als Allesesser. Nur die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Deutschland isst nach Angaben des Robert Koch-Instituts täglich Obst und Gemüse, und gerade einmal 3 Prozent erreichen die empfohlenen fünf Portionen pro Tag.
Schlechte Presse
Zum Teil mitverantwortlich für den unguten Ruf der veganen Kinderernährung seien schlecht informierte Veganer, die wegen Mangelerscheinungen bei ihren Kindern beim Arzt vorstellig werden, weil sie nicht auf die Vitamine B12 und D sowie auf nährstoffreiche Lebensmittel wie Gemüse geachtet hätten. »Auch in der wissenschaftlichen Literatur gibt es Berichte über Mangelerscheinungen bei veganen Kindern, aber da war die Ernährung grundlegend falsch«, erklärt mir Katharina Petter. »Die Medien stürzen sich auf diese seltenen Fälle, ignorieren aber den Normalfall, nämlich dass täglich Tausende von Fleischessern an ernährungsbedingten Krankheiten sterben«, kritisiert auch Markus Keller. »Es gibt zudem fast keine Studien mit vegan ernährten Kindern, sondern meist nur mit der nicht optimal zusammengesetzten makrobiotischen Ernährung. Außerdem konzentrieren sich viele immer nur auf mögliche Nährstoffmängel. Dabei werden gerade die Lebensmittel gegessen, die am meisten empfohlen werden«, so Keller. Ihn ärgert außerdem, dass mit zweierlei Maß gemessen werde: Vegane Eltern stünden viel mehr »unter Beobachtung« als omnivore Eltern. Die hätten es aber häufig viel nötiger, denke ich mir, weil sie sich kaum mit ihrer Ernährung beschäftigen. Hauptsache es schmeckt. »Da wird vielen Kindern frühzeitig eine lebenslange Fehlernährung anerzogen, denn das Essverhalten der Kinder wird bis zu einem Alter von etwa fünf Jahren weitgehend geprägt«, sagt Keller. »Danach ist es viel schwieriger, etwas zu ändern.« Katharina Petter kennt viele Beispielfamilien, die ihre Kinder von klein auf gesund und vegan ernähren. »Man sollte sich zwar vorher mal damit beschäftigt haben«, sagt sie. »Aber wenn man ein Basiswissen hat und das größtenteils anwendet, ist das eigentlich ganz unkompliziert.«
Letzte Zweifel
Ich bin noch immer etwas skeptisch wegen der doch gerade für Kinder so wichtigen Omega-3-Fettsäuren. Aber auch hier höre ich von den Ernährungswissenschaftlern Beruhigendes. »Für die Entwicklung von Gehirn und Auge ist DHA sehr wichtig«, sagt Keller. »Es ist aber nicht so, dass Veganer überhaupt keine DHA im Körper hätten, nur eben weniger. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann ein Präparat aus Algenöl nehmen.« Dass die Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA auch in der Muttermilch vegan lebender Frauen vorkommen, bestätigt auch Petter, weswegen das Stillen ein großer Vorteil sei. Tatsächlich hat man bei Untersuchungen veganer Kinder festgestellt, dass die Level an EPA und DHA nicht so niedrig waren wie bei erwachsenen Veganern – bedingt entweder durch langes Stillen oder weil bei Kindern die körpereigene Umwandlung aus der Linolensäure möglicherweise besser funktioniert.
Selbst für meine Sorgen im fast veganen Familienalltag hat Katharina Petter ein paar Tipps: »Jedes Kind hat Phasen, in denen es beispielsweise nur Nudeln essen will. Da kann man geschickt das Gemüse in der Soße verstecken, das Kind selbst etwas zubereiten lassen oder Rohkost in Tierform ausstechen.«
Vor ein paar Tagen gab es zu Hause Sojafisch mit Meeresgeschmack aus Algen. Den mochte meine inzwischen dreijährige Tochter gern, meinte aber: »Fische kann man doch nicht essen.« Ich nutzte die Gelegenheit, ihr davon zu erzählen, dass andere Leute durchaus Fisch und andere Tiere essen, und fing an aufzuzählen: Schweine, Hühner, Puten, Kühe – bis ich irgendwann bei Krokodilen landete. »Ist doch lustig!«, sagte sie. So kann man es anscheinend auch sehen.