Schwein gehabt

Seuchen von Tieren, Keime im Essen und Antibiotika im Stall

Da die Resistenzen zunehmen und nur wenige neue Antibiotika in den letzten Jahren entdeckt und marktreif wurden, ist das Problem der Antibiotika-Resistenz inzwischen eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit.

Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, ECDC (Übers. d. Autors)

Das aufgeblasene Gummischwein am Fuß der Berliner Gedächtniskirche entdecke ich schon von Weitem. Drum herum reihen sich Stände mit Grünen Smoothies, Sojaeis und Seitan-Burgern, Tierrechtsliteratur sowie Infos über Jagd, Milch und Stadttauben. Ich bin das erste Mal auf einem vegan-vegetarischen Sommerfest und aufgeregt, weil ich hoffe, auf den amerikanischen Bestsellerautor Jonathan Safran Foer zu treffen, der aus seinem Buch Tiere essen lesen soll. Angeblich hält er sich gerade in seinem ehemaligen Wohnort Berlin auf, weil sein Buch just auf Deutsch erschienen ist. Das Publikum ist eine bunte Mischung aus Touristen und Aktivisten, tätowierten Veganern und Durchschnittsdeutschen. Die Stimmung ist entspannt, die Sonne scheint, und die Kinder hüpfen in der Hüpfburg-Kuh. Bevor ich mich ans Essen mache, sammle ich Eindrücke und Infomaterial und komme schnell ins Gespräch mit Standbetreuern und Besuchern. Mein Gegenüber hat einen amerikanischen Akzent und erstaunliche Ähnlichkeit mit Foer. Ich spreche ihn darauf an. Er raunt mir zu: »Yeah, it’s me, but don’t tell!« Vladimir macht aber nur Spaß, und sein Doppelgänger kommt wohl auch gar nicht hierher. Aus Foers Buch wird bloß ein deutscher Schauspieler lesen.

Ich vernehme Megafon-Protest. Er richtet sich nicht gegen den einzelnen Bratwurst-im-Bauchladen-Verkäufer vor der Kirche, sondern gegen einen Stand von Jagdgegnern auf dem Fest. Huch, mag da mancher denken, was haben denn Veganer gegen Jagdgegner? Hinter dem Verein der Jagdgegner stehe das »Universelle Leben«, kurz UL, heißt es. Die Sekte, die bis 1984 »Heimholungswerk Jesu Christi« hieß, predigt Vegetarismus, Tierliebe und Alkoholabstinenz. Ihr wird aber aus Tierrechtskreisen zuweilen Totalitarismus und Antisemitismus vorgeworfen. Bevor ich mich endlich an einem der vielen Essensstände vegan verköstigen kann, stelle ich fest, dass meine Frau ein Dutzend Mal versucht hat, mich auf dem Handy zu erreichen. Sie hat sich übergeben, und ich muss sofort nach Hause, um die Betreuung unserer Tochter zu übernehmen. Abends geht es meiner Frau besser, und ich kann fleischessende Freunde zum Grillen treffen. Neben ihren Echtfleisch-Würstchen erwärme ich Sojabratwurst für mich und plaudere über meine Erfahrungen beim Tierbefreiungskongress. Die Haltung der Tierbefreier erntet Gelächter und Kopfschütteln. Ich selbst fand ja die Sprache der Tierrechtler ebenfalls skurril, aber ihre konsequente Ablehnung jeglicher Tierausbeutung teile ich inzwischen weitestgehend. Darüber schweige ich. Vegan sei halt gerade Zeitgeist, höre ich vom Grill. Vegane Ernährung und das Eintreten für Tierrechte – nur eine Mode wie Nerdbrillen und Chinohosen?

Gurkenalarm

Ein weiterer Grillevent von Freunden fällt in die Zeit von EHEC. Es gibt wahre Massen an Fleisch, aber die Gastgeberin hat extra für mich einen veganen Salat gemacht, ausgerechnet mit Gurken. Ich hoffe das Beste. Es ist natürlich gut gegangen, die Gurken waren schließlich unschuldig. Schuld an der Infektionswelle im Frühsommer 2011 waren Sprossen aus ägyptischen Bockshornkleesamen. Über diese Sprossen hatten sich in Deutschland rund 4000 Menschen mit einem besonders gefährlichen EHEC-Stamm angesteckt. Der Stamm O104:H4 sondert ein sehr gefährliches Gift ab und verursacht zum Teil schwerste Durchfälle und Nierenschäden. Über 50 Menschen waren hierzulande an den Folgen der Infektion gestorben. Ganz aktuell, im Februar 2012, lese ich von einem neuen Fall in Deutschland, von einem kleinen Mädchen, das an EHEC gestorben ist. Diesmal ist es ein anderer, sehr verbreiteter Stamm. Wie sich das Mädchen infiziert hat, ist bislang unklar. Bei ihren Nachforschungen im Einzelhandel haben die Behörden einen Rohmilchkäse mit EHEC-Bakterien entdeckt. Allerdings waren die Keime darauf nicht die, die den Tod des Mädchens verursacht haben.

In »normalen« Jahren erkranken rund 1000 Menschen in Deutschland an EHEC, schwere Komplikationen und Todesfälle sind allerdings sehr selten. Die EHEC-Erreger gehören zu den Escherichia-coli-Bakterien (E. coli) und wurden erstmals 1977 entdeckt. Sie leben eigentlich im Darm von Wiederkäuern wie Rindern, Schafen und Ziegen, die selbst nicht daran erkranken. Die Keime können aber über ihren Kot, verschmutztes Wasser oder bei der Schlachtung auf Lebensmittel übertragen werden. Ansteckungen erfolgen laut Robert Koch-Institut (RKI) bei den am häufigsten betroffenen Kindern unter drei Jahren direkt über die Tiere, bei Älteren meist über nicht ausreichend erhitzte tierische Lebensmittel wie nicht durchgegartes Fleisch oder Rohmilchprodukte. Das RKI sieht etwa durch den »Verzehr von Lammfleisch und von streichfähigen Rohwürsten (Zwiebelmettwurst, Streichmettwurst, Teewurst)« ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Manchmal waren aber auch roh gegessene pflanzliche Lebensmittel wie die oben genannten Sprossen die Ursache. In den wenigsten Fällen ließ sich jedoch die genaue Infektionsquelle aufdecken.

Tier-Mensch-Beziehung

Zwei Drittel aller Infektionen beim Menschen sind sogenannte Zoonosen. So bezeichnet man Infektionskrankheiten – zum Beispiel durch Bakterien, Viren, Einzeller oder Pilze –, die von Tieren auf Menschen übertragen werden und umgekehrt. Die Übertragung kann über direkten Kontakt, über Lebensmittel oder andere Wege erfolgen. Eine stetig wachsende Zahl von Viren oder Bakterien schafft es, die Barriere Tier – Mensch zu durchbrechen. Von den in den vergangenen Jahrzehnten beim Menschen neu aufgetretenen Erregern stammen drei Viertel von Tieren. Für eine Epidemie oder gar Pandemie, also eine länder- bzw. kontinentübergreifende Ausbreitung, muss der Erreger sich aber auch effizient zwischen Menschen übertragen. Bekannte Beispiele von Zoonosen sind die gefährlichen Viruserkrankungen, die tatsächlich Pandemien verursachten, oder solche, bei denen besonders viele Erkrankte starben: die »Schweinegrippe« oder Neue Grippe durch das Influenzavirus H1N1 (Pandemie 2009), SARS durch ein Coronavirus (Pandemie 2002), die Vogelgrippe durch das Influenzavirus H5N1 (erstmalige Infektion von Menschen 1997), AIDS durch HIV (Pandemie seit den 1980er-Jahren) sowie lokale Ausbrüche von Viralem Hämorrhagischem Fieber durch das Ebolavirus (erstmalige Infektion von Menschen 1976) und das Marburg-Virus (erstmalige Infektion von Menschen 1967). Während SARS-, Marburg-, Ebola- und HI-Viren vermutlich von Wildtieren wie Fledermäusen und Primaten (etwa über den Kontakt mit für den Verzehr bestimmtem sogenanntem Buschfleisch) auf den Menschen übertragen wurden, werden die Grippeviren mit der Nutztierhaltung in Verbindung gebracht.

In 80 Tagen um die Welt

Pandemieviren können dann entstehen, wenn ein für das Immunsystem der meisten Menschen unbekanntes Virus, wie beispielsweise ein bei Vögeln vorkommendes Grippevirus, sich genetisch so verändert, dass es Menschen krank macht und sich effizient zwischen Menschen überträgt. Das war vermutlich bei der Spanischen Grippe von 1918 der Fall, durch die weltweit innerhalb weniger Monate zwischen 25 und 50 Millionen Menschen starben. Eine weitere Möglichkeit für die Entstehung von Pandemieviren ist die Vermischung der genetischen Information zweier unterschiedlicher Virentypen. Das kann passieren, wenn ein Tier etwa mit zwei verschiedenen Subtypen von Grippeviren gleichzeitig infiziert ist. Das neue Virus kombiniert dann womöglich Eigenschaften von beiden Ursprungsviren. Die Grippepandemie von 1968 mit schätzungsweise 1 Million Toten löste ein neuer Virustyp aus, der vermutlich aus einem von Menschen und einem von Vögeln stammenden Virus entstanden war.

Ansteckungsgefahr Schweinegrippe

Auch das »Schweinegrippen«-Influenzavirus H1N1 von 2009 entstand offenbar durch eine Kombination verschiedener Viren, denn es enthält Erbinformationen der Grippeviren von Vögeln, von Schweinen und von Menschen. Mit diesem H1N1-Virus haben sich über den Menschen in mehreren Ländern auch Schweinebestände angesteckt. Schweine zeigten sich sehr empfänglich für den pandemischen H1N1-Virus. Beim Menschen war das Virus ebenfalls hoch ansteckend. Anders als zunächst befürchtet starb aber nur einer von 10000 Infizierten daran. Dennoch kostete die Schweinegrippe nach vorsichtigen Schätzungen weltweit 18000 Menschen das Leben. In Deutschland wurden beim Robert Koch-Institut zwischen Mai 2009 und April 2010 insgesamt 252 Todesfälle nach vom Labor bestätigter Infektion mit dem Influenzavirus gemeldet. Ungewöhnlicherweise starben vor allem jüngere Menschen, teilweise auch ohne besondere Risikomerkmale, an der Neuen Grippe. Drei Viertel der Toten waren jünger als 60 Jahre. Bei den saisonalen Grippewellen war es bisher immer umgekehrt gewesen. Die »Zahl der verlorenen Lebensjahre« lag somit bei der Neuen Grippe viel höher. In der Grippesaison 2010/2011 waren die Erreger der Neuen Grippe H1N1 noch sehr verbreitet, allerdings waren viele Menschen bereits immunisiert – durch Impfungen oder weil sie sich bereits im Vorjahr angesteckt hatten. Wie bei der Pandemie von 2009 tauchten die schweren Verläufe auch 2010/2011 hauptsächlich bei Menschen unter 65 Jahren auf. In der vergangenen Saison 2011/2012 gab es wider Erwarten kaum Fälle von H1N1.

Mutationsgefahr Vogelgrippe

Einige Formen der Vogelgrippe verlaufen für die infizierten Tiere ausgesprochen harmlos. Nicht so der Erreger H5N1 der aggressiven Geflügelpest, der bei Hühnern, Puten, Enten, Gänsen und wild lebenden Wasservögeln meist zum Tod führt. Infizierte Nutztierbestände werden gekeult, also vorsorglich komplett getötet, um die weitere Ausbreitung zu verhindern. An die weltweiten Reaktionen zur Eindämmung der Tierseuche wie die Stallpflicht für Geflügel im Jahr 2006, das Ausgehverbot für Katzen und die Panik bei jedem toten Schwan, der auftauchte, dürften sich die meisten noch erinnern. Bei Menschen kann das H5N1-Virus bislang noch keine Pandemie auslösen, weil es von Mensch zu Mensch praktisch nicht übertragbar ist. Auch die Übertragung von Vögeln auf den Menschen erfolgt nur bei sehr engem Kontakt mit infizierten Tieren. Falls eine Ansteckung erfolgt, verläuft die Infektion beim Menschen allerdings in etwa 60 Prozent der Fälle tödlich. Von den bis April 2012 weltweit gemeldeten 602 Infizierten starben 355. Bisher kann sich das Virus schlecht an menschliche Zellen anheften. Viele Forscher halten es jedoch für möglich, dass sich H5N1 an den Menschen anpasst, wenn es einen Organismus als Zwischenwirt findet, der sowohl menschliche Viren als auch das Vogelgrippevirus in sich trägt. So könnte dann ein genetisch verändertes Virus entstehen, das eine effektive Ansteckung von Mensch zu Mensch möglich macht. Ein geeigneter Zwischenwirt ist das Schwein. Schweine können sich, wie ja schon geschehen, mit Grippeviren von Menschen und Vögeln infizieren. Sie gelten unter Fachleuten als »ideale Mischgefäße«. Es besteht ein hohes Risiko, dass bei den riesigen Schweinebeständen weltweit ein neues gefährliches Virus entsteht, das die leichte Übertragbarkeit von menschlichen Grippeviren mit der hohen Sterblichkeit der Vogelgrippe H5N1 kombiniert. Wie gefährlich diese Kombination ist, zeigt die Diskussion über die Ergebnisse zweier Forschergruppen aus den Niederlanden und den USA. Ron Fouchier von der Erasmus-Universität in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka von der Universität in Madison, Wisconsin, hatten 2011 in Hochsicherheitslaboren durch gezielte Mutationen des Vogelgrippevirus H5N1 bzw. durch eine Kombination mit Genen des Schweinegrippevirus H1N1 jeweils Viren entwickelt, mit dem sich zumindest Frettchen untereinander per Tröpfcheninfektion, also über die Atemluft, ansteckten. Aus Angst vor Bioterrorismus sollen die Ergebnisse nicht, wie sonst üblich, vollständig veröffentlicht werden. Die Forscher halten die Herstellung solcher Superviren in Laboren dennoch für dringend erforderlich, um die Mechanismen ihrer Entstehung zu verstehen und um Impfstoffe testen oder entwickeln zu können. Bloß fünf Mutationen sind nach Angaben der Wissenschaftler nötig, damit das aggressive Vogelgrippe-Virus H5N1 so ansteckend wird wie das Schweinegrippe-Virus H1N1.

Abgestumpfte Waffen: Antibiotika

Eine weitere große Gefahr, die von Erregern aus dem Tierreich ausgeht, ist die zunehmende Resistenz von Bakterien gegenüber Antibiotika. Diese wichtigen Medikamente helfen zwar nicht gegen Viren, aber gegen Bakterien und Pilze. Es sind rund 8000 Antibiotika bekannt, die zum Teil natürliche Stoffwechselprodukte von Bakterien und Pilzen sind, zum Teil aber auch künstlich oder gentechnisch hergestellt werden. Bis zur marktreifen Entwicklung eines neuen Antibiotikums vergehen um die zehn Jahre. Nur etwa 100 Antibiotika lassen sich derzeit für Therapien bei Menschen oder Tieren einsetzen. Schon bald nachdem man den großen medizinischen Nutzen der ersten Antibiotika (wie das Penicillin von Alexander Fleming) erkannt hatte, fand man Erreger, die sich plötzlich nicht mehr durch die Wirkstoffe abtöten oder im Wachstum hemmen ließen.

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Der jüngste Skandal um antibiotikaresistente Keime im Fleisch bringt den Protest auf die Straße.

Zufallsprodukte

Bakterien können sich unglaublich schnell vermehren. Die menschlichen E.-coli-Darmbakterien beispielsweise können sich unter idealen Voraussetzungen jede halbe Stunde verdoppeln. Nach 15 Stunden sind es da schon über 1 Milliarde. Bei der schieren Masse an Bakterien entstehen oft Mutationen, die dann zufällig eine Resistenz gegenüber einem Antibiotikum aufweisen. Beim Einsatz eines Antibiotikums setzen sich dann die durch die Resistenz genetisch begünstigten Bakterien in der Bakterienpopulation leicht durch. Das Antibiotikum hindert die Bakterien ohne Resistenz an der Vermehrung, sodass die resistenten Bakterien Platz und Nährstoffe alleine nutzen können. Dosierung und Anwendungsdauer können die Resistenzentwicklung stark beeinflussen: Bis zur vollständigen Resistenz von Bakterien sind oft mehrere Mutationen erforderlich. Ist das Antibiotikum zu niedrig dosiert, um alle teilresistenten Bakterien abtöten zu können, aber hoch genug, um alle empfindlichen Konkurrenten auszuschalten, haben die begünstigten Bakterien Zeit, sich zu vermehren und weitere Mutationen zu durchlaufen. Auch eine Unterbrechung der Antibiotika-Behandlung kann den teilresistenten Bakterien die Zeit verschaffen, schließlich vollständig resistent zu werden und sich auszubreiten.

Eine Gefahr geht nicht nur von den resistenten Erregern selbst aus. Sie können die erfolgreiche Eigenschaft der Resistenz als genetische Informationsschnipsel über eine Art Bakteriensex an andere Bakterien weitergeben. Resistenzgene können auch übertragen werden, wenn ein resistentes Bakterium mit Viren infiziert ist. Die Viren können Bakteriengene einbauen und an andere Bakterien weitergeben. In beiden Fällen können die Erbinformationen an unterschiedliche Bakterienstämme weitergegeben werden.

Man hört gelegentlich, dass Menschen gegen Antibiotika resistent werden. Gemeint ist damit jedoch, dass bestimmte Bakterien dagegen resistent werden, die der Mensch auf oder in sich trägt. Immerhin machen Bakterien zahlenmäßig den Großteil von uns aus: 10 Billionen Körperzellen stehen 100 Billionen Bakterien gegenüber, von denen fast alle im Verdauungstrakt, vor allem als Darmflora im Dickdarm leben. Infektionen mit resistenten Erregern können bei Menschen (und Tieren) die Dauer einer Erkrankung verlängern oder deren Verlauf erschweren. Bisweilen sind dann Krankenhausaufenthalte nötig, oder es wird sogar lebensbedrohlich. Vor den möglichen Folgen der Entwicklung warnt das Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten: »Die Situation wird schlimmer mit dem Auftreten neuer Bakterienstämme, die gegen mehrere Antibiotika gleichzeitig resistent sind (bekannt als multiresistente Bakterien). Solche Bakterien könnten eventuell gegenüber allen vorhandenen Antibiotika resistent werden. Ohne Antibiotika könnten wir zum ›vorantibiotischen Zeitalter‹ zurückkehren, in dem Organtransplantationen, Krebs-Chemotherapie, intensivmedizinische Behandlungen und andere medizinische Verfahren nicht länger möglich wären.« (Übers. d. Autors)

Springen die üblichen Therapien zur Behandlung nicht an, sprechen die Mediziner von »Therapieversagern«. Ein prominentes Opfer multiresistenter Keime war der französische Schauspieler Guillaume Depardieu, der Sohn von – genau – Gérard Depardieu. Während einer Knieoperation hatte sich die Wunde mit dem berüchtigten Klinikkeim infiziert, dem eine Vielzahl von Antibiotika nichts anhaben kann. Infolge der Infektion wurde sein chronisch schmerzendes Bein nach 17 erfolglosen Operationen amputiert. Fünf Jahre später starb Depardieu mit nur 37 Jahren an einer nicht in den Griff zu bekommenden Lungenentzündung, was offenbar ebenfalls eine Folge der Infektion mit dem multiresistenten Erreger gewesen war.

Der Klinikkeim MRSA

Der berüchtigte antibiotikaresistente Klinikkeim ist eine Variante des Bakteriums Staphylococcus aureus, übersetzt heißt das »goldenes Traubenkügelchen«. Das klingt harmlos, und eigentlich ist der Keim es auch. An der Körperoberfläche und den Schleimhäuten sind die Keime kein Problem. 30 Prozent der Menschen in Europa tragen Staphylococcus aureus auf der Haut. Gelangen die Keime aber in Wunden oder treffen sie auf ein geschwächtes Immunsystem, drohen Wund- und Harnweginfektionen, Blutvergiftung und Lungenentzündung. Ich selbst habe nach einer Knie-OP damit unangenehme Bekanntschaft gemacht, mit hohem Fieber und der Notwendigkeit einer zweiten Operation, um die Wunde zu säubern. Die fehlerhafte Anwendung von Antibiotika in Krankenhäusern und unzureichende Hygiene fördern die Entwicklung von widerstandsfähigen Bakterienstämmen, so auch bei Staphylococcus aureus. Da man den widerspenstigen Klinikkeim früher anhand seiner Unempfindlichkeit gegenüber dem Antibiotikum Methicillin nachgewiesen hat, nennt man ihn MRSA, also methicillinresistenten Staphylococcus aureus. Methicillin wird allerdings seit vielen Jahren nicht mehr therapeutisch eingesetzt. Oft übersetzen – auch Mediziner – MRSA mit multiresistenter Staphylococcus aureus. Das passt noch besser, denn inzwischen ist MRSA gegen viele weitere Antibiotika unempfindlich, darunter auch Penicillin. Je nach Land ist der Anteil an multiresistenten Varianten bei Staphylococcus aureus in Europa sehr verschieden und reicht von wenigen bis zu etwa 50 Prozent. Für Deutschland gibt das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) die Verbreitung im Jahr 2010 mit etwas über 20 Prozent an. Das Robert Koch-Institut geht davon aus, dass 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung mit multiresistenten Staphylococcus aureus besiedelt sind. Das beeinträchtigt die Gesundheit eigentlich nicht, beinhaltet aber etwa im Falle von Operationen oder anderen Verletzungen das Risiko einer schlechter beherrschbaren Infektion. Träger der Keime können diese auch übertragen, ohne selbst daran zu erkranken.

Das ECDC geht für die EU von jährlich 3 Millionen Infektionen mit multiresistenten Erregern aus, von denen 50000 tödlich verlaufen. Wenn die üblichen Antibiotika nicht mehr wirksam sind, müssen die Ärzte auf schlechter verträgliche oder weniger wirksame Alternativen zurückgreifen. Längere Krankenhausaufenthalte sowie größere Komplikationen und Todesfälle können die Folge sein. Bei schweren Fällen nutzt man sogenannte Reserveantibiotika, die man für normale Therapien nicht einsetzt, um eine Resistenzentwicklung zu vermeiden. Diese gelten als »Last Line of Defense« – die letzte Verteidigungslinie.

Aus dem Schweinestall: MRSA ST398

Neben dem Klinikkeim registriert man zunehmend Fälle, in denen sich Menschen außerhalb von Krankenhäusern mit MRSA infiziert haben. So hat sich der gefährliche Stamm USA300, der zudem ein wirksames Gift produziert, in den USA über das ganze Land verbreitet. In Deutschland ist er bislang nur für wenige Infektionsfälle mit MRSA verantwortlich. Ein anderer neuer MRSA-Stamm (ST398) tauchte 2004 zum ersten Mal in den Niederlanden und im Münsterland auf – in der Schweinezucht. 2009 war der Keim bereits in fast der Hälfte der untersuchten deutschen Schweinemastbetriebe im Stallstaub nachweisbar. Mehr als die Hälfte aller hierzulande geschlachteten Schweine trägt inzwischen den multiresistenten Keim. Mittlerweile gibt es ihn auch bei Mastkälbern, Pferden, Milchkühen und Geflügel.

Besonders gefährlich kann es werden, wenn der Erreger aus dem Stall in die Klinik gelangt und dort in Kontakt mit anderen MRSA-Stämmen kommt, was offenbar schon gelegentlich passiert ist. Das Robert Koch-Institut warnt, dass Menschen mit Kontakt zu Nutztieren ein bis zu 138-fach höheres Risiko haben, von MRSA besiedelt zu sein. In Deutschland tragen bereits 86 Prozent der Schweinehalter und bis zu 45 Prozent der Veterinäre MRSA-Keime. Selbst Angehörige von Schweinehaltern ohne regelmäßigen Tierkontakt sind gelegentlich mit dem Keim besiedelt. Ob auch Menschen, die in der Nähe von Tierhaltungsanlagen wohnen, ein höheres Risiko für eine Besiedlung mit den Keimen haben, ist bislang nicht bekannt. In den Regionen mit hoher Nutztierdichte wie in Niedersachsen und Westfalen gelangen die Keime über Patienten oft in Krankenhäuser. Im Münsterland fand man schon 2006 bei 17 Prozent aller MRSA-Nachweise den Stallkeim ST398. Eigentlich sollten alle Patienten, die in Nutztierbetrieben arbeiten, vor ihrer Einlieferung untersucht und gegebenenfalls mit speziellen antibakteriellen Medikamenten behandelt werden, so, wie es die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Instituts empfiehlt. Dass dies auch tatsächlich immer geschieht, wird von manchem Experten infrage gestellt.

Das Robert Koch-Institut sorgt sich besonders um die zwischen Staphylokokken übertragbare Resistenz gegen Linezolid. Dieses Reserveantibiotikum wird gerade bei Infektionen mit MRSA benötigt. Seit einiger Zeit weiß man, dass Staphylokokken bei Schweinen über eine übertragbare Linezolid-Resistenz verfügen können. 2010 hat man den tierischen Stamm MRSA ST398 mit Linezolid-Resistenz auch bei einem Landwirt nachgewiesen, der im Krankenhaus behandelt wurde. Aus Spanien kennt man bereits mehrere Fälle von Infektionen mit Linezolid-resistenten Klinikkeimen. Würde der Stallkeim solche Eigenschaften mit dem besonders gefährlichen Klinikkeim MRSA USA300 austauschen, wäre das ein großes Problem, sagt der Direktor des Instituts für medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Münster, Georg Peters. Infektionen mit MRSA USA300 können ohnehin nur mit Reserveantibiotika behandelt werden, die nicht immer gut wirken oder schlecht verträglich sind. Schwere Lungenentzündungen sind eine häufige Folge der Infektionen, die bei fast jedem zweiten Patienten tödlich verlaufen sind. Verständlich, dass Peters fordert, alles Erdenkliche zu unternehmen, um eine Kombination aus beiden Stämmen zu verhindern.

MRSA im Essen

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat Anfang 2012 zum zweiten Mal Ergebnisse über das Auftreten von zoonotischen Erregern in der Lebensmittelproduktion veröffentlicht. MRSA ließ sich von den Erzeugerbetrieben bis zum Lebensmittel im Einzelhandel häufig nachweisen, schreibt das BVL. Ein Fünftel der Staubproben aus Mastputen- und Mastkälberbetrieben, zwei Drittel der Halshautproben im Schlachthof und ein Drittel der Proben von frischem Putenfleisch im Einzelhandel waren mit dem multiresistenten Staphylococcus aureus verunreinigt. Die Erkenntnis ist nicht neu: Schon 2009 hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung die Erreger auf rund 42 Prozent des getesteten Putenfleischs gefunden, bei Hühnerfleisch waren es 22 Prozent, bei Kalbfleisch 13 Prozent und bei Schweinefleisch 12 Prozent; bei den Proben von Schweinehack wurde man sogar doppelt so häufig fündig. Auch in noch nicht wärmebehandelter Rohmilch hat man den Keim gefunden. 2011 hat ein Forscherteam zudem einen ganz neuen MRSA-Stamm in der Kuhmilch und in Dänemark und Großbritannien auch beim Menschen identifiziert.

Küchenhygiene

Was etwas beruhigt, ist die Tatsache, dass die Zahl der Erreger auf Lebensmitteln meist gering ist und die Bakterien sich dort nicht stark vermehren können. In den wenigen Fällen, in denen bisher eine MRSA-Infektion über Lebensmittel zustande kam, waren die Keime von MRSA-infizierten Personen auf die Lebensmittel gelangt. Als sicher gelten bislang wärmebehandelte Lebensmittel wie pasteurisierte Milch und durcherhitztes Fleisch. Von Milch kann ein Risiko ausgehen, wenn sie, wie bei Rohmilchkäse, nicht erhitzt wird. Auch im Abtauwasser von Tiefkühlhühnern kann die Keimzahl deutlich erhöht sein. Experten raten dazu, in der Küche unbedingt bestimmte Hygienemaßnahmen einzuhalten: Rohes Fleisch sollte man nicht mit dem Mund berühren und Hände, Arbeitsflächen, Messer und Schneidbretter nach dem Kontakt damit gründlich reinigen. Das Robert Koch-Institut empfiehlt Verbrauchern, beim Verarbeiten von Geflügelfleisch Einmalhandschuhe zu tragen. So könnten wenigstens keine Keime in kleine Hautverletzungen eindringen und – wenn es dumm läuft – eine schwer behandelbare Infektion verursachen. Denjenigen möchte ich gern mal sehen, der Broiler mit Latex an den Händen zubereitet. Ich fürchte, dass die meisten Menschen beim Umgang mit rohem Fleisch nicht einmal das Mindestmaß an Küchenhygiene einhalten. Da brauche ich nur an diverse Grillerlebnisse zu denken, bei denen jeder sein rohes Fleisch mit den Händen auf den Grill packte und sich danach mit Gurkensalat, Brot und Tiramisu versorgte. Wie das in Imbissen und Restaurants abläuft, stelle ich mir lieber gar nicht erst vor. Mahlzeit!

Keime im Essen – Salmonellen und Co.

Neben MRSA sind auch Salmonellen, Campylobacter, E. coli und Listerien gefährliche Keime, die aus der Tierhaltung über Lebensmittel auf den Menschen übertragen werden. Erkrankungen durch Salmonella und Campylobacter gehören zu den in Europa häufigsten Zoonosen. In Deutschland sorgen sie jährlich jeweils für 50000 bis 60000 gemeldete Fälle von Darmentzündungen. Ein Fünftel der Infektionen mit Salmonellen geht auf schweinefleischhaltige Lebensmittel zurück. Geflügelfleisch dürfte noch häufiger die Ursache sein. Bei Menschen mit geschwächter Abwehr, Älteren und Kindern kann eine Salmonellose schwer verlaufen und eine Antibiotika-Behandlung erforderlich machen. Noch öfter als mit Salmonellen ist Geflügelfleisch mit Campylobacter verunreinigt – Ursache für die meisten bakteriellen Darmerkrankungen in Deutschland. Kalbfleisch ist ebenfalls betroffen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit fand jüngst bei Putenfleisch in 17 Prozent der Fälle Campylobacter, in 5 Prozent der Fälle Salmonellen. Weil die Keime in deutschen Geflügelbeständen und tierischen Lebensmitteln verbreitet sind, steigt die Zahl der Infektionen an, mutmaßt das Robert Koch-Institut. In den Schlachthöfen gelangen die Erreger aus dem Darm auf das Fleisch der Tiere und von dort zum Konsumenten.

Die Gift bildenden E.-coli-Darmbakterien (VTEC), zu denen auch EHEC gehört, fand das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in über einem Viertel der Kotproben von Mastkälbern, bei 14 Prozent der Tiere im Schlachthof, in 6 Prozent des frischen Kalbfleisches und immerhin noch in 3 Prozent des verarbeiteten Kalbfleisches.

Listerien sind nur für vergleichsweise wenige Infektionen verantwortlich. Hier bereitet aber die recht hohe Sterblichkeitsrate von fast jedem fünften Infizierten Sorge. Die Zahl der Infektionen hat sich laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) um fast 20 Prozent erhöht. Listerien wurden sogar in verzehrfertigen Lebensmitteln wie Räucherfisch, hitzebehandelten Fleischerzeugnissen und Käse nachgewiesen.

Bakterieller Informationsaustausch

Unglücklicherweise zeigen sich Gift bildende E. coli, Campylobacter und Salmonellen zunehmend gegen moderne Antibiotika resistent, darunter solche, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als besonders wichtig für die Humanmedizin einstuft. Diese Resistenzen fand man ebenfalls bei den an sich harmlosen E. coli in Masthühnern und -kälbern sowie auf dem Fleisch von Hühnern, Puten und Schweinen. Man spricht hierbei von Extended Spectrum Beta-Lactamasen oder kurz ESBL bildenden E. coli. Sie können Enzyme herstellen, die »Beta-Lactamasen mit breitem Wirkungsspektrum«, die Antibiotika der Gruppe Beta-Lactame unwirksam macht. Dazu zählt etwa das gute alte Penicillin. Die Zahl der Infektionen mit ESBL bildenden E. coli beim Menschen liegt bereits über der von MRSA. Die Ansteckung erfolgt anders als bei MRSA meist nicht in Krankenhäusern, und die Betroffenen sind im Schnitt 20 Jahre jünger. Zwar erkranken nicht alle Infizierten, bei manchen kann eine Infektion aber lebensbedrohlich werden. Die Behandlungsmöglichkeiten sind in einem solchen Fall begrenzt, und die Ärzte müssen auf Reserveantibiotika zurückgreifen. Ältere, Kranke, Kinder, Schwangere und Menschen mit geschwächtem Immunsystem sind auch bei ESBL-Infektionen besonders gefährdet.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt vor einem weiteren Problem: Wie bei anderen Keimen können auch hier die Resistenzinformationen im menschlichen Darm an andere Bakterien weitergegeben werden. Die Empfänger der Resistenzgene können harmlos sein, aber auch krank machen. Das zur menschlichen Darmflora gehörende E. coli etwa kann an anderen Stellen Erkrankungen auslösen und gilt als Hauptverursacher von Harnweginfekten. Mit dem ESBL-Gen ausgestattet, ließen sich solche E.-coli-Infektionen nur noch sehr schwer behandeln. Für den starken Anstieg von ESBL-Infektionen beim Menschen scheint ebenfalls die Tierhaltung ein bedeutender Faktor zu sein. Das BfR sieht in der Übertragung ESBL bildender Bakterien von Tieren ein Gesundheitsrisiko für den Menschen und hält eine Ansteckung über Lebensmittel für möglich. Wer häufiger in Kontakt mit rohem Fleisch kommt und nicht penibel die Regeln der Küchenhygiene einhält, ist daher stärker gefährdet.

Wie im Saustall

Warum kommen überhaupt so viele resistente Keime aus der Tierhaltung? Natürlich, weil dort so viele Antibiotika eingesetzt werden. In den USA ist der Einsatz von Antibiotika nicht nur vorbeugend, sondern auch als Wachstumsbeschleuniger erlaubt – als würden die Nutztiere nicht ohnehin schon unter ihrem Turbowachstum leiden. Wenigstens der Einsatz als Wachstumsförderer ist in der EU seit 2006 verboten. Der Umsatz mit Antibiotika hat dennoch erst einmal deutlich zugelegt. Ob das allein mit den wachsenden Beständen zu erklären ist? Sobald ein Tier im Stall erkrankt, wird auch in Deutschland der gesamte Bestand vorbeugend behandelt – selbst bei harmlosen Infektionskrankheiten. Wenn ein Tierarzt unter 30000 Küken ein krankes Tier fände, reiche das aus, um vorsorglich alle mit einem Antibiotikum zu behandeln, kritisiert Rupert Ebner in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Der praktizierende Tierarzt und Rinderzüchter kennt die Branche. Er war bis vor ein paar Jahren Vizepräsident der bayerischen Landestierärztekammer. Der Landvolkkreisverband Hannover, ein Interessenverband von Bauern und Tierhaltern, schreibt über diese Praxis: »Die Behandlung von Einzeltieren ist in der Regel nicht möglich bzw. wenig Erfolg versprechend aufgrund des dynamischen Geschehens im Falle von Infektionskrankheiten.« Natürlich ist der Infektionsdruck in den vollen Stallungen hoch. Der Fehler liege aber im System, glaubt Ebner, denn Massentierhaltung lasse sich nur mit einer hohen Medikamentierung der Tiere aufrechterhalten. Je mehr Tiere auf engem Raum gehalten werden und je mehr Nutztiere einer Art innerhalb einer Region vorkommen, desto größer ist auch das Erkrankungsrisiko. Durch hohe Besatzdichten und prinzipiell hohe Tierzahlen in Ställen kann es sogar überproportional ansteigen. Zudem sind die gestressten Hochleistungstiere weitaus anfälliger für Erkrankungen. Dem begegnet man dann mit der freizügigen Gabe von Antibiotika. Gelegentlich wird dabei die Dosierung herabgesetzt und dafür die Behandlungsdauer unnötig in die Länge gezogen. Statt einer therapeutischen zeigt das Antibiotikum dann nur die wachstumsfördernde Wirkung.

Man wundert sich immer wieder. Unvernünftigerweise verwendet man für Tiere Antibiotika aus den gleichen chemischen Gruppen, die auch in der Humanmedizin genutzt werden, schreibt das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Die häufige Verwendung eines Antibiotikums löst aber nicht nur gegen dieses Resistenzen aus, sondern auch gegen andere Antibiotika, die der gleichen chemischen Gruppe angehören. 1996 entzog man in Deutschland dem zur Leistungssteigerung genutzten Avoparcin die Zulassung als Futterzusatz. Man hatte festgestellt, dass sein Einsatz bei Enterokokken (Darmbakterien) Resistenzen gegenüber dem Reserveantibiotikum Vancomycin auslöste. Vancomycin wurde ausschließlich in der Humanmedizin verwendet, bei Infekten, die nicht mit gängigen Antibiotika behandelt werden konnten.

Aus der Praxis

Experten warnen davor, dass der vorbeugende Einsatz bei noch nicht erkrankten Tieren, die Massenbehandlung, eine zu geringe Dosierung, eine lang anhaltende Behandlung sowie der Einsatz von Antibiotika mit breitem Wirkspektrum oder von Kombinationen besonders zur Resistenzbildung beitragen. All das ist allerdings Teil der Praxis in deutschen Mastbetrieben. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) hat 2011 festgestellt, dass nicht nur 96 Prozent der Masthühner mit Antibiotika behandelt wurden, sondern auch, dass die Behandlung bis zu 26 Tagen dauerte und bis zu acht Wirkstoffe eingesetzt wurden. Das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) nimmt an, dass Schweine, Mastkälber und Rinder bis zu sechs Mal im Jahr mit Antibiotika behandelt werden. Geschätzt kommen in Deutschland etwa 900 Tonnen Antibiotika in der Tierhaltung zum Einsatz. Das wäre dann mindestens das Dreifache der in der Humanmedizin eingesetzten Menge. Genaue Zahlen liegen für die Tierarzneien bisher nicht vor. Noch immer gibt es keine vollständige zentrale Erfassung aller verschriebenen Präparate, obwohl das schon lange gefordert wird.

Damit in den geschlachteten Tieren keine Rückstände mehr zu finden sind, endet die Antibiotika-Behandlung spätestens ein paar Tage vor dem Schlachttermin. Kälber und Geflügel dürften aber vom ersten bis zum letzten Tag mit Aspirin behandelt werden. Dieses Schmerzmittel werde neben Antibiotika ebenfalls massenhaft verschrieben, um das System am Laufen zu halten, so Tierarzt Ebner in der Süddeutschen Zeitung. Unter Betäubung hielten Hühner die Schmerzen an den entzündeten Fußballen eher aus – sie sollen ja bis zuletzt fressen können. Tierschutzwidrige Zustände würden durch die reichliche Abgabe von Medikamenten ermöglicht, beklagt Ebner.

Und die Verbraucher gehen in der Regel fälschlicherweise davon aus, dass die Tiere, die sie essen, gesund waren.

Schweinesystem

Für die Landwirte wie für die Tierärzte ist es schwer möglich, aus der gängigen Praxis auszusteigen. Das beginnt schon damit, dass viele landwirtschaftliche Familienbetriebe in den vergangenen Jahrzehnten zu Lohnmästern wurden, die von großen, zum Teil multinationalen Unternehmen abhängig sind. Eigenständige unternehmerische Entscheidungen sind für die »Bauern« kaum mehr möglich. Tiere und Futtermittel gehören den Unternehmen, die üblicherweise über Vertragstierärzte für die gesundheitliche Betreuung sorgen. Schulden bei den Banken für neu gebaute Ställe und Ähnliches zwingen die Landwirte oft, in diesem System zu bleiben. Aber auch die Tierärzte sind ökonomisch davon abhängig, dass sie in die Bestände der Tierhalter gehen dürfen. Die Tierärzte sollten die Landwirte eigentlich dahingehend beraten, dass sie möglichst wenige Medikamente einsetzen müssen. An der Beratung würden die Veterinäre aber nicht verdienen, so Ebner im Interview mit der SZ. Die lebten von den verschriebenen Präparaten. Anders als in der Humanmedizin dürfen Tierärzte die Arzneien, die sie verschreiben, auch gleich verkaufen. Ebner geht sogar so weit, zu sagen, dass keine Tierarztpraxis ganz legal arbeiten könne, wenn sie wirtschaftlich überleben wolle. Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz seien daher an der Tagesordnung. Es sei gute tierärztliche Praxis, bei Krankheitsfällen den Bestand zu untersuchen. Laut Ebner reiche es aber meist aus, wenn der Tierhalter den Veterinär um ein Antibiotikum bitte. Der verschreibe dann das Medikament auch ohne Untersuchung. Die Landwirte legten verbotenerweise Vorräte an Antibiotika an und behandelten zuweilen lediglich nach telefonischer Absprache mit dem Veterinär die Erkrankungen, die sie glaubten festgestellt zu haben. Bisweilen schrieben Ärzte gar falsche Diagnosen auf, um vorzutäuschen, dass eine Antibiotika-Behandlung gerechtfertigt sei. Es ist schließlich eine Win-win-Situation für Halter und Ärzte: Die Tierärzte verdienen am Verkauf der Antibiotika, die Antibiotika lassen schlechte Haltungsbedingungen zu und beschleunigen nebenbei das Wachstum der Tiere. Die Pharmafirmen belohnen zudem mittels großzügigen Rabatten die Veterinäre, die große Mengen an Antibiotika abnehmen. Eine wirksame Kontrolle der Medikamentenabgabe hingegen ist offenbar bisher nicht möglich oder nicht gewollt.

Tiere aus ökologischer Tierhaltung dürften weniger mit resistenten Keimen belastet sein, denn dort gelten weitaus strengere Regeln für den Umgang mit Antibiotika. Hühner, die mit mehr als einem Antibiotikum behandelt werden, dürfen nicht mehr unter dem Biolabel verkauft werden. Allerdings gibt der Tierarzt Matthias Wolfschmidt von foodwatch e. V. zu bedenken, dass auch Tiere unter Demeter- und Bioland-Haltungsbedingungen nicht zwangsläufig gesünder seien als aus konventionellen Betrieben, denn auch deren Zieldefinition sei es nicht, gesunde Tiere zu haben, da gehe es eher um artgemäße Haltungsbedingungen.

Alles fließt

Der ehemalige Veterinäramtsleiter Hermann Focke warnt in seinem Buch über den Antibiotika-Missbrauch in der intensiven Nutztierhaltung Die Natur schlägt zurück davor, dass mit den Ausscheidungen der Tiere, etwa über die Gülledüngung, 80 Prozent der verabreichten Antibiotika oder deren noch teilweise wirksamen Abbauprodukte auf landwirtschaftlichen Nutzflächen landen. Von dort geht es ins Oberflächen- und Grundwasser. Mancherorts ist dadurch schon das Trinkwasser erheblich belastet. Die ständige Belastung durch Antibiotika führt bei den Keimen im Boden und Grundwasser zu Resistenzentwicklungen. Gemüsefelder darf man zwar nur vor der Aussaat düngen, bei der sogenannten Kopfdüngung von Getreide kommt die belastete Gülle aber mit der Nutzpflanze in Kontakt. Feldsalat und Winterweizen – und in experimentellen Studien noch weitere Pflanzen – können durch die Gülledüngung offenbar Antibiotika-Rückstände über ihre Wurzeln aufnehmen. In der Umwelt oder über die Lebensmittel aufgenommen, können diese Rückstände dann dazu führen, dass sich andernorts resistente Keime entwickeln.

Ich bin froh, dass wenigstens in meiner Küche keine Lebensmittel zubereitet werden, die besser nur mit Gummihandschuhen angefasst werden sollten. Über das Risiko, sich zu Hause mit gefährlichen Keimen zu infizieren, brauche ich mir keine Gedanken machen – über die Bedrohung, die weltweit von Viren und Bakterien aus Tierhaltungsbetrieben ausgeht, aber schon. Diese Bedrohung ist jedoch wohl nicht die einzige globale Gefahr, der wir uns durch unseren Umgang mit Nutztieren aussetzen.